Verwandte Seelen
In puncto Angriffe auf die Pressefreiheit setzt Joe Biden die Politik seines Amtsvorgängers Donald Trump unvermindert fort.
Joe Biden und Donald Trump verhalten sich zueinander wie Tag und Nacht. Diesen Eindruck gewinnt man jedenfalls, wenn man dem Großteil der deutschen Medien folgt. Die Amtseinführung des Alt-Demokraten komme einer politischen Morgenröte gleich, die ihr Licht auf die ganze Welt abstrahlt. Das wäre schön, ja. Wes Geistes Kind der „Neue“ ist, könnte man ja zum Beispiel an seinem Verhalten im Fall Julian Assange erkennen. Vor wenigen Tagen kündigte die Biden-Adminstration jedoch an, ihre Bemühungen um die Auslieferung des gesundheitlich und psychisch schwer angeschlagenen Asssange an die US-Justiz unvermindert fortzusetzen. Dabei hatte Joe Biden im Wahlkampf die Medienpolitik seines Amtsvorgängers und sein ständiges Presse-Bashing streng gerügt. Das Beispiel zeigt: Wenn es um die Unterdrückung freier Informationen über den mörderischen US-Imperialismus geht, halten die vermeintlichen Rivalen zusammen. Zwischen den beiden Administrationen gibt es weit mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede.
Nur einen Tag nachdem eine Koalition prominenter Bürgerrechtsgruppen mit einem Brief Schlagzeilen machte, in dem sie die Biden-Administration aufforderten, die Bemühungen um eine Auslieferung des WikiLeaks-Gründers Julian Assange an die Vereinigten Staaten aufgrund von Spionagevorwürfen einzustellen, kündigte die Biden-Administration ihre Absicht an, diese Bemühungen fortzusetzen.
„Der Sprecher des Justizministeriums Marc Raimondi sagte am Dienstag, die US-Regierung werde weiterhin die Entscheidung einer britischen Richterin vom vergangenen Monat anfechten, dass Assange wegen des Risikos, Selbstmord zu begehen, nicht an die Vereinigten Staaten ausgeliefert werden sollte“, berichtet Reuters.
„Wir werden weiterhin seine Auslieferung fordern,“ erklärte Raimondi.
Wenn diejenigen, die derzeit Trumps Angriffe auf die Pressefreiheit anprangerten, ihre Worte tatsächlich ernst gemeint haben, dann werden sie jetzt die ersten sein, die die Entscheidung der Biden-Administration anprangern, den ungeheuerlichsten und schärfsten Angriff fortzusetzen. Wie stehen Sie dazu, @BernieSanders @AOC @NancyPelosi @SenSchumer? https://t.co/sOIxfEmESk
― Aaron Maté (@aaronjmate), 9. Februar 2021.
Assanges Verhaftung und die spätere Anklage nach dem Spionagegesetz im Jahr 2019 für das, was im Grunde genommen gängige Praxis des Journalismus zur Aufklärung von US-Kriegsverbrechen ist, markierte sowohl eine dramatische Eskalation im Krieg des US-Imperiums gegen kritischen Journalismus in Fragen der nationalen Sicherheit als auch eine scharfe Abweichung von der Entscheidung der Obama-Regierung, solche Anklagen in diesem Fall nicht zu verfolgen.
Biden bekräftigt nicht nur Trumps Angriff auf die Pressefreiheit den mit Abstand ungeheuerlichsten Angriff auf den Journalismus in den gesamten vier Jahren der Amtszeit des 45. Präsidenten, er lehnt auch die Entscheidung der Obama-Regierung ab, Assange nicht anzuklagen, weil er befürchtet, dadurch den Ersten Verfassungszusatz auszuhöhlen.
So berichtete die Washington Post während Barack Obamas zweiter Amtszeit im Jahr 2013:
„Das Justizministerium hat mehr oder weniger beschlossen, dass es keine Anklage gegen den WikiLeaks-Gründer Julian Assange wegen der Veröffentlichung von Geheimdokumenten erheben wird, weil die Anwälte der Regierung der Ansicht waren, sie könnten dies nicht tun, ohne auch US-Nachrichtenagenturen und Journalisten strafrechtlich zu verfolgen, heißt es laut US-Behörden. (...) ‚Das Problem, das das Ministerium bei den Ermittlungen gegen Julian Assange immer hatte, ist, dass es keine Möglichkeit gibt, ihn für die Veröffentlichung von Informationen strafrechtlich zu verfolgen, ohne dass das gleiche Vorgehen auf Journalisten angewandt wird“, sagte der ehemalige Sprecher des Justizministeriums Matthew Miller.
„Und wenn Journalisten nicht für die Veröffentlichung von Geheimdokumenten belangt werden, was das Ministerium nicht tut, dann gibt es keine Möglichkeit, Assange zu belangen.‘“
Daran hat sich nichts geändert. Die Trump-Administration hatte keinerlei Zugang zu irgendwelchen Beweisen, die die Obama-Administration 2013 nicht ebenfalls hatte. Lediglich hat sie sich entschieden, das Gesetz aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und Assanges journalistische Aktivitäten juristisch als einen Verstoß gegen das Spionagegesetz zu interpretieren. Nichts verhindert, dass anderen Journalisten auf der ganzen Welt das gleiche Schicksal unter ähnlich zweifelhaften Rechtsauslegungen droht. In Zukunft wird das US-Justizministerium nicht die persönlichen Definitionen anderer Leute dazu verwenden, was legitime journalistische Tätigkeit darstellt, sondern seine eigenen.
