Was hat Terrorismus mit globaler sozialer Gerechtigkeit zu tun?
Die internationale Arbeitsteilung besteht darin, dass einige Länder sich im Gewinnen und andere im Verlieren spezialisieren.
Nährboden des Terrorismus sind Kriege und soziales Elend. Sie sind Ergebnis der vom Westen betriebenen Globalisierung. So sind die Länder mit dem höchsten Terror-Index, die zugleich die Hauptexporteure des Terrors sind, allesamt „Failed States“, denen kriegerische Überfälle des Westens ihre staatlichen Strukturen zerschlagen und ihre Ökonomien ruiniert haben. Um den Terrorismus loszuwerden, brauchen wir national und global solidarische, soziale und nachhaltige Gesellschaften. Und nicht: mehr Soldaten, mehr Polizei, mehr Überwachung und Kontrolle.
Eduardo Galeano hat in seiner Schrift „Die offenen Adern Lateinamerikas“ vor fast 50 Jahren die Frage gestellt, was eigentlich die internationale Arbeitsteilung sei. „Die internationale Arbeitsteilung besteht darin“, gab er zur Antwort, „ dass einige Länder sich im Gewinnen und andere sich im Verlieren spezialisieren.“ (Lessenich stellt es seinem aktuellen Buch „Und neben uns die Sintflut“ voran.) Es ist der sogenannte Norden, die westlich-kapitalistische Welt, mittlerweile ergänzt durch Schwellenländer wie China, die sich auf das Gewinnen spezialisieren. Es sind die armen Länder des Südens, die die Spezialisten im Verlieren sind.
Das hat aber in beiden Fällen nichts mit angeborenen Vorzügen oder Nachteilen zu tun. Es hat zu tun mit Macht, mit militärischer Macht, mit Kriegen und mit ökonomischen Unterwerfungsverfahren, mit denen der Norden den Süden unterwirft. Es ist die Bundesregierung, die feststellt, Deutschland profitiert von dem globalen Gefüge, wie es heute besteht, am meisten, und es wird dieses Gefüge dort, wo geboten, mit allen Mitteln, wenn nötig auch mit militärischen aufrechterhalten.
Zum Gegenstück, zum Terrorismus, sagte Jürgen Todenhöfer, nach seinen zehn Tagen beim IS: „Terroristen verstehen ihre Anschläge als berechtigte Antwort auf die aggressiv ausbeuterische Politik der USA, die ihre Länder als amerikanische Tankstellen betrachten.“
Darum soll es in den nächsten Minuten gehen:
- Was ist überhaupt Terrorismus und haben wir es wirklich mit seinem Anschwellen zu tun?
- Von wo, von welchen Ländern geht der Terrorismus aus?
- Was sind seine Ursachen und welche Verantwortung für diese hat der Westen zu übernehmen? Wie hängen Terror und das Fehlen globaler sozialer Gerechtigkeit miteinander zusammen?
- Wie steht es mit der zweiten Generation der Migranten in Europa? Ein terror-affines Umfeld?
- Wie hat die Linke den Terror einzuschätzen? Ist der Terror tatsächlich eine berechtigte Antwort auf die aggressive Ausbeutung durch die Allianzen des Westens?
1. Das Anschwellen von Terror und von Krieg
Tatsächlich nimmt der Terrorismus global rasch zu. Er wird definiert als „der angedrohte oder tatsächliche Gebrauch von illegaler Gewalt durch nicht-staatliche Akteure, um politische, wirtschaftliche, religiöse oder soziale Ziele durch Furcht, Zwang oder Einschüchterung zu erreichen“ ( so die Definition im Global Terrorism Index). Entscheidende Definitionsmerkmale sind: es sind nicht-staatliche Akteure, die illegale Gewalt ausüben. Wird solche Gewalt von staatlichen Stellen ausgeübt, gilt sie nicht als „Terror“, sondern als „Krieg“. Beide Arten, Terror und Krieg, werden im Global Peace Index erfasst. Der globale Friedenszustand ist dabei, sich erheblich zu verschlechtern. Die Zahl der Terrortoten hat sich von 2008 bis 2015 von 8.500 auf 32.700 fast vervierfacht; die Zahl der Kriegstoten von 19.600 auf 101.400 mehr als verfünffacht. Kriege sind, betrachten wir den Friedenszustand der Welt nach Zahlen, das größere Problem als der Terror. Das eigentliche Problem zeigt sich aber in dem ursächlichen Zusammenhang: mehr Kriege, ob im Namen von Demokratie, Menschenrechten oder Freihandel und Sicherung der globalen Struktur von Oben und Unten, führen zu mehr Terror. (Dazu später mehr.)
