Woke Grapscher
Manche halten es für besonders aufgeklärt, Frauen als „Menschen mit Uterus“ zu bezeichnen — das ist nicht progressiv, es ist zutiefst sexistisch.
Noch hat es sich nicht ganz durchgesetzt, nur die taz macht es hin und wieder: Sie stattet Menschen mit Geschlechtsattributen aus, um nicht „Mann“ oder „Frau“ sagen zu müssen. Dann spricht man etwa von „Menschen mit Vagina“ und „Menschen mit Penis“. Das sei schließlich aufgeklärter, denn es gäbe ja auch Frauen mit Penissen und Männer mit Vaginen. In den sozialen Netzwerken geht man teilweise sogar noch tiefer unter die Bauchdecke. Dort liest man allenthalben von „Menschen mit Uterus“ oder „mit Gebärmutter“. Manche gebrauchen diese Umschreibung mittlerweile ohne Scheu, obwohl es eigentlich unterste Schublade ist, Personen nach ihren Sexualorganen zu benennen.
Es sind natürlich die besonders aufgeklärten Zeitgenossen, die so formulieren. Sie tun das, weil sie davon überzeugt sind, dass es 72 oder noch weit mehr Geschlechter gibt. So viele Geschlechter wie Menschen gar. Und daher könne man von Frauen und Männern nicht mehr sprechen, ohne sich dabei schuldig zu machen.
Als die Autorin Joanne K. Rowling vor etwa zwei Jahren meinte, dass Menschen mit Gebärmutter gemeinhin als Frauen bezeichnet würden, erntete sie ideologische Empörung. Wer heute so spricht, wer noch immer einfach von Frauen und Männern redet, so sagten die Radikalen, der begehe Ausgrenzung. Doch wenn man das nüchtern betrachtet, dann ist es doch ganz anders, dann ist es eher so, dass diese vermeintlich Anständigen gerade dabei sind, einen moralisch legitimierten Sexismus zu etablieren.
Hey, du Schwanz!
Jedenfalls stamme ich aus einer Zeit, da man seinen Mitmenschen nicht mit Äußerlichkeiten kategorisierte. Sicher, wir nannten die Mitschülerin auch eine Brillenschlange. Aber dass man das Mädchen nicht an ihrer Sehhilfe misst, war völlig klar. Den dicken Bekannten rief man ja auch nicht Fettsack — auch wenn heute immer so getan wird, als habe erst die letzte Generation das Bodyshaming, wie man das in diesen Zeiten gemeinhin nennt, als schlechtes Betragen entdeckt: Man wusste vorher schon, dass man einen Menschen nicht auf seinen körperlichen Umfang reduzieren sollte.
Eine Weile bestand der öffentliche Diskursraum im Wesentlichen aus diversen Talkshows. Speziell in den Neunzigerjahren hatte jeder Sender gleich mehrere solcher Formate im Programm. Wer sich heute noch ein Bild von dieser „Errungenschaft der Diskussionskultur“ machen will, braucht nur bei YouTube zu recherchieren. Wie oft saßen damals dämliche Macker in solchen Runden, die ihre Bekanntschaften mit deren primären Geschlechtsteilen titulierten? Und manche junge, sich emanzipiert gebende Frau berichtete dort ganz ungehemmt von ihrem Schwanz, den sie an der Hand habe — und meinte damit ihren „Schatzi“.
Das Publikum grölte bei solchen Gästen natürlich vor Verzückung. Aber dass man andere Menschen auf Körper- oder sogar auf Geschlechtsteile begrenzt, sie so bezeichnet, das galt damals schon als anrüchig und taktlos. Denn damit funktionalisiert man den Nächsten nur, macht ihn zu einer Art Dienstleistung auf zwei Beinen.
Wenn jemand mit Bezug auf seinen Partner oder Bekannten von „seiner Fotze“ oder „seinem Schwanz“ spricht — bitte, man entschuldige diesen Ton, aber so sprechen wirklich mehr Menschen, als man sich denken mag —, dann liegt darin ja nicht gerade Wertschätzung, sondern Reduktion, Begrenzung auf eine Funktion, die jemand für einen zu erfüllen hat.
Was genau der Unterschied zwischen diesem Gossenjargon und der schönen neuen Sprachregelung sein soll, kann man auf Anhieb gar nicht beantworten. Was auch daran liegen könnte, dass es da keinen Unterschied gibt. In beiden Fällen reduziert man Menschen auf eine Körperregion und funktionalisiert seinen Mitmenschen: der aus der Gosse, um sexuell einzuschränken — der politisch Überkorrekte, um mit der geschlechtlichen Befindlichkeit zu instrumentalisieren. Hier wie da redet man der Entmenschlichung das Wort.
Das ist nicht menschlich — das ist Entmenschlichung
Die Reduzierung des Menschen auf einen Aspekt seines Daseins, ohne die Gesamtheit seiner Existenz zu betrachten, verleugnet das Menschliche. Es ist ein Akt, der entmenschlicht. Bildet sich das auch noch in der Sprache ab, so kann man getrost von einem entmenschlichenden Soziolekt sprechen, den die politisch besonders Korrekten hier zu etablieren trachten.
