Verregnete Ernten
Damit Indien nicht wieder in die Spekulationsfalle tappt, braucht das Land Transparenz bei Lebensmittel- und Wetterdaten.
Dürreperioden, die sich mit starken, Monate andauernden Regengüssen abwechseln — in Deutschland sind solche Extreme meist nicht so stark ausgeprägt. In Indien dagegen sind Wetterkapriolen zu einer ernsthaften Bedrohung für die Ernährungssicherheit geworden. Der Monsun führte in letzter Zeit zu Überschwemmungen, Schädlingsbefall und bisher unbekannten Pflanzenkrankheiten. Wenn wichtige Nahrungspflanzen wie Reis und Linsen nicht mehr in notwendiger Menge geerntet werden können, bedeutet dies mitunter Hunger für die lokale Bevölkerung und Preissprünge für die Abnehmerländer. Lebensmittelspekulanten verschärfen diese gefährliche Entwicklung noch weiter. Die brenzlige Situation in Indien wird Preiskontrollen sowie eine strengere Kontrolle von Agrarverarbeitern und Lebensmittellagern notwendig machen.
Im November 2023 kommen Zweifel über das Los der indischen Ernährungssicherheit auf. Wenn man die Produktionsprognosen von Kharif-Feldfrüchten für 2023/2024 mit dem Bericht über den unzureichenden Monsun für Kharif-Feldfrüchte vergleicht und mit der Hyperinflation bei Lebensmitteln, den Preisschwankungen und den unregelmäßigen Regenfällen in Verbindung bringt, so riecht das Ganze doch sehr verdächtig.
Wenn man diese Faktoren zusammen sieht, scheint einer davon keinen Sinn zu ergeben, denn Indien ist weitgehend ein regengespeistes Agrarsystem, und ein schlechter Monsun mit extremen unregelmäßigen Niederschlägen schwächt mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die landwirtschaftliche Produktion, doch die Ernteprognose schätzt, dass die Reisproduktion nur um 3,79 Prozent gesunken ist, obwohl die Reisfeld-Anbaufläche gestiegen ist. Die Zahlen scheinen den Leser also in die Irre zu führen.
Doch bevor wir uns mit der Produktion von Kulturpflanzen befassen, wollen wir einen Blick auf den Monsun werfen. Indien steht unter dem Einfluss von El Niño, was korrekterweise auf einen unregelmäßigen Monsun und wahrscheinliche dürreähnliche Situationen hinweist.
Es war keine Überraschung, dass der August fast einer Dürre glich, da der Zyklon Biparjoy übermäßige Regenfälle über Westindien niedergehen ließ, kurz bevor unser traditioneller Monsun begann. Es folgte ein dürreähnlicher August mit den niedrigsten Niederschlagsmengen seit Jahrzehnten. Der September brachte ein wenig Erleichterung, doch der Oktober verschärfte die Probleme der Landwirte erneut, insbesondere in den regenreichen Gebieten. Von Telangana bis Kerala verzeichnete der Süden schwere Niederschlagsdefizite. Kerala verzeichnete ein Defizit von 34 Prozent.
Neben den dürreähnlichen Monaten gab es 2023 auch 2.321 Starkregenereignisse mit Niederschlägen von 11,5 bis 20,5 Zentimetern in 24 Stunden. Die durch diese Ereignisse verursachten Verwüstungen brachten in vielen Teilen des Landes die Landwirtschaft und sogar das Leben zum Erliegen. Gebiete in Himachal und Punjab leiden noch immer unter den Überschwemmungen und Regenschäden.
Abgesehen davon gab es im Jahr 2023 auch 421 extrem starke Regenereignisse mit Niederschlägen von mehr als 20,5 Zentimetern in 24 Stunden. Jetzt ziehen der indische Wetterdienst India Meteorological Department (IMD) und die Regierung ihre Regenmesser zu Rate und versuchen zu sagen, dass es ein fast normaler Monsun war, aber das ist sehr weit von der Wahrheit entfernt. Der monatliche Durchschnitt des Regens könnte wichtige Lücken in der Landwirtschaft verbergen und ist nicht vertrauenswürdig, vor allem nicht für das Verständnis der Landwirtschaft.
Überall in Indien berichteten die Landwirte von Überschwemmungen und dürreähnlichen Bedingungen, vor allem wenn es an der Zeit war, die Kharif-Kulturen zu bewässern. Nach einer frühen Aussaat aufgrund von Regierungsempfehlungen und dem Zyklon Biporjoy blieben die Kharif-Felder im August trocken, was zu negativen Auswirkungen auf das Wachstum und die Gesundheit der Kulturen führte. Landwirte ohne Bodenbewässerung hatten in dieser Zeit zu leiden.
