Zu Ende getanzt

Sie war Deutschlands jüngste Abgeordnete im 2021 gewählten Bundestag. 2025 verpasste sie den neuerlichen Einzug. Emilia Fester hat ihr Mandat als Showbühne genutzt — sie war die Kühlerfigur der Ampelzeit.

Manchmal verdichten sich die Tendenzen einer Epoche in einer einzigen Person, die dann als deren einprägsames Symbol im kollektiven Gedächtnis haften bleibt. Was immer in diesen Tagen und Wochen an Wegweisendem geschehen mag — eines dürfen wir dabei nicht vergessen: Wir erleben gerade das Ende der Ära Fester. Die jüngste Abgeordnete des scheidenden und nun doch wieder so wichtigen Bundestags tritt ab. Sie verkörperte vieles, was als charakteristisch für die Zeit der Ampel gelten darf: fehlendes Geschichtswissen und eine gewisse Unbedarftheit des Auftretens, kreischende Aufgeregtheit in politischen Debatten, Ungenauigkeit bei Sachaussagen und die Neigung, Kritik an ihre Person rasch als Feindseligkeit gegenüber dem gesamten weiblichen Geschlecht abzukanzeln. Tänzelnd beanspruchte die Lebensanfängerin, über das Schicksal von Millionen gestandenen Bundesbürgern zu entscheiden, über die Körper von Ungeimpften zu verfügen oder jetzt auch die Überschuldung der Republik mit in die Wege zu leiten. Ihr parlamentarisches Ende könnte als Zeichen dafür gewertet werden, dass wieder mehr Reife und Seriosität in den Bundestag einziehen. Anderseits wissen wir noch nicht, was nachkommt.

Im September 2021 schaffte sie es in den Bundestag: Emilia Fester. Endlich ein festes Einkommen: Das mag sich die junge Frau gedacht haben. Denn ihr Berufsleben sah vor Mandatsantritt recht unspektakulär aus: Sie zog 2017 vom provinziellen Hildesheim nach Hamburg und arbeitete dort als freischaffende Regieassistentin im Kinder- und Jugendtheater, von 2018 bis 2019 zusätzlich noch als Bühnenhelferin. Danach ging Emilia Fester, die aus einer Theaterfamilie stammt (Vater: Schauspieler und Chorleiter; Mutter: Schauspielerin und Co-Leiterin eines theaterpädagogischen Zentrums), in die Politik.

Wie gesagt, ob sie sich über das feste Einkommen freute, das ein Bundestagsmandat mit sich bringt, ist nicht verbürgt. Überhaupt wird vieles in den nächsten Absätzen offenbleiben müssen. Denn Emilia Fester antwortete auch auf gezielte Nachfragen nicht. Etliche Fragen sollten sie erreicht haben — mit dem Ziel, dieses Porträt ihrer Person zu bereichern und ihr die Chance zu geben, den eigenen Blick zu erklären. Sie zog es allerdings vor zu schweigen. Die nächsten Sätze stellen das Porträt einer ganz besonderen Abgeordneten dar, die aber zeitgleich den Zeitgeist der Ampeljahre umgarnte wie keine andere.

Emilia Fester hatte kaum politische Erfahrung: 2016 wurde sie Grüne, 2019 wurde sie zur Landessprecherin der Grünen Jugend in Hamburg gewählt, bis 2021 war sie im Vorstand der Grünen aus der Hansestadt. Fünf Jahre politische Arbeit und dann schon im Bundestag: Davor könnte man Respekt haben — wenn es nicht auch Sorge bereitete.

Hassrede im Bundestag

Als jüngste Abgeordnete des neu gewählten 20. Bundestages wurde sie recht schnell medial populär. Emilia Fester kokettierte mit der Kamera, die Journalisten fuhren darauf ab. Zumal Fester keine Diplomatin war. Sie sprach Themen unbeschwert an — nicht sachlich und nüchtern etwa, sondern frei heraus. Dass Journalisten bei ihr eine gewisse politische Ahnungslosigkeit voraussetzten, spürte man an den Interviews dieser Anfangszeit der Ampelkoalition.

Man fragte sie nach Befindlichkeiten, und sie antwortete mit dem Elan junger Leute: Natürlich wäre sie ein rotes Tuch für Männer, erfuhr man zumeist, die könnten es nicht aushalten, dass eine junge Frau jetzt Politik machen dürfe.

Der Verweis auf das Patriarchat war nie weit — in einem taz-Interview kündigte sie dem Patriarchat den Kampf an. Cool fand sie auch, wie Angela Merkel ihr die Ghetto-Faust gegeben habe.

Ihre Freude darüber brachte sie in einem Interview mit der Welt zum Ausdruck. Ebenfalls dort war zu lesen: Das Wahlrecht muss auch Jüngeren zugestanden, das Wahlalter herabgestuft werden, auf das 16. Lebensjahr nämlich. Man erfährt aber auch, dass diese Absenkung nicht reichen könnte, denn sie selbst wollte schon wählen, als sie acht Jahre alt war. Emilia Fester verstand sich von Anfang an als Abgeordnete, die nicht die Interessen aller im Lande vertreten wollte, sondern nur bestimmter Gruppen: die der jungen Leute, und ganz speziell auch der jungen Frauen.

