Wenn Berlin fällt...
Wenn die Hauptstadt fällt, ist die Schlacht verloren. Das gilt auch für die Privatisierung öffentlicher Schulen, meint Magda von Garrel.
Wenn es im derzeit rot-rot-grün regierten Berlin gelingt, Privatisierungen nun auch im Schulbereich "salonfähig" zu machen, wird es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis auch die anderen Bundesländer nachziehen und ein weiteres zentrales Segment der öffentlichen Daseinsvorsorge preisgeben. Deshalb ist es meines Erachtens angebracht, sich mit den Erkenntnissen und Erfahrungen, die der Berliner Schultisch schon in den ersten Wochen seines Bestehens sammeln konnte, näher zu beschäftigen.
Der am 25. Januar 2018 ins Leben gerufene Berliner Schultisch steht in direkter Verbindung mit der von GiB (Gemeingut in BürgerInnenhand) am 3. Januar 2018 gestarteten Volksinitiative "Unsere Schulen". In der Sache geht es darum, dass - nach jahrelanger Vernachlässigung - in Berlin sehr viele Schulen saniert und neu gebaut werden müssen. Das dafür benötigte Geld (derzeit geschätztes Gesamtvolumen: 5,5 Milliarden Euro) soll zu einem großen Teil auf privatwirtschaftlichem Wege beschafft werden, um auf diese Weise die für Bund und Länder ab 2020 gültige Schuldenbremse umgehen zu können.
Selbstverständlich werden die im Schulbereich geplanten Bauvorhaben auch von GiB und dem Schultisch begrüßt, aber nach allen bisherigen Erfahrungen mit den (wie es in der aktuellen Koalitionsvereinbarung des Berliner Senats so schön heißt) "alternativen Finanzierungsmöglichkeiten" ist davon auszugehen, dass sich der formellen ganz schnell eine funktionale Privatisierung anschließen wird und mit erheblichen Mehrkosten zu rechnen ist.
Diese Mehrkosten werden u. a. auch deshalb entstehen, weil es zwischenzeitlich (als Folge der jahrelangen brutalen Sparpolitik) zu einem erheblichen Mangel an Fachkräften gekommen ist, die nun nicht nur aufwändig angeworben, sondern auch deutlich besser als behördlich angestellte Mitarbeiter bezahlt werden müssen.
Darüber hinaus wird der Aufbau paralleler Strukturen viel Zeit verschlingen, sodass das Versprechen einer schnellen Umsetzung der erforderlichen Sanierungen und Neubauten gar nicht eingehalten werden kann.
Mindestens genauso wichtig wie die Faktoren Kosten und Zeit ist der mit Privatisierungen einhergehende Verlust von Mitbestimmungs- und Kontrollmöglichkeiten. Wenn es erst einmal so weit ist, dass die Bezirke (also die Berliner Kommunen) ihre Zuständigkeit für bestimmte Schulen verloren haben, werden sie nicht nur zu Mietern ihrer eigenen Immobilien, sondern müssen darüber hinaus (ähnlich wie die in den Schulen tätigen Kollegien) diverse Fremdnutzungen und andere Bewirtschaftungsfolgen in Kauf nehmen.
Und da (einschließlich der Lehrer/innen) schon längst nicht mehr alle an einer Schule Beschäftigten in einem gesicherten Arbeitsverhältnis stehen, werden sich so nach und nach auch die anderen mit Privatisierungen einhergehenden Folgen einstellen: Entlassungen, prekäre Arbeitsverhältnisse und Deregulierungen.
Mit anderen Worten stünden auch dem schulischen Arbeitsmarkt sehr harte Zeiten bevor, zumal etliche der noch verbeamteten Lehrkräfte bald in Pension gehen werden. Das mag einer der Gründe für die derzeit stark zurückhaltende und teilweise auch ungereimt wirkende Informationspolitik des Senats sein.
Widersprüchliche Auskünfte
Das bislang eklatanteste Beispiel einer glatten Verleugnung früherer Aussagen stellt das am 3. 2. 2018 im rbb-Kulturradio ausgestrahlte Gespräch dar, an dem für GiB Dorothea Härlin (die auch schon den berühmt gewordenen Berliner "Wassertisch" organisiert hat), Finanzstaatssekretär Klaus Feiler (in Vertretung des ursprünglich eingeladenen Finanzsenators Kollatz-Ahnen) und Prof. Robert Knappe teilgenommen haben.
Gleich zu Beginn stellte Feiler die Behauptung auf, dass die von GiB kritisierte Gründung einer Schul-GmbH ein Popanz sei, der mit der Realität nichts zu tun habe. Dazu muss man wissen, dass Vertreter des Berliner Senats ziemlich bald nach der Vorstellung ihrer "Schulbauoffensive" (im April 2017) gleich mehrere (bezirkliche) Schul-GmbHs ins Spiel gebracht haben, aus denen dann - nach dem ablehnenden Votum der Bezirksbürgermeister/innen - eine einzige Schul-GmbH (als Tochter der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Howege) geworden ist. Demgegenüber ist es laut Feiler immer nur darum gegangen, dass es zu einer Verteilung auf mehrere Schultern kommen soll.
