Wohlergehen statt Wohlstand

Wir können die Welt noch retten, wenn wir den radikalen Umbruch im eigenen Leben vollziehen. Exklusivabdruck aus „Reset: Weniger ist mehr“. Teil 2/2.

Unser bisheriger Lebensstil führte uns in eine globale Krise, die wie eine Sackgasse erscheint. „Der Wandel“ ist in aller Munde und notwendig. Viele Autoren veröffentlichen Bücher mit Ideen, wie er gelingen kann: Klaus Schwab schreibt in „Covid 19 — The Great Reset“ darüber, dass der globale Kampf gegen das Virus eine günstige Gelegenheit für einen kompletten Neustart unserer Welt ist. Er sieht für die „schöne neue Welt“ die Verschmelzung großer Konzerne mit staatlichen Strukturen vor, also die Errichtung des autoritären Korporatismus, einer Spielart des Faschismus (1). Sven Böttcher setzte dieser menschenverachtenden Vision sein Werk „Wer, wenn nicht Bill?“ entgegen und entwickelt darin eine Alternative zum Plan der technokratischen Weltenherrscher: die Vision des „Team Mensch“, das auf Güte, Vertrauen, Recycling und Selbstversorgung setzt. Erika Helene Etminan griff ebenfalls zur Feder und beschreibt in „Reset: Weniger ist mehr — Auf der Suche nach einem neuen Lebensstil“, wie jedes Individuum zum Wandel im Sinne der Menschlichkeit selbst konkret beitragen kann. Packen wir es an.

Weniger Männlichkeit

Wir leben im Zeitalter des Patriarchats (hinduistisch: Eisernes Zeitalter, kali yuga). An dieser Tatsache konnte auch die feministische Emanzipationsbewegung nichts verändern. Im Gegenteil: Sie hat Frauen dazu verleitet, männliche Verhaltensweisen zu entwickeln. Insgesamt ist unsere Kultur deshalb einseitig geworden, sozusagen vermännlicht. Wohl haben Frauen gelernt, in der Wissenschaft und im männlich dominierten Business mitzuspielen, aber nur wenige kommen an der Spitze an.

Das eigentliche Problem liegt jedoch in der gesamten Entwicklung, die immer männlichere Qualitäten fordert: Effizienz und Leistung, Taktik und Strategien, Ehrgeiz und Zielstrebigkeit,
Vorwärtskommen, die Fähigkeit, schnelle Entscheidungen zu fällen — und natürlich: sich durchzusetzen.

Auch der Glaube an die technologische Entwicklung, der Siegeszug der chemischen Pharmaindustrie, immer höhere Wolkenkratzer — männlicher geht es kaum. Und Frauen machen dies alles mit, sie eifern, um endlich die ersehnte Anerkennung zu bekommen — von Männern (Vätern?). Inzwischen sind die Prozentzahlen etwas besser, aber Wissenschaftlerinnen halten genauso abstrakte und unverständliche Vorträge wie Männer. Liegt dort das Glück? Der Preis, den sie für diese Anpassung und Selbstverleugnung zahlen, ist hoch. Aber das entdecken sie meist zu spät.

Was ist dabei schwierig für mich — und warum?

Mehr Weiblichkeit

Irgendwann wollten Frauen nicht länger für die Regeneration ihrer (erfolgreichen) Männer zuständig sein. Das ist verständlich. Aber vor allem waren sie sich selbst irgendwann nicht mehr genug. Ihr Ego wollte mehr: gesellschaftliche Anerkennung, Macht und Ruhm. Also haben sie sich männliche Verhaltensweisen und Fähigkeiten zugelegt, dabei zugleich aber viele — eigentlich sehr positive — Seiten ihrer Weiblichkeit abgelegt: unter anderem die Fähigkeiten, zuzuhören und mitzufühlen, ein intuitives Gespür dafür zu haben, wie es anderen geht und was jetzt getan werden muss. Viele erfolgreiche Frauen führen Wochenendbeziehungen (per Flugzeug!) — wenn überhaupt. Und mit 39 bis 40 Jahren kommt die große Wehmut, weil frau keine Kinder bekommen hat.

Bei Managementtrainings für Führungsfrauen fließen abends manchmal Tränen. Aber wer oder was weint da? Es ist die weibliche Seele, die permanent zu kurz kommt, die keine Zeit mehr für den Plausch mit der Freundin hat, die keine Muße mehr hat für das Backen von Adventsplätzchen. Wenn Frauen dies dann trotzdem tun, erhöhen sie nur ihren Stress. Auf diese Weise erstickt jede Muße, jegliche Spontaneität — und mit ihr auch die weibliche Seele.

Die Emanzipation reduziert Frauen allzu oft auf männliche Eigenschaften, dabei sind wir Frauen so viel mehr! Und auch Männer könnten so viel mehr sein, wenn sie sich trauen würden, ihre weiblichen Anteile zuzulassen und zu entwickeln.

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Weniger Kritik

Heute ist es üblich, andere Menschen zu kritisieren: die eigenen Eltern, den Partner, die Kollegen und vor allem die Chefs, darüber hinaus aber auch Vater Staat und Mutter Kirche und natürlich die Medien, die vierte Macht im Staate. Meistens sind mit dieser Kritik auch Forderungen verbunden, und spätestens dann wird daraus eine unehrliche Geschichte. Andere sollen etwas verändern oder sich ändern, denn dann brauchen wir uns nicht zu bewegen. Da andere aber nicht vorhaben, sich zu verändern, haben wir weiterhin genügend Anlass für Kritik. Wir sitzen damit immer auf der richtigen Seite.

