Wahllos konservativ

Union und AfD klammern sich an einem überholten Gesellschaftsbild fest und lösen das Versprechen, Bewahrenswertes zu bewahren, meist nicht ein.

Wer konservativ ist, der bezieht sich gerne auf eine Vorstellung von gestern, die noch dazu in der nostalgischen Rückschau romantisch idealisiert wird. Das zeigt sich vor allem am Beispiel des konservativen Familienbildes, das eine spießige Kleinfamilie zur ultimativen Norm erhebt und dabei über die offensichtlichen Nachteile, die diese Form der Familie mit sich bringt, hinwegsieht. Es ist zudem eine wahllose Fixierung auf eine beliebige historische Entwicklung in einem recht kurzen Zeitabschnitt der menschlichen Geschichte, der noch ganz andere Formen der Familien vorausgegangen sind, die man auch als Bezugspunkt heranziehen könnte.

Nach dem Amtsantritt der Ampelkoalition hörte und las man immer wieder die Kritik, die Ampel sei zu links. Sie wurde als sozialistische Regierung beschrieben, als ein linker Totalitarismus, der darauf abzielt, alle zu unterwerfen und zu enteignen. Das ist nur zum Teil richtig. Denn bei der Ampelkoalition handelt es sich nicht um eine auch nur ansatzweise linke Regierung. Und mit dem Sozialismus hat diese Regierung, wenn überhaupt, nur die Enteignung gemein, auch wenn im Sozialismus die Reichen und Kapitalisten enteignet werden, um das Eigentum dem Volk zurückzugeben.

Bei der Ampelkoalition war genau das Gegenteil der Fall: Hier wurde die Bevölkerung enteignet, um deren Werte den Reichen zuzuführen. Insofern war die Ampelkoalition auch nicht im eigenen Auftrag unterwegs, sondern führte nur den Willen der herrschenden Oligarchie aus, der ebenso gut von einer CDU oder AfD umgesetzt werden könnte — und auch würde.

Doch die AfD oder die CDU — trotz 16 Jahren Merkel-Kanzlerschaft — werden dieser Koalition gerne gegenübergestellt. Sie seien, so die Vorstellung, konservative Kräfte, die sich dem linken Sozialismus entgegenstellen. Diese Vorstellung wird allerdings durch die Realität überhaupt nicht gedeckt, stimmten diese beiden Parteien doch in wesentlichen Entscheidungen im Chor mit der Ampel. So sind weder AfD noch CDU gegen den Sozialabbau, die Verarmung breiter Bevölkerungsteile oder die Militarisierung Deutschlands. Konservative Kräfte unterscheiden sich daher nur sehr marginal von den vorgeblich Linken, die eigentlich ein neofaschistisches, totalitäres Projekt umsetzen, das gekennzeichnet ist von einer starken Machtanmaßung der Obrigkeit, Besitzstandswahrung und Militarismus sowie einer Gleichgültigkeit gegenüber sozialen Nöten — und damit per definitionem eigentlich eher als rechts und nicht als links einzuordnen ist.

Konservatismus bedeutete ursprünglich einmal „erhalten, was bewahrenswert ist“. Sowohl die CDU als auch die AfD werden dieser Definition überhaupt nicht gerecht.

Sie predigen und vertreten seit Jahren und Jahrzehnten einen aggressiven Marktfundamentalismus, der darauf abzielt, die Masse zu verarmen und soziale und gesellschaftliche Errungenschaften zu zerstören – wie etwa die Infrastruktur, deren Verfall zu begutachten ist, wann immer man versucht, sich mit der Deutschen Bahn fortzubewegen, oder auch soziale Sicherungssysteme wie die Rente. Sie sind, genauso wie die Ampel, darauf aus, das Bewahrenswerte zugunsten einer Profitmaschinerie zu zerstören, die immer weiter angetrieben werden will.

Aber man kann den Konservatismus ja auch von den Parteien lösen, die ohnehin keine festen Programme mehr haben, sondern sich inhaltlich nach den Wünschen des Kapitals richten. Doch hier zeigt sich ein ähnliches Bild: Karrierestreben, Profitmaximierungsideologie und eine Gleichgültigkeit gegenüber der Umweltzerstörung zugunsten des Kapitals. Dem steht oftmals eine romantisierende Vorstellung einer Vergangenheit zur Seite, die es so nie gegeben hat. Nehmen wir als Beispiel die konservative Idealvorstellung der Familie.