Man sagt zwar „Mensch mit Uterus“ oder „Mensch mit Penis“, um besonders sensibel wirken zu wollen, aber fokussiert gleichzeitig die Betrachtung des Gegenübers auf äußerliche Marginalien.
Diese Oberflächlichkeit sieht nicht das menschliche Wesen als Person in Gesamtheit, sondern schränkt die Wahrnehmung ein, verengt den Fokus. Die Person verliert damit den Anspruch, als menschliches Wesen mit allen Facetten des Menschseins betrachtet zu werden. Eine Körperregion übernimmt jetzt die Deutungshoheit über den so Bezeichneten. Er ist in diesem Sinne entmenschlicht. Und dies macht ihn zum Mittel.
Denn für die Korrekten der Stunde heiligt der Zweck die Mittel. Und das ist kein Pragmatismus, sondern — sieht man es mit den Augen Immanuel Kants — ein grober Verstoß gegen den apriorischen Sittlichkeitsanspruch der menschlichen Art:
„Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“
Das ist eine Variante des kategorischen Imperativs. Seinen Mitmenschen als Wesen mit Körperteilbezug zu bezeichnen, das bedeutet nicht weniger, als ihn zum Mittel zu degradieren — und ihn auf diese Weise zu missbrauchen.
Die krude Logik des Wokismus mag es als progressiven Akt betrachten, nicht mehr „Frau“ oder „Mann“ sagen zu müssen, dafür das Hauptaugenmerk auf Geschlechtsspezifika zu legen. Aber das ist ein sprachlich gefasster Missbrauch seines Mitmenschen. Er muss als Mittel herhalten, um den ideologischen Zweck zu erfüllen. Von Aufklärung hat das also nichts, ganz im Gegenteil.
Diese Kommunikation ist schlicht und ergreifend nur eines: pure Menschenverachtung. Hier zeigen die Überkorrekten ihr wahres Gesicht.
Menschen mit Gehirn
Ein solcher Sprachgebrauch birgt nicht etwa Freiheit, Aufklärung oder Gerechtigkeit: Er ist in höchster Form repressiv und unterdrückend. In ihm schwingt die Menschenverachtung mit, die man braucht, um auszugrenzen, zu stigmatisieren. Die Unmenschlichkeit liegt eben nicht darin, jemanden unabhängig von seinen Genitalien oder Geschlechtsteilen entweder als „Mann“ oder als „Frau“ zu bezeichnen, sondern in einer Bezeichnungsweise der Reduktion, die das Hauptaugenmerk auf irgendeine Körperstelle lotst.
Würde man einen Dicken „Mensch mit Bauch“ rufen, wäre die Empörung vermutlich groß, weil man ihn auf Äußerlichkeiten einschränkt, die Wahrnehmung vom Gesamtbild eines Menschen auf sein Erscheinungsbild verlegt. Bodyshaming sei das, würde man wohl empört rufen.
Ist es das nicht auch, wenn man jemanden als „Menschen mit Uterus“ vorstellt? Die angeblich geschlechtersensible Sprache ist genau das nicht: sensibel nämlich. Sie fasst einem verbal direkt in den Schritt. Ungefragt und schamlos — unsensibel sowieso. Es ist eine übergriffige, ja eine grapschende Sprache, die hier verwendet wird.
Ein „Mensch mit Gehirn“ könnte das erkennen, müsste das geradezu hinterfragen. Aber selbst Medien beginnen zögerlich damit, sich dann und wann ihrer zu bemüßigen. Wie oben erwähnt, die taz verwendet solche Ausdrücke recht ungeniert. Als sei nichts dabei, Mitmenschen in einer befummelnden Kommunikationsweise anzusprechen, die zudem auch noch den Keim der Entmenschlichung und Funktionalisierung in sich trägt. Sie ebnen einer Sprache den Weg, die sittenlos zwischen die Beine fasst, als sei der Betroffene ein Sexsklave, der das jetzt mal auszuhalten habe.
Es ist, wie es immer ist, wenn man es mit Ideologie zu tun hat: Auf „Menschen mit Gehirn“ kann man da nicht bauen. Innerhalb der ideologischen Diaspora gibt es sie einfach nicht. Wer sich „Gehirn“ leistet, also einen kritischen Verstand, der wird ausgeschlossen — oder geht von alleine.
Zurück bleiben jene, die nicht betrachten, sondern nachplappern. Leicht zu steuernde Bilderstürmer, denen man einflüstern kann, sie leisten einen Beitrag zur Verbesserung der Welt, während sie sie verschlechtern und eine Sprache etablieren, die nicht befreit, sondern Menschen erniedrigt. Wenn man heute von Hassverbrechen spricht: Bitte, man sollte diese sprachlichen Gewalttäter nicht vergessen.
Ja, man sollte dafür sorgen, dass sie zu „Menschen mit Maulkorb“ werden.