Wahnsinn, Wahrheit und Wahun

In der Poetik-Ecke XXV sinniert Bertram Schrag über das Große und den Irrsinn des Menschen und darüber, wie eins ins andere kippt.

Bertram Schrag, Texter von Martin Haditschs Polit-Rap „Sapere Aude“ und weiterer Songs, hat den Zeit(un)geist durch die Jahre hindurch festgehalten. Seine Gedichte sind Appell und Besinnung mit witzigen Ausleihen bei Shakespeare und anderen Figuren der Geistesgeschichte. Diese Poetik-Ecke vereint vier Beispiele seines Schaffens aus den Jahren 2024 rückwärts bis dahin, wo die Inszenierung begann: auf dem Markt von Wahun. Verdrehungen allüberall. Nur etwas bleibt beständig: das Plädoyer für Geist und Denken. Solange der Geist noch ist ...

I

Zeit des Wahnsinns

18. März 2024

Die Zeit ist groß, so groß ist sie,
— sie zeitigt Wahnsinn en gros …
Der Geist geht dabei in die Knie,
(wie … in der Massenpsychologie)
ja, die Vernunft brennt lichterloh!

Es ist ein kollektiver Flächenbrand,
der sich ins Unfassbare hier breitet.
Wo ist da noch ein (Rest-)Verstand,
(Wahnhaftes geht Hand in Hand …)
der nicht im Gleichschritt schreitet?

Die Dummheit geht auf Heldentour,
vergebens wird man Einhalt suchen.
Wo ist der Weisheit Geist denn nur,
(Massen-Wahn versus Geist-Tortour)
umringt allein von Hirn-Eunuchen?

Der Wahn ist groß, so groß ist er,
— noch ist er am Expandieren …
Wahn der Massen — mit Gewähr,
(Massen-Wahnsinn-Wiederkehr)
— der Trend hin zum Potenzieren!

Kumulierter Wahnsinn en gros,
den Massen sonach aufoktroyiert.
Dies ein kollektiver Status quo,
(Geist versinkt im Nirgendwo …)
Wahn um Wahn sich da generiert!

Gefangen in der Schein-Realität,
in einer Art Platonischen Höhle.
Vorgespielte Echtheits-Identität,
(dafür die Massen-Konformität)
ob geistlos zu erwartender Befehle!

Doch fortan soll es wieder gelten,
den Höhlenausgang aufzufinden!
Hinaus in freie Geistes-Welten —,
(IHR — um die Freiheit Geprellten)
die Irreale Welt zu überwinden!

Sehet endlich auf zum Tageslicht,
drehet hin Euch nach dessen Seite.
So übet keinen weiteren Verzicht,
(von Angesicht zu Angesicht …)
entdecket das Wahrhaft-Befreite!

Leben (wieder)geben (s)einen Sinn,
zu allen Zeiten, in allen Lebenslagen.
Der Geist allein führt uns dorthin,
(… die Weisheit als Lebensgewinn)
unsre Freiheit ist deren Unbehagen!

Wir wissen es, schreiben es nieder:

Die Zeit ist groß, so groß ist sie!

Die Welt von gestern liegt hernieder,
(Geschichte kehrt stets doch wieder)
so zwing den Wahnsinn in die Knie!
Und nach der Weisheit Geist allein …

muss Verstand zugegen —, sonach sein:
JETZT oder nie … dann also JETZT!
Da wahrer, wacher Geist Berge versetzt!

II

Die Macht der Wahrheit — die wahre Macht

27. Oktober 2023

Wir legen dar Betrachtungsweisen,
betrachten sonach manchen Wert.
Um eine Art Reinheit zu beweisen,
was oft ins Gegenteilige verkehrt.

Wir sprechen von Tatsächlichkeit,
der reinen, wie sie mithin genannt.
Nicht selten liegt sie im Widerstreit,
so bleibt ihr wahrer Wert verkannt.

Auch von der Echtheit ist da die Rede,
allein das Echte scheint uns denn wahr.
Das wahre Echte duldet keine Widerrede,
sonst ist es feilgeboten wie auf dem Basar.

