Werdet hobbylos!
Sinnlose Freizeitbeschäftigungen unterdrücken unser eigentliches Potential.
Hobbys werden in unserer Gesellschaft — insbesondere, wenn der Einzelne viele davon hat — als Tugend betrachtet. Häufig sind diese jedoch nur ein die Sinnlosigkeit des eigenen Lebens verdrängender Zeitvertreib und bestenfalls ein schwaches Abbild, ein Schatten unserer eigentlichen Leidenschaften. Ihr Zweck ist es, dem modernen, lohnabhängigen Menschen die Illusion von Sinn und Selbstverwirklichung zu geben. Dabei wird das, was wir verniedlichend als Hobby bezeichnen, kaum den tatsächlichen Fähigkeiten und Talenten gerecht, die in uns stecken. Werden wir zukünftig, mit mehr verfügbarer Freizeit, die Balance zwischen authentischer Selbstverwirklichung und der verantwortungsvollen Verrichtung des für das Gesellschaftsleben notwendigen Tagwerks finden?
„Hast du keine Hobbys?“ darf man sich manchmal fragen lassen, wenn man sich mit sehr viel Aufwand und Inbrunst einer in den Augen Anderer sinnlosen Aufgabe oder Tätigkeit hingibt. „Hobbylos“ – also die Abwesenheit eines Hobbys im Leben einer Person – ist kein Schimpfwort, aber dennoch eine negativ konnotierte Eigenschaft in unserer heutigen Gesellschaft.
Aber was sind Hobbys? Warum sind sie in den Augen vieler so erstrebenswert? Was sagt es über uns aus, wenn wir gerne bouldern gehen, Briefmarken sammeln, mehr schlecht als recht auf einer Gitarre herumklimpern oder in der Einsamkeit eines Hobbykellers eine kleine Eisenbahn in einer toten Miniaturwelt unendlich im Kreis fahren lassen?
Was ist ein Hobby überhaupt? Wie definiert sich dieser niedliche Begriff? Wo kommt er eigentlich her? Und wie nehmen Sie, liebe Leser, ihn eigentlich persönlich wahr?
Schließen Sie doch mal die Augen und sagen Sie den Begriff „Hobbys“ zehnmal laut vor sich hin.
Fertig? Haben Sie das gemacht? Kamen Sie sich dabei dezent idiotisch vor? Meiner Meinung nach ein Zeichen von Gesundheit, wenn dem so war. Aber wie definiert sich nun dieser seltsame Begriff? Ziehen wir den Duden zu Rate. Nach diesem ist ein Hobby eine „als Ausgleich zur täglichen Arbeit gewählte Beschäftigung, mit der jemand seine Freizeit ausfüllt und die er mit einem gewissen Eifer betreibt.“
Behalten Sie sich diese Definition – insbesondere den ersten Halbsatz – gut in Erinnerung! Fügen wir diese Definition mit der etymologischen Herkunft des Wortes zusammen, ergibt sich ein sehr interessantes Gesamtbild. Laut Wikipedia leitet sich der Begriff „vom englischen hobby-horse ab (…) und bezeichnete ursprünglich ein kleines Pferd oder auch ein Pony“. Süß!
Die in uns brennende Leidenschaft – der sich wiehernd auf die hinteren Hufe aufbäumende Hengst – ist nach dieser Lesart schlicht ein kleines Pony. Warum ist das so?
Lightenschaften
Hobbys sind die Light-Version unserer Leidenschaft, eine vor sich hin glimmende Glut, die eigentlich ein großes Feuer sein sollte. Welchen Zweck haben Hobbys gesellschaftlich? Erinnern wir uns an die Duden-Definition: Hobbys seien eine „als Ausgleich zur täglichen Arbeit gewählte Beschäftigung“.
Hier entpuppt sich der neoliberal-ideologische Nutzen des Hobbys in aller Deutlichkeit. Hobbys sind in unserer Wirtschaftsordnung ein wichtiger Teil des Energie-Auflade-Prozesses, der die Lohnabhängigen – im Kollektiv auch das Humankapital genannt – wieder „funktionstüchtig“ macht. Es sind kleine Zugeständnisse des Systems an den Einzelnen, damit dieser unter der erdrückenden Last der Freudlosigkeit im Arbeitsleben nicht vollends zusammenbricht. Kleine Persönlichkeits-Almosen, die die Illusion für den einzelnen Arbeitnehmer aufrechterhält, dass zwischen 40 Stunden Schuften und 72 Stunden Schlafen nicht alles total sinnlos sei. Der sekundäre Nutzen für das System ist natürlich der häufig mit den Hobbys einhergehende Konsumanreiz, um die Produkte zu erwerben, die für die Ausführung der Hobbys notwendig sind.
