Völker ohne Recht
Nach der Einhaltung der völkerrechtlichen Spielregeln schreien die am lautesten, die sie zugleich am ungeniertesten brechen.
Die Russen brechen das Völkerrecht, beschweren sich diejenigen, die es sonst auch nicht einhalten. Schöne Sachen stehen da im Völkerrecht zu lesen: Angriffskriege seien verboten, zum Beispiel. Verbotene Sachen werden aber erst recht gemacht, vor allem dann, wenn man dafür nicht bestraft wird. Und wer sollte schon einen mächtigen und hoch gerüsteten Staat und seine Regierung vor irgendein Gericht stellen? Welche Polizei will man etwa nach Washington schicken, und wer soll diesen Haftbefehl ausstellen? Und wer traut sich, Präsident Putin zu verhaften? Richtig: niemand. Eben deshalb, weil niemand es kann. In Wirklichkeit gilt nämlich nicht der Wortlaut irgendwelcher Paragrafen, sondern vielmehr entscheiden Macht, Militär und Waffen, wer was durchsetzen kann und wer was erleiden muss.
Staat als Ursache für Krieg
Man fragt sich, warum man diese einfache Wahrheit, die man jeden Tag betrachten kann, nicht einfach anerkennt. Stattdessen wird mit größter Verdrängungsleistung darauf beharrt, dass sich alle an das Völkerrecht halten müssen. Dabei sehen alle, die es können und wollen, dass das Völkerrecht für mächtige Staaten grundsätzlich nicht gilt.
Wäre es nicht vernünftiger, wenn man denn für ein friedliches Zusammenleben der Menschen ist, die Ursachen für die Kriege ins Auge zu fassen? Nach der Analyse könnte man dann die gesellschaftlichen Verhältnisse ändern, die zu Gewalt und Massenmord führen. Was sind also die Ursachen für die Gewalt, die wir täglich beobachten?
Zunächst braucht man für einen Krieg sehr viele Waffen und auch Soldaten. Es hat sich in der Geschichte eine Organisation als sehr zweckdienlich dafür herausgestellt: der Staat. Seit es Staaten gibt, führen diese Kriege gegen andere Staaten. Wer einen Krieg gewinnt, der setzt sich ins Recht gegenüber dem Verlierer. Die USA führen einen Krieg gegen den Irak und kümmern sich nicht weiter um rechtliche Details. Die Verlierer haben ein zerstörtes Land und können keine Rechtsmittel einlegen.
Kein Recht ohne Polizei
Das mit dem Recht ist nämlich so eine Sache: Man kann es nur durchsetzen, wenn man auch über die notwendigen Machtmittel verfügt. Im Inneren eines Staates sind das die Polizei und die Gerichte. Über den Staaten kann man vielleicht Gerichte einsetzen und die Verlierer dort aburteilen. Die Gewinner eines Krieges stehen aber nie vor Gericht, sei der gewonnene Krieg noch so völkerrechtswidrig.
Das liegt an der einfachen Tatsache, dass es keine Polizei gibt, die über den Staaten steht. Eine Polizei gibt es nur in einem Staat, aber nicht über dem Staat. Die Voraussetzung für Polizei ist ein Staat, aber einen Staat über den Staaten gibt es nicht und kann es auch nicht geben. Damit ist erklärt, dass ein Beharren auf Einhaltung des Völkerrechts sinnlos ist, weil es eben die Polizei zur Durchsetzung dieses Rechts einfach nicht gibt.
Was es aber tatsächlich gibt, sind Staaten mit Armeen, die ihre Interessen mit Gewalt durchsetzen. Das Interesse des Staates USA ist, die NATO auf die ganze Welt auszuweiten, weil der Staat USA die Welt beherrschen will. Das Interesse des Staates Russland besteht darin, nicht von den USA beherrscht zu werden. Das Interesse des Staates Ukraine spielt keine Rolle, und Hunderttausende tote Menschen interessieren keinen.
Also zurück zu den Ursachen. Der Staat als Machtapparat verfügt über Gewaltmittel, die er gegen andere Staaten anwendet. Das Völkerrecht interessiert den Staat nicht, der genug Waffen und Soldaten hat. Logisch gedacht ist eine friedliche Welt nur ohne Staaten möglich. Die Auflösung und Überwindung des Staates in einer besseren Form der Vergesellschaftung ist die Bedingung für ein friedliches Zusammenleben aller Menschen.
Staat als Form der Vergesellschaftung …
Nun hat sich der moderne Staat in der Geschichte als Form der Vergesellschaftung entwickelt, und es spricht kein rationales Argument dagegen, dass diese Form nicht zu einer anderen weiterentwickelt werden könnte. Wie diese zukünftige Form beschaffen und zu gestalten wäre, ist die Aufgabe aller progressiv denkenden und handelnden Menschen, nicht das sinn- und wirkungslose Beharren auf verdinglichten Rechtsgrundsätzen, die keinen Bezug zur Wirklichkeit haben.
Grundlage jeder menschlichen Vergesellschaftung ist die Arbeit. Aus ihr heraus entstehen alle Dinge, die für das menschliche Leben notwendig sind. Durch Arbeit entsteht die Gesellschaft und wird durch sie in einem ständigen Prozess erneuert. Der arbeitende Mensch schafft also durch seine Tätigkeit seine Gesellschaft und wird so vom Individuum zum gesellschaftlichen Wesen.
Wenn also die Arbeit die Grundlage der menschlichen Vergesellschaftung darstellt, dann ist die Arbeit der Schlüssel zur Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Indem die Organisation der Arbeit verändert wird, verändert sich die Organisation der Gesellschaft.
