Wiederanpfiff mit Auftrag
Die Fußball-Bundesliga wurde vom Corona-Regime bevorzugt behandelt, denn sie soll die Menschen vom Wesentlichen ablenken.
Auf der großen grünen Fußball-Bühne agieren zahllose (Schau-)Spieler nach wochenlanger Pause wieder, um die Zuschauer zu unterhalten, auch wenn die noch zu Hause vorm TV-Bildschirm sitzen bleiben müssen. Die Fußball-Bundesliga hat am 16. Mai 2020 ihren Spielplan erneut aufgenommen. Das gute alte runde Leder rückt in der Corona-Krise allmählich zurück in den Mittelpunkt. Die Sportberichterstattung huldigt der Wiederaufnahme mit Pauken und Trompeten.
Für einige Menschen hierzulande sollte das Wochenende nunmehr einen wiederkehrenden Sinn beinhalten. Sonntagnachmittag, 15.30 Uhr: Dieser allwöchentliche Zeitpunkt füllte über Jahrzehnte die Terminkalender der Bergmänner und Stahlarbeiter, der Familienväter und ihrer Nachkömmlinge sowie der gutbetuchten Fußballfinanziers.
Die Fußball-Bundesliga begann am 16. Mai 2020 den sogenannten Re-Start. Mit Vorfreude erwartete die Sportberichterstattung die Wiederaufnahme des deutschen Fußballgeschäfts, schließlich konnten die Fernsehanstalten über 60 Tage lang keine aktuellen Fußballspiele ausstrahlen. Stattdessen sahen die Zuschauer schnöde Wiederholungen der vergangenen Jahre.
50.000 Arbeitsplätze in Gefahr
Abbruch oder Wiederaufnahme standen zur Wahl. Die Deutsche Fußball Liga entschied sich schließlich, die Spielzeit 2019/2020 unter strengen Corona-Regeln fortzuführen.
In der Neuen Zürcher Zeitung kommentierte der Journalist Stefan Osterhaus am 14. Mai 2020 das bevorstehende Ereignis:
„Zwar ist der sportliche Wert einer Meisterschaft, die unter solchen Bedingungen gewonnen wird, ein anderer. Ärgerlicher indes wäre es, wenn die Teams wegen einer abrupten Beendigung keine Möglichkeit mehr zur Korrektur hätten. Weit schwerer als jeder sportliche Einwand wiegt indes die Sorge der Branche um die wirtschaftliche Existenz. Mehr als 50 000 Arbeitsplätze hängen in Deutschland am Profifussball“ (1).
Dieser kommerzbetonte Standpunkt des Journalisten erweckt beim Lesen geradezu den Eindruck, dass der professionelle Fußball in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) „systemrelevant“ sei.
Benötigt unsere Gesellschaft neben den Verkäuferinnen in den Lebensmittelmärkten und den Ärzten sowie Pflegern auf den Krankenstationen die Mitarbeiter zahlreicher Bundesligavereine, um die Grundversorgung des Landes zu sichern?
Den Ärger um unsportliche, unfaire Entscheidungen einmal beiseitegelegt, lässt sich mit dem augenscheinlichen Bangen um das Beschäftigungsverhältnis tausender Menschen exzellent Panik erzeugen. Wenn überzeugende Argumente fehlen, äußern Medien und Politik vielfach die These, dass Arbeitsplätze in Gefahr seien. Osterhaus ernennt sich gewissermaßen zum Verteidiger für die Beschäftigten der Fußballindustrie. Er plädiert für den Schutz der Arbeitsstellen der gutbezahlten Arbeitnehmerschaft im Profifußball.
Zweifelsfrei ist der Verlust des Arbeitsplatzes nichts Gutes. Kein Arbeitnehmer eines Unternehmens sollte dieses Schicksal aufgrund wirtschaftlicher Einbußen erleiden müssen. Nichtsdestotrotz ist Osterhaus‘ Begründung umso sonderbarer:
„Zwar kann der Fussball bei weitem nicht mit dem Maschinenbau oder der Automobilindustrie konkurrieren, erst recht nicht, wenn es um Umsätze geht. Doch die Effekte sind vor allem regional bedeutsam; die Klubs sind auch und vor allem Imageträger ihrer jeweiligen Region“ (1).
Osterhaus verschwendet keinen Gedanken daran, dass die Fußballindustrie sowie die weiteren genannten Branchen ihren Angestellten fast ausschließlich üppige Monatsgehälter zahlen. Die Entgelte liegen deutlich über dem gesetzlichen Mindestlohn von 9,35 Euro pro Arbeitsstunde. Hinzu kommen zumeist eine Betriebsrente oder private Altersvorsorge für die Arbeitnehmer, woran sich der Arbeitgeber durchaus beteiligt.
