Wir sind Frieden

Andrea Drescher stellt unbekannte Friedensaktivisten vor, die im Kleinen die Welt verbessern. Teil 12.

„Ein Baum, der fällt, macht mehr Krach als ein Wald, der wächst“, heißt ein tibetisches Sprichwort. Unsere Aufmerksamkeit ist meist auf dramatische und negative Ereignisse fokussiert. Auch verleiten uns die Medien, Politik als „Königsdrama“ zu interpretieren, in dem mächtige und prominente Akteure unsere Geschicke lenken. Dabei sehen wir nicht, wie viele „kleine“ Initiativen und engagierte, ganz unprominente Einzelpersonen Tag für Tag Zeichen der Hoffnung setzen. Sie halten das Gemeinwesen „mit ihrem Mut am Leben“, wie Reinhard Mey sang. Andrea Drescher porträtiert einige von ihnen. Heute der für Toleranz für andere Meinungen eintretende Friedensaktivist Michael Kottwitz.

Andrea Drescher: Seit wann bist du in der Friedensbewegung aktiv?

Michael Kottwitz: Am 3. Oktober 2014 auf der Demo von Carsten Halffter wurde mir zufällig ein Flyer von der Mahnwache in die Hand gedrückt. Ich hatte zwar im August schon mal von „denen“ gehört, aber erst durch die Sondermahnmache im Oktober habe ich erfahren, worum es dort wirklich geht. Da bin ich dann hängen geblieben. Zunächst nur ab und zu, aber seit April 2015 regelmäßig fast jeden Montag — eigentlich halten mich nur Krankheit oder familiäre Verpflichtungen davon ab, auf die Straße zu gehen. Seit Ende 2016 bin ich in der Orga und stehe am Infotisch. Aber das ist nur eine Baustelle in der Friedensbewegung …

Weitere Baustellen sind ...

Bei „Stopp Ramstein“, „Pax Terra“ oder den „Raus aus der Nato“-Demos bin ich soweit möglich aktiv. Ich habe sowohl bei der Demo von Stefan Steins als auch bei Rainer Braun mitgeholfen, weil ich Spaltung ablehne. Ich helfe überall, wenn man mich fragt, wenn ich keine gravierenden ideologischen Probleme habe.

Wo ziehst du da Grenzen?

Bei Pegida wäre ich nicht dabei — ich bin Menschenfreund und humanitär eingestellt. Aber es braucht keine 100 Prozent Übereinkunft.

Bei Differenzen muss man sich nur auf das Verbindende konzentrieren.

Diese allgemeine Ausgrenzung geht mir massiv auf die Nerven — wenn die zu heftig wird, ziehe ich mich zurück. Mir gehen die Forderungen von Stopp Ramstein persönlich nicht weit genug — aber ich bin trotzdem dabei.

Warum diese Toleranz?

Es ist einfach wichtig, Schritte zu setzen. Man muss eine Entwicklung durchlaufen. Man kann nicht von jetzt auf gleich die perfekte freie und friedliche Welt erleben. Rudi Dutschke hat das sehr gut ausgedrückt:

„Revolution ist nicht der eine Punkt, an dem alles anders wird, sondern ein langer Prozess, in dem der Mensch anders werden muss.“

Ich bin noch jung; ich glaube aber auch nicht, die perfekte freie Welt zu erleben, aber ich lege die Samen, dass es meine Urenkel erleben können.

Was motiviert dich zu handeln?

Mein Herz — ich sehe die Ungerechtigkeit. Alle klagen, was schlimm ist. Man hört immer meckern. „Jemand müsste was machen“ — nein, nicht jemand, man selbst muss etwas machen. Die letzten Jahre waren brutal intensiv — aber auch wunderschön.

Inwiefern wunderschön?

Ich habe so viele liebenswerte Menschen kennengelernt, so viele berührende Momente erlebt. Es gibt ein Maß an Herzlichkeit und Empathie in der Bewegung, das man sonst nicht findet. Es ist ein Füreinander da sein, die Möglichkeit sich auszutauschen — eine Friedensbewegungsfamilie irgendwie. Wir schaffen es jeden Montag, einander zuzuhören — auch bei kontroversen Standpunkten. Jeder hat seine Meinung, aber man findet immer den Punkt, an dem wir gut zusammenarbeiten.

Bevor ich 2014 aktiv wurde, habe ich verschiedene Bücher gelesen — das Lied von der Bandbreite. Matrix — das hat mich irgendwie geflashed — und ich war ziemlich allein mit meinen Gedanken. Als Einzelner ist man massiv überfordert. Die Mahnwachen-Bewegung bot und bietet mir den Raum für Gespräche, Wissensaustausch und gibt mir das Gefühl, nicht allein zu sein — auch wenn es immer wieder Rückschläge gibt.

