Wir sind Frieden
Wir stellen unbekannte Friedensaktivisten vor, die im Kleinen einen wichtigen Beitrag leisten. Teil 5.
„Ein Baum, der fällt, macht mehr Krach als ein Wald, der wächst“, heißt ein tibetisches Sprichwort. Unsere Aufmerksamkeit ist meist auf dramatische und negative Ereignisse fokussiert. Auch verleiten uns die Medien, Politik als „Königsdrama“ zu interpretieren, in dem mächtige und prominente Akteure unsere Geschicke lenken. Dabei sehen wir nicht, wie viele „kleine“ Initiativen und engagierte, ganz unprominente Einzelpersonen Tag für Tag Zeichen der Hoffnung setzen. Sie halten das Gemeinwesen „mit ihrem Mut am Leben“, wie Reinhard Mey sang. Andrea Drescher porträtiert einige von ihnen. Heute Hans Gruber, Leiter eines sozialen Ausbildungsprojekts in Lateinamerika.
Andrea Drescher: Du beziehungsweise eure Schule engagiert euch in Südamerika — wie kam es dazu?
Hans Gruber: Es waren meine Schüler, die 2004 zu mir kamen. Sie hatten einen Innovationspreis mit dem stattlichen Preisgeld von 6.400 Euro gewonnen, das sie für ein nachhaltig soziales Projekt einsetzen wollten. Sie baten mich, sie dabei zu unterstützen, ein sinnvolles Projekt in Lateinamerika auszuwählen, da sie meine Leidenschaft für die Gegend kannten. Als ehemaliger Salesianer bin ich dem Orden noch verbunden — so entstand der Kontakt zum Salesianer Don Boscos in Ecuador, wo wir dann bis 2011 ein nachhaltiges Ausbildungsprojekt förderten.
Was heißt denn Ausbildungsprojekt?
Mit dem Geld haben wir die Ausbildung von Jugendlichen finanziert. Mit einer Unterstützungssumme von insgesamt 70.000 Euro konnten wir das Schulgeld von zahlreichen jungen Menschen übernehmen und ihnen damit einen erfolgreichen Start ermöglichen. Denn bei dem ersten Betrag blieb es ja nicht. Die Schüler waren so begeistert, dass sie durch weitere Schulprojekte bei uns immer wieder Geld zusammenbekamen. Das Positivste: 2011 war man in Ecuador aufgrund nachhaltiger Organisation dann selbst in der Lage, die Ausbildung der Jugendlichen zu finanzieren, so dass wir das Projekt auslaufen lassen konnten.
Aber es ging trotzdem mit dem Engagement weiter?
Ja. Bei einer privaten Reise 2010 habe ich das Leben der Kinder in den Armenvierteln von Lima erlebt. Diese Situation hat mich dermaßen bewegt, dass ich unbedingt etwas unternehmen wollte. Mit dem aktuellen Projekt „Rucksack der Hoffnung“ — Mochila de Esperanza, sind wir dann 2013 gestartet. Dabei kümmern wir uns um Kinder in den Armenvierteln, die keine Möglichkeit haben, die Schule zu beginnen, da sich die Eltern den Schulrucksack samt Inhalt schlichtweg nicht leisten können. Er kostet mit allen notwendigen Materialien zu Schulbeginn rund 35 bis 40 Euro. Das ist für die meisten Tagelöhner eine finanzielle Überforderung.
Und wie finanziert ihr das?
Wir werben und sammeln dafür und haben inzwischen viele Sympathisanten und Förderer, die das Projekt mittragen. Darüber hinaus gibt es zahlreiche regelmäßige Aktivitäten in der Schule.
Was für Aktivitäten sind das denn?
Im Cafe Andino, das von den Schülern betrieben wird, gibt es jeden Donnerstag in der Mittagspause Fairtrade-Kaffee und selbstgebackenen Kuchen. Dann laden wir uns Gäste für interessante Benefiz-Veranstaltungen und Vorträge ein. Einer dieser Themenbereiche beschäftigte sich mit fairem Handeln. Der Weltenwanderer Gregor Sieböck war beispielsweise schon zweimal da. Der Geschäftsführer des Vereins Jugend Eine Welt, Reinhard Heiserer, hat auch schon bei uns referiert. Die Reinerlöse aus diesen Veranstaltungen fließen in unser Gesamtprojekt. Unser Anfangsziel, 1.000 Kindern die Möglichkeit des Schulstarts zu ermöglichen, hatten wir bereits 2017 erreicht. Die nächsten 1.000 Kinder warten aber schon. 2018 wollen wir 200 weiteren Kindern den Schulstart ermöglichen und denken darüber nach, einen Verein zu gründen.
