Wut zu Mut
Statt zu zerstören, können wir unsere Empörung dafür nutzen, trojanische Pferde des Friedens in die Gesellschaft zu bringen.
Viele Menschen empfinden in der heutigen Zeit Wut: Wut aufgrund von Verletzungen und Enttäuschungen, Wut über Ereignisse, Wut über die eigene Ohnmacht, die eigene Schwäche, nichts tun zu können. Wut kann zerstörerisch wirken. Doch wie jedes Werkzeug kann sie auch etwas schaffen, was nützt. Wir können sie als einen Motor annehmen, der uns Kraft gibt und niemandem schadet. Inspirationen von einer Manova-Leserin.
Maria Frank ist Sachbearbeiterin in der Sozialversicherung und Umwelterzieherin mit schamanischer und permakultureller Ausbildung. Schon vor einiger Zeit nahm sie Kontakt zu mir auf und inspirierte mich bereits zu dem Artikel „Krieger des Friedens“ (1). Wie geht Frieden? Diese Frage beschäftigt uns beide. Wie können wir es schaffen, in einer kriegerischen Welt Verbindungen zueinander aufzubauen? Was können wir tun, um nicht den Mut zu verlieren? Was für Handlungsmöglichkeiten haben wir?
In einer Zeit zunehmender Gegenkräfte sind wir aufgefordert, uns den Ereignissen zu stellen. So ist der Begriff „Krieger“ hier nicht im Sinne eines Kampfes dagegen gemeint oder des Versuchs, jemanden zu vernichten, sondern in seiner ursprünglichen Bedeutung: Anstrengung, Bemühen, Streben. Friedvolle Krieger können an den Rändern, in der Mitte oder ganz vorne kämpfen. Für sie ist das Leben nichts, was es zu ertragen gilt, sondern etwas, was wir alle mitgestalten. Es ist ein Entwicklungsprozess, der uns hilft, uns aus unserer Komfortzone herauszubewegen und mutiger zu werden.
Wut als Werkzeug
Maria Frank hat die Qualitäten eines friedvollen Kriegers herausgearbeitet, die Prinzipien und Fähigkeiten, die seine treibenden Kräfte sind. Das Gefühl, aus dem der friedvolle Krieger seine Energie zieht, ist die Wut: die Wut auf alles, was das Leben, den Frieden und die Freiheit gefährdet oder unmöglich macht. Es ist die Wut auf Grenzverletzung, Manipulation, Zwang und Gewalt, auf Unterdrückung, Zerstörung und die Ausbeutung von Mensch und Natur.
Der friedvolle Krieger lernt zunächst, seine Wut wahrzunehmen. Bei vielen von uns ist dieser Zugang durch Kindheitserfahrungen blockiert. Um geliebt zu werden, haben wir uns oft so sehr verdreht, dass wir erst wieder lernen müssen, uns die eigene Wut zu erlauben, um ihre positive Kraft nutzen zu können.
Die Wut kann in Tatkraft verwandelt werden, in friedlichen Widerstand, in Aufklärungsaktionen und Aufbruch, in Aufstehen und Kommunikation, in Grenzsetzung und Mut. Eine verantwortungsvoll gelebte Wutkraft wird nicht zurückgehalten. Sie führt über die Selbstermächtigung zur Selbstwirksamkeit, zu einem Leben, das wild, frei und unbezähmbar ist und dabei respektvoll und wertschätzend allem Lebendigen gegenüber.
Das Prinzip des lichtvollen, friedlichen Kriegers ist die Hoffnung auch angesichts des stärksten Widerstands. Immer wieder kehrt er zu dieser Hoffnung zurück, auch wenn er zwischendurch für einen kurzen oder längeren Moment verzagt, resigniert oder verzweifelt. Friedvolle Krieger stellen sich nicht die Frage, was sie als Einzelne schon bewegen können. Sie versuchen, etwas zu bewegen, auch auf die Gefahr hin zu scheitern.
Der friedvolle Krieger gibt sich und andere nicht auf. Er meistert die Angst und bleibt handlungsfähig. Seine klare Motivation, seine Anbindung an die göttliche Energie und die Verbundenheit zu den Menschen in der ganzen Welt geben ihm immer wieder die Kraft, weiterzumachen. Hierbei vergisst er nicht die Zeit des Zweifelns, der Reflexion, der Heilung, des Krafttankens, der Selbstfürsorge und der Muße.
Das Schwert schmieden
Friedvolle Krieger kämpfen nicht gegen äußere Feinde. Sie arbeiten sich nicht am Außen ab, sondern bauen in ihrem Inneren Gedanken, Prägungen und Glaubensmuster ab, die sie klein und ohnmächtig halten. Mutig stellen sie sich ihren (Ge-)Schichten und ersetzen sie durch das, was wirklich ist, durch das, was heilt. Die Geschichten, in denen sie bedürftig sind und etwas ganz Besonderes sein wollen, ersetzen sie durch Geschichten von Verbundenheit und Gemeinsamkeit. Aufopferung ersetzen sie durch Selbstfürsorge und einen wahren Dienst an der Welt, Resignation durch Hoffnung, Rache durch Liebe.
Friedvolle Krieger überwinden die Bequemlichkeit und den inneren Schweinehund und kämpfen für eine radikale Verantwortung ihrem eigenen Denken, Fühlen und Handeln gegenüber. Sie kämpfen für das eigene authentische Sein und gegen Unwahrheiten und Manipulation in sich selbst.