Einander widersprechende Auskünfte hat sich der Senat auch schon in seiner (bereits erwähnten) Koalitionsvereinbarung 2016 - 2021 geleistet. Während auf S. 72 der Vereinbarung ein "Sale-&-Lease-Back-Verfahren" als denkbar bezeichnet wird, heißt es auf S. 78:
"Finanzielle Risiken bei landeseigenen Unternehmen und für das Land Berlin will die Koalition weiter reduzieren, Sale-&-Lease-Back sowie Cross-Border-Leasing werden abgelehnt."
Es mag ja sein, dass den Koalitionären der Verbleib unterschiedlicher Ausgangspositionen bei der abschließenden Beratung der Vereinbarung einfach durchgerutscht ist. Andererseits kann gerade diese Unterschiedlichkeit als Indiz dafür gewertet werden, dass dem Senat die gemeinwohlgefährdende Bedeutung seines Schulprojektes bewusst ist und er sich deshalb nicht klar dazu bekennen mag.
Ein solcher Zusammenhang würde auch erklären, weshalb der Senat so sehr mit Informationen geizt, bereits gemachte Aussagen widerruft und die Öffentlichkeit am liebsten außen vor lassen würde.
Demokratische Defizite
Dazu ein weiterer Rückgriff auf die Koalitionsvereinbarung, die neben viel "Partizipationslyrik" auch eine erstaunlich konkrete (aber eben nicht eingehaltene) Ankündigung enthält:
"Darüber hinaus sollen an den diesbezüglichen Entscheidungsprozessen (gemeint: Sanierungen und Schulneubauten, MvG) alle Beteiligten auf bezirklicher Ebene (Bezirksverordnetenversammlung, Bezirksamt, Eltern, Schüler/innen sowie pädagogisches Personal) mitwirken." (S. 72)
Tatsächlich haben GiB und Schultisch beim Sammeln von Unterschriften immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Lehrer/innen, Eltern und Schüler/innen von den vom Senat verfolgten Plänen noch nicht einmal etwas gehört hatten. Das gilt selbst für Schulen, die auf der vom 23. 10. 2017 stammenden "Sanierungsliste" der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie erfasst worden sind.
Und auch die von GiB initiierte Volksinitiative zeigt, dass es mit dem Demokratieverständnis des Senats nicht weit her sein kann: 20 000 Unterschriften werden allein dafür benötigt, dass die Privatisierungskritiker ein Anhörungsrecht in den zuständigen Ausschüssen erhalten.
Stattdessen hat sich die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie die Einberufung eines "Landesbeirates Schulbau" einfallen lassen, bei dem es sich aber (ungeachtet der eindrucksvoll aussehenden Mitgliederliste) auch wieder nur um ein pseudodemokratisches Instrument handelt, da es keine gesetzlichen Grundlagen (und somit auch keine echten Entscheidungsbefugnisse) für dieses Gremium gibt.
Ungeklärte Fragen
Angesichts des widersprüchlichen, undemokratischen und auf Verschleierung abzielenden Verhaltens des Senats wundert es nicht, dass etliche Fragen noch völlig ungeklärt geblieben sind. Um mit der Howege zu beginnen, die nach derzeitigem Auskunftsstand die einzige auf Landesebene verbliebene Akteurin sein soll: Auch die Howege ist privatrechtlich strukturiert und hat - wenn man dem von Prof. Knappe in dem eingangs erwähnten Radiogespräch geäußerten Hinweis Glauben schenken darf - schon jetzt Verbindlichkeiten von 1,2 Milliarden Euro gegenüber Kreditinstituten.
Da sich diese Summe in etwa mit dem nach Feiler für die Schulbauoffensive erforderlichen Kreditrahmen deckt, könnte es sein, dass in diesem Fall schlicht eine begriffliche Verwechslung vorliegt. Aber selbst dann wüssten wir immer noch nicht, wie es um die Kreditwürdigkeit der Howege eigentlich bestellt ist. Müssen bei schlechter Kreditwürdigkeit vielleicht noch mehr Schulgebäude und -grundstücke als Sicherheiten angeboten und/oder noch höhere Zinsen gezahlt werden?
In einer weiteren Radiosendung (Interview im Radio Dreyeckland vom 13.2.2018) hat Carl Waßmuth (Sprecher der Initiative GiB) darauf hingewiesen, dass in letzter Zeit vor allem von Schulneubauten die Rede ist, für die ohnehin mehr Geld als für die Sanierung ausgegeben werden soll.
In diesem Zusammenhang erhält die Frage nach den Besitzverhältnissen eine ganz besondere Bedeutung: Während bei den größeren Sanierungsvorhaben nach 25 oder 30 Jahren eine Rückführung an die Bezirke vorgesehen ist, liegt bei den Neubauten keine Abgabe von schulischen Zuständigkeiten vor. Heißt das, dass die neu gebauten Schulen von vornherein und auf Dauer der öffentlichen Hand entzogen sind?
