Von Mücken und Elefanten

Angesichts der wahren Probleme von Frauen in Deutschland ist die Debatte über ein paar Transfrauen völlig irrational. Teil 2 von 2.

Nicht das Selbstbestimmungsgesetz ist eine Gefahr für die Rechte von Frauen in unserer Gesellschaft. Nicht ein paar Transfrauen sind dafür verantwortlich, dass Frauen ihren verfassungsmäßigen Rechten noch immer hinterherlaufen müssen. Der wahre Elefant im Raum ist struktureller Natur. Er kommt daher als Misogynie, beruht auf einem überholten Frauenbild bei salonfähig werdenden Völkischen und Klerikalen, ebenso wie bei einem Großteil der ins Land gekommenen Menschen aus anderen Kulturkreisen. Er zeigt sich in Form alltäglicher physischer und psychischer Gewalt sowie der Belästigung von Frauen und Mädchen. Wie steht es um die Gleichberechtigung von Frauen im Deutschland des zu Ende gehenden Jahres 2024? Die „16 Tage gegen Gewalt an Frauen und Mädchen“ enden erst am 10. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschenrechte. Zeit genug zum Nachdenken, auch für die Herren der Schöpfung. Ein Beitrag zur Gender-Debatte.

„Die Vorstellung der Welt ist, wie die Welt selbst, das Produkt der Männer: Sie beschreiben sie von ihrem Standpunkt aus, den sie mit dem der absoluten Wahrheit gleichsetzen“ (Simone de Beauvoir).

Das Problem der „Frauenrechte“

Frauenrechte sind Menschenrechte. Die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ wurde am 10. Dezember 1948, neun Monate vor dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verabschiedet. Obwohl nicht rechtsverbindlich, war der Ansatz weit fortschrittlicher, als ihn die vier Mütter und 61 Väter ins Grundgesetz schrieben. Dort heißt es in Artikel 3: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Das war nichts als eine Zielstellung. Im realen Leben galt das Bürgerliche Gesetzbuch von 1896, das den Mann als Familienoberhaupt definierte und der Frau die Pflicht zur Führung des Haushaltes auferlegte. Es brauchte bis zum 3. Mai 1957, als der Bundestag das „Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts“ beschloss, obwohl bei Verabschiedung des Grundgesetzes vorgeschrieben wurde, bis 31. März 1953 ein solches Gesetz auszuarbeiten und darüber abzustimmen.

Man — besser „Männer“ — hatten es also bereits damals nicht so eilig, Frauen Gleichberechtigung zuzugestehen. Die damalige Lesart von Gleichberechtigung war eher, dass Frauen nicht aufgrund ihres Geschlechtes vor Gericht benachteiligt werden durften.

So wundert es nicht, dass auch nach Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes die Schritte, die Frauen zugestanden wurden, eher klein waren. Bis 1956 galt in Baden-Württemberg noch der Lehrerinnenzölibat. Bis 1962 war Frauen in der Bundesrepublik die Eröffnung eines Bankkontos verwehrt. Verheirateten Frauen wurde ihre volle Geschäftsfähigkeit erst 1969 zugestanden. Diese war so „voll“, dass es wiederum bis 1977 brauchte, um Frauen auch ohne Erlaubnis ihres Gatten das selbstständige Eingehen eines Arbeitsverhältnisses zu erlauben.

Für mich, Ost-Kind des Jahrganges 1964, dessen Tanten sämtlich berufstätig waren, nur schwer vorstellbar, da in der DDR der Gesetzgeber bereits 1950 entsprechend tätig wurde. Ab 1980 dann galt mit dem „Gesetz über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz“ das zumindest theoretische Recht, dass Frauen für gleiche Arbeit ebenso zu entlohnen sind wie Männer. In der DDR beziehungsweise der sowjetischen Besatzungszone wurde das bereits 1947 geregelt.

Der Begriff „Frauenrechte“ legt nahe, dass Frauen Rechte haben, die Männer in unserer Gesellschaft nicht haben. Abgesehen davon, dass aufgrund der Biologie bestimmte Differenzierungen in einzelnen Rechtsfragen durchaus Sinn ergeben, geht es bei „Frauenrechten“ leider einzig und allein darum, dass Frauen endlich tatsächlich gleichberechtigt sind. Sind sie das, 75 Jahre nach Artikel 3 des Grundgesetzes?