2. Wo findet der Terror statt? Welche neuen Entwicklungen sind zu beobachten?
Die höchste Terrorintensität weisen seit Jahren fünf Länder auf, in denen 2015 78 Prozent aller terroristischen Anschläge stattfanden: Irak, Nigeria, Afghanistan, Pakistan und Syrien. Über die Hälfte aller Anschläge gehen auf das Konto von Boko Haram (vor allem in Nigeria) und IS (vor allem im Nahen/Mittleren Osten). Der Westen war bis zum letzten Jahr weitgehend verschont geblieben. 2015 stand Großbritannien auf Rang 28 des Terror-Indexes, Griechenland auf 29, die USA auf 36, Frankreich auf 37, Deutschland auf Nummer 53.
In den letzten Jahren weist fast jede Region der Erde eine Zunahme an Terror auf. Die Zahl der Länder mit über 500 Terrortoten stieg von 2013 auf 2014 von fünf auf elf. Die Zahl der Länder, die keinerlei terroristische Vorfälle meldeten, sank von 49 in 2008 auf 37 in 2016 (von 163 erfassten Ländern).
In Europa und den USA war der Anstieg des Terrorismus besonders zu beobachten. Gegenüber dem Jahrfünft 2006 – 2011 haben sich hier die Toten durch Terror in den letzten fünf Jahren weit mehr als verdoppelt.
3. Terrorismus ist das Ergebnis der vom Westen betriebenen Globalisierung
Die Länder mit der höchsten Terrorintensität gehören zugleich zu den Hauptherkunftsländern der Flüchtlinge. Die Hautpursache von Terror wie von Flucht sind Kriege und soziales Elend. Syrien, die Nummer 1 auf der Flüchtlingsliste, steht im Global Peace Index auf dem letzten Rang, Nummer 163. Syrien ist also das Land mit der größten Kriegsverwüstung. Der Irak ist die Nummer 161, Afghanistan 160, Pakistan 153, Nigeria 149.
Neben dem Krieg hat der Terror eine zweite Mutter, eng mit der ersten verbunden: das soziale Elend. Die Hauptländer des Terrorismus sind geprägt von Armut, Hunger und sozialer Hoffnungslosigkeit. Hier kommen wir direkt zu unserer Frage, was der Terrorismus mit globaler sozialer Gerechtigkeit zu tun hat.
Die UN stellen jährlich einen Human Development Index auf. In diesem Index menschlicher Entwicklung listen die UN die Länder nach den Kriterien Lebenserwartung und Gesundheit, Bildung und Pro-Kopf-Einkommen auf. Unter den 188 Nationen steht Afghanistan auf Platz 171, Nigeria auf 152, Pakistan auf 147, Syrien auf 134. Die terrorintensivsten Länder gehören alle zu den Schlusslichtern der menschlichen Entwicklung.
Eine Nebenbemerkung zur Zukunft des Terrors: Da es zutrifft, dass Kriege und Armut der Nährboden des Terrorismus sind, werden wir uns auf eine Terror- und Flüchtlingswelle aus Afrika vorzubereiten haben. Von den 10 Ländern mit dem höchsten Kriegsstatus zählen fünf zu Afrika (Libyen, Sudan, Zentralafrikanische Republik, Somalia, Süd-Sudan). Und von den 43 Ländern mit dem niedrigsten Status der menschlichen Entwicklung sind 32 afrikanische Länder. Afrika – heute das Zuhause des sozialen Elends, morgen vielleicht der Ausgangsort von Terror und von Migration.