Die Richtigkeit lässt ebenso sich künden;
doch wer bestimmt denn, was richtig ist?
Schon sucht man nach falschen Gründen,
und findet dabei manch wahre Hinterlist.

Die Ehrlichkeit ist ebenso im Munde,
worunter lässt sich Wahrheit verstehen.
Demnach geben wir hier davon Kunde,
dies ist wohl leicht auch einzusehen.

Wir schreiben nieder die Loyalität;
auch sie vertritt sozusagen das Wahre.
Wir legen Wert auf wahre Kontinuität,
die sichtbare, spürbare, brauchbare …

Von Wahrheitsliebe ist zu berichten,
ja als die Liebe, die zur Wahrheit steht.
Man kann sie nachgerade dort sichten,
wo es um wahre (nicht Ware) Liebe geht.

Die Rechtschaffenheit, ein hehres Ziel;
hat sich da wahres Recht manifestiert?
Beim Recht denn wird es recht diffizil,
wenn es sodann ins Gegenteil mutiert.

Wie steht es mit der Zuverlässigkeit,
ist sie der Wahrheit ebenso ergeben?
Wir sagen „Ja“ in einer Art Zweideutigkeit;
dann allein in einem positiven Sinne eben.

Es bleibt nun (noch) die Authentizität,
auch von ihr wird Wahres prononciert.
Und in des Wahren-wahrer-Diversität
hat sich Wahrhaftigkeit längst etabliert.

Nun aber steht machtlos dem entgegen,
all das, was sozusagen „kurze Beine“ hat.
Ums Dauer-Lügen ist man nicht verlegen,
von „Un-wahr-heiten“ gibt es sattsam satt.

Lügen werden wir hier nicht klassifizieren;
sie sind und bleiben nun mal, was sie sind.
Jedwede Lüge kann nur eines garantieren;
sie macht für Reine Wahrheiten alles blind!

(Die Ohnmacht der Lüge — die wahre Ohnmacht)
Eine Lüge ist eine Lüge ist eine Lüge …

Die Wahrheit — sie allein, in Echtheit —
denn also über wahre Macht verfüge!

III

Ist‘s Wahnsinn auch, so hat es doch Methode
(oder: Das scheinbar Mystische der Kausalität)
23. September 2023

Sein oder nicht sein —
Das ist hier die Frage …

Der Rest ist Schweigen —
Allein … nicht aber für den Rest unserer Tage!

Wir wollen hier nicht von Hamlet berichten,
das hat doch einst ein Shakespeare getan.
Unser Bestreben, den „Zeitgeist“ zu sichten;
in (s)einer Art Bestands-Gegenwarts-Wahn!

Doch wo allein soll man da nur beginnen? —
Das fällt dem Erzähler hier keinesfalls leicht.
Es scheint, die Welt ist in Gänze von Sinnen;
will heißen: durchaus auf Wahnsinn geeicht!

Müssen wir da noch Shakespeare zitieren —
oder reicht hier einzig ein „Blick in die Welt“?
Ja, wir müssen! — wollen wir dies realisieren:
dass das Wahnhafte nicht vom Himmel fällt!

Dieser allein ist denn von „Göttern“ bewohnt —
oder eben „der Gottheit“, wenn man so will.
Im „Elysium“ einzig das „Göttliche“ thront,
ewiglich-fortdauernd-mächtig, nahezu still …!

Diese Einschränkung „nahezu“ ist uns wichtig,
und „Stille“ wird mit ihrer Aufhebung obsolet.
Dann nämlich wird so manches Irdische nichtig,
da die „Höhere Macht“ gleichsam darübersteht!

Noch ist eine vermeintliche „Stille“ da vorhanden,
noch schaut „Höheres“ dem unteren Treiben zu.
Noch ist das wahre Erkennen (unten) abhanden,
und noch kommt da weiterer Wahnsinn hinzu!

Muss man betonen, er folge einer „Methode“? —
Wohl nicht! — Und doch schreiben wir’s nieder.
Das ist der „Zeitgeist”, eine schleichende Mode —;
wie‘s einst schon war, so kommt’s immer wieder!