Frauen in der Politik

Dem — noch — aktuellen 20. Deutschen Bundestag gehörten im Oktober 2024 nur 35,7 Prozent Frauen an (1).

Nur zwei der 16 Ministerpräsidenten in den Bundesländern sind Frauen, also 12,5 Prozent. Von den 1.895 Landtagsabgeordneten sind 624 Frauen, mithin 32,9 Prozent (2). Nach dem Ausscheiden der FDP aus der Ampel-Koalition werden sechs von 16 Bundesministerien von Frauen geführt, 37,5 Prozent.

Noch schlechter sind Frauen in der Kommunalpolitik vertreten. Während derzeit in Baden-Württemberg „immerhin“ etwa 26 Prozent der Gemeinderäte Frauen sind, schafft es Sachsen hierbei nur auf 20 Prozent. Bei Bürgermeisterinnen hängt Mecklenburg-Vorpommern mit aktuell 18,9 Prozent das Saarland „gnadenlos“ ab: 6,0 Prozent (3). Deutschlandweit werden nur 13,5 Prozent aller Kommunen von einer Frau geführt (4). In Sachsen gibt es keine einzige Landrätin oder Oberbürgermeisterin. Den höchsten Anteil in den Flächenländern stellt Rheinland-Pfalz mit 25 Prozent vor Thüringen mit 22,7 Prozent (5). In Berlin sind sieben von zwölf Bezirksbürgermeistern Bürgermeisterinnen, 58,3 Prozent (6). Deutschlandweit wurden 2023 nur 14,6 Prozent der 432 Landkreise und kreisfreien Städte von Frauen regiert (7). Nur in einem — äußerst zweifelhaften — Fall liegen Frauen in der Kommunalpolitik vor den Männern: 40 Prozent der Bürgermeisterinnen arbeiten ehrenamtlich, jedoch nur 28 Prozent der Bürgermeister (8).

Das Fatale daran: Auch wenn die Männer anderes beteuern, ist es vor allem ihre — sozialisierte —Perspektive, die für die Politik und deren Resultate verantwortlich ist.

Bild

Frauen an Hochschulen

50,7 Prozent der Bevölkerung stellten 2022 52,3 Prozent der Studienanfänger und 52,6 Prozent der Absolventen. Bereits bei den Promotionen lag der Frauenanteil nur noch bei 46,1 Prozent, bei Habilitationen waren es 36,5 Prozent. Der Professorinnen-Anteil insgesamt lag bei 28 Prozent, bei C4-Professuren jedoch nur noch bei 12,3 Prozent (9). Ende 2022 wurden 30 von 81 staatlichen Universitäten von Frauen geführt, was 37 Prozent entsprach. Zählt man die Fachhochschulen dazu, schrumpft das auf 21,8 Prozent (10).

Bild

Frauen in der Wirtschaft

2023 betrug der Frauenanteil in Aufsichts- und Verwaltungsräten in den 200 größten deutschen Unternehmen 31,6 Prozent (11). Das liest sich gewaltig, schließlich waren es im Jahr 2006 nur 7,8 Prozent. Sind wir wirklich so weit, dass Männer freiwillig Macht an Frauen abgeben? Sind wir nicht, denn hierzu brauchte es Vorgaben seitens des Gesetzgebers. Hinzu kommt, dass es eben nur um Aufsichtsgremien geht. Viele Aufsichtsräte und -rätinnen haben Mehrfachmandate. Die wahren Herren sind die Vorstände und Geschäftsführer. Sie stellen Mitarbeiter ein und legen die Konditionen fest. Sie beeinflussen die formellen und informellen Strukturen in den Unternehmen. So wundert es nicht, dass sich ein ähnliches Bild wie an den Hochschulen bietet: nach oben viel Luft.

In der zweiten Führungsebene betrug 2022 der Frauenanteil noch 41 Prozent, in der ersten Führungsebene beschauliche 28 Prozent (12). In den größten 200 Unternehmen waren 2023 nur 17,5 Prozent der Vorstands- und Geschäftsführungsmitglieder Frauen, gegenüber nur 1,2 Prozent im Jahr 2006 (13). In den DAX-Unternehmen waren Ende 2023 „immerhin“ 23,5 Prozent Frauen in den Vorstandsetagen, 2014 nur 4,7 Prozent (14). Nur 9 der 181 Vorstandsvorsitze waren 2023 von Frauen besetzt: schlappe, entmutigende 5 Prozent (15).