Es scheint, dass wir mit der Kritikkultur der Menschen (der westlichen Welt) gerade so richtig in der Pubertät angekommen sind. Über dem Tisch fordern Pubertierende Versorgung, und unter dem Tisch treten sie gegen die Schienbeine der Eltern. Über dem Tisch wollen sie Anerkennung, die sie zugleich aber anderen verweigern. Wir kritisieren und fordern … und verbleiben immer noch länger in dieser ich-bezogenen Haltung der Spätpubertät.

Kein Wunder, dass das auf der anderen Seite nicht gut ankommt. Wir fordern Mitbestimmung, ohne Mitverantwortung zu leisten. Wo bleibt unsere aktive Mitarbeit? Wo bleibt unser eigener Beitrag zur Gestaltung einer Beziehung oder eines Arbeitsverhältnisses, zur Verbesserung der Umwelt und des Klimas? Es wird Zeit, dass wir unsere pathologische Kritiksucht an die Leine legen und diese Energie in unsere eigene Entwicklung investieren.

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Mehr Selbstreflexion

Unsere Kritik zeigt, dass wir mündige, emanzipierte Menschen sind. Emanzipation ist eine psychologische Entwicklungsstufe, die das Ich aus der Bevormundung von anderen (Menschen, Institutionen) befreit und es aus seinem passiven Gehorsam erlöst. Aber was kommt danach? Nach der Emanzipation geht es — hoffentlich — mit der Entwicklung weiter. Kritik und Diskussion sind nämlich ausgesprochen ich-bezogen: Ich meine, ich sehe, ich glaube, ich finde ... Das Ich nimmt sich selbst mit seinen Standpunkten überaus wichtig.

Bis irgendwann leise Selbstzweifel kommen. Bis wir entdecken, dass der Diskussionspartner, den wir gerade so scharf angegriffen haben, doch ein netter Mensch ist. Bis uns auffällt, dass wir uns auch mit dem jetzigen Partner wieder in den gleichen Schwierigkeiten befinden. Oder zum x-ten Male die gleichen Probleme am Arbeitsplatz erleben, auch auf der neuen Stelle.

Irgendwann werden Selbstzweifel wach. Dann beginnen wir, über uns selbst nachzudenken und danach zu suchen, was mit uns selbst los ist. Warum bin ich immer unzufrieden? Was ist mein eigener Beitrag zu diesem Konflikt? Habe ich selbst vielleicht etwas getan, das ich an anderen kritisiere? Und was wäre, wenn wir unsere Forderungen einmal an uns selbst richten würden? Was müssten wir dann tun? Selbstreflexion bringt Bewegung in verfahrene Situationen und Beziehungen — auch in die globale Krise!

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Weniger Hektik

Abgesehen davon, dass Hektik oft zelebriert wird, um sich interessant zu machen, gibt es viele Gründe, um in Hektik zu verfallen. Unser Leben reißt uns in einem Tempo mit, das uns fast ein Schleudertrauma verpasst. Die immer schnelleren Zyklen und der immer kürzere Takt zwingen uns zum Multitasking. Damit steigt der Druck, und die Folge ist noch mehr Hektik. Die Qualität der Leistung sinkt, die Kreativität gleich mit. Die Qualität von Kontakten nimmt ab, wodurch ein Hunger nach mehr Kontakten entsteht (neue Medien!), deren Qualität aber immer weiter absinkt.

Zudem ist unser Leben in so viele verschiedene Rollen zersplittert, die an so vielen verschiedenen Orten mit wechselnder Besetzung gespielt werden müssen, dass Menschen fast atemlos durchs Leben hetzen. Ihnen fehlt die Zeit, Dinge in Muße zu tun, sie sorgfältig vorzubereiten und abzuschließen. Darunter leiden sie natürlich, weil sich das Gefühl von Zufriedenheit nicht einstellen will, das sich erst ergibt, wenn man Dinge gut zu Ende gebracht hat.

Inzwischen sind die Hetze und das Getriebensein so weit verinnerlicht, dass Menschen sich nicht mehr gut konzentrieren können und mit Unsicherheit reagieren, wenn es einmal etwas ruhiger wird. Aber wo ist hier der Ausgang?

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Mehr Ruhe

Wenn wir die Hektik nicht länger mitmachen wollen, werden wir merken, dass das nicht so einfach ist. Wenn wir ihr entkommen wollen oder sie reduzieren möchten, entsteht erst einmal das Schreckensbild eines Lebens in Langeweile. Na und, was ist schlimm an Langeweile? Langeweile ist der Ort, an dem neue Ideen entstehen, sie ist der Brunnen der Kreativität. Wir sollten Langeweile also nicht vermeiden.

Aber so schlimm wird es wohl auch nicht kommen. Denn wir sind nicht allein, da sind noch andere, die uns nicht aus dem allgemeinen rasanten Tempo entlassen wollen. Manchmal müssen wir erst richtig krank werden, bevor wir die Entschlossenheit aufbringen können, uns diesem krank machenden Lebens- und Arbeitsstil zu entziehen. Dann werden wir eine Entschleunigung erleben, die ein ganz neues Leben bedeutet: Ein Leben in Ruhe und Langsamkeit, mit Achtsamkeit, aber auch mit einem Rhythmus, der den Gesetzen des Lebens entspricht. Wir werden mehr von den Schwingungen und Stimmungen wahrnehmen, in uns und in unserer Umgebung. Wir werden mehr erleben und erfahren — und wenn nicht mehr, dann auf jeden Fall anders. Unser Leben wird intensiver werden.

Aber auch unsere Kontakte werden sich verändern. Für manche Menschen sind wir nicht mehr interessant — aber sie für uns auch nicht.

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Quellen und Anmerkungen:

(1) https://kenfm.de/cyber-polygon-2021-von-ernst-wolff/, zuletzt aufgerufen am 29. April 2021