Gegenüber der Ampel und angeblich linken Menschen wird immer wieder kritisiert, sie seien darauf aus, die „traditionelle Familie“ zu zerstören. Und das ist wahrscheinlich richtig. Genderideologie und ein gewisser Hang zur Verantwortungslosigkeit deuten Geschlechter nach Belieben um: Männer, die Frauen sind, ziehen mit Frauen, die Männer sind, Kinder geschlechtsneutral auf und definieren ihr Geschlecht nach eigenem Befinden jeden Tag neu. Die Transideologie wird über die gesamte verfügbare Palette der Propaganda schon jüngsten Kindern eingetrichtert.

Was an der Kritik stört, ist nicht, dass sie nicht richtig wäre. Es ist eher die romantische Verklärung von etwas, das längst nicht mehr der Norm entspricht.

Denn das konservative Bild einer Familie, in der die Mutter Hausfrau ist, der Vater das Geld nach Hause bringt, und man mit zwei bis vier Kindern in einer gemütlichen Doppelhaushälfte lebt, ist ein sehr neumodisches Produkt einer Nachkriegsgesellschaft, die durch Industrialismus, Kapitalismus und die hemmungslose Ausbeutung von Menschen — gerne und vor allem auch auf anderen Kontinenten — einen sogenannten materiellen Wohlstand geschaffen hat.

Diese Form der Familie gibt es eigentlich erst seit den 1950er oder 1960er Jahren. Sie ist also selbst schon das Produkt einer enormen „Zeitenwende“, mit welcher die Zerstörung großer Teile Europas einherging. Und damit ist diese Familiendarstellung eine, die nur über einen vergleichsweise kurzen Zeitraum überhaupt bestand.

Denn vor dem Zweiten Weltkrieg — und noch stärker vor dem Ersten Weltkrieg bis zurück ins tiefste Mittelalter — war das klassische Familienbild die Großfamilie. Hier hatten zwei Eltern teilweise acht, zehn oder zwölf Kinder und lebten entweder auf einem Bauernhof oder in engen Stadtwohnungen; später, zur Zeit der Industrialisierung, auch in beengten Arbeiterquartieren. Arbeiten musste hier selbstverständlich jeder: der Mann, die Frau, aber auch die Kinder, ob auf dem Feld oder in den Fabriken. Dieses Familienbild bestand über einen weitaus längeren Zeitraum der Geschichte hinweg. Warum also als Konservativer nicht an dieses anknüpfen, statt an die spießige Mittelstandsvorstellung?

Nun könnte man als überzeugter Konservativer einwenden, dass Konservatismus ja die Erhaltung des Bewahrenswerten bedeutet, und dass dieses Familienmodell des Mittelalters einfach nicht bewahrenswert sei. Welche Frau möchte schon zehn Kinder austragen und damit als ewige Gebärmaschine ein eher kurzes Leben führen? Wollen wir wirklich Kinderarbeit wieder einführen? Sicherlich nicht. Die Kleinfamilie, wie sie in den 1950er und 1960er Jahren entstanden ist, stellt damit einfach die bessere Variante dar. Doch ist dem so?

Denn zu dieser Darstellung der Kleinfamilie gehört auch die Angewohnheit der Eltern, ihre Kinder zu verprügeln, ohne dass dies sonderlich verwerflich gewesen wäre. Zudem ist dieses Familienbild heutzutage überhaupt nicht mehr realistisch.

Durch den neoliberalen Abriss und die kapitalistischen Verwertungszwänge ist es heute die erforderliche Norm, dass beide Elternteile gleichermaßen arbeiten müssen. Kinder werden immer früher in Kindertagesstätten abgegeben, die ebenfalls dem kapitalistischen Markt unterworfen, wenn auch staatlich subventioniert werden. Die Eltern sollen sich, vom Kinderglück unbeeinträchtigt, wieder in die Zwangsverwertungsmaschinerie einfügen, um dem Kapital zu dienen.

Dass Kinder ihre Eltern, vor allem in den ersten drei, aber auch in den folgenden drei bis fünf Lebensjahren besonders benötigen, um eine gesunde Persönlichkeit ausbilden zu können, spielt keine Rolle. Die psychische Gesundheit des Kindes wird dem Profit des Kapitals geopfert, Traumata des Kindes sind damit häufig vorprogrammiert.