Paradox: Ihre überwiegend höheren Qualifikationen bei zudem durchschnittlich besseren Abschlüssen nützen Frauen scheinbar rein gar nichts. Wissen ist Macht? Nichts wissen macht nichts!

Bild

Obwohl gleiche Arbeit gleich bezahlt werden soll, gibt es immer noch einen Gender Pay Gap. Der lag 2023 bei 6 Prozent, im Osten gar bei 7 Prozent (16). Unbereinigt, also unter Berücksichtigung der jeweiligen Berufswahl bekamen Frauen 2023 ganze 18 Prozent weniger als Männer (17). Noch 2012 waren das 23 Prozent.

Bei all dem sieht die Controllerin einen „deutlichen Aufwärtstrend“. Als Frau kannst du trotzdem nur heulen, denn hinzu kommt:

  • Nur 13,3 Prozent aller Männer arbeiteten 2023 in Teilzeit, aber 49,9 Prozent aller Frauen (18).
  • Einer aktuellen Studie von StepStone und Handelsblatt zufolge arbeiten 70 Prozent der Mütter in Teilzeit, aber nur neun Prozent der Väter (19).
  • Frauen gehen laut einer 2022 veröffentlichten Studie der Willis Towers Watson GmbH mit 24 Prozent niedrigerem Vermögen als Männer in den Ruhestand (Gender Wealth Gap) (20).
  • 65 Jahre alte Frauen sind mit 20,8 Prozent stärker von Altersarmut gefährdet als gleichaltrige Männer mit 15,9 Prozent (Gender Pension Gap) (21).
  • 2022 leisteten Frauen 44,3 Prozent mehr unbezahlte Arbeit als Männer (Gender Care Gap) (22).
  • Vergleichbare Produkte sind, auch wenn es dazu noch keine umfangreichen Statistiken gibt, für Frauen häufig teurer als für Männer (Pink Tax, Gender Pricing).

Bild

Trotz 175 Jahren sozialdemokratischer Tradition liegen wir bei keiner einzigen Kennzahl zur Gleichberechtigung von Frauen im internationalen Spitzenfeld. Obwohl der rechtliche Rahmen Frauen in Deutschland längst gleichberechtigte und eben auch gleiche Teilhabe ermöglichen sollte, sieht die Lebenswirklichkeit von Frauen anders aus.

Denn was nicht nur die Controllerin sieht: Je mehr Macht und Einfluss mit einer Position verbunden ist, desto höher ist die männliche Dominanz. Die Botschaft ist klar: „Weil wir besser sind, sind wir erfolgreicher. Weil wir erfolgreicher sind, bestimmen wir die Regeln.“

Ein Perpetuum mobile fürs Patriarchat. Jedes Jahr ein klitzekleiner Beitrag zum „Aufwärtstrend“, dann hält die über Jahrtausende gefestigte Macht noch eine ganze Weile.

Für mich gibt es einen Zusammenhang zwischen den bestehenden Strukturen und gelebter Dominanz, mit Gewalt als ihrer übelsten Form.

„Der Mensch zerfällt in zwei Teile: in einen männlichen, der nicht denken will, und in einen weiblichen, der nicht denken kann.“

Was Kurt Tucholsky seinen Kaspar Hauser schreiben lässt, ist natürlich Satire. Ob er so etwas heute in Zeiten von Political Correctness und Zensur von „Oberindiandern“ noch von sich geben dürfte, wage ich zu bezweifeln. Leider macht Zensur die Welt nicht besser. Das Patriarchat überwinden wir auch nicht durch Denkverbote, im Gegenteil: Wir müssen unser gesellschaftliches Zusammenleben komplett neu denken.

Nach Aristoteles liegt der Grund für die Dominanz des Mannes in seiner höheren Intelligenz. „Folgerichtig“ schließt er: „Die Beziehung zwischen Mann und Frau ist von Natur aus derartig, dass der Mann über der Frau steht, dass der Mann herrscht und die Frau beherrscht wird.“

Seit Jahrtausenden erklären uns Männer wie Aristoteles die Welt: Von seinen griechischen Kollegen, über Konfuzius, Machiavelli, Spinoza, Voltaire, Rousseau, Kant, Fichte, Hegel, Schopenhauer, Marx, Nietzsche waren es ganz überwiegend Männer, die uns ihre Sicht der Dinge – und damit auch ihr Frauenbild – vermittelten. Zudem wurde über Jahrhunderte von den Kanzeln dieser Welt gepredigt, dass die Frau dem Manne untertan sein solle. Bei Björn Höcke ist das die „Hingabe“ der Frauen unter die „Wehrhaftigkeit“ und „Führung“ der Männer. Das Frauenbild der neuen „Volkspartei“ rückt „Kinder, Küche, Kirche“ wieder ins Zentrum.

