Von einem freien Internet zurück in die Steinzeit
Endet die Netzneutralität auf dem Weg in die Mediendiktatur als Fußnote der Geschichte?
Alternative Nachrichtenquellen laufen durch neue, gesetzlich verankerte Verordnungen Gefahr, bald so gut im Netz versteckt werden zu können, dass man sie kaum noch auffinden wird. Dies liefe auf eine Mediendiktatur ganz ohne offizielle Zensur hinaus, warnt der britische Journalist Jonathan Cook.
Kann man wirklich noch daran zweifeln, dass der Zugang zu einem relativ freien und offen zugänglichen Internet im Westen seinem baldigen Ende zugeht? In China und anderen autokratischen Regimes haben die Führungen einfach das Internet nach ihrem Willen „verbogen“ und Inhalte, die die Regierung gefährden könnten, einfach zensiert. Im „demokratischen“ Westen jedoch wird das anders gemacht. Der Staat muss nicht direkt eingreifen – er lässt andere Unternehmen seine schmutzige Arbeit verrichten.
Schon nächsten Monat könnte das Netz der exklusive Spielball der größten dieser Unternehmen werden, die fest entschlossen sind, den größtmöglichen Profit aus der Bandbreite seiner Möglichkeiten zu schlagen. Währenddessen nimmt man uns die Mittel, um an kritischem Denken, Dissens und gesellschaftlicher Mobilisierung teilnehmen zu können – wenn nämlich „Netzneutralität“ eine historische Fußnote wird, eine Zahnungsphase im Prozess des „Heranreifens“ des Internets.
Im Dezember plant die US Federal Communications Commission (unabhängige Behörde in den USA, die die Kommunikationswege Rundfunk, Satellit und Kabel regelt; A.d.Ü.), bereits beschädigte Verordnungen, die nur noch den Schein einer „Netzneutralität“ wahren sollen, abzuschaffen. Ihr Vorsitzender, Ajit Pai, und Internet-Unternehmen möchten diese Regeln hinwegfegen – gerade so, wie auch der Bankensektor seine Finanzregulierung losgeworden ist, um unsere Wirtschaft zu gewaltigen Ponzi-Systemen aufzublähen.
Das könnte den Todesstoß für die Linke und ihrer Fähigkeit, sich in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen, bedeuten.
Mit dem Anheizen einer eigennützigen moralischen Panik vor „Fake News“ haben politische Führungskräfte gemeinsam mit den Konzernmedien den Weg hierfür geebnet. Fake News, so argumentierten sie, erschienen nur online, nicht in den Printerzeugnissen der Konzernmedien – derselben Medien, die uns das Märchen von den Massenvernichtungswaffen im Irak verkauft und so effektiv ein Einparteiensystem mit zwei Gesichtern gestützt haben. Es scheint, als müsse die Öffentlichkeit nur vor Bloggern und Websites geschützt werden.
Die Giganten unter den Sozialen Medien haben schnell reagiert. Es wird immer deutlicher, dass Facebook in die Informationsverbreitung progressiver Aktivisten eingreift. Es schließt bereits Accounts und beschränkt deren Reichweite. Diese Entwicklung wird sich nur noch beschleunigen.
Google hat seine Algorithmen derart verändert, dass die Suchergebnisse für bekannte linksorientierte Seiten in der Rangfolge dramatisch abgefallen sind. Es wird immer schwieriger, an alternative Nachrichten(quellen) zu kommen, weil sie bewusst und aktiv dem Blick entzogen werden.
Google hat diese Wochen diesen Prozess intensiviert, indem es RT und Sputnik „herabgestuft“ hat. Diese beiden Nachrichtenseiten, von denen zwar eine als einseitig pro-russisch angesehen werden muss, bilden ein wichtiges Gegengewicht zur anti-russischen Propaganda, die von westlichen Medien verbreitet wird. Diese zwei Nachrichtenseiten werden für die große Mehrheit ihrer Leser so gut wie zensiert sein.
RT ist weit davon entfernt, eine perfekte Nachrichtenquelle zu sein – kein Staats- oder Konzernmedium ist es –, aber es stellt eine wichtige Stimme im Netz dar. Für Viele, die eine alternative und oft auch redlichere Besprechung westlicher Innenpolitik sowie westlicher Einflussnahme in fernen Ländern suchen, ist RT eine wahre Zuflucht. Natürlich hat es seine eigene politische Agenda, aber entgegen der Vermutung vieler westlicher Liberaler bietet es in vielen Bereichen ein weit genaueres Bild der Welt als die Konzernmedien dies tun.
Das hat seine guten Gründe: die westliche Mainstream-Presse dient dazu, bereits lebenslang in westliche Leser eingeimpfte Vorurteile zu verstärken. Das wichtigste dieser Vorurteile ist wohl die Vorstellung, dass westliche Staaten rechtmäßig als wohlmeinende, wenngleich manchmal wichtigtuerische Polizei agieren, die Ordnung unter anderen widerspenstigen oder nachgerade bösen Staaten rund um den Globus zu halten versucht.
