Verfolgte Unschuld
Unterwegs mit dem Bankenrettungswagen.
Der Langzeitarbeitslose Fritz W. (Name von der Redaktion geändert) änderte sein verpfuschtes Leben dank eines Weiterbildungskurses des Wiener Arbeitsmarktservice (AMS) und arbeitet seither als Fahrer in den Geldtransportern der neuen Bankenrettung. Eine spannende Tätigkeit, mit welcher Fritz einen verantwortungsvollen Beitrag für die Gesellschaft leistet. Wir haben ihn begleitet.
Wenn im Hauptquartier das Alarmsignal ertönt, müssen Fritz und seine Kollegen sofort in ihren Bankenrettungswagen ausrücken, um überraschenden Insolvenzen zuvorzukommen. Die Wagen sind im Grunde herkömmliche Geldtransporter mit Blaulicht und Sirene, die sich im Ernstfall auf den Weg machen, um notleidende Banken mit Sozialhilfegeldern zu versorgen.
„Es ist oft ein verzweifelter Kampf mit den Bilanzen. Wenn dringend Millionen-Bonuszahlungen oder Manager-Gehälter in astronomischer Höhe benötigt werden, sind wir zur Stelle“, versichert Fritz und poliert mit sichtlichem Arbeitseifer die Messingteile an den Rettungswagen, bis sie glänzen. Der ehemalige Langzeitarbeitslose zeigt sich nach all den Jahren überglücklich über die neue Beschäftigung, auf die er mächtig stolz ist, obwohl er kaum mehr verdient, als die Mindestsicherung beträgt.
Der Bankenrettungsdienst ist eine „ausgelagerte“ Privatfirma namens „Cash-Power“, die selbstverständlich ohne öffentliche Ausschreibung mit dieser heiklen Mission betraut wurde. Fritz weiß genau, dass er sich keinen Fehler erlauben darf, denn als unqualifizierter Leiharbeiter erhält er die Kündigung schneller als gedacht, aber das stärkt nur sein Verantwortungsbewusstsein. In diesen Zeiten schwächelnder Gewerkschaften kann kaum jemand auf bezahlte Überstunden hoffen. Von einem menschenwürdigen Einkommen sind die meisten weit entfernt, wenn sie den Gehaltszettel in Empfang nehmen. Die Früchte der Arbeitskraft ernten Dienstgeber und Leiharbeiterfirma.
Plötzlich beginnt eine gelbe Lampe zu blinken, durch das Hauptquartier der Bankenrettung dröhnt ein schrilles Alarmsignal. Kaum, dass die schnaufenden Kollegen den Einsatzwagen mit Geldsäcken angefüllt haben, stürzt Fritz sofort auf den Fahrersitz und dreht am Zündschlüssel. Ich folge seiner ungeduldigen Aufforderung, rasch in den Wagen zu steigen.
Jetzt geht es um kostbare Minuten. Mit Blaulicht und Sirene, sowie mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit („Sicherheitsgurte anlegen!“) rasen wir direkt zu einer Bankfiliale in einem Außenbezirk. Den trostlosen Zustand des imposanten Gebäudes konnte man schon an der bröckelnden Fassade erkennen. Im Empfangsraum sollten sich diverse Objekte moderner Kunst noch als die harmloseste Fehlspekulation des Bankenvorstands heraustellen. Einige wertvollere Ölgemälde befinden sich in der Chefetage darüber. Als ich mit dem Rettungsfahrer am Konferenzraum vorbeikomme, sind daraus Schmerzensschreie und fast schon unmenschliche Laute zu vernehmen. „Die haben gerade Krisensitzung“, erklärt mir Fritz.
Die Bilanzen hingegen ergeben das düstere Bild einer finanziellen Niederlage. Ein Bild des Jammers, das jedem zu Herzen gehen muss! Unschuldige Bankenmanager, die von bösen Hedge-Fonds auf das Glatteis des Derivatenhandels geführt und niederträchtig über den Tisch gezogen wurden. Trotz ihrer ungehemmten Risikofreude ist auch diese Bank in Not geraten. Da muss man doch ganz einfach helfen. Auch mir schnürt es den Hals zu, und eine Träne kullert herab.
