Vor der Entscheidungsschlacht
Die USA zündeln im Iran und im Jemen, weil vieles an ihrer bisherigen Politik aus dem Ruder gelaufen ist.
Karin Leukefeld, seit vielen Jahren anerkannte Nahost-Expertin, hat auf Einladung von Attac-Augsburg im Zeughaus einen Vortrag gehalten zum Thema: Jemen — Der vergessene Krieg und die aktuelle Situation am Golf (USA-Iran). Der Vortrag wird demnächst im Internet verfügbar sein. Im Interview kommen Aspekte zur Sprache, die im Vortrag keine so große Rolle spielten. Karin Leukefeld analysiert darin die geopolitische wie die regionale Situation im Nahen Osten. Sie kommt zu Besorgnis erregenden Schlussfolgerungen. Wir dokumentieren das Interview im Folgenden. Die Fragen stellte Peter Rapke.
Welche Rolle spielen der Iran und der Jemen in den geostrategischen Plänen der USA und welche Pläne sind das?
Karin Leukefeld: Die Region, in der Iran und Jemen liegen, ist reich an Rohstoffen, Öl und Gas, und sie ist eine strategisch wichtige Region für Transportwege. Also 25 Prozent der weltweiten Erdölvorkommen sind in dieser Region der arabischen Halbinsel und der Iran hat ja auch sehr große Vorkommen. Wir haben westlich der Arabischen Halbinsel das Rote Meer und den Suezkanal, sehr wichtige Transportwege, und wir haben östlich der Arabischen Halbinsel den Persischen Golf mit Zugang zu den Erdölfeldern im Süden des Irak, Kuwaits, Bahrein, Katar, das sind alles sehr wichtige Ressourcen und Europa aber auch die USA sind Abnehmer des Öls und des Flüssiggases aus Katar und, um diese Region weiter zu sichern, gibt es diesen militärischen Aufmarsch in dieser Region schon seit dem Zweiten Weltkrieg. Es geht weiter zurück bis in die Kolonialzeit. Frankreich, Großbritannien im 19. Jahrhundert. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass die Situation in Syrien nicht so läuft, wie sich die USA das vorgestellt haben.
Es sieht so aus, als würden die USA eine Art Entscheidungsschlacht herbeiführen wollen, ökonomisch und vielleicht auch militärisch. Nicht nur im Nahen Osten, sondern global. Warum ausgerechnet jetzt?
Das hat unterschiedliche Aspekte. Es gibt einen innenpolitischen Aspekt in den USA. Die Administration ist ja in sich gespalten. Es gibt unterschiedliche Ansatzpunkte im Außenministerium, im Pentagon und im Weißen Haus, es gibt Konkurrenz und Widersprüche. Und es hat einen regionalen Aspekt mit der Situation in Syrien und im Irak, weil es nicht so läuft, wie die USA sich das vorgestellt haben – mit dem Sturz der Regierung in Damaskus auf der einen Seite und mit den politischen Veränderungen im Irak zugunsten des Iran.
Der Iran hat einfach sehr viel mehr Einfluss in der Region bekommen. Im Grunde seit der völkerrechtswidrigen US-amerikanischen Intervention 2003. Auf der anderen Seite gibt es eben den wachsenden Einfluss Russlands, also die Stärkung Russlands in der Region. Last but not least hat es natürlich mit China zu tun. Die Region ist Teil des Neuen Seidenstraßen Projektes von China und gerade die Häfen im Persischen Golf, im Roten Meer, der Suezkanal, die Häfen der Levante, also von Libanon und Syrien sind Teil dieses Projekts. Wir befinden uns in einer Zeit, in der die Rohstoffe knapper werden und eine internationale Auseinandersetzung sich beschleunigt um den Zugang zu den Rohstoffen und um ihre geostrategische Kontrolle. Und in diesem Zusammenhang muss man das sehen.
Können Sie sich vorstellen, dass die USA militärisch eingreifen?
Im Augenblick nicht, denn es gibt eine ganz offensichtliche Diskrepanz zwischen dem nationalen Sicherheitsberater John Bolton, ein Hardliner, der unbedingt den Krieg im Iran will, und dem Außenminister Pompeo, ehemaliger Chef des CIA, der lieber andere Mittel anwenden möchte, um den Iran langsam, langsam zu destabilisieren. Auch US-Präsident Trump hat eigentlich nicht vor, diesen Krieg zu befeuern, sondern er will durch Sanktionen, wirtschaftlichen Druck den Iran in die Knie zwingen. Da sind die sich nicht einig untereinander. Und der Iran ist auch nicht mehr der Iran von vor 20 oder 30 Jahren.
