Wächter der alten Ordnung
Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler und der EU-Politiker Josep Borrell, typische Vertreter westlicher Doppelmoral, sperren sich gegen jede globale Veränderung.
Imperien sind Herrschaftsgebilde, sie signalisieren Macht und Einfluss auch nach außen. Es gehört ein gutes Stück Selbstüberhebung dazu, Imperien zu rechtfertigen, wie es Herfried Münkler und Josep Borrell argumentativ versuchen. Interessant ist dabei, zu beobachten, wie beide den Herrschaftsanspruch der eigenen Hemisphäre moralisch reinzuwaschen versuchen, während sie gleichzeitig Machtansprüche anderer Akteure verurteilen. Diese Doppelmoral wird im Folgenden an einer Reihe von Beispielen deutlich gemacht.
Außerdem erinnert mich das Wirken der beiden Männer an einen Begriff, den ich erstmalig bei dem russischen Politologen Alexander Dugin las: Ethnozentrismus. Damit erklärt man eine ausgesprochen egomane Ideologie. Im Eurozentrismus erfährt der Ethnozentrismus seine spezielle, eben europäische Ausprägung. Danach feiert sich das EU-Europa als Nabel menschlicher Kultur und Zivilisation, womit man meint, es sich leisten zu können, anderen „Werte“ zu lehren und andere Völker „auf den rechten Weg“ zu führen. Dugin wörtlich:
„Bei allem Postmodernismus, bei aller Toleranz: Sie im Westen kommen nicht mit dem Problem des Anderen (sprich dessen faktischer Existenz) zurecht. Für Sie ist der Andere immer etwas Negatives — oder dasselbe wie Sie. Sie finden einfach nicht den Schlüssel zum philosophischen Problem des Anderen [also dass es ihn überhaupt gibt]. Sie versuchen, uns zu belehren, wie irgendein Problem zu lösen ist, ohne dass Sie es selbst gelöst haben.“ (1),
um fortzufahren:
„Das war schon immer so: in der Kolonialzeit, in der Zeit der großen geografischen Entdeckungen, in der Epoche des europäischen Nationalismus, der Zeit des Westfälischen Friedens, der Epoche der britischen Kolonialeroberungen, unter Hitler und in der Zeit des Liberalismus [der Gegenwart]. Edmund Husserl (...) schrieb über die „europäische Menschheit“: „Wer so spricht, schafft die Basis für den Ethnozentrismus [die eigene Ethnie ist die einzig wahre], weil für ihn das „Europäische“ und das „Menschliche“ ein und dasselbe sind.“ (1i)
Eine ethnozentrische Ideologie kann in ihrer Überhebung rasch faschistische Züge annehmen.
Herfried Münkler
Vorab: Die folgende Personalie findet aus Sicht des Autors ihre Entsprechung in anderen Fachgebieten bei Leuten wie zum Beispiel Karl Lauterbach, Hajo Zeeb, Christian Drosten und Marcus Keupp. Und entsprechend wird diese Person auch von Politik und Medien über die Maßen hofiert.
Was man Russland stets vorwirft — imperiale Ansprüche —, nehmen Vordenker im „Wertewesten“ ohne Scheu für die eigenen Gesellschaften in Anspruch.