Wie die Kriege den Terror hervorbringen
Die Länder mit dem höchsten Terror-Index, die zugleich auch die wesentlichen Exportländer des Terrors sind, sind allesamt sogenannte failed states, Staaten, die deshalb fehlgeschlagen sind, weil kriegerische Überfälle des Westens ihre staatlichen Strukturen und Apparate zerschlagen und ihre Ökonomien ruiniert haben. In Afghanistan hatten die USA seit den 80er Jahren die Terrororganisationen der Taliban aufgebaut und gegen die Kabuler Linksregierung und ihre sowjetischen Helfer eingesetzt. Als dem Sicherheitsberater von US-Präsident Carter, Zbigniew Breszinski, von der Pariser Zeitschrift Nouvel Observateur vorgehalten wurde, es seien die USA gewesen, die die islamistischen Terrorgruppen erst hochgepäppelt haben, sagte der: „Was ist wichtiger in der Weltgeschichte? Die Taliban oder der Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums?“ Den Aufstieg von al Qaida fabrizierten die USA, weil es sich nach ihrer Lesart um ihre Terroristen handelte.
Seit 9/11 wurde das Verfahren im sogenannten „Krieg gegen den Terror“ perfektioniert. Wie schon Afghanistan wurde auch der Irak völkerrechtswidrig überfallen, diesmal von der Nato-Allianz USA und Großbritannien und weiteren „Willigen“. Aus den Truppenoffizieren und Geheimdienstleuten des zerbombten Saddam-Regimes setzte sich die neue Terrororganisation IS zusammen, die bald große Teile von Irak und Syrien kontrollierte.
Weiter ging es mit dem militärischen Überfall der Nato auf Libyen. Gaddafi wurde ermordet, die staatlichen Strukturen zerschlagen. Libyen wurde zum Rückzugs- und Trainingsraum Nummer 1 für den IS und weitere Terrororganisationen.
Nach demselben Konzept geht der Westen in Syrien vor. Der Schweizer Friedensforscher Daniele Ganser, Autor des aktuellen Buchs „Illegale Kriege“ , fasst das Verfahren so zusammen: „Die Angreifer USA, Großbritannien, Frankreich, Türkei, Katar und Saudi-Arabien haben brutale Banden trainiert und mit Waffen ausgerüstet und versuchen seit 2011, Präsident Assad zu stürzen, was ihnen aber bisher nicht gelungen ist.“
Das ist ihnen zwar nicht gelungen, aber sie haben wieder Terrorbanden hochgepäppelt. In dem syrischen Terrorkrieg sind bisher fast 500.000 Menschen umgekommen und wurden über 11 Millionen Menschen in die Flucht getrieben.
In dem „Krieg gegen den Terror“ geht es also nicht gegen den Terror – der wird vielmehr durch die westlichen Strategien stark und stärker gemacht – sondern es handelt sich um einen Kampf um Rohstoffe und globale Vorherrschaft. Dies hat die deutsche Regierung schon frühzeitig zu Protokoll gegeben. In den „Verteidigungspolitischen Richtlinien von 2011“ heißt es: „Freie Rohstoffe und gesicherte Rohstoffversorgung sind für die Zukunft Deutschlands von vitaler Bedeutung.“ Für den Zugang zu Bodenschätzen und für die Energiesicherheit ist Deutschland „bereit, als Ausdruck nationalen Selbstbehauptungswillens das gesamte Spektrum einzusetzen, auch Streitkräfte“. An dieser Bereitschaft lässt es Deutschland in der Tat nicht fehlen. Derzeit führt die Bundeswehr 12 Auslandseinsätze durch.