Der Iran ist militärisch stark, hat in Russland einen Verbündeten. Und es gibt sehr viele Basen in der Region, eben der USA aber auch Großbritanniens, Frankreichs, der NATO insgesamt, die natürlich Ziel des Irans würden, wenn die USA den Iran angreifen, oder auch Israel. Das ist gemeint mit den nationalen Interessen, die die USA vorgeben, dort zu verteidigen. Auf der einen Seite sagen sie: ihr dürft uns nicht angreifen, auf der anderen Seite haben sie aber auch Angst davor, dass angegriffen wird.
Ist Saudi-Arabien so eine Art Stellvertreter der USA, der ausprobieren soll, was sich tut, wenn Saudi-Arabien zum Beispiel im Jemen Krieg führt. Wie weit kann diese Allianz gehen?
Die USA haben Saudi-Arabien lange Zeit benutzt, um für sich die Ölinteressen dort zu sichern. Das ist eine langfristige Perspektive. Das fing nach dem Zweiten Weltkrieg an. Es gab damals, also 1945, das Treffen von König Saud und Roosevelt, wo das besprochen wurde. Die Aramco, die saudisch-amerikanische Ölgesellschaft besteht seit den 1930er Jahren. Das Verhältnis Saudi-Arabien – USA war lange Zeit geprägt nach dem Motto: wir beschützen euch und ihr sichert uns das Öl. Mit Trump hat sich das geändert. Der sagt jetzt: ihr müsst auch dafür bezahlen, nicht nur in Öl sondern in Cash.
Trump ist Lobbyist der Rüstungsindustrie in den USA. Die freuen sich über gigantische Aufträge. Trump macht das alles sehr offen. Er zeigt auch gerne, was die Saudis alles gekauft haben. Es ist völlig klar, dass, wenn so viele Waffen an einem Ort sind, die auch eingesetzt werden. Die Rüstungsindustrie lebt ja davon, dass Waffen eingesetzt werden. Dass nicht nur Saudi-Arabien sondern auch die Vereinigten Arabischen Emirate zu einer Art Söldnerheer werden für die USA, das hat sich eigentlich besonders mit dem Krieg in Syrien sehr verstärkt. Die Diskussion über eine arabische NATO, dass die Golfstaaten enger angebunden werden, sie haben ja sowieso schon Kooperationsverträge, soll langsam unter der Führung Israels umgesetzt werden. …
Geht das?
… Israel hat ja mittlerweile klar gemacht, dass sie Kontakt haben zu den Golfstaaten, mit Katar, auch schon lange mit Saudi-Arabien. Und im Zuge dieses sogenannten Jahrhundertdeals von Trump, Frieden zwischen Israel und den Palästinensern zu machen, diese Vorstellung basiert auch darauf, dass sich arabische Staaten mit Israel zusammentun, um die Palästinenser und diejenigen, die sie noch unterstützen, unter Druck zu setzen. Es ist auch ein Wirtschaftsplan, der umgesetzt werden soll, das Ziel der USA ist, selber mehr zurückzutreten aus der Region, weil die vielen Kriegseinsätze innerhalb der US-Gesellschaft starke Verwerfungen mit sich bringen und dass sie deshalb andere mehr für sich kämpfen lassen wollen. Ob das private Einsatzkräfte sind, sogenannte Sicherheitsdienste, das kann dann immer unterschiedlich aussehen.
Was bedeutet die vorläufige Niederlage in Syrien und ihr schwindender Einfluss im Irak für die US-amerikanische Militärstrategie?
Diese Formation (Kooperation mit Israel P. R.) ist instabil, weil diese Politik nicht von allen arabischen Staaten getragen wird. Sie sind nämlich damit konfrontiert, dass, wenn die USA nicht mehr als Schutzmacht zur Verfügung stehen, sie ihre eigne Position stärken müssen und sich ihren Nachbarn zuwenden und zum anderen, dass sie sich an Schutzmächte wenden, die aktuell in der Region stärker und zuverlässiger sind als die USA. Das ist Russland und wirtschaftlich ist das China. Die EU spielt eigentlich hier überhaupt keine Rolle, die EU ist in ihrer Politik so eng an die USA gebunden, dass sie in den arabischen Ländern keine große Bedeutung hat. Das sehen wir konkret am Irak, der Irak ist ja 2003 völkerrechtswidrig besetzt worden. Das hat dazu geführt, dass der Einfluss des Iran, mit dem Georg W. Bush damals kooperiert hatte, größer wurde und nicht der Einfluss der USA.
Der Irak ist ein religionsmäßig mehrheitlich schiitisches Land … und gerade die letzten Parlamentswahlen zeigen deutlich, dass der Irak mit dem Iran kooperieren will und gegenüber den US-Truppen und der westlichen Präsenz sehr kritisch ist. Die USA haben sich hier völlig verrechnet, den Irak haben sie langfristig verloren. Der Irak hat eine ganz klare Zusammenarbeit mit Syrien, Russland und dem Iran. Militärisch und geheimdienstlich, alles unter den Augen der USA, die da gar nichts machen können.