Da es im Inland wie im Ausland natürlich Verlierer einer solchen Ordnung gibt (siehe Nullsummenspiel), plädiert Herfried Münkler, Professor für politische Theorie an der Humboldt-Universität Berlin, folgerichtig für
„die Herstellung von imperialer Ordnung zwecks Absicherung von Wohlstandszonen an den Rändern. In diesem Modell gibt es zentrale Regionen, die müssen inkludiert, also territorial kontrolliert werden — das ist zum Beispiel die Golfregion.“ (2)
Offen wird von ihm seit Langem eine aggressive Einmischung in die Politik anderer Staaten, eine Interventionspolitik Marke „Einzigartiger Westen gegen den Rest der Welt“ propagiert:
„Der Zwang zu einer zunehmenden Politik der Intervention ist auch die Reaktion auf die Konsequenzen der Globalisierung an der Peripherie. Es bleibt die Frage, ob es gelingt, die zentralen Bereiche in die Wohlstandszonen zu inkludieren, also in der Fläche Ordnung herzustellen, und den Rest zu exkludieren. Es steht aber außer Frage, dass an diesen neuen ‚imperialen Barbarengrenzen‘ der Krieg endemisch wird, nämlich in Form von Pazifizierungskrieg aus dem Zentrum in die Peripherie hinein und in Form von Verwüstungskrieg aus der Peripherie ins Zentrum.“ (2i)
Die Frage, „ob Europa überhaupt die Möglichkeit hat, dem Zwang zur Imperialität zu entgehen,“ — in Anlehnung an das Defence Paper, die Frage, ob „Postmodernismus in einer Region wirklich funktionieren kann“, beantwortet sich mit solchen Analysen natürlich wie von selbst :
„Irgendwann muss — und wird — Schluss mit der Erweiterung zu Bedingungen der Vollintegration sein. (...) Dann entstehen an den Grenzen Europas jene Gefällestrukturen, die typisch sind für imperiale Machtformen. Deshalb werden wir lernen müssen, die Kategorie des Imperiums in Zukunft (...) vielmehr als eine alternative Ordnungskategorie des Politischen, nämlich als Alternative zur Form des Territorialstaates (zu denken).“ (3)
Merken wir auf: Globale Machtansprüche mögen keine souveränen Territorialstaaten. Das Defence Paper — vollständiger Titel: „Europäische Verteidigung: Ein Vorschlag für ein Weißbuch“ — wurde bereits im Jahre 2004 von der EU-eigenen Denkfabrik Institute for Security Studies (ISS) verfasst und präsentiert verschiedene militärische Einsatzoptionen im Ausland, für deren Umsetzung die EU bereits im Jahre 2010 in der Lage sein sollte (2ii).
Erinnern wir uns an die Worte Alexander Dugins eingangs dieses Artikels. Nach dem Münkler mit großer Selbstverständlichkeit die Besitzstandswahrung und -erweiterung des „eigenen Imperiums“ vertreten hat, projiziert er dieses Bild nun auf Russland. Es gibt da ein Sprichwort: „Was ich selber gerne tu, trau ich auch den andern zu“:
„Die Russen haben in ihrer Geschichte eigentlich nichts anderes als imperiales Agieren kennen gelernt. Sie konnten deswegen keine funktionierende Zivilgesellschaft ausbilden. Und auch nie abwägen zwischen individueller Freiheit plus einem gewissen materiellen Wohlergehen auf der einen Seite und Opfer plus nationalem Stolz auf der anderen Seite.“ (4)
Und so, wie Münkler die über seinen Ethnozentrismus legitimierten Interventionen — man denke an Jugoslawien, Afghanistan, den Irak, Libyen und Syrien — rechtfertigt, ermahnt er „die Barbaren“, das Verbot von Angriffskriegen zu beachten:
„Die Idee des Pazifismus, wie sie seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts in internationale Vertragssysteme überführt worden sei, beruhe auf dem Verbot des Angriffskriegs, sagt Münkler. Die Verteidigung gegen einen Aggressor bleibe selbstverständlich zulässig.“ (5)
Und so beschmierte Münkler Sarah Wagenknechts Friedensmanifest vom Februar 2023:
„Das ‚Manifest‘ nivelliere aber fortgesetzt die Kategorien von Angriff und Verteidigung. ‚Pazifismus ist dann nicht anderes als Unterwerfungsbereitschaft. Das war er eigentlich nie, und was wir in diesem Papier vorgeführt bekommen, ist das Ende einer politisch ernstzunehmenden Friedensbewegung.‘“ (5i)
Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler ist ein intellektueller Bellizist vor dem Herrn. In einem Interview mit dem Stern forderte er: „Europa muss atomare Fähigkeiten aufbauen“, um „Litauen oder Polen zu schützen“.