Die Klasse der Medienschaffenden und Politiker kann leicht an diese Vorurteile anknüpfen, um uns von all jenen Unwahrheiten zu überzeugen, die westlichen Interessen dienen. Nehmen wir zum Beispiel den Irak. Man hat uns erzählt, Saddam Hussein habe Verbindungen zu Al-Qaida gehabt (hatte er nicht und konnte er auch nicht gehabt haben), dass der Irak im Besitz von Massenvernichtungswaffen sei (war es nicht, wie UN-Inspektoren uns zu erklären versuchten), und dass die USA und Großbritannien die Demokratie im Irak voranbringen wollten (aber nicht bevor sie sein Öl gestohlen hatten). Es mag im Westen schon Widerstand gegen die Invasion des Irak gegeben haben, aber er rührte in erster Linie nicht daher, dass diese Aspekte des offiziellen Narrativs leicht als Lügen entlarvt wurden.
RT und andere nichtwestliche englischsprachige Nachrichtenquellen ermöglichen es uns, so wichtige Ereignisse unter einem anderen Blickwinkel zu betrachten, aus Perspektiven, die nicht durch die Agenda des westlichen Geldadels getrübt sind.
RT, Sputnik und andere fortschrittliche Sites werden schrittweise zum Schweigen gebracht und auf die schwarze Liste gesetzt, wodurch wir in die Arme der Konzernpropagandisten zurückgetrieben werden sollen. Nur wenige Liberale waren bereit, ihre Stimme für RT zu erheben, Warnungen aus der jüngeren Geschichte wie Martin Niemöllers Anti-Nazi-Gedicht „Zuerst holten sie die Sozialisten“ scheinen vergessen. (Der Verfasser spricht hier irrtümlich von einem Gedicht, es handelt sich aber um eine Äußerung Niemöllers, A.d.Ü.)
Die bestehenden Vorschriften zur Netzneutralität lassen bereits Progressive und Dissidenten zu Verlierern werden, wie oben beschriebene Entwicklungen deutlich machen. Ohne sie wird es aber sogar noch schlimmer werden. Wenn die Änderungen nächsten Monat bewilligt werden, werden Internet Service Provider (ISP), also die Unternehmen, die uns ans Internet anschließen, auch entscheiden können, was wir sehen dürfen und was man besser außerhalb unserer Reichweite belässt.
Ein Großteil der Debatte konzentrierte sich auf die Wirkung, die das Aufheben der Regeln auf das Online-Gewerbe haben würde. Deswegen haben Amazon und Porno-Sites wie Pornhub den Widerstand dagegen angeführt. Dies überschattet aber die weitaus größere Gefahr, die für progressive Sites und die bereits umkämpften Grundsätze freier Rede besteht.
Internetanbieter werden viel freier darin sein, zu bestimmen, welche Inhalte wir online sehen können. Sie werden die Übertragungsgeschwindigkeit der Sites drosseln können, die nicht profitabel sind – und das sind Aktivisten-Sites ja per Definition. Es ist aber auch möglich, dass sie Zensur im chinesischen Stil werden betreiben können – entweder auf eigene Initiative oder unter politischem Druck. Die Tatsache, dass dies kommerziell und nicht politisch begründet werden mag, ist da wenig tröstlich.
All jene, denen wirklich daran liegt, echte Nachrichten zu finden, mögen ja alternative Wege finden. Das bietet aber wenig Trost, weil die große Mehrheit der Menschen die Dienste nutzen wird, die ihnen aufgetischt werden, und von den nicht angebotenen keine Kenntnis besitzen.
Wenn es ewig dauert, um zu einer Website zu gelangen, werden sie einfach woanders suchen. Wenn eine Google-Suche nur den Konzernen genehme Ergebnisse zeigt, werden sie lesen, was ihnen angeboten wird. Und wenn facebook sich weigert, sie mit „nicht profitablen“- oder „fake“-Inhalten zu versorgen, werden sie das gar nicht bemerken. Aber all jene unter uns, die sich um die Zukunft sorgen, werden viel ärmer dran sein.
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Jonathan Cook ist ein britischer Journalist, der seit 2001 in Nazareth, der Hauptstadt der palästinensischen Minderheit in Israel, lebt. Über den israelisch-palästinensischen Konflikt hat er bereits mehrere Bücher geschrieben. Seine Artikel erscheinen unter anderem im Guardian, im Observer, in der Times, im New Statesman und in The International Herald Tribune. 2011 wurde ihm der Martha-Gellhorn-Preis für Journalismus verliehen. Mehr Informationen unter: www.jonathan-cook.net.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „From an Open Internet, Back to the Dark Ages“. Er wurde vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam korrigiert.