Ihr Mandat verstand sie demgemäß ganz offensichtlich als beschränkte Interessensvertretung. „Dem deutschen Volke“ mag zwar am Reichstagsgebäude als Schriftzug prangern, aber mit ihrer Vorstellung von politischer Arbeit im Parlament hatte das nichts zu tun. Sie wollte rein als Sprachrohr der Jugend begriffen werden — obwohl viele junge Leute gar nichts von ihr und den Grünen wissen wollten.

Dementsprechend war sie für eine radikale Klimawende. Schon lange bevor das Heizungsgesetz den Höhenflug der Grünen in dieser neuen Koalitionskonstellation bremste und den Wirtschaftsminister als ahnungslos enttarnte, stellte Fester eine Klimapolitik in Aussicht, die keine Rücksicht mehr nehmen dürfe. Radikal war überhaupt das Stichwort, man denke an den Höhepunkt ihrer Zeit im Bundestag zurück:

Am 17. März 2022 stand sie am Rednerpult und schrie ins Mikrofon, dass sie ihre Freiheit zurückmöchte. Die hätten ihr Impfunwillige genommen — daher sei eine Covid-19-Impfpflicht sofort durchzusetzen. Nicht mal in den Urlaub habe sie gekonnt.

Später wurde das mittels einiger Posts auf ihren Social-Media-Kanälen als Unwahrheit enttarnt, sie sei wohl für eine Auszeit in Dänemark gewesen.

Aber Fester hatte sich einen Namen gemacht. Die Rede sprühte vor Hass und Empörung, sie legte alle Verachtung, die ihr in ihrer jugendlichen Undifferenziertheit möglich war, in die von ihr herausgepressten Sätze. Natürlich schwang auch in dieser Rede mit, dass die Jugend leide, weil die Alten etwas falsch machten. Festers Hassrede blieb von diesem Tag, als das Parlament über die Impfpflicht stritt, nennenswert im Gedächtnis.

Kritik an Fester: Natürlich immer toxische Männlichkeit

Der Hass im Bundestag hatte ein Gesicht bekommen. Es war jung und weiblich. Und kam mit einem Blick in die Wohnzimmer dieser Republik, den man gemeinhin einer Alice Weidel unterstellt — einem Blick, von dem man gemeinhin sagt, er könne töten. Der Hass stand ihr im Gesicht. Und es war ein Hass auf die Alten, vermutlich auch auf die Männer im Lande. Denn die Impfpflicht wollte sie eingeführt sehen, damit junge Leute wieder frei sein können — was immer das bedeuten mag.

Dass junge Leute mehr denn je in ein Korsett gezwängt werden, das sich aus defizitären Bildungsinhalten bei gleichzeitiger Abrichtung für marktkonforme Karriereleitern zusammensetzt, dass deren Freiheit also immer nur die Freiheit ist, die „das System“ ihnen lässt: Davon vernahm man nie etwas von ihr.

Ihre Kritik war wohlfeile Ideologie — schon vor der Bundestagswahl 2021 sagte sie in einem Interview mit der Bernstein Group, dass sie die politischen Inhalte für ihre Kanäle von Fachpolitikern ihrer Partei beziehe: Sie bewegte sich also bei vollem Bewusstsein in einer Blase — und griff damit Themen auf, die dem ideologischen Mise en Place entnommen wurden, der Vorbereitungsarbeit aus der Küche der Spindoctors.

Als Jungabgeordnete von gerade mal 23 Lebensjahren genoss sie das Privileg des Ungestüms. Selbst ihre Rede wurde ihr medial nicht angekreidet. Dabei hätte sie eine Debatte über die Würde des Hohen Hauses verdient. Stattdessen deutete die veröffentlichte Meinung sie als kämpferische junge Feministin, die sich gegen eine Gesellschaft zur Wehr setzt, in der Männer immer noch auftreten wie Despoten. Fester war im Dauerkampf gegen maskuline Übergriffe und toxische Männlichkeit. Diese Toxizität nannte sie, wie viele junge Frauen bei den Grünen auch, als Ursache der — durchaus oft auch derben — Kritik an ihrer Person und ihren Positionen. Auch Emilia Fester hat die Opfer-Rhetorik verinnerlicht, wie es ihrer gesamten Partei gemein ist. Sie bügelte die Kritik ab, indem sie sie personalisierte, denn die kritischen Männer würden ja gar nicht die „Inhalte“ per se monieren, sondern nur den Umstand, dass sie von einer Frau vertreten werden.

Die Kritik an Sahra Wagenknecht oder Alice Weidel wurde hingegen öffentlich nie als Angriff auf zwei Frauen gewertet, sondern immer als sachlich begründet hingestellt — nicht von Fester freilich, hier findet sich keine Aussage von ihr. Aber von jenen Medien, die Fester Kampfgeist andichteten, während sie Protagonistinnen anderer Parteien die Opferrolle nicht gewährten.