Man sei nur dann unangreifbar, wenn man „bis an die Zähne bewaffnet“ sei. „Wir brauchen einen gemeinsamen Koffer mit rotem Knopf, der zwischen großen EU-Ländern wandert“ (6). Womit er übrigens ganz auf der Wellenlänge des olivgrünen Ex-Außenministers und Kriegstreibers Joschka Fischer liegt (7). Natürlich ist ein Anspruch auf Atomwaffen nur für Staaten des moralisch überlegenen Wertewestens legitim. Der Rassismus, der Eurozentrismus sprießt Münkler aus allen Knopflöchern — „wir sind die Guten“, „draußen ist der Dschungel“:
„Die Notwendigkeit einer nuklearen Abschreckung, um potenzielle Feinde in Schach zu halten, sieht Münkler auch in anderen Weltregionen abseits von Europa: ‚Das ist der Grund, warum auch die iranischen Mullahs die Bombe haben wollen. Und wenn die sie haben, will Saudi-Arabien auch eine. Und als Nächstes kämen die Türken. Putins Ukraine-Krieg hat die Politik der Nichtverbreitung von Atomwaffen desavouiert.‘“ (6i)
Nur: Putin — richtiger ausgedrückt Russland — hat den Atomwaffensperrvertrag überhaupt nicht „desavouiert“. Das ist nichts weiter als eine unbelegte, willkürlich aufgestellte Münkler-These. Kleine Randfrage: Warum laden eigentlich deutsche Freimaurer solch einen Ethnozentristen und Kriegstreiber zu einer Veranstaltung „zur Gestaltung eines gleichberechtigten Miteinander“ ein (8)?
In der Vergangenheit faselte ein Herfried Münkler vom „Zwang zu einer zunehmenden Politik der Intervention“, um „Wohlstandszonen zu inkludieren“. Und meinte damit den der, von ihm vertretenen, „Wertegemeinschaft“ auferlegten Zwang. Und als er von „imperialen Barbarengrenzen“ sprach, sah er sich ganz bestimmt nicht auf der Seite der „Barbaren“ (2iii). Vielleicht spiegelt ja Münkler nur seinen eigenen Phantomschmerz, wenn er nun behauptet:
„Eine Niederlage der Ukraine würde vermutlich zur Folge haben, dass die Kremlführung zum Ergebnis kommt, wir haben hier die Blaupause, die uns in die Lage versetzt, unseren imperialen Phantomschmerz zu stillen, indem wir das Imperium — sei es nun nach Zarengrenzen bemessen oder an denen der Sowjetunion — wiederherstellen.“ (9)
Die Externalisierung des Bösen in der selbstgerechten Inkarnation des Guten, das ist es, was die Verfasstheit von Schreibtischkriegern wie Herfried Münkler ausmacht (9i).
Kommen wir nun zu einem Bruder im Geiste Herfried Münklers, der im April 2024 prophezeite: „Ein Krieg droht mit Sicherheit um uns herum (...)“, sprich an Münklers Grenzen der „Wohlstandszonen“, dort wo die „Barbaren angrenzen“ (10). Die Rede ist von einem hochrangigen EU-Politiker, der so tut, als würden uns die Kriege von außen aufgezwungen. Kriege, die in Wirklichkeit von EU-Staaten aktiv befeuert und eskaliert werden. Ein Funktionär, der mit seinen wahnhaften Stellungnahmen dazu beiträgt, die Bevölkerung der EU-Staaten immer tiefer in schmutzige Kriege zu ziehen.
Josep Borrell
Josep Borrell, der Außenbeauftragte der EU-Kommission, macht immer wieder durch auffällige Zitate von sich reden. Im Oktober 2022 war es die Aussage, die EU gleiche einem Garten und der Rest der Welt einem Dschungel; und nun sagte er:
„Wir leben in einem perfekten Sturm, und um diesen Sturm zu navigieren, können wir die Routen und Karten der Vergangenheit nicht gebrauchen. Wie die Entdecker und Konquistadoren müssen wir eine neue Welt erfinden. Und wir müssen unseren strategischen Kompass neu kalibrieren und uns dabei der Geschichte bewusst werden, um das Ausmaß der Veränderungen zu verstehen, vor denen wir stehen.“ (11)
Der Spanier Borrell scheint recht stolz auf die imperiale Vergangenheit der eigenen, spanischen Geschichte zu sein, wenn er die Konquistadoren zur „Neuerfindung der Welt“ heranzieht. Jene Konquistadoren, die als blutige Eroberer Amerikas die dort lebenden Völker niedermetzelten, um sich der Reichtümer des neu entdeckten Kontinents zu bedienen.
Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Marija Sacharowa, kommentierte das auf ihrem Telegram-Kanal:
Borrell hätte es nicht besser sagen können: Das wohlhabendste System, das in Europa geschaffen wurde, hat sich von seinen Wurzeln in den Kolonien ernährt, die es erbarmungslos unterdrückt hat. Es war diese Logik der Segregation und die Philosophie der Überlegenheit, die die Grundlage für den Faschismus bildete. (12)
Mit der „Philosophie der Überlegenheit“ ist der von Dugin erwähnte europäische Ethnozentrismus (siehe ganz oben) treffend beschrieben.
Anlässlich der Eröffnung der europäischen diplomatischen Akademie in Belgien zog er in einer Rede zur Thematik einen demaskierenden Vergleich: Nach Ansicht Borrells sei die EU ein Garten — und der Rest der Welt ein Dschungel, um den man sich kümmern müsse. Andernfalls drohe dieser den Garten zu „überwuchern“. Wörtlich sagte er:
„Brügge ist hier ein gutes Beispiel für den europäischen Garten. Ja, Europa ist ein Garten. Wir haben einen Garten gebaut. Alles funktioniert. Es ist die beste Kombination aus politischer Freiheit, wirtschaftlichem Wohlstand und sozialem Zusammenhalt, die die Menschheit je erschaffen konnte — diese drei Dinge zusammen.“ (13, 14)
In Bezug auf den „Rest der Welt“ erklärte Borrell:
„Der Rest der Welt (...) ist nicht gerade ein Garten. Der größte Teil der übrigen Welt ist ein Dschungel, und der Dschungel könnte in den Garten eindringen. Die Gärtner sollten sich darum kümmern, aber sie werden den Garten nicht durch den Bau von Mauern schützen. Ein schöner kleiner Garten, der von hohen Mauern umgeben ist, um das Eindringen des Dschungels zu verhindern, wird keine Lösung sein. Denn der Dschungel hat eine starke Wachstumskapazität, und die Mauer wird nie hoch genug sein, um den Garten zu schützen.“ (14i)
Der Gärtner müsse „in den Dschungel gehen“, so Borrell weiter, die Europäer müssten sich dementsprechend viel stärker für den Rest der Welt engagieren.
„Andernfalls wird der Rest der Welt in uns eindringen, und zwar auf unterschiedliche Art und Weise.“ (14ii, 15)
Dieses Dschungelbild bestätigte Borrell, als er zwei Monate später die wachsenden Sympathien afrikanischer Staaten für Russland mit mangelhafter Bildung der dortigen Bevölkerung erklärte:
„Nun, man kann davon ausgehen, dass diese Leute nicht wissen, wo der Donbass liegt. Vielleicht wissen sie nicht einmal, wer Putin ist.“ (16)
Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Marija Sacharowa, griff Borrell für seine Äußerungen erneut scharf an:
„Ein Gärtner, der sich als Hoher Vertreter der EU für Außenpolitik ausgibt, bezweifelt, dass die Menschen auf dem Balkan und in Afrika wissen, wo der Donbass liegt und wer Putin ist. Josep, miss die Menschen nicht an deinen eigenen Maßstäben. Die Degradierung des kollektiven Westens führt nicht zu den gleichen Prozessen in anderen Ländern. Ich möchte daran erinnern, dass zum Beispiel die deutsche Außenministerin meint, die Entfernung zwischen den Ländern betrage Hunderttausende von Kilometern, dass die britische Premierministerin die Ostsee nicht vom Schwarzen Meer unterscheiden kann, dass die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Wuhan und nicht die Ukraine lobt, und dass der US-Präsident Kambodscha mit Kolumbien verwechselt.“ (17)
Es sagt viel über die Agenda der Europäischen Union, wenn ihr Außenbeauftragter sich einem ungeschminkten Kriegsmodus hingibt. Sich parteiisch, ja geradezu eifernd in einen Krieg einmischt, der Nicht-EU-Staaten betrifft. Bezeichnenderweise nach der PsyOp Butscha und dem Abbruch der russisch-ukrainischen Verhandlungen über einen Waffenstillstand tönte Borrell: „Dieser Krieg wird auf dem Schlachtfeld gewonnen werden“ (18, 19).
