Wahlen sind undemokratisch!

Das Politiktheater hat mit echter Politik nichts zu tun. Teil 2/2.

Der belgische Historiker David Van Reybrouck beschreibt in seiner Streitschrift „Gegen Wahlen“ eindrucksvoll, wie sehr wir alle dem Irrglauben erlegen sind, Wahlen und Demokratie seien symbiotisch miteinander verbunden. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Ein Blick in die Geschichte bis in die Antike zeigt, dass Wahlen sogar als aristokratisch galten. Van Reybrouck verfällt allerdings nicht in destruktives Meckern, sondern zeigt auf, wie eine partizipatorische, direkte und nicht-elektorale Demokratie im 21. Jahrhundert funktionieren kann.

Aktuelle Brisanz hat diese Thematik durch die zurückliegenden Landtagswahlen in Bayern und Hessen. Erstere habe ich nicht aufgesucht und mir dafür massive Kritik eingehandelt. Meine Entscheidung hat jedoch ein starkes Fundament: An dem Ort, an dem ich mich am wohlsten fühle – die Bibliothek – sprang es mich an. Es stand auf einem eigens aufgestellten Podest mit Büchern, die den Bürger zur Mündigkeit bei der anstehenden Bayernwahl verhelfen sollten.

„Gegen Wahlen – Warum Abstimmen nicht demokratisch ist“ von David Van Reybrouck.

Es schien, als sei dieses Buch extra für mich aufgestellt worden. Augenblicklich griff meine Hand danach und drehte den roten Umschlag erst mal um. Auf der Rückseite prangte lediglich ein Zitat:

„Wahlen sind heutzutage primitiv. Eine Demokratie, die sich darauf reduziert, ist dem Tode geweiht.“

Bei David Van Reybrouck handelt es sich auch um keinen Hobby-Politologen, wie mir die andere Seite des Rückumschlages mitteilte. Van Reybrouck ist Historiker, Archäologie und Ethnologe, der mit einem Buch über den Kongo bereits einen Welterfolg erlangte. Also eine durchaus valide Quelle.

Direkt lieh ich mir das Buch aus, las die 170 Seiten binnen weniger Tage durch und kam dabei aus dem Staunen nicht mehr heraus! Das kleine Handbuch des belgischen Historikers ist eine regelrechte Nicht-Wähler-Bibel. Trotz der stellenweise kecken Schreibweise, ist das Buch sehr gut mit Quellen belegt und mit aufschlussreichen Zitaten von Rousseau über Montesquieu bis zu heutigen Politikwissenschaftlern angereichert. Anschauliche Abbildungen geben dem Leser eine gute Übersicht über die beschriebenen alten und neuen – unerprobten – Modelle einer Demokratie.

Zu Beginn beschreibt Van Reybrouck das zu beobachtende Erodieren dessen, was wir heute als Demokratie bezeichnen. Wohlgemerkt – das Buch ist von 2013! Dieser Vorgang hat sich mittlerweile massiv verschärft!

Als Hauptschuldigen macht er das elektoral-repräsentative Demokratie-System aus. Dieses führe dazu, dass die Bevölkerung es nicht mehr vermag, Wahlen und Demokratie getrennt zu betrachten, beziehungsweise dem Irrglauben erliegt, beides sei symbiotisch miteinander verwachsen. Wir alle seien zu „Wahlfundamentalisten“ geworden, die außerhalb der Wahlbox gar nicht mehr denken könnten. Sie, die Wahlfundamentalisten, benähmen sich beinahe schizophren.

Einerseits vergöttern sie die Wahlen, gleichzeitig verteufeln sie die gewählten Repräsentanten. Parteien, die ursprünglich dazu gedacht waren, Einigkeit zu schaffen, gerieten im Laufe der Jahrzehnte zunehmend in einen immer stärker werdenden Konkurrenzkampf, bei dem es nur noch darum geht, alle vier Jahre das Vertrauen und die Legitimität der Wähler zu „tanken“, um in der darauffolgenden Legislaturperiode wieder völlige Narrenfreiheit zu genießen.

Sorry, verwählt!