Die globale soziale Ungleichheit oder genauer: Die Ausbeutung des Südens durch den globalen Kapitalismus ist wesentliche Triebfeder des Terrorismus
In seinem aktuellen Buch (Neben uns die Sintflut) kennzeichnet Stephan Lessenich die globale Ausbeutungssituation mit den Worten: Der Norden lebt über die Verhältnisse des Südens. Der Norden kann das, weil er über genügend Macht verfügt, um den Süden auszubeuten.
Die vom Kapitalismus verursachten sozialen Ungerechtigkeiten sind global höchst ungerecht verteilt und treffen in erster Linie den Süden. Das Durchschnittseinkommen im Norden / Westen beträgt das Dreifache des Welteinkommens, das Fünffache des durchschnittlichen Einkommens der Schwellen- und Entwicklungsländer, das Fünfzehnfache des Einkommens der Menschen in Afrika-Subsahara.
Der Internationale Währungsfonds listet 37 fortgeschrittene Volkswirtschaften (advanced economies) auf, denen er 152 Schwellen- und Entwicklungsländer gegenüberstell. Die 37 Industrieländer stellen 15 Prozent der Weltbevölkerung, aber 37 Prozent des Weltsozialprodukts und 62 Prozent aller Exporte. Die 152 Schwellen- und Entwicklungsländer kommen auf 85 Prozent der Weltbevölkerung, aber nur auf 57 Prozent des Weltsozialprodukts und 38 Prozent der Exporte.
Der Süden wird auf vielfältige Weise um große Teile des von ihm produzierten Mehrwerts gebracht. Industrielle und landwirtschaftliche Arbeit werden auf ein Lohnniveau am Rande und unterhalb des Existenzminimums gedrückt. Mit „Freihandelsabkommen“ wie den EPAs (Economic Partnership Agreements) werden die afrikanischen Märkte für europäisches Geld und Waren geöffnet. Die radikale Marktöffnung für EU-Importe soll angeblich ausgeglichen werden durch die Öffnung des Zuganges für afrikanische Produkte zur EU. Doch ist die Wirtschaft Afrikas dem Wettbewerb mit den Industrie- , Handels- und Agrarmultis der EU natürlich nicht gewachsen. Durch die EPAs allein verliert Afrika jährlich 20 Milliarden US-Dollar an Exporteinnahmen.
Zu den Knebelungsinstrumenten gehört auch die vertraglich zugesicherte Nutzung von Fischfanggebieten. Die EU hat mit 16 Ländern in Afrika, der Karibik und im Pazifik solche Verträge abgeschlossen. Die EU-Großtrawler zerstören die einheimische Fischereiwirtschaft, wofür sie von der EU mit knapp einer Milliarde Euro jährlich subventioniert werden.
Wenn diese und andere Verfahren des zivilen Handels- und Wirtschaftsimperialismus nicht ausreichen, dann lässt der Westen die Waffen sprechen.
4. Terror in Europa – Migranten: diskriminiert, arm und ohne Perspektive (keineswegs alle, aber sehr viele)
Die Geheimdienste sind sich einig: Je mehr der IS mit seinem Kalifat in Syrien und Irak in Bedrängnis gerät, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass er in Europa und Nordamerika verstärkt zuschlägt. Auch al Qaida wird verstärkt mit Terrorakten über das resonanzstärkste Gebiet Europa-Nordamerika herfallen. Auch US-Präsident Obama hat in seinem Spiegelinterview bekräftigt, dass Europa das Auslandsziel Nummer 1 des Terrorismus sein werde.
In Europa, sagen die Anti-Terrorismus-Spezialisten, haben die Terroristen nämlich leichtes Spiel. “Schengenland-Europa“ biete einen relativ leichten Zugang für Terroristen von Außen und im Innern gebe es Migrantenzonen, in denen Terroristen leicht unbemerkt Unterschlupf und auch lokale Kombattanten finden könnten.