Moralisten und Sanktionierer
Wer so abgehoben drauf, so eingebildet von sich und seiner tragenden Rolle ist, wie das für Münkler und Borrell gilt, der ist auch kaltherzig genug, zu entscheiden, wer von „den Barbaren“ hungern muss und wer nicht. Unfassbar, was für eine moralische Keule Borrell schwang, als er vom Hunger betroffene Afrikaner zwischen „Hunger und Menschenwürde“ wählen ließ:
„Durch die kostenlose Entgegennahme von russischem Getreide gebt Ihr Eure Unabhängigkeit auf. Sie („die Russen“) versuchen, die Sklaverei in einem freien Land wiederzubeleben, um Euch in die Knie zu zwingen. Ihr müsst zwischen Hunger und Menschenwürde wählen.“ (20)
Borrell hat die obige Aussage, so wie auch andere zuvor, später von seiner Webseite entfernt (21). Noch einmal Borrell:
„Während die Welt mit Versorgungsengpässen und höheren Preisen zu kämpfen hat, wendet sich Russland nun an gefährdete Länder mit bilateralen Angeboten für Getreidelieferungen zu ermäßigten Preisen und gibt vor, ein Problem zu lösen, das es selbst geschaffen hat. (...) Dies ist eine zynische Politik, bei der Lebensmittel absichtlich als Waffe eingesetzt werden, um neue Abhängigkeiten zu schaffen, indem wirtschaftliche Anfälligkeiten und die weltweite Ernährungsunsicherheit verschärft werden.“ (22, 23)
Auf einer nach oben offenen Skala kennt die Verlogenheit führender EU-Politiker offensichtlich keine Grenzen. Denn sie selbst sind es, die mit ihrer ungezügelten Sanktionspolitik Staaten zu erpressen suchen. In Syrien ist es soweit gekommen (24), dass dort nun große Teile der Bevölkerung an Hunger leiden (25). Doch da versiegen sie schnell, die Krokodilstränen der EU-Offiziellen. Und genau das ist imperiales Denken und Handeln in Reinkultur, „Bestrafen von Barbaren“, frei nach Münkler (siehe weiter oben) an der „Peripherie der Wohlstandszonen“.
Ein jüngeres Beispiel war die Reaktion der EU auf die Putsche in afrikanischen Staaten. Sofort wurde wieder mit der Keule von Sanktionen hantiert, um „korrigierend“ eingreifen zu können. Die EU-Außenminister diskutierten, wie man seine „Interessen und Ziele in der Subregion“ am besten schützen könne. „Wir dürfen die Region nicht (...) Drittstaaten wie China oder Russland überlassen“, tönte es. Was schert es da schon die, im wahrsten Sinne des Wortes Imperialisten, dass Hilfsorganisationen Alarm schlugen, weil dringend benötigte Nahrungsmittel in dem vom Hunger geplagten Land nicht die Notleidenden erreichten (26).
Was sie, die EU-Ethnozentristen, dabei gerade im Kontext des Ukraine-Konflikts stets verschweigen, ist die Tatsache, dass Russland echte Hilfe anbot, um Getreide an Bedürftige in Afrika zu liefern. Echte Hilfe fordert keine Gegenleistung und stellt keine Bedingungen. Das ist eher die Sache von Imperien.