Das Wahlspektakel, der Wahlkampf also, ist der nächste gewichtige Punkt. Ein enormer Energieaufwand für im Endeffekt gar nichts! Wir kennen die Narzissmus-Orgien von Obama und Trump zur Genüge. Die schwindelerregenden Summen, die in den US-amerikanischen Wahlkampf gepumpt werden. Die politischen Schlammschlachten in England. Oder die Modelinszenierungen der FDP-Politiker und die inhaltslosen Talkshows hierzulande. Aber was hat das noch mit der Politik – oder genauer gesagt – mit der Policy, also den Inhalten und Zielsetzungen für die Gesellschaft zu tun? Gar nichts! Der Wähler wird entertaint und verkommt zu einem Popcorn-schaufelnden Konsumenten eines auf Daily-Soaps-Niveau inszenierten Wahlkampfes.

An dieser Stelle kam mir ein Text aus der Uni von Herfried Münkler über die „Theatralisierung der Politik“ wieder in den Sinn. Dieser Text zeigte mir damals, was ich schon länger vermutete: Dass meine beiden Studienfächer Politikwissenschaften und Theater- und Medienwissenschaften eng miteinander verwoben sind. Verbindet man die Erkenntnisse Münklers mit denen von Van Reybrouck, ergibt sich ein Gesamtbild, welches wirklich erzürnen kann, da man erkennt, für wie blöde der Komplex aus Theaterinszenierung und „Politik“ den Wähler verkaufen möchte.

Es geht darum, ein politisches Theater aufzuführen, welches die Bevölkerung sowohl unterhalten und gleichzeitig ruhigstellen soll. Banalitäten und das Privatleben von Politikern sollen damit in den Vordergrund, die wesentlichen Entscheidungen in den Hintergrund gerückt werden. Münkler spricht davon, dass sich political interests in human interests verwandeln. Ein Herrscher, der diese Methoden schon sehr früh erkannte und für sich nutzte, war Kaiser Augustus. Dieses Muster ist somit keineswegs neu.

Die Politiker nehmen bei diesem Theater unterschiedliche Rollen ein: Der tugendhafte Familienvater, der nachdenkliche Leser, der gewiefte Businessman, der vorbildliche Öko, der traditionsbewusste Konservative und so weiter. Somit reicht es in diesem politischen System nicht, ein guter Politiker zu sein. Nein! Man muss zudem über gute schauspielerische Fähigkeiten verfügen.

Aber sollte Schauspielern nicht der Job von Schauspielern sein und nicht der von Politikern?

Somit reduziert sich das, was wir als Demokratie bezeichnen, auf die Inszenierung, die Simulation einer Demokratie, die sich auf einer Bühne abspielt, während im Hintergrund – um es frei mit den Worten von Prof. Rainer Mausfeld zu sagen – die Zentren der ausführenden Macht unsichtbar bleiben.

„Der Begriff des politischen Theaters erhielt damit ein Bedeutungsfeld (…): die Erzeugung schönen Scheins, der ablenken sollte von dem, was tatsächlich der Fall war.“ (1)

Dieses politische Theater und damit der Graben zwischen dem Volk als Zuschauerschaft und den Politikern als Schauspielern sei nur durch deliberative Politik zu überwinden. Hier sind sich Van Reybrouck und Münkler einig. Dies muss natürlich System haben, da es andernfalls im völligen Chaos enden würde. Doch wie kann ein solches System aussehen? Und wie könnte ein solches System funktionieren? Noch immer mit Wahlen?

Wahlen sind nicht demokratisch!

Oha! Wahlen sind nicht demokratisch? Welcher Verschwörungstheoretiker hat sich denn diesen Unfug ausgedacht? Wir alle kennen diesen Aluhutträger unter dem Namen „Aristoteles“.

Und was sei nach Aristoteles dann demokratisch? Das Los! Das Losverfahren! Das Los spielt in van Reybroucks Buch eine zentrale Rolle. Es ist das wesentliche Instrument, eines der Hauptwerkzeuge im demokratischen Werkzeugkasten.