Wenn jedoch heute nur wenig Zeit zur Verfügung steht, um der eigenen Leidenschaft nachzugehen, dann dürfen diese Hobbys einerseits keine großartigen Mühen oder Konzentration erfordern und andererseits müssen sie schnelle, erfolgversprechende Ergebnisse, respektive kurze und schnelle Kicks versprechen. Ein auf ein langes Ziel ausgerichtetes Vorhaben, welches viel Muse, Zeit und Hingabe erfordert, ist kaum zu realisieren.
Es müssen in der Regel also kurzweilige, kurzfristig befriedigende Beschäftigungen sein. Natürlich gibt es viele Arten von Hobbys, die sich durch die Betätigung an der frischen Luft oder innerhalb einer Gruppe positiv auf das körperliche und soziale Wohlbefinden auswirken. Einige Hobbys treiben uns aber auch in die Abgeschiedenheit und sogar Einsamkeit. Der Hobbykeller ist hierfür ein Synonym. Wenn wir zum Lachen, beziehungsweise für unsere Leidenschaft in den Keller gehen, leidet darunter möglicherweise unsere seelische und körperliche Gesundheit.
Viele Hobbys zielen außerdem nicht auf ein langfristiges Ziel ab, sondern auf den kurzweiligen Zeitvertreib. Den Vertreib unserer kostbaren, uns in jeder Sekunde durch die Finger rinnenden Zeit. Auf dass wir sie mit Beschäftigungen füllen, die uns die Schwierigkeiten und oft auch die Sinnentleertheit unseres Daseins vergessen lassen. Es gibt nicht nur eine Entfremdung der Arbeit – wie Marx das erkannte –, sondern auch eine Entfremdung der Freizeit.
Hobby und Bullshit-Jobs
Wir befinden uns in einem Spannungsfeld. Derzeit ist unser Leben erwerbstätigkeitszentriert. Unsere Erwerbstätigkeit nimmt einen Großteil unseres Lebens ein und lässt uns unsere inneren Leidenschaften in die Form eines kleinen Hobbys zurückdrängen; nur den wenigsten gelingt der Traum, „ihr Hobby zum Beruf zu machen“. Würde die Waage allerdings – rein theoretisch – ins umgekehrte Extrem kippen, so hätten wir Chaos. Wenn ein Großteil der Bevölkerung entsprechend seiner Vorlieben seine gesamte Zeit damit zubringt, Briefmarken zu sammeln und zu musizieren, kann dadurch keine Gesellschaft aufrechterhalten werden. Eine Gesellschaft kann nicht bestehen, wenn alle „irgendwas mit Medien machen“. Irgendjemand muss auch „irgendwas mit Sozialem“, „irgendwas mit Infrastruktur“, „irgendwas mit Reinigungsarbeit“ machen.
Das langfristige Ziel muss eine Gesellschaft sein, die sich sinnentleerter Jobs entledigt, sodass am Ende grundsätzlich sinnvolle, wenn auch nicht zwangsläufig angenehme Berufsfelder übrigbleiben, die von der Gemeinschaft als ein zu verrichtender „gesellschaftlicher Putzplan“ betrachtet werden. Zu den sinnentleerten Jobs gehören vor allem Berufsstände, deren einziger Zweck in der Befriedigung künstlich geschaffener Konsumenten-Bedürfnisse besteht, oder in der für das Gemeinwohl unnützen privaten Kapital-Akkumulation.
Durch die Digitalisierung etlicher Produktionsvorgänge werden in naher Zukunft zahlreiche Zeitressourcen bei simultaner Dezimierung der finanziellen Mittel bei der lohnabhängigen Bevölkerung freigesetzt werden. Vereinfacht gesagt: Die Menschen werden sehr viel Zeit haben, sich Hobbys nicht leisten zu können. Es entsteht ein Sinn- und Taten-Vakuum, welches gefüllt werden möchte.
So könnte die Leere entstehen, die die Menschen vor eine Weggabelung stellt: sich entweder der weiteren Sinnlosigkeit in Form von Ablenkung hingeben oder sich einem sinngebenden Unterfangen widmen – etwa einem politischen Ziel, einem bestimmten gesellschaftlichen Engagement oder der Verwirklichung eines Kunstwerkes. Hier zeigt sich wieder sehr deutlich Erich Fromms Haben-und-Sein-Gegenüberstellung: Hobbys kann man nämlich nur haben, leidenschaftlich kann man sein.