Widerstand durch Wahrhaftigkeit

John Pilger fordert zum Anlass des Auslieferungsverfahrens gegen Julian Assange dazu auf, die Freiheit zu verteidigen.

Er habe noch nie eine Schmutzkampagne wie die gegen Wikileaks-Mitbegründer Julian Assange erlebt. Das erklärte der renommierte Journalist John Pilger am 7. September 2020 in London. Vor dem Gericht, in dem gegen Assange verhandelt wird, machte Pilger klar, dass die Eliten Angst haben: Angst vor einem Journalisten, der sich der Wahrheit und nicht der Macht verschrieben hat. Angst davor, dass ihre profitgetriebenen, zerstörerischen Aktivitäten aus dem Dunkel ans Licht geholt werden. Pilgers Rede ist gleichzeitig eine Anklage gegen jene Medien und Journalisten, die lieber den Eliten der Macht dienen, als die Bevölkerung ihrer Länder zu informieren. Sie darüber zu informieren, was wirklich geschieht, sie aufzuklären und in die Lage zu versetzen, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Die Methoden sind nicht neu, die gegen Assange eingesetzt werden, wie Pilger klarstellte — weshalb er den Prozess auch „stalinistisch“ nannte.

Als ich Julian Assange vor mehr als 10 Jahren zum ersten Mal begegnete, fragte ich ihn, warum er WikiLeaks gegründet hatte. Seine Antwort: „Transparenz und Rechenschaftspflicht sind moralische Werte, die die Grundlage von Journalismus und öffentlichem Leben bilden“.

Ich hatte noch nie gehört, dass ein Herausgeber oder Chefredakteur einen solchen Bezug zu „Moral“ herstellte. Nach Auffassung von Assange sind die Journalisten der Öffentlichkeit verpflichtet, nicht den Machtapparaten: Wir, das Volk, haben das Recht, über die dunkelsten Geheimnisse derer Bescheid zu wissen, die angeblich in unserem Namen handeln.

Wenn die Machteliten uns belügen, haben wir das Recht, darüber informiert zu werden. Wenn sie privat eine Sache sagen, und öffentlich das Gegenteil, haben wir das Recht, darüber Bescheid zu wissen. Wenn sie gegen uns konspirieren, wie einst Bush und Blair beim Thema Irak, und sich dann wieder als Demokraten geben, haben wir das Recht, davon zu erfahren.

Gefahr für die Macht

Diese moralisch fundierte Haltung ist es, die den heimlichen Konsens der Machteliten bedroht, die einen großen Teil der Welt mit Krieg überziehen wollen, und die unterwegs sind, Julian in Trumps faschistischem Amerika lebendig zu begraben.

In einem einen als „Top secret“ klassifizierten Bericht des US-Außenministeriums wurde anno 2008 im Detail erklärt, wie die USA diese neue moralische Gefahr bekämpfen wollen: Eine verdeckt-organisierte persönliche Schmutzkampagne gegen Julian Assange sollte zu „Stigmatisierung und strafrechtlicher Verfolgung“ führen.

Das Ziel war, WikiLeaks und seinen Gründer zum Schweigen zu bringen und zu kriminalisieren. Seite um Seite war dort der kommende Krieg gegen einen einzelnen Menschen skizziert, gegen die Prinzipien der Redefreiheit, Meinungsfreiheit und Demokratie. Die Stoßtruppen des Imperiums würden diejenigen sein, die sich selbst Journalisten nannten: die ganz Großen im sogenannten Mainstream, insbesondere die „Liberalen“, die die Grenzen erlaubten Widerspruchs markieren und kontrollieren. Und genau so ist es dann gekommen.

Ich bin seit mehr als 50 Jahren Reporter und habe nie eine Schmutzkampagne wie diese erlebt: den fabrizierten Rufmord an einem Mann, der sich weigerte, dem Klub beizutreten, und der glaubte, dass Journalismus der Öffentlichkeit dienen sollte und nicht den Eliten.

Assange ließ seine Verfolger ziemlich dumm aussehen. Er produzierte eine Exklusivmeldung nach der anderen. Er legte den betrügerischen Charakter der von den Medien unterstützten Kriege offen, ebenso die mörderische Natur der Kriege Amerikas, die Korruption der Diktatoren, die Abgründe von Guantanamo.