Im antiken Griechenland sorgte das Losverfahren dafür, dass willkürlich gewählte Bürger den Rat der 500, das Volksgericht und die Magistratur besetzten. Peinliche, egoistische und narzisstische Wahlkämpfe blieben somit aus. Stattdessen arbeiteten Bürger politisch für andere Bürger. Dabei wurde der aristotelische Grundsatz des wechselseitigen Regieren und regiert werden befolgt. Später sollte Montesquieu ergänzend feststellen:

„Sie (die Wahlform der Auslosung) lässt jedem Bürger eine begründete Hoffnung, seinem Vaterland dienen zu können. (...) In jeder wahren Demokratie ist ein Amt (...) kein Vorteil, sondern eine drückende Last, die man gerechterweise nicht dem einen mehr als dem anderen auferlegen darf. Nur das Gesetz kann sie dem auferlegen, auf den das Los fällt.“ (2)

Ist das Losverfahren damit das Allerheilmittel, welches wir einfach nur wieder einführen müssen? Nein. Also doch Wahlen? Nein! Diese galten bis ins 18. Jahrhundert sogar als aristokratisch. Die Antwort lautet: beides! Eine hybride Form aus Losung und Wahlen. Würde man nur losen, würde dies zur Unfähigkeit führen, da durch die willkürliche Auswahl das nötige Know-How der Entscheidungsträger fehlen würde. Wählt man nur – so wie das heute der Fall ist –, führt dies zur Ohnmacht, da der Wähler, wie oben beschrieben, einen „kompetenten“ Repräsentanten in der Hoffnung wählt, dass dieser im Falle der Regierungsteilnahme den Wählerauftrag auch wirklich durchführt. Hierzu Rousseau:

„Wenn Wahl und Los gemischt werden, muss erstere dazu dienen, Stellen zu besetzen, die besondere Fähigkeiten verlangen, zum Beispiel militärische Posten. Das Los eignet sich dagegen bei Stellen, wo gesunder Menschenverstand, Gerechtigkeitssinn und Redlichkeit ausreichen, wie bei richterlichen Ämtern.“ (3)

Das Mischsystem erwies sich insbesondere bei den Venezianern und den Florentinern als äußerst systemstabilisierend und konnte sich in San Marino sogar bis in 20. Jahrhundert halten.

Mit der jüngeren Menschheitsgeschichte geriet dieses System natürlich an die Grenzen seiner Realisierbarkeit. Die Weltbevölkerung hatte sich seit der Antike vervielfacht. Gleichzeitig war ein beachtlicher Teil der Bevölkerung nicht registriert, was eine Losung unmöglich machte. Gleichzeitig wurden immer weitere Gebiete – insbesondere auf dem neuen Kontinent – erschlossen, wodurch aufgrund der räumlichen Distanz Volksversammlungen nur noch durch Vertretung möglich waren.

Somit etablierte sich in Europa sowie in Übersee die Idee der Repräsentation. Diese Wahl war jedoch äußert exklusiv und schloss Frauen, Sklaven und Ureinwohner von Vornherein aus. Auch wurde das passive Wahlrecht nach den Kriterien Bildung und Reichtum beschnitten. Zu erwähnen sei hier der britische Politologe Edmund Burke, der im 18. Jahrhundert darauf insistierte, dass höhere Ämter nur von herausragend fähigen Bürgern besetzt werden dürften. Eine willkürliche Losung schloss er kategorisch aus. Eine Demokratie sei nach ihm keine Lotterie. Und so haben wir heute das, was Rousseau eine Wahlaristokratie nannte.

Deliberative Projekte

Wie lässt sich nun dieser demokratische Dinosaurier wieder ausbuddeln und wiederbeleben? Das Stichwort lautet: Deliberative Projekte. Das bedeutet, dass Bürger sich intensiv mit der Gesetzes- und der Verfassungsmaterie befassen und gemeinsam Veränderungen oder sogar eine gänzlich neue Gesetzesnovelle entwerfen.

Van Reybrouck beschreibt in seinem Buch, wie erfolgreich solche Projekte verlaufen können und wie niederschmetternd es für die Beteiligten ist, wenn diese Projekte von der System-Presse ignoriert, schlimmstenfalls diffamiert oder am Ende von der Regierung einfach abgelehnt werden.

Natürlich stellt sich die Frage, wie solche Projekte überhaupt zustande kommen. Man kann ja schließlich in der heutigen, individualisierten Gesellschaft nicht einfach per Losverfahren willkürlich irgendwelche Bürger, die fest in Leben, Lohn und Brot stehen, dazu verpflichten, mehrere Monate oder bis zu einem Jahr ihren Job, ihre Familie und Freunde stehen zu lassen, um wider Willen Politik zu betreiben. Würde man umgekehrt diese Stellen einfach ausschreiben, sodass sich engagierte Bürger darauf bewerben können, würde sich wieder eine Elite aus gut situierten Wohlstandsbürgern hervorschälen. Von Diversität und adäquater Repräsentation aller Bevölkerungsschichten wäre dann keine Rede.