Shakespeare war „gestern“, so will es scheinen;
doch nein! Er ist auch heute, ja „immer“ präsent.
Was wir für überwunden zu glauben meinen; —
wohl jenem, der die „Kausalitäten“ erkennt!

Nichts scheint für ewiglich in Stein gemeißelt —;
nichts vom Schicksal sonach (vor)bestimmt. (?)
Ist’s nicht der Mensch, der sich von Neuem geißelt;
(s)ein Fatum durch den ersten „Samen“ beginnt!?

Eine (für ihn) unentrinnbare Fügung — sein Los;
denn jene Samen werden immerfort weiter gesät.
Auf Ursache folgt Wirkung — ja Kausalität — bloß:
wenn er es weiß, so ist es meist schon zu spät!

Zu spät denn, um früher bereits zu beginnen,
zu verstehen, dass wir selber „Ursache“ sind.
Wären wir früh weise, um dem zu entrinnen,
wohin das Schicksal den Menschen „zwingt“!?

Darüber ließe sich zweifelsohne sinnieren —;
ob es was brächte, vorzeiten „klüger“ zu sein.
Wäre „Wahnsinn“ denn damit zu eliminieren,
ja, hätte das Geistvolle dann „Methode“ allein?!

Alles ist menschengemacht — dies ein Gebot;
obschon wir verbunden mit „Höherer Macht“.
Und so endet dies Irdische erst mit dem Tod,
indes daraus Neues wieder zu Leben erwacht.

„Erfahrungen“ bleiben so (oft) auf der Strecke,
welche die Menschheit „im Ganzen“ gemacht.
Wohl dienen sie einem wesentlichen Zwecke —;
dass dies, was gedacht, auch werde vollbracht!

Gleichviel, ob es zu Gutem oder Bösem gereiche,
dem Wahnsinn entspringe oder der Vernunft.
Ob man sich „Wissen“ gar käuflich erschleiche;
sonach alles ursächlich wirke in die/der Zukunft!

Wir sind — weshalb Wir hier nicht schweigen —,
auch wenn der Wahnsinn sich gegen uns stellt!
Sein oder nicht sein? — „Sein“ werden wir zeigen,
und wenn es denn sein muss — dann gegen die Welt!

Was hat sich geändert seit Shakespeares Zeiten —;
sind wir denn nicht noch die gleichen Kreaturen?!
Stete Erfahrungen machend, sie zu verbreiten —;
sind’s nicht einzig marginale Vermächtnisspuren?!

Wir stecken in tiefstem „Dickicht von Illusionen“,
leben dabei (immer) mehr im Schein denn im Sein.
Wir sollten uns wieder mit „Erkennen“ belohnen —
für ein „wahres Sein“ — und nicht nur zum Schein!

Wir sollten auch wieder die „Methoden“ erkennen,
die uns zu einem gesunden „Bewusst-Sein“ leiten.
Wir müssen zudem all jene „Wahnsinne“ benennen,
die sie den Menschen bereiten — noch vorbereiten!

Was also will uns dieser einstige Dichter lehren —;
wie es damals schon war, so auch heute noch ist?!
Sind es „Methoden“, die immerfort wiederkehren;
indes man sich in den Zusammenhängen vergisst?!

Sein oder nicht sein — das allein ist die Frage …
Stunde um Stunde — immerfort — an jedem Tage …

Erfahrungen — machend, lernend, anwendend …
Zusammenhänge — erkennend, beherrschend …
Gedanken — stets dahin ver(sch)wendend …

Sodass von nun an ist es wieder Brauch:
Sind Dichter/Denker (seiner Art) in Mode —
Ist’s wahrer wacher Geist auch —
So hat dies ebenso Methode!