Männer glauben bis heute, „von Natur aus“ besser Bescheid zu wissen, und geben dieses „Wissen“ oft ungefragt als „Mansplaining“ zur Kenntnis. Im Management ist die männliche Besserwisserei nahezu unerträglich, denn sie erfolgt aus der meist höheren Machtposition heraus oder dient innerhalb von Hierarchien dem Erlangen von Macht bei gleichzeitiger Verdrängung der Konkurrentinnen.

Die Anmache von Frauen im öffentlichen Raum hat mit „Catcalling“ eine neue Dimension erreicht. In der Anonymität der sozialen Medien erfährt diese Übergriffigkeit durch Beleidigungen und unverhohlenen Frauenhass gerade ihren Komparativ. Wenn die Gottschalks dieser Welt ihre Sprüche immer noch witzig finden, bestätigt sich Kaspar Hauser auf traurige Weise. Auch in der nonverbalen Kommunikation begegnen uns durch „Manspreading“ eindeutige Signale durch Männer mit gespreizten Beinen: Hier ist nur Platz für mich.

Nimmt all das wirklich zu, oder sind wir nur übersensibel geworden?

Ich befürchte, dass die Antwort auf die Frage obsolet ist, solange die Zustände überhaupt sind, wie sie sind. Allerdings wiederholt sich für Frauen mit DDR-Sozialisierung in den letzten Jahren etwas. Auch in der späten DDR waren Frauen von den Machtpositionen weit entfernt. Mitglieder im Politbüro waren ausschließlich Männer. Während 40 Jahren gab es in den 15 Bezirken der DDR nur zwei Frauen als Vorsitzende eines Rates des Bezirkes und eine an der Spitze einer SED-Bezirksleitung. In den Betrieben allerdings wurden Frauen für gleiche Arbeit tatsächlich gleich bezahlt. Frauen wurden gezielt gefördert, konnten und sollten in den betrieblichen Hierarchien aufsteigen, manchmal zum Missfallen ihrer Kollegen.

Trotz des Missfallens und gelegentlichen Neides war in der späten DDR der Umgang mit Frauen deutlich achtsamer als nach der Wende. West-Männer kamen ins Land, die „unseren“ Männern neue alte Rollenbilder vorlebten.

Und „unsere“ waren lernfähig, verdammt schnell. Frauen wurden nun zurechtgestutzt und meist als erste entlassen. Männer mussten schließlich ihre Familien ernähren. Die wenigen übriggebliebenen Posten wurden zumeist an Männer verteilt, westdeutsche zuerst. Die Achtsamkeit im Umgang mit Frauen, an die wir uns gewöhnt hatten, war vorbei.

In den letzten Jahren nun sind viele Menschen ins Land gekommen, mehr Männer als Frauen, im Jahr 2023 ganze 72 Prozent Männer zu 28 Prozent Frauen (23). Die Zuwanderung erfolgt zu großen Teilen aus Kulturkreisen mit einem ganz anderen Frauenbild. Es sind viele junge Männer dabei, bei denen neben viel Testosteron wenig Auslastung im Spiel ist. Für Frauen ist das ein Problem, selbst für die, die bisher nicht allzu ängstlich waren. Bliebe es allein bei verbaler Aufdringlichkeit, dem Catcalling, wäre es nur unangenehm. Sobald Körperlichkeit ins Spiel kommt, haben Frauen wenig Möglichkeiten zur Gegenwehr. Und erneut gilt: „Unsere“ Männer, die jungen vor allem, lernen gerade wieder. Lernen, was wir nicht wollen.

Ist Misogynie nur die letzte Zuckung des Patriarchats?

Dann schwant mir Übles: 1917 bezeichnete Lenin den „Imperialismus als letztes Stadium des Kapitalismus“. Parasitär, faulend, sterbend sei er damals schon gewesen. Norbert Häring diagnostiziert mehr als hundert Jahre später noch immer ein „Endspiel des Kapitalismus“. Trotzdem ist er da, immer noch, und wird uns wohl überleben, wie das Patriarchat und seine Strukturen.