Ist der Aufschrei von Medien und Politik sowie des Journalisten Osterhaus gleich laut, wenn Tausenden vom Mindestlohn betroffenen Beschäftigten einer Supermarktkette die Kündigung droht? Das ist und bleibt nicht vorstellbar.
Jedoch hebt Osterhaus eines noch hervor: Ohne die Wiederaufnahme der Fußball-Bundesliga hätten wohl viele Regionen einen Imageverlust zu erwarten. Fußball zieht die Aufmerksamkeit eben auf sich. Da sollten gerade die Metropolen wie Berlin, München oder das Ruhrgebiet keine Spur weniger an Bedeutung erlangen dürfen. Also muss der Ball in den Stadien zu gewohnter Zeit rollen, damit das Image bestimmter Ortschaften nicht verloren geht?
Die Politik hilft mit
Dennoch ist der Fürsprecher Osterhaus noch nicht am Ende seiner Parteinahme für eine erneute Aufnahme der Fußball-Bundesliga angelangt. Er kommentiert weiter:
„Daher wäre es fahrlässig, einer Branche, die ausdrücklich nicht nach Staatshilfen ruft, die Möglichkeit zu verwehren, ihren Fortbestand aus eigener Kraft zu erwirtschaften. Die Klubs sind sich ihrer Position bewusst. Dass die Bundesliga tatsächlich eher vorbildlich agierte, dass aus ihrem Kreis keine grossen Forderungen gestellt wurden und dass nicht viel mehr als die Hilfe zur Selbsthilfe eingefordert wurde, indem die Vertreter um die Fortsetzung der Meisterschaft warben, wird von all jenen übersehen, die dem Profifussball pauschal eine privilegierte Rolle unterschieben wollen“ (1).
Woher weiß Osterhaus, dass mancher Bundesliga-Konzern nicht doch um staatliche Hilfe bitten wird oder im Geheimen schon gebeten hat? Sicher bleibt nur, dass die Bundesligavereine derartige Maßnahmen so lange wie möglich im Verborgenen lassen.
Den „Fortbestand aus eigener Kraft zu erwirtschaften“, ist für die Profiklubs nur mit Druck auf die Politik möglich. So besprach der Geschäftsführer von Borussia Dortmund, Hans-Joachim Watzke, die Wiederaufnahme des Spielbetriebs unter anderem mit dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet. Zudem ist der bayerische Ministerpräsident Markus Söder ein gern gesehener Gast beim FC Bayern München. Das bezeichnen die Bundesligavereine und Osterhaus kurzum als die Hilfe zur Selbsthilfe.
Die Fachsprache nennt dies Lobbyarbeit, welche die Fußball-Bundesliga immerzu benötigt für ihre Sonderbehandlung.
Damit brauchen auch nicht all jene, wen immer damit Osterhaus bloß meint, dem Profifußball pauschal eine privilegierte Rolle unterzuschieben. Das erledigt dieser schon von selbst.
Zurück zum Alltag
Zuschauer für die Wiederaufnahme am 16. Mai 2020 gab es genug. Die Plätze im Stadion blieben zwar leer, jedoch versammelten sich viele Fans vor den Fernsehgeräten. Der Pay-TV-Sender „Sky“ verkündete stolz, während dieses Tages hätten 5,36 Millionen Menschen an den Bildschirmen die Bundesliga verfolgt. Diese Zahl rühmte die Sportberichterstattung als Rekord.
Der fußballerische Alltag sollte wiederum augenblicklich zurückkehren. Grölend bei Bier und Bratwurst verbringt der interessiere Beobachter seinen Sonntagnachmittag, während er über taktische Gegebenheiten und Transfersummen philosophiert. Die Zuschauer benötigen Unterhaltung und die Fußball-Bundesliga nimmt ihren Auftrag als unterhaltsamer Zeitvertreib für zahlreiche Menschen wieder auf.
Das Ziel lautet schlicht und einfach, die Menschen vom Wesentlichen abzulenken. Die fußballaffinen Zuschauer sollen sich mit ihrem Ballsport beschäftigen, anstatt beispielweise differenziert und tiefgreifend die veranlassten Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus zu hinterfragen.
Gerade deshalb ist die Fußball-Bundesliga in der BRD „systemrelevant“, da sie für die Macht sowie für das Weiterbestehen des aktuellen Systems der herrschenden Klasse relevant ist.