IV

Der Markt in „Wahun“
18. August 2020

„Wann treffen wir Drei wieder aufs Menschengeschlecht,
am Markt von ‚Wahun‘ — wär‘ Euch das recht?“
„Ich, das Gürteltier“ — „Ich, der Marderhund“ —
„und ich, die Fledermaus“ …
„Zu einer geeigneten Stund‘“ —
„Ja, das gibt der reinste ,Krone-Schmaus‘“ …
„Ich komme vom Norden her.“
„Und ich von Süden.“
„Und ich flieg ein Stück übers Meer“ …

„Hei, das gibt ein Ringelrein,
und ein Teil der Welt muss in den Grund hinein — muss in den Grund hinein.“
„Und der Mensch, der auf ihr tritt?“
„Ei, der muss mit.“
„Muss mit.“
„Seht doch, welch eine große Schand‘
da immerfort in der Welt geschieht —,
und wie man auch uns das Fell über die Ohren zieht.“
„Tand, Tand,
ist das Gebilde von Menschenhand.“

Auf der „Tiennösstraße“, das große Schlachterhaus
aus allen Fenstern dringt der Kadavergestank heraus.
Und die Marktleute, — ohne Rast und Ruh‘ …
und Dreie schauen dem allgemeinen Treiben zu.
Schauen, ob nicht schon Einer in Sicht —,
der als Zwischenwirt Übertragung verspricht!
Der die Verteilung „Global“ organisiert,
und für die Dreie läuft‘s wie geschmiert.

Und einer der Dreien jetzt: „Ich seh‘ einen im Schein,
dort an einem der Marktstände. Das muss er sein …
Nun ist das Werk fast schon vollbracht,
und dieses geschieht wie über Nacht …
Und es geschieht denn im Funkenflug,
dazu braucht es weder Brücke, noch Edinburger Zug …
Seht doch, wie Er durch die Marktstände irrt —
unser Menschen-geeigneter-Zwischenwirt
Denn auch Er, — ohne Rast und Ruh‘,
treibt es grade voran ins Globale — im Nu!“

Und es ist der Geeignete. Da am Stand —
hält Er mal an. Und Er zeigt mit der Hand —
nach dort. Da liegen ihresgleichen, als kostbare Kost,
zum Verzehr bereit — und schon auf dem Rost.
Und Jener spricht: „Das Gürteltier noch“ —
Und wiederholend: „Schließlich nehm‘ ich es doch …
Ja, das muss denn nun einmal sein …
Es will mir grade so in den Schlund hinein —.“

„Und unser Stolz ist das fortschreitende Glück …
Ich muss lachen, denk‘ ich an früher zurück,
an eine Zeit ohne ‚Igschl’ und Après-Ski —,
konnte man da überhaupt leben! — und, wenn ja: Wie …?
Wie manche liebe, einsam-schöne Winternacht
hab‘ ich nur irgendwo in den Bergen zugebracht.
Und sah allein unsrer Fenster lichten Schein …
Und zählte die Tage und konnte beim Gelage nicht zugegen sein.“

Auf der ‚Wahunstraße’, das Gain-of-Function-Haus
aus allen Fenstern dringen die Nicht-Isolierten-Simulierten heraus.
Und die Marktleute, — ohne Rast und Ruh‘ …
und Dreie mischen sich nun diesem gängigen Treiben zu.
Denn quirliger wird jenes Markthandels-Verzehrungs-Spiel —;
und jetzt, als ob ein Flughund, vom Wasser kommend, vom Himmel fiel,
stürzt er geradezu herab in niederschießender Pracht —
auf Eines vom Rost … Und wieder ist Nacht — Nacht — tieffinstere Nacht …

„Wann treffen wir wieder zusamm‘ — aufs Neue zu dritt?“
„Um Mitternacht, am Bergeskamm, beim ,Igschl-Wirt‘.“
„Im ,Pauznan‘, im Westen des Landes, auf hoher Lage …
Da finden wir ein uns zum nächsten Übertragungs-Gelage.“
„Ich komme.“
„Ich mit.“
„Ich nenn‘ euch die Zahl.“
„Und ich die Namen.“
„Und ich die Qual — global …“
„Hei!
Wie im Funkenflug brach die Welt entzwei.“
„Tand, Tand,
ist das Gebilde von Menschenhand.“