In den meisten landwirtschaftlichen Gebieten unterbrachen die unregelmäßigen Regenfälle die routinemäßigen Anbauzyklen, und die übermäßige Feuchtigkeit zu untypischen Zeiten förderte das Auftreten neuer Schädlinge und Pflanzenkrankheiten, mit denen die Landwirte nicht gerechnet hatten.
Die Krise bei der Versorgung mit Tomaten und Gemüse Anfang Juli/August war ein Beleg für diese Störungen. Auch die Rabi-Aussaat wird beeinträchtigt, da der schwächer werdende Monsun die regenreichen Gebiete nicht mit Wasser versorgen konnte. Dieses Problem nimmt weiter zu, und es könnte sein, dass sich das Jahr 2019 mit seinen extremen Niederschlagsschäden wiederholt.
Reden wir nun über die Nahrungsmittelproduktion. Denken Sie daran, dass die Kharif-Produktion und der Regen eng miteinander verbunden sind. Im September schrillten die Alarmglocken, als das US-Landwirtschaftsministerium vorhersagte, dass die indische Reiserzeugung in dieser Erntezeit um 3 Prozent zurückgehen würde. Experten und die Regierung wischten dies beiseite, doch vor Kurzem veröffentlichte die Regierung Schätzungen für die Kharif-Ernte und räumte ein, dass die Reisproduktion trotz einer Ausweitung der Anbauflächen um 3,76 Prozent zurückgegangen ist. Die Regierung erklärte außerdem, dass die „Gesamterzeugung von Hülsenfrüchten für die Ernte 2023/2024 aufgrund der klimatischen Bedingungen geringer ausfallen dürfte als im Vorjahr. Die Gesamtproduktion von Kharif-Hülsenfrüchten für 2023/2024 wird auf 71,18 Prozent geschätzt“.
Neben Reis sind also auch Linsen in Bedrängnis geraten. Betrachtet man andere Nahrungspflanzen oder Viehfutter, so hat die Kharif-Produktion unterdurchschnittliche Ergebnisse erzielt.
Auch die wiederholten Phasen der Hyperinflation bei Gemüse deuten nicht auf einen regelmäßigen Produktionszyklus bei Kharif-Feldfrüchten hin. Der Monsunbericht lässt dies ebenfalls durchblicken, doch entsprechen die Zahlen der Ernteproduktion nicht den Monsunschäden. Wenn alle anderen Anzeichen zutreffen, dürfte die Ernteproduktion viel niedriger ausfallen als erwartet.
Wenn wir also den Monsunbericht des IMD und die Ernteschätzungen des Landwirtschaftsministeriums vergleichen, kommen diese nicht zu denselben Schlussfolgerungen.
Die Frage ist, welche der beiden Angaben richtiger ist. Wenn die Monsundaten korrekt sind, müssten die Ernteverluste höher sein, und wenn die Ernteschätzungen korrekt sind, hätten die Monsunzahlen viel besser ausfallen müssen.
Die Regierung möchte eine öffentliche Panik oder eine weitere Phase der Lebensmittelinflation und des Hortens von Lebensmitteln vermeiden und hält sich über die tatsächliche Lebensmittelsituation bedeckt, während sie im Stillen strengere Kontrollen durch Einfuhrbeschränkungen, eine genaue Überwachung der Lebensmittelbestände und Preiskontrollen und so weiter einführt, um eine Lebensmittelkrise vor der Parlamentswahl 2024 zu verhindern.
Laut dem kürzlich veröffentlichten Welthunger-Index 2023 liegt Indien auf Platz 111 von 125 Ländern. Seit einigen Jahren deutet er auf eine stetige Verschlechterung der Ernährungssicherheit in Indien hin. Angesichts der schlechten Kharif-Ernte und der unsicheren Rabi-Ernte müssen sich die Inder auf weitere Ernährungsprobleme einstellen. Was wir brauchen, ist Transparenz bei Lebensmittel- und Wetterdaten sowie eine strengere Kontrolle von Agrarverarbeitern und Lebensmittellagern, damit Indien nicht wieder in eine Spekulationsfalle gerät.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien am 7. November 2023 unter dem Titel „Bad Kharif, Worse Monsoon: Inside India’s Food Security Doubts“ zuerst auf The Wire. Er wurde von Elisa Gratias übersetzt und vom ehrenamtlichen Manova-Korrektoratteam lektoriert.