Auch hier liegt die Lösung erneut in einer hybriden Form, der multi-body-sortition. Diesmal eine Mischung aus Losung und freiwilliger Bewerbung, bestehend aus insgesamt sechs Instanzen. Drei von diesen stellen eine themenbezogene Agenda für die Gesetzgebung auf, schlagen themenbezogene Gesetzgebungen vor und erarbeiten zusammen mit Experten Gesetzesvorschläge. Auf diese drei Instanzen kann man sich freiwillig bewerben oder sich freiwillig auslosen lassen.

Um die Diversität zu garantieren, wird die Gesetzesabstimmung der Entscheidung der vierten Instanz unterstellt, der Policy Jury. Diese besteht aus 400 ausgelosten Bürgern. Bei der Auslosung werden das Alter, das Geschlecht und andere gesellschaftliche Kriterien berücksichtigt, um ein möglichst repräsentatives Abbild der Gesellschaft zu generieren. Die Abstimmung dauert nur wenige Tage, sämtliche finanziellen Aufwände werden entschädigt – aber die Teilnahme ist dann für alle ausgelosten Bürger gesetzlich bindend!

Die Besetzung des Ruels Council, welches die Regeln und die Verfahren der gesetzgebenden Arbeit vorgibt, sowie die des Oversight Council wird wieder unter Freiwilligen gelost. Damit Sie, lieber Leser, sich das besser vorstellen können, finden Sie hier eine übersichtliche Abbildung dieses Systems.

Erkenntnisgewinn Nummer 1: Deliberative Projekte sind möglich! Und Erkenntnisgewinn Nummer 2: Sie sind imstande, Lobbyismus auszutrocknen!

Während des Ablaufes eines deliberativen Projektes kann einem waschechten Basisdemokraten nur das Herz aufgehen. Am liebsten würde man da unseren ehemaligen Bundespräsident Joachim Gauck – „Die Eliten sind gar nicht das Problem. Die Bevölkerungen sind […] das Problem“ – an den Ohrlöffeln packen und ihn mal zu so einem Projekt mitschleifen. Dort würde er wahrlich Erstaunliches erblicken!

Bei deliberativen Convents wie dem von James Fishkin während der Clinton-Wahl 1996 wurde bewiesen, dass einfache Bürger imstande waren, sich in komplexe Materie einzuarbeiten und auf dieser Grundlage im harmonischen, respektvollen und humorvollen Umgang miteinander konstruktive Lösungen zu erarbeiten. Es entsteht eine wahrhaftig öffentliche Stimme. Bei deliberativen Projekten stimmen Bürger – anders als bei einem Referendum – über einen Sachverhalt ab, mit dem sie sich auch wirklich intensiv und ausgewogen auseinandergesetzt haben.

Das Argument, direkte Demokratie sei aufgrund der räumlichen Ausdehnung nicht mehr möglich und es müsse daher Repräsentation geben, konnte durch ein deliberatives Projekt in Island entkräftet werden. Bei diesem Projekt ging es um einen neuen Verfassungsentwurf. Von 522 freiwilligen Bewerbern wurden 25 Bürger gewählt, die einen neuen Verfassungsentwurf erarbeiteten. Die Erarbeitung wurde dokumentiert und eine wöchentlich aktualisierte Version der Verfassung auf Facebook und Twitter gepostet. So konnte sie von der gesamten Bevölkerung eingesehen werden.

Diese konnte daraufhin eigene Vorschläge in den Kommentarspalten einbringen, die dann wiederum im Plenum der 25 Bürger besprochen und gegebenenfalls in den Entwurf eingebaut wurden. So entstand eine neue Verfassung durch crowdsourcing. Dies ist besonders bemerkenswert, da online-basiertes crowdsourcing die räumliche Überwindung ermöglicht, die in den letzten Jahrhunderten eine Volksversammlung wie im kleinen Stadtstaat Athen nicht zustande kommen lassen konnte. Die neuen Medien, beziehungsweise die neuen Kommunikationsmittel, ermöglichen damit ein Cyber-Agora.