Was für Rückschläge?

Es gab immer wieder Angriffe, dass wir „rechts“ sind, wir wurden auch mal mit Eiern beworfen. Diese Ablehnung war schon heftig. Das hat uns enger zusammengeschweißt. Unschön war und ist die Ausgrenzeritits, weil man nicht 100 Prozent einer Meinung ist, das ist man ja eigentlich nie. Wo beginnt „rechts“, wer legt das fest? Rechte sollen nicht kommen — wer entscheidet das?

Es gab einige, die anfangs sehr engagiert waren, die dann in die patriotische Schiene abgerutscht sind. Ich höre mir alles an und natürlich kann jeder zuhören. Und solange man niemanden beleidigt oder abwertet, ist das auch ok. Die eigene Heimat bewahren zu wollen, ist nichts Schlimmes. Angst vor Veränderungen zu haben, ist auch nachvollziehbar. Warum denkt man so, wie kommt man zu der Meinung, was steckt dahinter? Das muss man hinterfragen.

Unterhalte ich mich mit den Fotografen, die die Mahnwache fotografieren, um sie entsprechend abzuwerten, habe ich oft festgestellt, dass wir gar nicht weit auseinander liegen. Leider sind die selten gesprächsbereit.

Wo würdest du dich politisch einordnen?

Früher sah ich mich als links, jetzt als Libertärer oder Voluntarist. Denn beides basiert auf Freiheit und Freiwilligkeit. Es gibt gute libertäre Kanäle wie zum Beispiel Jens Böckenfeld — Große Freiheit TV und Freiwillig frei —, der vieles aus dem libertären Themenbereich sehr gut erklärt. Für mich steht das Thema Freiheit im Vordergrund

Linke kritisieren den Kapitalismus und die großen Firmen, ich kritisiere eher den Staat als Problem. Er schützt die großen Firmen und subventioniert sie, während kleine Handwerker massiv besteuert, kontrolliert und bestraft werden. Konkurrenz belebt das Geschäft. Bei einem Monopol sinkt die Qualität.

Der Staat hat auf alles ein Monopol. Beispiel Sicherheit: Die Aufklärungsquote in Berlin liegt bei rund 25 Prozent. Beispiel Bildung: Das ist Massenware, in dem die unterschiedlichen Fähigkeiten der Kinder nicht berücksichtigt werden. Beispiel Gesundheit: Massive Kassenbeiträge, aber nur eingeschränkte Wahlmöglichkeiten. Alles das ist Zwang, den ich ablehne. Aber das ist ein breites Feld — da kann man sich auf YouTube zum Beispiel durch „Anarchie in der Praxis“ genauer informieren.

Anarchie?

Ja. Anarchie heißt „Leben ohne Herrschaft“, nicht „Leben ohne Regeln“. Regeln müssen in der Gruppe entwickelt und dann verbindlich für alle sein. Ich habe mir alles angeschaut — links, Mitte, rechts und libertär —, Letztere haben mich begeistert und bilden die Grundlage meiner heutigen Meinung. Mit dieser Position steh ich in Berlin ziemlich allein da — aber die anderen haben damit kein Problem. Wir haben oft stundenlange Diskussionen beim Kaffee und wir konnten uns nicht einigen. Das war auch nicht schlimm. Wir haben ja Punkte, bei denen wir uns einig sind. Anarchie heißt auch: Jeder darf seinen Weg gehen, solange er andere nicht schädigt. Die wichtigste Regel: Achte den anderen und schädige niemanden.

Du bist wirklich sehr offen.

Ja, denn es ist spannend, von anderen zu lernen, mich inspirieren zu lassen, zu sehen, wie andere etwas geschafft haben. Ich gönne jedem von Herzen seinen Erfolg und möchte von Menschen lernen, die etwas geschafft haben, die ihren eigenen friedlichen Weg gehen. So wünsche ich mir Veränderung — für mich und für den Rest der Welt.


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Michael Kottwitz, auch bekannt als Mitsch Kotten, geboren 1982 in Zehdenick, wohnhaft in Berlin, ist als Unternehmensberater und Steuerfachangestellter tätig. Des Weiteren übt er Empfehlungsmarketing aus und will dadurch das Leben anderer besser machen. In seiner Freizeit trifft er sich mit Freunden und beschäftigt sich mit Fußball, Wandern, Natur sowie Billiard und er liebt es, ins Kino zu gehen.