Seid ihr auch vor Ort?
Ja. Ich fahre regelmäßig privat hinüber, um die Kontakte zu den Menschen vor Ort zu pflegen. Wie gesagt, ich liebe Lateinamerika und bereise die Länder dort schon seit inzwischen 15 Jahren. Und seit 2016 machen wir auch Schulprojekte vor Ort mit unseren Schülern, denn die waren von den Bildern meiner Reisen so begeistert, dass sie selbst die Entscheidung trafen, statt der gängigen Matura-Reise eine Kulturreise mit sozialem Einsatz zu organisieren. 27 Teilnehmer waren beim ersten Mal dabei, 2018 ist eine zweite Reise mit einer weiteren Abschlussklasse geplant.
Was kann man sich unter so einer Kulturreise vorstellen?
Insgesamt sind wir 3 Wochen unterwegs, eine Woche davon arbeiten wir an einem Sozialprojekt. 2016 entstand so eine Treppe mit 241 Stufen. Eine dringend notwendige Infrastrukturmaßnahme, da speziell Frauen und Kinder bis dahin immer über katastrophale Wege die Hügel runterrutschen mussten. Im Sommer 2018 wollen wir einen Sportplatz für die Kinder bauen. Wir suchen uns immer Projekte, die den schwächsten der Gesellschaft, eben den Kindern nützlich sind, wobei der Fokus natürlich auf Bildung liegt. Bildung befreit, befähigt für den weiteren Lebensweg. In den beiden anderen Wochen reisen wir durchs Land, lernen Menschen und ihre Kultur kennen. Das begeistert die Jugendlichen, es beflügelt sie in ihrem Engagement und lehrt sie ganz praktisch, über den Tellerrand des eigenen Lebens hinauszublicken. Sie lernen sich damit auseinanderzusetzen, dass Armut kein Schicksal ist, sondern dass es Ursprünge und Zusammenhänge im großen politischen Kontext gibt.
Wie wird ihnen das bewusst?
Durch den Unterricht, durch die Vorträge und durch ihr aktives Tun. Die Jugendlichen merken, dass Aktivismus mehr bedeutet, als nur Geld zu spenden. Sie engagieren sich selbständig und lernen in der Vorbereitung und bei der Reise natürlich sehr viel. Man kann nicht nur von Nächstenliebe reden. Mir als Religionslehrer ist es ein Anliegen, Dinge praktisch umzusetzen. Hinschauen, nachdenken, was zu tun ist, und dann handeln. Und das möglichst nachhaltig. Was uns ja auch gelungen ist. Aus der Idee 2004 ist inzwischen etwas richtig Großes entstanden. Wir waren im Fernsehen, eventuell fährt 2018 auch der ORF mit uns mit, um eine Doku zu machen. „Jugendliche Technik-Schüler unterstützen Kinder in einer anderen Welt“. Die Rückmeldung ist enorm positiv. Nicht nur bei den Schülern, sondern auch bei deren Eltern und vielen Menschen, die von unseren Aktivitäten erfahren.
Als Lehrer baust du die Friedensaktivisten der Zukunft auf.
Genau. Sie werden Multiplikatoren des Friedensgedankens. Nebenbei bemerkt: Vier Klassen in meiner Schule haben Free21 abonniert, auch die Eltern der Schüler lesen es bereits. Es ist doch offensichtlich und wir halten es mit Mahatma Gandhi: „Es gibt genug für alle auf diesem wunderbaren Planeten, aber nicht genug für die Gier der Wenigen“. Das wissen meine Schüler, sie lernen solidarisches Handeln und erleben die positive Resonanz, die daraus erwächst. Die Freude der Kinder in Peru, die endlich in die Schule gehen können, ist unbeschreiblich und ausgesprochen rührend. Einen ersten Eindruck gewinnt man auf der von Schülern gestalteten Webseite www.sanjuandelima.at , aber wer das hautnah erleben darf, ist nicht selten zu Tränen gerührt.
Dann wünsche ich dir und deinen Schülern noch viele Freudentränen. Macht bitte weiter!
Mehr als sehr gern!
Hans Gruber ist 1962 in Freistadt, Oberösterreich geboren und wohnt in Linz. Er ist Religionslehrer an einer Höheren Technischen Lehranstalt, liebt die Berge als Wanderer und Skifahrer, die Musik als Organist und solistischer Sänger. Außerdem hegt er eine Leidenschaft für Sprachen und schätzt Literatur und politische Sachbücher — speziell, wenn es um die Themen Eigenverantwortung und auch Gesundheitspolitik geht.