Wie das Obama-Justizministerium (englisch: United States Department of Justice, DOJ) schlussfolgerte, stellt die Strafverfolgung von Julian Assange wegen der Veröffentlichung von Dokumenten eine ernste Bedrohung für die Pressefreiheit dar https://t.co/iyZMRhSu0Q
― Glenn Greenwald (@ggreenwald), 16. November 2018.
Bidens Abweichen von der weniger autoritären Position der Obama-Regierung in dieser Angelegenheit sollte nicht überraschen, da er nach den ersten Veröffentlichungen der welterschütternden Manning-Leaks im Jahr 2010 eine absurd harte Linie gegen WikiLeaks verfolgte.
„Ich würde behaupten, er ist näher dran, ein Hightech-Terrorist zu sein als die Pentagonpapiere“, äußerte sich Biden damals über Assange. „Aber sehen Sie, dieser Typ hat Dinge getan, die das Leben und den Job von Menschen in anderen Teilen der Welt aufs Spiel gesetzt und gefährdet haben.“
Das sollte auch nicht überraschen, da sich diese Regierung im Großen und Ganzen nicht allzu sehr in Bezug auf die tatsächliche Politik von der vorherigen unterscheidet. Die Politik des Regimewechsel-Interventionismus in Venezuela ist die gleiche. Die Politik der Feindseligkeit gegenüber China ist die dieselbe. Die Politik der Hungersanktionen gegen den Iran ist praktisch die gleiche.
In einem kürzlich veröffentlichten CNN-Interview konnte Außenminister Tony Blinken die eher provokativen außenpolitischen Entscheidungen Trumps wie die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem und die Anerkennung der illegal besetzten Golanhöhen als israelisches Territorium kaum hoch genug loben.
Zwischen der Trump-Administration und der Biden-Administration gibt es weitaus mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede.
Wie es bei US-Präsidenten immer der Fall ist, sind die Narrative unterschiedlich, die Kampagnenplattformen sind unterschiedlich, die politischen Parteien sind unterschiedlich, aber die eigentlichen Richtlinien und Verhaltensweisen bleiben mehr oder weniger die gleichen.
Blinken ist ein größerer Fan von Trumps Außenpolitik als die Hälfte der Trump-Administration. https://t.co/tajQye9JGX
― Caitlin Johnstone @ (@caitoz) 9. Februar 2021
Dennoch bedeutet das alles nicht, dass wir aufhören sollten, mit Zähnen und Klauen für die Freiheit von Assange zu kämpfen. Der Kampf ist noch lange nicht vorbei. Die Biden-Administration hat immer noch Zeit, in Berufung gegen das britische Gerichtsurteil zur Nichtauslieferung zu gehen und damit den gesamten peinlichen Auslieferungsversuch Trump anzulasten.
„Die USA können ihre Berufung gegen Assange bis Freitag einreichen, um die Frist einzuhalten. Aber es wäre zu erwarten, dass vom neuen Generalstaatsanwalt, sobald er bestätigt ist, eine ernst zu nehmende Grundsatzentscheidung getroffen wird, den unglaublich schwachen Tatbestand gegen Assange vollständig zu überprüft, bevor die Ermittlung aufgenommen werden“, heißt es in einer Erklärung der Courage Foundation.
„Es kursieren Berichte, dass ein Interimssprecher sagte, dass die Biden-Administration den Fall Assange weiterführen wird. Das neue DOJ, dessen Generalstaatsanwalt noch bestätigt werden muss, kann die Anklage gegen Assange jederzeit fallen lassen, auch nach der Berufungsfrist von diesem Freitag.“
Also machen wir weiter Druck. Wir können nicht zulassen, dass ein korruptes und mörderisches, weltumspannendes Imperium unbequemen Journalismus auf der ganzen Welt derart verbietet, wie es das mit dem juristischen Präzedenzfall tun würde, den es mit der Causa Assange zu schaffen versucht. Wenn Journalisten überall wissen, dass sie ausgeliefert und inhaftiert werden können, wenn sie unbequeme Tatsachen über das US-zentralisierte Imperium veröffentlichen, werden sie es weitgehend unterlassen. Und das ist die Absicht des Ganzen.
Durch WikiLeaks hat Julian Assange eine Menge belastender Informationen über die mächtigsten Instanzen unseres Planeten enthüllt. Aber die bei weitem erschütterndste Enthüllung, die er geliefert hat, war keineswegs eine WikiLeaks-Veröffentlichung: Es war die Enthüllung, dass “freie Demokratien“ wie die USA und Großbritannien einen Journalisten offen inhaftieren und foltern, nur weil er die Wahrheit sagt. Das wurde gesehen und kann nicht mehr ausblendet werden. Wir sind ihm zu großem Dank verpflichtet, dass er solche Fakten ans Licht gebracht hat. Das Mindeste, das wir tun können, ist zu versuchen, ihn jetzt da rauszuholen.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien am 10. Februar 2021 unter dem Titel „Biden Continues Trump‘s War On The Press“ zuerst auf dem Blog caitlinjohnstone.com. Er wurde von Sabine Amann vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzerteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratteam) lektoriert.