Ist es vorstellbar, dass Russland militärisch eingreift, wenn der Iran angegriffen wird, zum Beispiel von Israel?
Das ist die 100.000-Euro-Frage. Also Israel greift den Iran nach eigenen Aussagen schon an in Syrien. Sie bombardieren regelmäßig in Syrien iranische Stellungen. Es gibt in Syrien keine großen iranischen Truppenverbände, auch wenn Syrien mit Iran kooperiert. Ich denke, noch haben die USA soviel Einfluss auf Israel, dass sie den Iran nicht angreifen. Und Russland, das ja sehr gute Kontakte zu Israel hat, bemüht sich, durch Dialog zu vermitteln. Es gibt jetzt im Juni ein Treffen von Sicherheitsberatern Russlands, den USA und Israel in Jerusalem. Russland spricht mit den Iranern, den Israelis, es versucht alles, um die Probleme auf der Dialogebene zu lösen. Gleichzeitig drohen sie aber auch militärisch indem sie zum Beispiel diese neuen Luftabwehr-Systeme in Syrien stationiert haben und indem sie klar sagen: Iran ist unser strategischer Partner in der Region.
Ich denke, wenn Israel den Iran angreift, werden die Hisbollah und der Iran zurückschlagen. Und Russland wird sich dazu verhalten müssen, wegen der eignen Truppen und Stützpunkte in Syrien in Tartus und Hmeimim. Russland wird aber alles tun, um eine solche militärische Auseinandersetzung zu vermeiden.
Zum Jemen. Welche Gruppierungen spielen dort eine größere Rolle und in wessen Interesse oder Auftrag handeln die?
Der Jemen ist ein Mosaik. Es gibt unglaublich viele verschiedene Stämme dort. Diese Stämme kooperieren zum Teil mit der VAE oder mit Saudi-Arabien. Großbritannien spielt dort eine Rolle im Süden der Arabischen Halbinsel. Wir haben die international anerkannte Regierung unter dem Herrn Al Hadi. Er ist ein Mann Saudi-Arabiens und hat relativ wenig Gefolgschaft. Außer eben der Unterstützung aus Saudi-Arabien, der VAE und Europa. Diese Unterstützung ist größer als die innerhalb des Landes. Es gibt eine Art fortschrittliche Sammlungsbewegung auch im Süden um Aden herum.
Diese Bewegung ist weder auf der Seite der Huthis noch auf der Seite Al Hadis. Sie ist allerdings sehr schwach, es gibt für sie keine internationale Unterstützung. Die Huthi-Bewegung aus dem Norden des Landes vertritt tatsächlich eine große Zahl Jemeniten fast 50 Prozent der Bevölkerung. Militärisch werden sie unterstützt von der Hisbollah im Libanon und in gewisser Weise vom Iran. Aber nicht in dem Maße wie die Al Hadi-Regierung durch Saudi-Arabien.
Die Huthis haben zum Beispiel keine Luftwaffe. Aber sie sind sehr entschlossene Kämpfer. Die Bewegung hat eine lange Geschichte, ist verankert in der Bevölkerung, auch religiös, sie sind Saiditen und gehören zur Familie der schiitischen Muslime. Aber nicht in der gleichen Weise wie die Schiiten in Teheran. Al Hadi und die Sammlungsbewegung gehören zur Gruppe der sunnitischen Muslime.
Die Huthis haben es tatsächlich geschafft, zeitweise bis Aden vorzurücken, und sind dann durch die Intervention Saudi-Arabiens 2015 wieder zurückgedrängt worden. Das sind die innerjemenitischen Organisationen, die eigentlich eine Rolle spielen. Wobei man sagen muss, dass die Stämme ihre Haltung immer wieder wechseln. Diese Stammesgesellschaft ist sehr schwer einzuschätzen. Und dann gibt es einen großen breiten Streifen des Landes, der sich vom Süden bis an die Grenze zu Saudi-Arabien zieht, der wird kontrolliert von Al Kaida, das sind Wahhabiten, wie in Saudi-Arabien. Auf der einen Seite sind sie ein Unsicherheitsfaktor für den gesamten Jemen, auf der anderen Seite sind sie ein Grund dafür, dass US-Spezialkräfte oder europäische dort intervenieren können im Rahmen des sogenannten Antiterrorkampfes.
Frau Leukefeld, vielen Dank.
Quellen und Anmerkungen:
Das Interview steht auch online zur Verfügung unter:
http://www.forumaugsburg.de/s_1aktuelles/2019/06/05_leukefeld-interview.html