Tatsächlich hat sich in Europa ein terroraffines Umfeld gebildet. Mehr als 30.000 Ausländer reisten nach Syrien und Irak, um den IS in seinem Kampf zu unterstützen. Darunter waren Tausende aus Europa. Allein aus Deutschland sind, so der Verfassungsschutz, bis Ende 2016 über 780 Personen nach Syrien und Irak gezogen, um dort mit dem IS zu kämpfen. Für 2015 stellt der Verfassungsschutz in Deutschland 14.120 verfassungsfeindliche Islamisten, wobei er al Qaida und IS ausdrücklich ausnimmt, da für diese keine „gesicherten Zahlen“ vorlägen. Seine Zahlen beziehen sich vor allem auf „salafistische Bestrebungen“, deren Anhängerschaft in einem Jahr von 7.000 auf 8.350 gewachsen sei.
Während der Verfassungsschutz breit seine ideologische Einschätzung des Islamismus ausführt, verliert er auf den 318 Seiten seines Jahresberichts kein einziges Wort über die sozialen Ursachen von Terror und Gewalt. Tatsächlich sind die Migrantenzonen – wie auch in Belgien und Frankreich – ökonomisch und sozial vom Mainstream der deutschen Gesellschaft weithin abgehängt. Diese Elendszonen sind der natürliche Nährboden für Ablehnung und Hass auf den Westen und für die Solidarisierung mit aktiven antiwestlichen Kämpfern.
In der Statistik ist von 3,7 Millionen sogenannten Drittstaatenmigranten die Rede, aus Ländern vor allem des Nahen und Mittleren Ostens. Deren Benachteiligung zeigt sich gerade in den gravierenden Bereichen von Beschäftigung, Einkommen und Armutsgefährdung. Während die Erwerbstätigenquote der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund bei 76 Prozent liegt, erreicht sie bei den Drittstaaten-Migranten nur 56 Prozent. Vollzeitbeschäftigte aus „Drittstaaten“ verdienen rund 10 Prozent weniger als die „ohne Migrationshintergrund“. Die Armutsgefährdung der originär Deutschen liegt bei 12,5 Prozent, die der Migranten ist mit 36,1 Prozent um das Dreifache höher.
Diese schwerwiegenden ökonomischen und sozialen Nachteile erfahren die Migranten, obwohl ihr Niveau an Bildung und berufsqualifizierendem Abschluss über dem der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund liegt. 47 Prozent der Personen aus Drittstaaten haben einen hohen Schulabschluss, was nur 34 Prozent der urdeutschen Bevölkerung von sich sagen können. Beim „höchsten berufsqualifizierenden Abschluss“ lauten die Zahlen 32 zu 21 Prozent zugunsten der Personen aus den Drittstaaten.
Wer von der Bekämpfung der Ursachen des Terrors gerade in Deutschland und Europa spricht, der muss vor allem die systematische Benachteiligung der Migranten in Wirtschaft und Gesellschaft bekämpfen. Bei uns leben fast 5 Millionen Muslime, von denen mehr als jeder Dritte armutsgefährdet ist und denen ihre Qualität als normale, mit Menschen- und Bürgerrechten ausgestattete Staatsbürger zusehends bestritten wird. Wenn diese sogenannte „Flüchtlingsfrage“ nicht humanitär und solidarisch gelöst wird, dann wird der Terrorismus weiter um sich greifen.
Analog gilt für die globale Ordnung: Je mehr der Norden über die Verhältnisse des Südens lebt und je mehr er diese ungerechte Weltstruktur mit militärischen Mitteln erhalten und durchsetzen will, umso mehr Zulauf werden die Terrorgruppen erhalten, die als Widerstandsgruppen gegen diesen Imperialismus auftreten. Eine solidarische Welt, eine friedliche Welt, eine nachhaltige Welt ist nötig, um den Menschen ein Leben in materieller, politischer und sozialer Sicherheit zu bieten und damit den Terror obsolet zu machen.
