Zeit der Entscheidung

In Ullrich Mies‘ Sammelband „Auswandern oder Standhalten“ schildern 18 Autorinnen und Autoren was sie dazu bewogen hat, Deutschland zu verlassen — oder auch nicht.

Heinrich Heines „Nachtgedanken“ beginnen mit den Versen: „Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht.“ Ähnlich erging es vielen Deutschen, welche von den Tätern der Coronapolitik um ihre Heimat gebracht wurden. Sie erkannten ihr eigenes Land, ihre Mitmenschen nicht wieder, weil die meisten von ihnen einem obrigkeitshörigen Wahn anheimfielen; einige wurden sogar zu Denunzianten. Doch was bedeutet es eigentlich, Deutschland zu verlassen? Und was bedeutet es, zu bleiben? Wer sich zu Ersterem entscheidet, muss sich die Fragen stellen: Was erwartet mich in welchen Ländern? Wo ist es wirklich besser, wo stolpert man lediglich vom Regen in die Traufe? Ullrich Mies hat die Erfahrungsberichte und Interviews mehrerer Auswanderer in seinem neuesten Sammelband „Auswandern oder standhalten … Politisches Exil oder Widerstand?“ zusammengetragen und damit ein ergreifendes Zeitdokument geschaffen. Es zeigt eindringlich, dass dieses historisch zerrissene Land in Mitteleuropa zum wiederholten Male in einen Zustand geriet, der so manchen kritischen Zeitgenossen in die Flucht trieb.

Mit weniger als dreihundert Seiten liegt das Buch leicht in der Hand, doch inhaltlich schwer im Magen. Das beginnt bereits mit dem Vorwort des Herausgebers Ullrich Mies, in dem er den Lesern detailliert vor Augen führt, welche Entwicklung Deutschland in den letzten 30 Jahren genommen hat. Weil ein Sammelband über die massenhafte Auswanderung einer ausführlichen Kontextualisierung bedarf, skizziert Mies in politischer, sozialer und menschlicher Hinsicht jene Verfehlungen, die in den Augen der Ausgewanderten zum Niedergang der Bundesrepublik Deutschland geführt haben — und sich in den vergangenen drei Jahren enorm intensivierten.

Da darf man beim Lesen schon mal ein Antidepressivum oder Whiskey-Glas parat halten: Das hier gezeichnete Bild übertrifft in seiner Schwärze so manche Lockdown-Nacht.

Aber sei‘s drum. Ein Schönmalen der Grässlichkeiten hilft niemandem weiter und bekanntermaßen ermöglicht erst der tiefe, beharrliche Blick in die Dunkelheit die Suche nach dem Silberstreif.

Selbstverständlich bleibt ein Vorwort letztendlich ein Vorwort und ist durch seine Seitenzahl begrenzt, was den Brechecke-Kolumnisten und Herausgeber Mies dazu „zwang“, drei Dekaden des Niedergangs auf weniger als fünfzig Seiten einzudampfen. Entsprechend hoch ist die Dichte seiner Analyse. Die Wendepolitik, 9/11, Hartz 4, Agenda 2010, die Migrationspolitik, die Parteiendämmerung, Woke-Ideologien, Massenindoktrination, tiefenstaatliche Strukturen der BRD — all das umreißt Mies auf den ersten Seiten. Doch diese schwer verdauliche Deskription des gesellschaftlichen Verfalls ist ein Vorgeschmack darauf, was die Menschen zum Kofferpacken bewog.

Quo vadis, Freiheitsliebender?

Dem Vorwort folgen dann im Kern des Buches episodenhafte Erzählungen und Interviews von und mit teils mehr, teils weniger bekannten Auswanderern einerseits und Zuhause-die-Stellung-Haltenden andererseits. Die Berichte stammen unter anderem aus den Federn von Sven Böttcher, Hermann Ploppa, Ronja Palmer, Tom-Oliver Regenauer, Kayvan Soufi-Siavash und Walter Weber. Es sind Erzählungen von jung und alt, unterschiedlichster Berufsgruppen, Menschen, die erst ab den 2020ern oder schon vorher Deutschland den Rücken kehrten. Die Zielfluchtländer der jeweiligen Autoren befinden sich auf allen Kontinenten. Nun ja, fast allen.

Jede einzelne Erzählung im Buch folgt dem gleichen Muster. Nach einer eindringlichen, teils schmerzhaften Beschreibung dessen, was den Autor oder die Autorin in die Flucht trieb, folgt eine Schilderung des Lebens in der neuen Heimat. Sehr unterschiedlich hingegen fallen die Erfahrungsberichte aus, wenn es um die Ankunft und das Ankommen in den Fluchtzielländern geht. Mancher findet sein Eldorado, andere Autoren finden Zuflucht und manche mussten sich erst einmal – nach enttäuschenden Zwischenstopps — neu orientieren, bevor sie ihr neues Zuhause gefunden haben.