Diese Frage ist auch deshalb relevant, weil es entgegen allen offiziellen Beteuerungen nicht bei einer formellen Privatisierung bleiben wird bzw. bleiben kann. Für diese Annahme spricht, dass angesichts des Umfangs der von der Howege neu zu erledigenden Aufgabe die eigenen Ressourcen schnell erschöpft sein dürften. Spätestens dann ist damit zu rechnen, dass die privatrechtlich strukturierte Howege von der ihr gegebenen Möglichkeit Gebrauch machen wird, sich (unabhängig vom Parlament) finanzstarke Investoren ins Boot zu holen.
Von diesem Zeitpunkt an werden wir es doch mit ÖPPs (öffentlich-privaten Partnerschaften) zu tun haben, deren Geheimverträge überhaupt nicht mehr zu kontrollieren sind. Die dann im Mittelpunkt stehende ökonomische Verwertbarkeit wird eine erneute Vernachlässigung der noch nicht sanierten Schulen zur Folge haben, wenn diese nicht wenigstens ein attraktives (Bau-)Grundstück vorweisen können.
Schwieriger Start
Sowohl angesichts des vom Senat gezeigten Unwillens, die Schulbaupläne offen auf den Tisch zu legen als auch angesichts der doch etwas schwer zu verstehenden Materie ist es kein Wunder, dass die von GiB gestartete (und vom Schultisch so tatkräftig wie möglich unterstützte) Volksinitiative nur schwer in die Gänge gekommen ist. Etliche der beim Sammeln von Unterschriften (z. B. am Rande von Demos) Angesprochenen hatten nicht nur keine Ahnung von den Plänen des Senats, sondern konnten sich auch die für die betreffenden Schulen damit einhergehenden kurz- und langfristigen Folgen einfach nicht vorstellen. Darüber hinaus kam es häufiger zu einer Verwechslung von "Privatschulen" und "Privatisierung öffentlicher Schulen", was die Sache nicht gerade leichter machte.
Inzwischen hat die Bereitschaft, das auf eine Verhinderung der drohenden Privatisierung gerichtete Anliegen zu unterstützen, trotz allem zugenommen. In diesem Zusammenhang besonders hilfreich war das Engagement von Max Uthoff, der im Rahmen seines diesjährigen Auftrittes beim 14. Politischen Aschermittwoch im Berliner Tempodrom auf das von GiB und Schultisch vertretene Anliegen hingewiesen und so für einen sprunghaften Anstieg der Eintragungen auf den Unterschriftenlisten gesorgt hat.
Wenn Ihnen, liebe Leser/innen, ebenfalls daran gelegen ist, dass Berlin keine Vorreiterrolle in Sachen Schulprivatisierung übernimmt, haben Sie die Möglichkeit, sich folgendermaßen zu beteiligen:
Für den Fall, dass Sie Ihren Hauptwohnsitz in Berlin haben, können Sie sich die Unterschriftenlisten herunterladen und anschließend von Ihrem Freundes- und Bekanntenkreis ausfüllen lassen.
Außerhalb Berlins wohnende Bürgerinnen und Bürger können spenden. Und zwar an: Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB), Betreff: Schultisch, IBAN: DE 2043 0609 6711 2422 9100.
Schließlich gibt es auch noch die Möglichkeit, sich via unterstuetzen@gemeingut.org in die Liste der Unterstützer/innen einzutragen (Stichwort: Volksinitiative gegen Schulprivatisierung).
Einblick in die Liste der bisherigen Unterstützer/innen erhalten Sie hier.
Persönliches Fazit
Nach meiner Überzeugung ist dem Berliner Senat (vielleicht mit Ausnahme einzelner Abgeordneter) sehr wohl bewusst, dass er - ungeachtet der vielen negativen Erfahrungen im Bahn-, Post-, Straßenbau-, Energie-, Gesundheits- und Hochschulwesen - nun auch im Schulbereich eine Privatisierungsstrategie verfolgt, die seine eigene fünfjährige Amtszeit weit überschreiten und eine der letzten noch verbliebenen Säulen der öffentlichen Daseinsvorsorge zerstören wird.
Doch anstelle eines Bekenntnisses zu diesem Plan versucht der Senat, diesen so unbemerkt wie möglich in die Tat umzusetzen, was - nicht zuletzt hinsichtlich der direkt Betroffenen - einer Entmündigung der eigenen Bürger/innen gleichkommt.
Damit entspricht der vom Senat eingeschlagene Weg exakt allen bisherigen Privatisierungen, die ebenfalls auf leisen Pfoten gekommen und anschließend stückweise ausgebaut worden sind.
Sollten wir Bürger/innen ein weiteres Mal die harmlos scheinenden Anfänge verschlafen, werden über kurz oder lang auch unsere Schulen zu Spekulationsobjekten degradiert, auf deren Schicksal wir keinen Einfluss mehr nehmen können. So gesehen, befinden wir uns in der wahrscheinlich letzten größeren Schlacht um den Erhalt der uns zustehenden Güter, Dienstleistungen und Rechte, wobei diese jetzt in Berlin stattfindende Schlacht stellvertretend für die ganze Bundesrepublik ausgefochten wird.