„Das soll nicht etwa heißen, dass Banken keine Milliardengewinne machen“, tröstet mich Fritz, „nur werden diese Gewinne über sogenannte Briefkastenfirmen in friedlichen und steuerfreien Oasen zur wohlverdienten Ruhe gelegt. Wenn das liebe Geld gearbeitet hat, soll es sich ausruhen.“ Aus gutem Grund, denn sonst würden die fleißigen Bankenretter ihre Arbeitsplätze verlieren!
Keuchend hat Fritz einen dicken Schlauch aus dem Wagen gezogen. Mittels Druckluft werden nun die gelieferten Säcke voller Steuergeld durch das Kellerfenster direkt hinunter in die Tresorkammer geblasen, die nur gegen Hedge-Fonds keinen ausreichenden Schutz bietet. Ich kann es kaum glauben, welche riesige Geldmengen dort hineingehen, aber Fritz und seine Kollegen haben sich längst an die Arbeitsroutine gewöhnt. „Reicht das, oder sollen wir Nachschub holen?“, fragt der Rettungsfahrer diensteifrig den Prokuristen, dem gleichfalls Schweißperlen auf der Stirne stehen.
Nach dieser raschen und prompten Aktion strahlt der aus höchster Not gerettete Bankdirektor über das ganze Gesicht, und der Prokurist kann sogar ein paar Münzen Trinkgeld für den Fahrer Fritz erübrigen. Helfen kann soviel Freude bereiten!
Die herzlosen neuen Regelungen jedoch, welche die Banken zu mehr Eigenkapital in ihren Spekulationen verpflichten, anstatt sich bei den Börsenmaklern zu verschulden, halten auch die Bankenretter auf Trab. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben laut offiziellen Studien zwischen 2008 und 2015 rund 747 Milliarden Euro für Bankenrettungen ausgegeben und sich dafür verschuldet.
Doch das ist nicht alles: Es kommen aber noch fast 1,2 Billionen Euro „für Bürgschaften und Garantien“ hinzu. Die Rettungspakete, um notleidende Banken mit frischem Geld zu versorgen, wurden ausgearbeitet von den vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Nur diese kennen sich in den verworrenen Bilanzen aus, die zuvor auch von Wirtschaftsprüfern gefälscht wurden. So zählen auch Wirtschaftsprüfer zu den Nutznießern und Gewinnern der Bankenrettungen.
Wir fahren im Bankenrettungswagen anschließend gleich zu einer anderen Bank, deren verzweifelte Notsignale wir unterwegs über Funk aufgefangen haben. Man sieht dem riesigen verspiegelten Glasgebäude eine finanzielle Schieflage eigentlich gar nicht an, aber die Notrufe waren eindeutig: Es herrscht dringender Handlungsbedarf, und Fritz bremst quietschend.
Vor dem Bankgebäude erblicken wir eine aufgeregte Menschenmenge. Um Himmels Willen! Sind wir zu spät gekommen? Hat der allgemeine Bankenrun eingesetzt? Aber nein, es sind bloß Demonstranten. Wieder einmal ist eine Demo von Wutbürgern gegen das Finanzsystem angesagt. Am Steuer des Geldtransporters bahnt Fritz sich ungerührt einen Weg durch all die empörten Menschen, bis er mit dem Wagen dicht an der Fassade des Bankgebäudes stehen bleibt und den Schlauch entrollt.
Kaum zu glauben, woher kommen all die Demonstranten? Wenn es der Wirtschaft gut geht, sollte es doch allen gut gehen, oder? Wir können uns aber nicht darum kümmern, die Bankenrettung hat schließlich Vorrang vor allen anderen Problemen. An besonders harten Tagen, wenn der Banken-Rettungsdienst unter den vielen verzweifelten Notrufen nach Refinanzierung zusammenzubrechen scheint, müssen die Bankenretter sogar noch (unbezahlte) Überstunden einlegen.
Fritz will jedoch vom Arbeitnehmer-Schutz nichts wissen und hat auch der Arbeiterkammer für immer den Rücken gekehrt: „Das sind alles nur linke Querulanten und Bürokraten, die den wahren Leistungsträgern in unserer Stadt nur unnötig das Leben schwer machen wollen.“ Wie man sehen kann, haben auch die zusätzlichen AMS-Kurse „Liberales Wirtschaftsethos“ allmählich ihre Früchte getragen, um junge und ältere Menschen gemeinschaftlich für Österreichs Wirtschaft zu motivieren.