Weitgehend ausgeblendet wird außerdem, dass der überwiegende Teil der ukrainischen Getreidelieferungen nicht etwa nach Afrika verschifft wurde (27). Die fünf größten Importeure lauten in dieser Reihenfolge: Spanien, China, Türkei, Italien und Niederlande. Auf sie allein entfallen 60 Prozent der Importmenge (28). Gegenüber den afrikanischen Staaten erneuerte der russische Präsident im Vorjahr ein Angebot aus dem Jahr 2022, mehr als 300.000 Tonnen Düngemittel, die aufgrund der EU-Sanktionen in europäischen Häfen festliegen, zu verschenken (29) — und erweiterte dieses Angebot auf Getreide (!):
„Ich möchte versichern, dass unser Land in der Lage ist, ukrainisches Getreide sowohl auf kommerzieller als auch auf unentgeltlicher Grundlage zu ersetzen, zumal wir in diesem Jahr eine weitere Rekordernte erwarten.“ (30)
Verhaltensauffällig
Josep Borrell hat doch nicht mehr alle Sinne beisammen, oder doch? Bei einem Treffen am 20. Januar durften die Teilnehmer als Zeugen seiner verqueren Logik beiwohnen:
„Russland ist ein großes Land, das es gewohnt ist, bis zum Ende zu kämpfen, es ist es gewohnt, fast zu verlieren und dann alles wiederherzustellen. Das haben sie mit Napoleon gemacht, das haben sie mit Hitler gemacht. Es wäre absurd, zu glauben, dass Russland den Krieg verloren hat oder dass sein Militär inkompetent ist. Deshalb ist es notwendig, die Ukraine weiter zu bewaffnen.” (32)
Wie lassen sich diese Verhaltensauffälligkeiten, ja Verhaltensstörungen Josep Borrells erklären? Vielleicht so:
„Anscheinend bereitet Europas Befolgung der Diktate Washingtons Borrell intellektuelle Verdauungsstörungen und treibt ihn zu unangebrachten imperialen und neokolonialen Ausbrüchen — in einer Welt, die keinen weiteren Hegemonismus will.“ (32)
Der Eurozentrist Josep Borrell sieht im Verlust der Dominanz des Westens den Untergang des Abendlandes, und nicht nur das. Denn Borrell ist ein Davos-Jünger, ein überzeugter Globalist. Und für die Globalisten läuft es derzeit nicht ganz so gut, wie Manche glauben und noch mehr befürchten. In einem auf den Webseiten der Europäischen Union veröffentlichten Text schrieb Borrell:
„Diese neue Multipolarität führt zu einem Mangel an internationalem Konsens in fast allen Fragen. In einer Zeit, in der der Bedarf an globaler Regulierung zunimmt, schürt sie den Dissens. Wenn wir eine globale kollektive Fähigkeit aufgeben, Regeln aufzustellen, wird jeder tun, was er kann oder was er will.“ (33)
Exakt darum geht es: Sich aus den Fängen einer regelbasierten, globalisierten, fremd diktierten Ordnung zu befreien und sich einem souveränen, gleichberechtigten Miteinander der Gesellschaften zuzuwenden.
Die transhumane, globalisierte Welt ist keine in Stein gemeißelte Zukunft. Der Wahn, die Hybris der Macht kann auch zum unerfüllbaren Traum der Herzlosen geraten. Menschen mit Herz aber haben die Gabe, diesen Wahn zu erkennen und sich abzuwenden.
„Die als geistreich gepriesenen, aufgeblasenen Gangster
begreifen nach vielen vergangenen Jahrhunderten
weiterhin notorisch nicht
die Bedeutung von Kolonialismus und Rassismus.
Sich als Mittelpunkt des Weltgeschehens wähnend
den globalen Gang der Ereignisse missdeutend
betreiben sie bewusst oder unbewusst
auch ihren eigenen Ruin.“ (35)
Bitte bleiben Sie schön aufmerksam, liebe Leser.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Beitrag erschien zuerst unter dem Titel „Herfried Münkler und Josep Borrell“ bei Peds Ansichten.