Selbst als Emilia Fester im Fernsehen ihre Bildungslücken aufzeigte, fand es die Welt unangemessen, dass man die junge Frau dafür rügte: Es sei ärgerlich, denn wer habe keine peinlichen Wissenslücken, fragte das Blatt. Das mag ja richtig sein, aber die Jungabgeordnete wusste einiges nicht: weder das Gründungsjahr der Bundesrepublik, noch, dass Otto von Bismarck mal Reichskanzler war. Das ist mehr als eine Wissenslücke, es ist Unterlassung.

Eine Wissenslücke ist, wenn man als deutscher Abgeordneter nicht mehr so genau weiß, wer George Clemenceau ist oder David Lloyd George. Aber Bismarck? Sicher ist dieses Unwissen auch dem maroden deutschen Bildungssystem zuzuschreiben. Und insofern hätte sich Emilia Fester wunderbar als Stimme der jungen Leute geeignet, die zu wenig Allgemeinwissen vermittelt, dafür zu viel anderen Zeitvertreib beigebracht bekamen. Opfer des Bildungssystems: Das wäre zutreffend gewesen.

Emilia Fester ist ein gutes Beispiel für diese Misere: Wenig wissen, aber viel tanzen, und besonders viel Haltung statt Erkenntnis.

Wenn sie nach ihrer Bismarck-Peinlichkeit ausgerufen hätte, sie wolle endlich ihre Freiheit, dann wäre sie erstmals politisch inhaltlich aufgetreten. Denn Wissen vermittelt zu bekommen, macht junge Leute sicher nicht unfreier.

TikTok und andere Zurschaustellungen

Eine Könnerin ist Emilia Fester dennoch. Besonders auf ihrem TikTok-Kanal kann man das sehen. Sie tanzt und schwoft und zappelt in Kurzvideos über den Bildschirm. Kurze und schroffe Schnitte, mancher Move irgendwo im Reichstagsgebäude. Nicht selten mit „politischer Botschaft“, was heißt: Kampf gegen das Patriachat. Denn natürlich waren es nur bösartige Männer, die sie für jene Aussage kritisierten, sie würde ihre Jugend für die Politik opfern. Auch ein beliebtes Motiv bei den Grünen, ihr letzter Kanzlerkandidat äußerte sich häufig auch in diese Richtung. Sein Leben zu opfern, um es in den Dienst einer höheren Sache zu stellen: Mehr Drama geht nicht!

Und während die Medien ihr auch diese Aussage durchgehen ließen, ihr den Welpenschutz gaben, den eine vom Volk gewählte Vertreterin nie haben sollte, generierte ihr hasserfülltes und tanzbasiertes Mandat mehr und mehr Bürgerinnen und Bürger, die das kritisch kommentierten. Genoss sie den Ärger? Hat sie das Mandat als Showbühne missbraucht? Diese Eindrücke liegen nahe. Nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag wird sie die Kanäle, die sie in ihrer Zeit im Parlament wachsen ließ, weiter nutzen können.

Dieser 20. Bundestag, der Ende September 2021 gewählt wurde, gewährte überhaupt allerlei kuriosen Volksvertretern den Einzug ins Parlament. Man hatte den Eindruck, als habe sich das wahlberechtigte Volk bewusst verabredet, das Hohe Haus zu einem Kuriositätenkabinett umzufunktionieren.

Speziell bei den Grünen zog eine im Berufsleben unbewährte und als Lebenskünstler erfahrene Truppe ins Parlament ein. Nicht, dass der 19. Bundestag oder Bundestage davor intakte Volksvertretungen waren. Aber die Figuren waren biederer. 2021 fielen die Hemmungen, der Bundestag wurde zur Spaßveranstaltung von Menschen, die weniger wussten als ihre Vorgänger, aber noch mehr Haltung an den Tag legten als diese.

Emilia Fester war die Kühlerfigur dieser Ampelzeit. Laut und krawallig, Opfer und Tänzerin, inhaltslos und doch gefragt. 2025 hat sie den Wiedereinzug nicht mehr geschafft. Sie muss zurück ins zweite Glied, darf jetzt aber nochmal, obgleich abgewählt, über das Sondervermögen und damit die Hochrüstung der Republik abstimmen. Wie sie sich entscheidet, wird wohl wenig überraschend sein: Denn selten äußerte sie sich zur Ukraine und Waffenlieferungen. Doch wenn sie es tat, war sie die perfekte Parteisoldatin und wand sich, wie es die Parteiführung immer dann tat, wenn man deren Doppelstandards angriff.

Vermissen wird man die junge Frau, die nach ihrer Impfpflicht-Rede von vielen nur noch als Göre bezeichnet wurde, wohl eher nicht. Aber über ein zu niedriges Wahlalter sollte man nachdenken: Es birgt das Risiko, jugendliche Spaßabgeordnete in den Bundestag zu votieren. Es ist überhaupt fraglich, ob man einem Menschen in Festers Alter einen angemessenen Umgang mit dem Mandat zutrauen kann. Diese Ampelzeit wird in der Tat als eine Zeit bunter Merkwürdigkeiten in Erinnerung bleiben. Oder es kommt noch verwunderlicher — mehr wissen wir in Kürze.