Auch bewiesen deliberative Projekte, dass sie selbst tiefste gesellschaftliche Spaltungen zu überwinden vermögen. Dies ist insbesondere in Zeiten des Chemnitz-Spaltpilzes interessant, wenn sich die als moralisch überlegen wähnenden #wirsindmehr-Gutmenschen und die als Nazis stigmatisierten Globalisierungsverlierer verbal und physisch an die Gurgel gehen. Ein deliberativer Konvent mit Teilnehmern von Stadt XY ist bunt und PEGIDA – das wäre doch mal spannend! Was da wohl rauskommen würde? Wahrscheinlich etwas Konstruktiveres als die gebrüllte Forderung an die Gegenseite, abzuhauen.

Nicht nur der gesellschaftlichen, sondern auch der Spaltung zwischen dem Volk und ‚denen da oben‘, also Politikern und Finanzeliten, kann durch deliberative Projekte Abhilfe verschafft werden. Wie bereits beschrieben, rümpfen Medien und gewählte Politiker üblicherweise die Nase, wenn das gemeine Fußvolk sich erdreistet, sich außerhalb des Wahlkampfes in die Regierungsangelegenheiten einzumischen. Das liegt natürlich auch daran, dass sie bei Einschnitten in ihr „top-down“ elektoral-repräsentatives Demokratiesystem an Macht verlieren würden, wenn an dessen Stellen ein von der Zivilgesellschaft kontrolliertes „button-up“ System treten würde.

In Irland hingegen bewies man mit der convention of the constitution, bestehend aus 66 Bürgern und 33 Politikern, dass es auch anders geht. Hier war kein medialer Graben zwischen Politiker und Volk geschaltet. Beide Gruppen traten sich vis-à-vis gegenüber und verloren zunächst Berührungsängste, dann Vorurteile und irgendwann entstand ein produktiver Dialog zwischen Regierenden und Regierten.

Hier findet somit eine Enttheatralisierung der Politik statt. Die Politiker müssen in so einer Situation keine Schauspieler mehr sein, keine Rollen mehr verkörpern. Sie begegnen der Bevölkerung als Mensch. Und wenn das ganze Theater obsolet wird und wegfällt, tritt das in den Vordergrund, was in den ganzen Wahlkämpfen stets unter den mit Polit-Skandalen gedeckten Tisch fällt: Politik!

Das Merkmal gut gemachter Politik: Sie ist staubtrocken und langweilig!

Das alles waren lediglich kleine Versuchsmodelle, die kaum bis überhaupt keinen Einfluss auf die reale Politik hatten. Obwohl die jeweiligen Regierungen diese Projekte teilweise mit Millionenbeträgen finanzierten. Damit deliberative Projekte auch wirklich ihre Wirkung erzielen können, müssen sie institutionalisiert werden. Etwa durch die Ergänzung der Parlamente – welche in den meisten Fällen zwei Kammern haben – durch eine dritte Kammer, in welcher ausgeloste Bürger ein Mitspracherecht erhalten.

Das sind natürlich alles sehr schöne Alternativen, nur leider ist das Ganze nicht zu Ende gedacht. Wir dürfen nämlich die Rechnung mit diesen durchaus brauchbaren und unter realistischen Umständen erprobten Modellen nicht ohne denjenigen machen, der an dieser Re-Demokratisierung überhaupt kein Interesse hat und der auch maßgeblich dafür verantwortlich ist, dass unsere Demokratie keine Demokratie ist: Der Tiefe Staat.

Dieser gewichtige Faktor wird in Van Reybroucks Buch kaum bis gar nicht berücksichtigt. Wir dürfen nicht vergessen, dass einige mächtige Akteure alles dagegen tun werden, dass die demokratische Mehrheit ihnen das Steuer aus der Hand reißt. Direkte, partizipatorische und nicht-elektorale Demokratie kann man sich im politischen Theater eben nicht an der Snack-Theke im Foyer kaufen. Sie muss mit kreativen, unermüdlichen und konsequenten Maßnahmen erfochten werden. Das geht aber nicht, wenn man sich gemütlich in den roten Theatersessel fläzt. Nein: Dafür muss man zum Beispiel #aufstehen (4).


Quellen und Anmerkungen:

(1) Siehe Münkler, Herfried (2001): Die Theatralisierung der Politik, S. 147
(2) Siehe Van Reybrouck, Daniel (2013): Gegen Wahlen – Warum Abstimmen nicht demokratisch ist, S. 83-85
(3) Vgl. ebd.: S. 84-85
(4) https://www.aufstehen.de/