Die heute dominierende gesellschaftliche Organisation ist der Staat als Machtapparat, ausgestattet mit Gewaltmitteln nach innen, gerichtet gegen die eigene Bevölkerung, und nach außen, gerichtet gegen die Bevölkerungen anderer Staaten.
Wir müssen mitansehen, welche Konsequenzen das für den Teil der Bevölkerung des Staates Israel hat, den dieser Staat loswerden will. Wir sehen auch, wie der Staat Ukraine seine Bevölkerung als Kanonenfutter im Krieg gegen den russischen Staat behandelt. Das Beharren auf der Einhaltung des humanitären Völkerrechts erscheint bei den oben genannten Beispielen als reiner Zynismus.
... und Alternativen
Die oben beschriebenen Zustände werden von denjenigen herbeigeführt, die ein Interesse an ihnen haben. Doch wer hat ein Interesse an der Zerstörung von Gesellschaften und der Vernichtung ihrer Bevölkerung? Und wer verfügt über die Mittel, Derartiges zu tun? Die Antwort ist oben bereits gegeben: der Staat und diejenigen, die die Macht in ihm ausüben. Auch ist gesagt worden, dass diese Zustände veränderbar sind. Sich auf ein Recht zu berufen, das nur von Staaten durchgesetzt werden kann, steht im Widerspruch dazu, dass es keinen Staat über den Staaten gibt und so also auch keine Polizei, die über den Staaten existiert.
Die Vergesellschaftung in der Form des Staates kann entwickelt und überwunden werden in einer besseren Form der gesellschaftlichen Organisation. Wenn Arbeit der Schlüssel für diese Aufgabenstellung ist, dann sollte sich die politische Stoßrichtung konzentrieren auf die Bereiche der Gesellschaft, in denen diese Arbeit jeden Tag getan wird.
In der heutigen kapitalistischen Gesellschaft hat sich die Mehrheit der arbeitenden Menschen in einem Vertrag dazu bereit erklärt, ein bestimmtes Pensum an Arbeitskraft an den Käufer zu verkaufen, gegen einen vertraglich vereinbarten Betrag in der gängigen Geldwährung. Vertraglich vereinbart ist auch, dass der Käufer der Arbeitsleistung bestimmt, was getan wird und für welchen Zweck. Der Verkäufer hat hier nichts zu melden!
Hier ist nun der Knackpunkt.
Wenn tatsächlich Menschen der Ansicht sind, Kriege und Massenmorde seien falsch — und es gibt viele, die das denken —, dann liegt die Handlungsfähigkeit dieser Menschen in ihrer Entscheidung, dort, wo sie arbeiten, jede Tätigkeit zu unterlassen, die Krieg und Massenmord ermöglichen.
Das sind viele Bereiche der Gesellschaft, nicht nur in der Rüstungsindustrie. Auch in der Verwaltung, den Behörden, den Ministerien gibt es die Möglichkeit, Handlungen nicht zu unterstützen, die zu den oben genannten Konsequenzen führen. Rüstungsgüter müssen transportiert werden mit Transportmitteln, die von Menschen betrieben werden. Wenn diese Menschen entscheiden, dass ein solcher Transport nicht stattfindet, steht jeder Krieg still.
Viele Möglichkeiten bieten sich den Menschen, die gegen Krieg und Zerstörung sind, an ihrem Arbeitsplatz. Dort sind sie es nämlich, die alle Tätigkeiten ausführen, die für den reibungslosen Betrieb der Gesellschaft notwendig sind. Und sie sind es auch, die diesen Betrieb unterbrechen können. Wir sehen, welche gesellschaftliche Bedeutung ein Streik der Lokführer hat. Welche Bedeutung hätte ein Streik aller, die sich weigern, für Krieg und Massenmord zu arbeiten?
Eine friedliche Welt ist möglich
Die Überwindung der jetzigen Form der Vergesellschaftung in der Gestalt des Staates als Machtapparat, mit der Ausübung von Gewalt gegen die eigene Bevölkerung durch die Polizei und gegen die Bevölkerung anderer Staaten durch das Militär, ist möglich. Weil der moderne Staat der jetzige Zustand einer geschichtlichen Entwicklung ist, ist er in seiner heutigen Form bereits Vergangenheit, das heißt, seine zukünftige Form ist schon in ihm angelegt und wartet darauf, in Erscheinung zu treten.
Es ist an den Menschen selbst, wie diese zukünftige Form gestaltet sein soll. Durch Arbeit wird die Gesellschaft geformt und gestaltet. Das heißt, dass diejenigen, die diese Arbeit jeden Tag an ihrem Arbeitsplatz leisten, die Gesellschaft durch ihre Tätigkeit aufrechterhalten. Heute arbeiten die meisten fremdbestimmt und müssen den Anweisungen des Vorgesetzten Folge leisten, wie es so schön heißt.
Und dennoch: Wenn der Zweck von Arbeit die Unterstützung von Krieg und Massenmord ist, dann kann jeder entscheiden, ob er sich an seinem Arbeitsplatz durch Mitmachen daran beteiligen will oder ob es Möglichkeiten gibt, dies nicht zu tun. Widerstand ist in vielen Bereichen möglich, und jeder Einzelne kann sich entscheiden, ob er durch sein Verhalten zu Zerstörung und Vernichtung beitragen oder ob er gemeinsam mit anderen für eine bessere und friedliche Zukunft arbeiten will. Diese Zukunft beginnt heute!