Da sie ihre Schwächen kennen, arbeiten sie an ihnen und lernen, sich selbst übend zu meistern. Sie arbeiten daran, auch in sich Licht und Schatten voneinander zu unterscheiden.
Friedvolle Krieger halten sich an das Licht und läutern und destillieren ihre Motivation, bis die Schneide des Schwertes scharf ist. Eine unlautere, unklare, vermischte Motivation macht die Schneide stumpf. Eine Motivation, die mit der Suche nach Anerkennung verknüpft ist, mit Selbstschmeichelung oder dem Streben, in einem besonders vorteilhaften Licht dazustehen, wirkt zerstörerisch. Erst wenn die Motivation klar ist, ist die Absicht schneidend und die Kraft unermesslich, die sich daraus ergibt.
Zur Tat!
Friedvolle Krieger brauchen keine Schlachten. Dort, wo sie in diesem Moment stehen, gibt es genug zu tun.
Ob als Mutter oder Vater, die sich für das Wohl ihrer Kinder einsetzen und für eine neue Form der Bildung kämpfen, ob als Behördenmitarbeiter, die das menschliche Wohl über die Dienstvorschriften stellen und Klienten als ganze Menschen sehen und nicht als Automaten, ob als Arzt, der sich für seine Patienten Zeit nimmt und sie nicht wie Nummern behandelt, ob als Straßenfeger, der sich um Obdachlose kümmert und lieber mit dem Besen hantiert als mit dem Laubbläser.
Ob als Konzernmitarbeiter, der sich gegen den Widerstand der Konzernspitze für eine bessere Bezahlung der Kollegen einsetzt, ob als Richter, der gegen den herrschenden Druck freisprechende und unterstützende Urteile fällt, ob als Gartenbesitzer, der Wildnisbereiche zulässt, ob als Vermieter, der Menschen aufnimmt, die nicht so gut angesehen sind, ob als Mensch, der Brücken baut zwischen verfeindeten Lagern, ob als Tochter oder Sohn, die sich liebevoll und klug um die alten Eltern kümmern, ob als Mensch, der andere zum Nachdenken bringt:
Sie alle handeln im Sinne des friedvollen Kriegers.
Der friedvolle Krieger lässt sich nicht aufhetzen. Er bewahrt sich seine Menschlichkeit und lebt die Verbindung.
Er arbeitet an einem Netz, das sich über die ganze Erde zieht, und verbindet sich mit den Menschen, denen die Natur und ihre Wesen am Herzen liegen, die bewusst ein einfaches und ressourcenschonendes Leben führen, die tauschen und teilen, upcyclen, reparieren und wiederverwenden und ihre Ideen teilen sowie mit denen, die in Behörden, Gerichten, Konzernen oder Parteien für Menschlichkeit kämpfen, leise vielleicht, doch mutig und beharrlich, und die unsere Kraft brauchen, unsere stärkenden Gedanken, unsere Ermutigung, unser Lob.
Friedvolle Krieger erkennen die eigentliche Macht hinter den Kriegen, das höhere Interesse, das die Kriegsparteien für seine Zwecke nutzt. Sie suchen das Abenteuer in ihrem täglichen Leben. Ein Tag ohne warme Dusche, ein Tag ohne Nahrung, ein Tag zu Fuß. Nein sagen, wenn alle Ja sagen, Ja sagen, wenn alle Nein sagen. Sich mit einer provozierenden Aussage auf einem Schild in der Fußgängerzone den Reaktionen stellen und ins Gespräch kommen. Seine Meinung offen äußern und einen Schlagabtausch riskieren. Einen Obdachlosen ansprechen und ihn als ganzen Menschen wahrnehmen. Barfuß durch den Park laufen und ohne Regenschirm durch den Regen.
Dem Leben Sinn geben
Friedvolle Krieger fühlen die Verantwortung für die nächsten Generationen und die Menschen im globalen Süden, für ihre Nachbarn und Kollegen, für ihre Kinder und Eltern, für Menschen, Tiere, Pflanzen, für die Vielfalt und die Schönheit der Umgebung, für Frieden, Bruttosozialglück und Freiheit, für die Heilung von Körper, Seele und Geist. Friedvolle Krieger fühlen sich verantwortlich für die Bewahrung und Regeneration der Natur und handeln entsprechend.
Friedvolle Krieger sind Heiler, die nach einfachen und friedlichen Wegen der Heilung suchen. Sie ändern ihre Gewohnheiten, stellen ihre Ernährung um, kennen sich in Pflanzenmedizin und mineralischen Mitteln aus, sorgen für weniger Stress in ihrem Leben und mehr Licht, Sonne und Bewegung. Sie suchen die Ursache hinter der Krankheit, die tiefen Verletzungen, die Blockaden, die wahren Auslöser.
Friedvolle Krieger vertrauen auf das Leben und auf ihre Intuition. Auch der Tod ist für sie kein Feind. Friedvolle Krieger schließen Frieden mit dem Tod, denn sie haben ein erfülltes und verantwortungsbewusstes Leben gelebt. Zusammen mit anderen haben sie ihrem Leben Sinn gegeben und vertrauen darauf, dass ihre Arbeit Früchte trägt, auch wenn diese noch nicht sichtbar sind. Friedvolle Krieger tun jetzt, was zu tun ist. Sie gehen hinaus in die Welt und setzen um, was sie gelesen haben und sich in ihren höchsten und edelsten Gedanken vorstellen können.