Weckruf für eine fruchtbare Debattenkultur
Die erste Ausgabe von „Rubikontrovers“: „Fremdbestimmt“ — ein Interview mit Thorsten „Silberjunge“ Schulte.
Im neuen Video-Format Rubikontrovers werden wir bewusst mit Personen sprechen, die in den klassischen Medien als äußerst umstritten gelten. Unser Wunsch ist es zu zeigen, dass ein respektvoller Umgang ungeachtet aller Differenzen zu allen Zeiten möglich ist. Zudem wollen wir von Anfang an klarstellen, dass es auch hier für uns gewisse rote Linien gibt. Wir sind beispielsweise nicht der Meinung, dass die Diskussion mit Holocaustleugnern, offensichtlichen Rassisten oder dubiosen selbst ernannten Volkslehrern zielführend wäre. Wir wagen uns also auf das dünne Eis, aber ziehen Grenzen entsprechend unserer eigenen moralischen Maßstäbe. Unser erster Interviewgast ist Thorsten Schulte, der „Silberjunge“.
Deutsche Geschichte, deutsche Politik, Deutschland — es ist bedauerlich, dass viele Menschen diese diffizilen Themen vollkommen scheuen, vor allem öffentlich. Eine Ursache dafür ist vor allem das Fehlen einer respektvollen Debattenkultur. Diese scheint vor langer Zeit zu Grabe getragen worden zu sein.
Schuld sind leider auch das Internet und die trügerische Anonymität, die es bietet. Es ist bedauerlich, dass unser stärkstes Werkzeug so häufig missbraucht wird, um bewusst Zwietracht zu sähen. Beim Anschauen alter Interviews von Günter Gaus hält man es heute kaum für möglich, was für ein intellektueller, aufmerksamer und pietätvoller Umgang hier einst in publiken Diskursen herrschte. Lang vorbei sind die Tage, in denen man sich gegenseitig ausreden ließ und dem Gegenüber seine Argumentation klar darlegen konnte.
Eine gewisse Sehnsucht nach Emotion in der Politik ist verständlich. Vergleicht man frühere hochkarätige Politiker der Bundesrepublik mit dem heutigen Führungspersonal, bemerkt man schnell, woran es fehlt.
Die Art und Weise der politischen Emotionalisierung ist bisher komplett kontraproduktiv. Auch viele der im vergangenen Jahrzehnt neu entstandenen Bewegungen versuchen, sehr niedere Triebe anzusprechen. Dies ist gerade auch im alternativen Medienkosmos sichtbar.
Um wieder zu einer gesünderen Debattenkultur zu finden, müssten wir zunächst die Wörter klar definieren. Worte tragen große Macht in sich. Sie transportieren Emotion und sind weitaus kraftvoller, als vielen bewusst ist. Aber was versteht mein Gegenüber unter „links“ oder „rechts“? Was ist für ihn „deutsch“? Und was bedeutet dies überhaupt? Solange wir diesen Definitionen und den darin mitschwingenden Gefühlen nicht auf den Grund gehen, reden wir aneinander vorbei.
Wie schon Rilke einem Freund in einem seiner Briefen riet, geht es im Leben zunächst nicht um Antworten, sondern erst einmal darum, die richtigen Fragen zu stellen.
Diese Fragen müssen gelebt werden, damit sich eventuell irgendwann langsam die Antworten entfalten können. Diese Entfaltung wird allerdings durch die gänzlich vergiftete Debattenkultur verhindert. Wir hoffen, mit diesem Format zur langsam entstehenden Gegenbewegung beitragen zu können, welche um eine ehrliche Wertschätzung des Gesprächspartners bemüht ist.
Auch unser erster Gast Thorsten Schulte wird mittlerweile von den bekannten Medienhäusern gemieden wie die Pest. Dennoch ist sein neues Buch „Fremdbestimmt“ weit oben in den Bestsellerlisten, es hat also einen Nerv getroffen.
Beim Lesen des Buches fällt schnell auf, dass wir es hier nicht mit dem einschlägig bekannten geschichtsrevisionistischen, längst überholten und schwer belegbaren Agitprop neurechter (Internet)Medien zu tun haben, sondern dass Schulte langwierige, sorgfältige Quellenarbeit geleistet hat, wobei man ihm unstreitig eine ehrliche Passion anmerkt, seine Sicht der modernen deutschen Geschichte umfassend darzulegen.
Man muss Schultes Ansichten zur Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht teilen, doch verwundert es stark, wie er von diversen öffentlichen Medien zur neurechten Persona non grata stilisiert wurde, mit der man nicht einmal mehr das persönliche Gespräch sucht. Viele seiner Thesen kreisen um die Annahme, dass Juden, Russen und Deutsche Opfer derselben Täter sind — eine Position, die früher höchstwahrscheinlich als eher „links“ gegolten hätte, so vorbelastet diese Labels auch sein mögen. Oft hat man das Gefühl, hier mit jemandem zu sprechen, der noch vor einigen Jahrzehnten als klassischer Konservativer eingestuft worden wäre.
Warum meidet man den Dialog mit jemandem, der sich wiederholt von jeglichem Antisemitismus und Rassismus distanziert sowie klar zum Ausdruck bringt, dass der Humanismus stets die Grundlage seines Handelns darstellt?
Wenn nicht einmal mehr der angeregte Diskurs möglich ist, wie sollen wir dann je Zeit finden, den wirklich tief greifenden Fragen auf den Zahn zu fühlen, der Wahrheit näher zu kommen sowie die Traumata der Vergangenheit anzusehen und langsam, aber stetig zur Heilung zu bringen?