5. Terrorismus – eine berechtigte Antwort auf die Politik des Westens?
Wir haben oben Todenhöfers Beobachtung zitiert, dass Terroristen ihre Anschläge als berechtigte Antwort auf die aggressiv ausbeuterische Politik des Westens betrachten. Sind sie das wirklich, eine berechtigte Reaktion?
Wahr ist, dass die Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas die barbarischen Raubzüge des Westens nicht widerstandslos hingenommen haben und dass dieser Widerstand oft revolutionäre Gewalt gegen die strukturelle Gewalt der Imperialisten setzte. So begann Mao seinen „Langen Marsch“ in China, in Lateinamerika standen unter anderem die Guerilla um Castro in Kuba auf und die Sandinisten in Nicaragua. In Afrika erhob sich die FNL in Algerien und der ANC mit Mandela in Südafrika. Für die radikale Linke, formuliert von Franz Fanon und von Jean-Paul Sartre, war stets klar: gegen das mörderische System des Kolonialismus kann nur Gegengewalt helfen.
Das galt nicht nur für die „Dritte Welt“, auch für die Kernländer des Kapitalismus. Herbert Marcuse erklärte, in einer Gesellschaft der „repressiven Toleranz“ trage jeder, der opponierende politische Aktivitäten auf die tolerierte Art betreibe, dazu bei, eine bloß demokratische Fassade aufrecht zu erhalten. Er rief zu Widerstandsformen des zivilen Ungehorsams, der entschlossenen Regelverletzung, der Gewalt gegen Sachen, der „symbolischen Gewalt“ auf und die 68-Bewegung folgte ihm weitgehend dahin.
Entspricht der islamistische Terror den Voraussetzungen revolutionärer Gewalt, wie sie in der Theorie der Linien entwickelt wurden? Keineswegs. Zwar haben wir es in vielen islamischen und auch den Gastgesellschaften in Europa und Nordamerika mit Zuständen „struktureller Gewalt“ zu tun, gegen die oft kein politischer Protest hilft. Doch wäre die Entwicklung von Gegengewalt nur eine ultima ratio, ein letztes Mittel, wenn folgende Bedingungen erfüllt wären: 1) dass anders, durch politische Aktionen, die unterdrückende Gewalt nicht beseitigt werden kann; 2) dass die eingesetzte Gewalt Aussicht auf Erfolg hat; und 3), dass niemand Unbeteiligter zu Schaden kommt. Der islamistische Terror widerspricht diesen Grundsätzen. Er setzt gezielt auf die Schädigung und Tötung Unbeteiligter, um deren politische Repräsentanten zu Konteraktionen zu motivieren, auf die wiederum mit terroristischer Gewalt geantwortet und so die Spirale von Gewalt und Tötungen ständig hochgetrieben wird, ohne dass ein humanitäres Ziel erreicht wird. Dieser Terrorismus ist eine Bedrohung für jeden, er ist durch nichts zu rechtfertigen.
Die Linke lehnt den Terrorismus rundum ab. Sie sieht auch die Probleme, die der Terrorismus für die innere und äußere Sicherheit bereitet. Sie wendet sich aber entschieden gegen die Versuche der hiesigen Machthaber, den Terrorismus als Alibi für Hochrüstung, Kriege und Demokratieabbau zu benutzen. Die ständigen „militärischen Interventionen“ haben die ständige Stärkung der Terrorgruppen zur Folge. Mit den „Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit in Deutschland“ soll unter anderem die Videoüberwachung öffentlicher Räume perfektioniert und der Einsatz von „Biometrie“ – Lichtbild und Gesichtserkennungssysteme – vorangetrieben werden. Unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung wird die Demokratie nach und nach bestattet.
Es bleibt die Erkenntnis: Um den Terrorismus loszuwerden, brauchen wir national und global solidarische, soziale und nachhaltigen Gesellschaften. Das ist der Königsweg und nicht: mehr Soldaten, mehr Polizei, mehr Überwachung und Kontrolle.