Manche Region eines fremden Landes, von dem man es gar nicht erwartet hätte, erweist sich als idealer Zufluchtsort — etwa in Kanada —, während wiederum andere Länder — wie Chile — ganz und gar nicht der romantischen Fluchtvorstellung gerecht werden, die manch einer von diesem Land haben könnte. Nach all den Kapiteln über das Auswandern kristallisiert sich jedoch ein und dieselbe Erkenntnis heraus: Deutschland ist wahrlich ein finsterer Ort auf der Weltkarte geworden. Viele freiheitsliebende Menschen machen nun größtenteils einen Bogen um diese mitteleuropäische Fläche, die sich von den Alpen bis zur Nord- und Ostsee erstreckt. Viele, doch nicht alle. Wie es der Titel bereits verrät, ist dies kein reines Buch über das Auswandern, sondern auch ein Buch über jene, die im heimischen Widerstand standhalten.

Der Arzt Walter Weber schreibt beispielsweise, dass der Corona-Putsch gegen die Freiheitsrechte einen globalen Charakter habe und seiner Meinung nach das Auswandern lediglich ein Verschieben des Unausweichlichen bedeuten würde, da die geplanten Maßnahmen zur digitalen Totalkontrolle früher oder später in jedem Land eingeführt werden würden.

So solle man sich dieser Entwicklung sofort entgegenstellen und wo könne man dies besser — so Weber — als in seiner vertrauten Umgebung, in der Heimat? Weber schreibt diese Zeilen wahrlich nicht aus der Bequemlichkeit der Komfortzone heraus. Ihm wurde von den deutschen Behörden mit Hausdurchsuchungen übel mitgespielt, er hätte somit gute Gründe, seine sieben Sachen zu packen.

Fazit

Eingangs habe ich Heinrich Heines Nachtgedanken zitiert, die dieser ebenfalls im Exil verfasste. Wehleidig blickt er auf die in Chaos versinkenden deutschen Länder. Zwar wurde dieses Gedicht in einem anderen politischen Kontext des 19. Jahrhunderts verfasst, doch so manche Strophe erhält im Deutschland der 2020er Jahre eine ganz neuartige Form der Aktualität. Die vorvorletzte und die vorletzte Strophe könnte so manchen der im Band versammelten Autoren aus der Seele sprechen:

„Seit ich das Land verlassen hab,
So viele sanken dort ins Grab,
Die ich geliebt — wenn ich sie zähle,
So will verbluten meine Seele.

Und zählen muß ich — Mit der Zahl
Schwillt immer höher meine Qual,
Mir ist, als wälzten sich die Leichen
Auf meine Brust — Gottlob! Sie weichen!“

Vor dem Hintergrund der Massenverabreichung der krankmachenden bis tödlichen Gen-Spritzen — die Übersterblichkeit in Deutschland erreichte Ende 2022 einen Wert von über 50 Prozent —, den mörderischen Maßnahmen und der erneuten Kriegsbesoffenheit vieler Deutscher haben diese Zeilen an Aktualität nichts verloren. Für manche der Autoren nimmt sich Deutschland wie ein modernes Sodom und Gomorrha aus, ein Land zum Davonlaufen.

Als wollte die Band Rammstein einen Vorgeschmack auf das Land in der neuen Normalität geben, veröffentlichte sie 2019 den epochalen Song „Deutschland“, in welchem der Sänger Till Lindemann singt:

„Ich will dich nie verlassen
Man kann dich lieben
Und will dich hassen“

Schlussendlich bleibt nach der letzten Seite ebendiese Zerrissenheit. Verwurzelt-Bleiben oder Flügel-Ausspannen, um andernorts eine neue Heimat zu finden? Das ist die Frage. Nur manche der Autoren in dem Werk haben leichten Herzens das Land zurückgelassen. So viele Gründe, die es gab, Reißaus zunehmen, so viele gab es eben auch, um zu bleiben: Familie, Freunde, die vertraute Umgebung und die Sprache.

Dieser Sammelband ist kein Ratgeber. Auf dem Cover befindet sich ein Fragezeichen, welches jedem Leser selbst die Beantwortung überlässt . Soll man nun auswandern oder standhalten? Für beide Optionen ist das Buch inspirationsgebend und klärt aus vielen Perspektiven einerseits darüber auf, was Heimathütern mit regierungskritischer Sicht in Deutschland blühen könnte, und andererseits, welche Herausforderungen und Hürden Auswanderer in den verschiedensten Ländern erwarten.


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