Die Leitwährung
Und wie ist der Re-Start nun gelungen? Der Journalist Christian Kamp kommentiert es am 18. Mai 2020 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) zusammengefasst so:
„Insgesamt ist der Bundesliga die Rückkehr auf die Bühne besser geglückt, als viele das erwartet hatten, und so wird sie nun von allen Seiten mit Lob überhäuft. In diesem Erfolg darf sie sich für den Augenblick sonnen, weil sie etwas geschafft hat, wovon andere Ligen und Länder noch träumen. ‚Made in Germany‘ ist nun so etwas wie der Goldstandard für den Sportbetrieb, beinahe weltweit“ (2).
Die Fußball-Bundesliga gilt nach Kamp nun als Vorbild für all diejenigen, die noch nicht zu dem gewissermaßen wichtigsten Sport der Welt zurückgefunden haben. Endlich steht der deutsche Fußball unangefochten im Mittelpunkt. Vergessen ist das desaströse Abschneiden der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft 2018 in Russland. Wer denkt noch an die gekaufte Fußball-Weltmeisterschaft von 2006 in der BRD?
Der deutsche Fußball ist nun die Leitwährung auf dem internationalen Sportmarkt. Die Fußball-Bundesliga lässt sich nicht von einer solchen Krise ausbremsen. Sie führt ihren kommerziellen Weg fort, da die ungeheuren Fernsehgelder an die Bundesligavereine noch eben ausbezahlt werden wollen.
Die millionenschweren Fußballprofis dürfen keineswegs darben. Wer ein Jahresgehalt von mehreren Millionen Euro erhält und nun schon über einen Monat großzügig auf seinen Lohn verzichtete, soll unterdessen nicht länger auf seine Ersparnisse zurückgreifen müssen.
Um es mit den Worten vom Journalisten Stefan Osterhaus trefflich zu beschreiben: Die Arbeitsplätze der schwerreichen Spieler hängen am Profifußball.
Das seltsame bunte Völkchen
So mustergültig, wie es Kamp beschreibt, dass die Fußball-Bundesliga eine Wiederaufnahme erlebte, kommentiert sein Kollege Michael Horeni bereits am 16. Mai 2020 in der FAZ das vorbildhafte Verhalten der Fans:
„Größere Menschenansammlungen wurden am Samstag in mehreren deutschen Städten gesichtet. Es handelte sich um ein buntes, mitunter auch etwas seltsames Völkchen. Es waren allerdings nicht, wie von Innenministern und Polizeigewerkschaften über Wochen imaginiert, Zusammenrottungen von unbelehrbaren Fußballfans rund um die Stadien der Bundesliga, die am Samstag um 15.30 Uhr ihren Betrieb wieder aufnehmen durfte“ (3).
Wer war dieses bunte und zugleich seltsam erscheinende Völkchen? Nach Horeni demonstrierten auf den Straßen „nur Gegner der Corona-Politik und ein Haufen Verschwörungstheoretiker. Ultras und andere Fans sind beim Liga-Comeback dagegen brav zu Hause geblieben und haben sich an die Regeln gehalten, so, wie sie es angekündigt hatten“ (3).
Wenn es um die Herabwürdigung von bestimmten Kritikern geht, ist sich ein Journalist wie Horeni nicht einmal zu schade, die sonst so gewaltbereiten Ultragruppierungen als brave, gesetzestreue Mitbürger zu titulieren.
Schlussendlich springt Horeni auf den Zug des derzeit weitverbreiteten Narrativs auf. Er diffamiert Menschen, die für Grundrechte demonstrieren, pauschal als Anhäufung von Verschwörungstheoretikern, ohne sich differenziert mit ihren Ansichten und Anliegen auseinanderzusetzen.
Dieses medial zelebrierte Spektakel zur Neuaufnahme der Fußball-Bundesliga lässt sich einzig mit den Worten George Orwells abschließen:
„Journalismus heißt, etwas zu drucken, von dem jemand will, dass es nicht gedruckt wird. Alles andere ist Public Relations.“
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.nzz.ch/meinung/die-fortsetzung-der-bundesliga-ist-richtig-und-fuer-den-profifussball-in-ganz-europa-von-bedeutung-ld.1556353
(2) https://www.faz.net/aktuell/sport/fussball/bundesliga/bundesliga-neustart-in-corona-krise-glueckt-dem-fussball-gut-16774447.html
(3) https://www.faz.net/aktuell/sport/fussball/bundesliga/geisterspieltag-der-bundesliga-besser-als-befuerchtet-16773087.html