Doch auch die frühere Version dieses Familienbildes, als allein der Vater das Geld verdiente, war problematisch. Kinder benötigen beide Geschlechter als Rollenmodelle, um sich gut entwickeln zu können. Diese Möglichkeit ist bei einem größtenteils abwesenden Vater nicht gegeben; auch nicht bei gleichgeschlechtlichen Partnern, die ein Kind adoptieren oder durch künstliche Befruchtung austragen lassen. Hier wird das Kind von Anfang an mit eher ungewöhnlichen Konstellationen aufgezogen, die von der Norm abweichende Vorstellungen bei dem Kind hervorrufen — auch wenn man über das, was als Norm gilt, gerne streiten kann. Es fehlt den Kindern die Bandbreite der Vorbilder, die ihnen die Möglichkeit gibt, anhand verschiedener Rollenbilder zu lernen.

Dasselbe gilt aber auch für die konservative Familienvorstellung. Hier gibt es im besten Fall genau zwei Rollenbilder, an denen das Kind sich orientieren kann: die Mutter und den Vater. Als Vorbild gibt es also genau eine Frau und genau einen Mann. Daraus leitet das Kind zunächst eine Generalisierung ab. In seiner Vorstellung sind alle Männer wie der Vater, und alle Frauen wie die Mutter. Wenn aber die Mutter depressiv oder schwer krank, der Vater ein prügelnder Säufer oder ein emotionsloser Eisklotz ist, was bedeutet das dann für das Kind?

Gerade nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, als die Väter entweder vom Krieg zerstört oder gar ganz abwesend waren, waren dies keine theoretischen Beispiele. Wie soll das Kind unter solchen Eltern sinnvolle Bindungen entwickeln, die es ihm ermöglichen, in der Welt einen festen Stand einzunehmen und in Kontakt mit anderen Menschen und sich selbst zu gehen? Auch hier ist das Trauma vorprogrammiert, und nicht selten bleibt das Kind für den Rest seines Lebens auf die eine oder andere Art beeinträchtigt.

Manchmal oder möglicherweise sogar häufig sind Eltern nicht unbedingt die Geeignetsten, um ihr Kind zu erziehen. Zu sehr sind sie dabei beeinflusst von der Nähe zu ihrem Kind — „mein eigen Fleisch und Blut“ — und werden durch damit verknüpfte Erwartungen unfähig, das Kind sich selbst entfalten zu lassen. Stattdessen versuchen sie, es nach ihren Vorstellungen zu formen. Es soll dies und jenes machen, muss schon früh drei Fremdsprachen lernen und zum Geigenunterricht, muss in der Schule gut sein und wird zur Not mit Nachhilfe gequält. Das alles findet zwar in vermeintlich bester Absicht statt, entspricht aber nicht unbedingt den Wünschen des Kindes und behindert seine Entwicklung massiv. In der Seele des Kindes lässt das Wunden zurück. Häufig versucht es auch als längst erwachsener Mensch, anderen zu gefallen und durch Leistung zu imponieren — und dieses Gefühl, nicht um seiner selbst willen geliebt zu werden, sondern sich Zuneigung „erarbeiten“ zu müssen, kann krank machen.

Das konservative Familienbild bürdet den beiden Eltern zudem die ganze Last der Daseinsvorsorge nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Kinder auf. Das führt zu ökonomischen Lasten, die, insbesondere heute, immer weniger zu bewältigen sind.

Eine Wohnung oder ein Haus muss her, dazu ein Auto, Kleidung und Nahrung für alle, und auch die Nachhilfe und der Geigenunterricht wollen bezahlt werden. Bewerkstelligt werden kann das nur durch die Lohnarbeit der Eltern, die dazu führt, dass viele Eltern den Kindern zwar materiell viel ermöglichen können, physisch und psychisch aber für das Kind kaum mehr anwesend sind. Der ökonomische, sogenannte „Wohlstand“ geht damit zulasten der psychischen Entwicklung ihrer Kinder. Auch die wenigen Wochen Urlaub im Jahr können diese Abwesenheit nicht ausgleichen.

Das konservative Familienbild ist also alles Mögliche, aber meistens nicht das Bild einer gesunden Familie. Oft bringt es seelisch verkümmerte Kinder hervor, die nach dem Willen der Eltern geformt werden, die noch dazu wenig Zeit mit ihnen verbringen können. Alle werden dabei vor große, materielle Herausforderungen gestellt, was beständig zu Stress führt, der das Familienleben belastet.

Die Familie als „Keimzelle der Gesellschaft“, wie es aus konservativen Kreisen gerne tönt, ist eher eine idyllische Vorstellung, als dass sie der Realität entspricht. Was für eine Gesellschaft geht dann aus emotional verkrüppelnden, dem Materialismus hinterherhechelnden und ihren Aufgaben nicht gewachsenen Familien hervor?