Die Frage ist: Warum? Die Journalistin Bettina Rust behauptete in ihrem Podcast „Hörbar Rust“ am 27. Oktober 2024, dass sich ohne die körperliche Überlegenheit der Männer das Patriarchat längst erledigt hätte.

Wie viel Wahrheit darin steckt, zeigen einschlägige Statistiken, zuletzt vorgestellt auf der Bundespressekonferenz am 19. November 2024. Es lohnt sich, das Bundeslagebild „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten 2023“ in Gänze zu lesen.

  • 938-mal wurde versucht, eine Frau zu töten. In 360 Fällen ist dies „gelungen“. In über 80 Prozent der Fälle waren Täter die Partner der Opfer.
  • Jeden Tag im Jahr 2023 wurden durchschnittlich 143 Frauen und Mädchen Opfer einer Sexualstraftat, über die Hälfte von ihnen waren minderjährig.
  • Jeden Tag im Jahr 2023 wurden durchschnittlich 495 Frauen und Mädchen Opfer häuslicher Gewalt.
  • 591 Frauen und Mädchen wurden Opfer von Menschenhandel zum Zwecke sexueller Ausbeutung, ein Drittel von ihnen unter 21 Jahre alt.
  • 17.193 Frauen und Mädchen wurden Opfer digitaler Gewalt, wobei Nötigung, Bedrohung und Stalking den größten Anteil haben. 36 Prozent der Opfer waren minderjährig.
  • Politisch motivierte Straftaten gegen Frauen stiegen gegenüber 2022 um ganze 56,3 Prozent auf 322 im Jahr. In dieser Fallgruppe finden sich Taten, bei denen „eine aus dem Ausland stammende, nichtreligiöse Ideologie entscheidend für die Tatbegehung war“.

In ausnahmslos allen Fallgruppen nahmen die Straftaten zu. In allen! Wir leben im 21. Jahrhundert. Mathematisch gedacht müssten die Lebensumstände von Frauen und Mädchen im Mittelalter geradezu paradiesisch gewesen sein; gerade so, wie wir es sonntags im Märchenfilm sehen können. Wer angesichts dessen immer noch irgendeine Gefahr durch Transfrauen als Teufel an die Wand malt, hat sie doch … Stopp!

Was tun?

Darauf hatte Lenin im gleichnamigen Werk keine Antwort. Mich macht die Situation ratlos. Wozu Ethik-Unterricht, wenn sich am Verhalten der mit diesem Wissen in das Leben nach der Schule Entlassenen nichts ändert? Wozu ein „Gewalthilfegesetz“, wenn damit allenfalls die Symptome gelindert werden? Wozu Beratungsangebote und Frauenhäuser für die Opfer und Fußfesseln für die Täter, wenn sich in den Köpfen nichts ändert?

Wozu „16 Tage gegen Gewalt an Frauen und Mädchen“, wenn an 365 Tagen im Jahr Gewalt oder das Ansammeln von Gewaltpotential das Mittel der Wahl ist, und sei es, um angeblich „unsere Freiheit“ zu verteidigen?

Wieso sollten Aufrufe gegen häusliche Gewalt etwas nützen, wenn unsere feministische Außenministerin ihren, sie nicht interessierenden Wählern immer weitere Eskalation als notwendig anpreist? Der nächste Außenminister wird es ebenso tun … Warum sollten Männer sich mit den Büchern von Svenja Flaßpöhler, Margarete Stokowski, Alexandra Zykunov, Pauline Voss oder Beate Wagner auseinandersetzen? Dass gerade die jungen Frauen mit ihren Büchern aufbegehren, ist beneidenswert, wie sie es tun, erst recht: witzig, nicht belehrend oder kämpferisch verbissen. Aber ich befürchte, dass ihre überwiegende Leserschaft dann doch wieder nur weiblich ist.