Rache als Motiv

Er zwang uns im Westen, in den Spiegel zu schauen. Er entlarvte die offiziellen Wahrheitsverkünder der Medien als Kollaborateure: jene, die ich Vichy-Journalisten nenne. Keiner dieser Heuchler glaubte Assange, als er sagte, sein Leben sei in Gefahr, der schwedische „Sexskandal“ sei eine Inszenierung und der ultimative Bestimmungsort eine amerikanische Gefängniszelle. Aber er hat in diesen Punkten recht behalten.

Der diese Woche in London beginnende Auslieferungsverfahren ist der letzte Akt der angloamerikanischen Kampagne zur Beerdigung von Julian Assange. Es folgt nicht den Regeln eines „ordentlichen Verfahrens“, sondern der Logik der überfälligen Rache. Die amerikanische Anklage ist zusammengeschustert und stellt einen durchsichtigen Schwindel dar. Bis jetzt gleichen die Verhandlungen ihrem stalinistischen Äquivalent zur Zeit des Kalten Krieges.

Heute zeichnet sich das Land, dem wir die Magna Carta verdanken, durch die Aufgabe seiner Souveränität an eine unheilvolle ausländische Macht aus, indem es dieser erlaubt, die Justiz zu manipulieren, sowie durch die bösartige psychologische Folter von Julian — eine Form der Folter, die nach den Angaben des UN-Experten Nils Melzer von den Nazis zur Perfektion entwickelt wurde, weil sie so effektiv war, den Willen ihrer Opfer zu brechen.

Jedes Mal wenn ich Assange im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh besuchte, konnte ich die Wirkung dieser Folter sehen. Als ich ihn das letzte Mal traf, hatte er mehr 10 Kilo verloren, seine Arme hatten keine Muskeln mehr. Unglaublicherweise war aber sein Sinn für schwarzen Humor noch intakt.

Feigheit und Verrat

Was Julians Heimatland Australien angeht, so fiel dieses nur durch hündische Feigheit auf. Seine Regierung hat heimlich gegen ihren eigenen Staatsbürger konspiriert, der als nationaler Held gefeiert werden sollte. Nicht umsonst hat George W. Bush den australischen Premierminister als seinem „Hilfssheriff“ bezeichnet.

Es heißt, dass alles, was mit Julian Assange in den nächsten Wochen geschieht, die Pressefreiheit im Westen einschränken, wenn nicht auslöschen würde. Aber welche Presse? The Guardian? Die BBC, die New York Times, die — von Jeff Bezos übernommene — Washington Post?

Nein, die Journalisten dieser Medien brauchen sich keine Sorgen zu machen. Die Judasse des Guardian, die mit Julian flirteten, sich seine bahnbrechende Arbeit zunutze machten, viel Geld damit verdienten und ihn dann verrieten, haben nichts zu befürchten. Sie werden noch gebraucht.

Die Pressefreiheit bleibt nun einer kleinen ehrwürdigen Gruppe vorbehalten: die Ausnahmeerscheinungen, die Dissidenten des Internets, die keinem Klub angehören, die weder mit Geld noch mit Pulitzerpreisen Geld versehen sind, die aber guten, ungehorsamen, moralischen Journalismus hervorbringen — solche wie Julian Assange.

In der Zwischenzeit liegt es in unserer Verantwortung, einem wahrhaftigen Journalisten an der Seite zu stehen, der allein durch seinen Mut eine Inspiration für uns alle sein sollte, die Freiheit noch für möglich halten. Ich ziehe meinen Hut vor ihm.


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „The Stalinist Trial of Julian Assange“ bei CounterPunch. Er wurde vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratteam lektoriert.


Quellen und Anmerkungen:

Von John Pilger stammt auch der Artikel Endlich Widerstand!, der von Julian Assanges Leben in der ecuadorianischen Botschaft berichtet und exemplarisch die Arbeit von WikiLeaks beleuchtet. Er entstand wenige Wochen vor Julians Verhaftung.