Die Antwort findet man, wenn man nur mal die Nachrichten einschaltet. Es ist eine durch und durch aus dem zerstörerischen Kapitalismus hervorgegangene, zudem noch wahllos als Bezugspunkt gewählte Vorstellung eines Ideals, das faktenwidrig zur „Tradition“ erklärt wird, weil es der Bequemlichkeit traumatisierter Menschen entgegenkommt, die den Materialismus als ihre Trauma-Überlebensstrategie gewählt haben

Warum also dieses Bild als Bezugspunkt des Konservatismus? Klar, die zuvor schon skizzierte mittelalterliche oder frühindustrielle Familienversion ist auch wenig verlockend. Aber gehen wir noch weiter zurück: in die frühe Antike oder die Prähistorie. Dort findet sich noch einmal ein ganz anderes Familienbild. Nach allen Erkenntnissen der Anthropologie und Archäologie lebte die Menschheit für eine lange Zeit in Familienverbänden, die sich als Clanfamilien bezeichnen lassen. Diese waren in Form eines Matriarchats organisiert, was nicht bedeutet, dass die Frauen das Sagen hatten, sondern nur, dass alle Abkömmlinge einer Frau, der Matriarchin, unter ihrem Dach lebten. Söhne und Töchter, Enkel und Enkelinnen lebten und arbeiteten in diesem Clanhaus und trugen damit gemeinsam zur materiellen Versorgung der Familie bei.

Fortpflanzung untereinander war natürlich nicht erlaubt, da ja alle miteinander verwandt waren. Stattdessen gabs — und gibt es auch heute noch — bei den wenigen matriarchal organisierten Gesellschaften verschiedene Konzepte, die immer darauf hinauslaufen, dass die Männer in der Regel nur zeitweise mit Frauen aus anderen Clans zusammen waren. Sie gliederten sich dabei nicht fest in deren Familien ein, sondern kamen lediglich zu Besuch, während sie weiterhin in ihren eigenen Clanhäusern lebten.

Aus den Verbindungen hervorgehende Kinder blieben bei der Mutter, wurden aber nicht von ihr alleine aufgezogen, sondern von dem gesamten Clan. Der biologische Vater nahm dabei keine besondere Rolle ein, er war nur einer von vielen, die sich um das Kind kümmerten. So etwas wie Ehen gab es, wenn überhaupt, dann nur auf Zeit. Das hielt natürlich trotzdem niemanden von einer monogamen Beziehung ab, wenn beide dies wünschten. Ansonsten bedeutete aber ein gemeinsames Kind keinen Alleinanspruch auf die Frau oder den Mann. Im Gegenteil, die Frauen hatten oft Kinder von mehreren Männern, und die Männer mit mehreren Frauen.

Hinzu kommt, dass die Frauen dabei nicht gezwungen waren, zehn oder mehr Kinder in die Welt zu setzen. Denn in den damaligen Gesellschaften war das natürliche Wissen um Vermeidung von Schwangerschaften, das später von der Kirche unterdrückt wurde, noch weit verbreitet. Frauen mussten damit nicht zu lebenslangen Gebärmaschinen werden.

Dieses Familienkonzept, das von bekannten Matriarchats- und Patriarchats-Forscherinnen wie Claudia von Werlhof oder Heide Göttner-Abendroth beschrieben wurde, hat sehr viele Vorteile. Zum einen sind alle Menschen materiell abgesichert. Der gesamte Clan sorgt dafür, dass es an nichts fehlt, und jeder bringt sich nach seinen Fähigkeiten in diesen Clan ein. Die materielle Last verteilt sich damit auf viele Schultern, und so gibt es keinen ökonomischen Druck, der die Beziehungen der Menschen untereinander vergiftet. Zum anderen haben die Kinder nicht nur zwei, sondern viele Rollenbilder. Neben der Mutter kümmern sich zahlreiche (Groß-)Tanten und (Groß-)Onkel sowie die Großeltern um die Kinder.

Oft war es sogar so, dass gerade die biologischen Eltern von der Erziehung ausgeschlossen waren, aus den oben bereits angeführten Gründen. Das Kind war damit von vielen Vater- und Mutterfiguren umgeben und hatte unterschiedlich enge Bindungen zu ihnen. Damit scheint dieses Modell viel eher den Bedürfnissen der Kinder gerecht zu werden — im Gegensatz zu dem starren Kleinfamilienbild der Konservativen. Es fördert die Entwicklung der Kinder, ohne dass die Eltern an der Last ihrer Aufgabe verzweifeln müssen. Nicht umsonst lautet ein Sprichwort: „Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen.“


HINTERGRUNDBELEUCHTUNG #2 - Patriarchats-Paranoia und feministischer Fehlschlag

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