Also beim Klassiker von Ute Ehrhardt (24) ansetzen, nicht mehr brav sein, den „Kerlen“ nicht mehr vom ersten Tage an das Feld, also bereits den Sandkasten, überlassen? Ja! Nur schwierig wird es werden …

„Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“

Welche Frau kennt den Satz nicht? Und wer wollte Simone de Beauvoir widersprechen? Jedoch: In seinem Buch „Hinter dem Regenbogen“ zeigt Alexander Korte geschlechtstypische Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen auf. Danach sind Jungen bereits pränatal motorisch aktiver, postnatal reizbarer und impulsiver, zeigen sich mit sechs Monaten bereits durchsetzungsorientierter, furchtloser, ab dem 10. Lebensmonat risikobereiter, ab dem 3. Lebensjahr raufend, mit Imponiergehabe sowie Kämpfen zur Konfliktbewältigung. Hoffnung besteht, denn:

„Sozialisation ist nicht unidirektional-kausale Einflussnahme, sondern ein interaktioneller Prozess. Jungen werden nicht etwa dadurch ,feminisiert‘, dass Mütter oder Kindergarten-Personal non-aggressives Konfliktverhalten belohnen.“

Korte erwähnt die Bedeutung biologischer Einflussfaktoren am Beispiel Intersexueller. Außerdem schreibt er:

„Stets zu bedenken ist jedoch: Veranlagung bedeutet nicht Determiniertheit, anlagebedingt heißt nicht unveränderbar — angeborene Dispositionen äußern sich in Neigungen, Interessen und Fähigkeiten (die als typisch männlich oder typisch weiblich gelten), legen unser Verhalten aber keineswegs fest!“ (25).

Korte bestätigt de Beauvoir. Heißt auch: „Man kommt nicht als Mann zur Welt, man wird es.“ Und genau da liegt das Problem.

„Es rettet uns kein höh’res Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun,
uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun!“

Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass Eltern, egal ob Mütter oder Väter, stolz sind, wenn ihre Söhne zu Gewalttätern mutieren. Wenn junge Eltern von heute, Schulen, Institutionen und Unternehmen der privaten Wirtschaft den von Alexander Korte benannten interaktionellen Prozess neu durchdacht beginnen und konsequent durchziehen, könnte die Welt im Laufe eines Menschenlebens eine für Frauen und Mädchen bessere, das heißt, sicherere und gerechtere, sein.

Jede Inkonsequenz wird diesen Prozess verlängern, weshalb zu befürchten ist, dass es nicht ein, sondern realistischerweise drei, vier oder doch mehr Menschenleben dauern wird, Jahrtausende Patriarchat zu überwinden. Dafür brauchen wir moderne männliche Vorbilder ebenso wie einen neuen Wertekanon, hinter dem nicht nur die Opfer stehen.

Wir brauchen die Bereitschaft, Jungen nicht mehr alles durchgehen zu lassen, nur weil sie eben so veranlagt sind oder sich das immer schon rausnehmen durften. Wir brauchen die Ermutigung an Mädchen, den Jungen bereits im Sandkasten klarzumachen, dass sie nicht zwangsläufig die Bestimmer sind. Sind die alten Vorbilder erst aufs Neue sozialisiert, werfen wir uns eine weitere Generation zurück.

Nie zuvor wussten wir so viel über die Ursachen und Möglichkeiten zur Veränderung. Nie zuvor gab es so viele Kanäle zur Interaktion wie heute. Nie zuvor waren die politischen Rahmenbedingungen so gut wie jetzt, auch wenn noch immer viel Luft nach oben ist.

Wenn wir in einem Jahr nicht wieder über gestiegene Zahlen bei Gewalt gegen Mädchen und Frauen reden wollen, müsste das Handeln konsequenter werden, und das Thema müsste die Zivilgesellschaft endlich genauso erreichen wie die omnipräsenten außen-, wirtschafts- oder sicherheitspolitischen Themen, an 365 Tagen im Jahr. Frauen müssten sich trauen (dürfen), Vorfälle zur Anzeige zu bringen. Strafverfolgungsbehörden und Gerichte müssten bereit sein, nicht erst bei Körperverletzung Härte zu zeigen. Die Politik müsste bereit sein, mehr Geld für die Ursachenbekämpfung zur Verfügung zu stellen. Eltern müssten bereit sein, neue Vorbildrollen zu vermitteln. Frauen müssten in allen Entscheidungsbereichen endlich deutlich sichtbarer werden, wenn nicht per Quote, dann vielleicht mithilfe des Modells der Technischen Universität Eindhoven (26). Und Männer müssten anfangen, ihr Männlichkeitsbild zu überdenken.

Verdammt viel Konjunktiv? Dann bitte Imperativ, kategorischer Imperativ!