Verdeckte Operation im Donbass
Ein US-Journalist berichtet, wie die CIA bereits seit 2014 die ukrainische Armee auf einen Krieg gegen Russland vorbereitete.
Es war und ist in gewisser Weise immer klar gewesen, dass es sich bei der Ukraine um ein geostrategisch enorm wichtiges Pflaster für die Großmächte dieser Welt handelt. Das Land ist nicht erst seit der militärischen Eskalation im Februar, sondern vielmehr seit Beginn des Konfliktes im Jahr 2014 immenser ausländischer Einflussnahme ausgesetzt. Dazu gehört auch, wie den jüngsten Berichten des amerikanischen Investigativjournalisten Zach Dorfman zu entnehmen ist, die gezielte Ausbildung des ukrainischen Militärs durch den Auslandsgeheimdienst der USA.
„Als sich die Kampflinien im Donbass verhärteten, unternahm eine kleine, ausgewählte Gruppe erfahrener CIA-Paramilitärs ihre ersten geheimen Reisen an die Front, um sich dort mit ukrainischen Kollegen zu treffen“ (1).
Es klingt wie ein Auszug aus einem abgedroschenen Spionageroman oder vielmehr wie der Anfang jeder guten Verschwörungstheorie, aber Zach Dorfmann meint es ernst, wenn er dieser Tage einen Exklusivbericht nach dem nächsten zum Ukrainekrieg publiziert und darin beschreibt, die CIA unterhalte seit nunmehr fast acht Jahren geheime Ausbildungsprogramme für die ukrainische Armee.
Was in der amerikanischen Presse bereits für Aufsehen sorgte, ist im deutschsprachigen Raum bisher kaum angelangt und das, obwohl der erste Artikel zur Thematik bereits im Februar 2022 veröffentlicht wurde. Lediglich die Schweizer Ausgabe des Watson (2) und T-Online (3) berichteten über die neuen Erkenntnisse.
Das geheime Trainingsprogramm
Zach Dorfman ist Experte für nationale Sicherheit sowie Korrespondent und Autor bei YahooNews. Im März, wenige Wochen nach der Eskalation des Ukrainekrieges, veröffentlichte er einen Artikel (4), in dem er unter Bezug auf verschiedene anonyme Quellen, vorrangig CIA-Beamte, beschreibt, der amerikanische Geheimdienst habe bis kurz vor der russischen Invasion eine geheime Operation in der Ukraine durchgeführt, welche die militärische Schulung gewisser Soldatengruppen des ukrainischen Militärs zum Ziel hatte. Erst kurz vor dem Einmarsch der russischen Truppen habe die Regierung von Präsident Joe Biden die amerikanischen Soldaten abgezogen, um eine direkte Konfrontation mit den russischen Streitkräften zu vermeiden.
US-Agenten hatten laut Dorfman im Jahr 2014 nach der Annexion der Krim begonnen, die ukrainische Armee für einen größeren Krieg gegen Russland auszubilden. Der amerikanische Auslandsgeheimdienst CIA habe hierbei „geheime paramilitärische Trainingsprogramme für ukrainisches Sicherheitspersonal in den USA und an der ehemaligen Ostfront in der Ukraine“ initiiert. Deren Ziel sei es gewesen, kiewtreuen Kräften die Fähigkeiten beizubringen, die es ihnen ermöglichten, im Falle eines Angriffskrieges einen „unerwartet erbitterten Widerstand“ zu leisten.
Mit Blick auf die andauernden Kriegshandlungen ist zweifellos festzuhalten, dass die ukrainische Armee zu Beginn der russischen Invasion im Februar wesentlich besser auf Kampfhandlungen gegen das Nachbarland vorbereitet war als noch zur Zeit der Krimkrise.
Wie erfolgreich ihr Widerstand gegen die russischen Truppen tatsächlich ist, lässt sich aufgrund der gravierend auseinanderklaffenden medialen Berichterstattungen nur schwer beurteilen. Dass es sich jedoch um eine andere Qualität als noch im Jahr 2014 handelt, ist offensichtlich.
Dies sei neben den offiziellen US-Aktivitäten auch den geheimen CIA-Programmen zu verdanken, schildert Dorfman. Schenkt man seinen Aussagen Glauben, haben US-Agenten – anders als bislang dargestellt – ukrainische Soldaten auch im Einsatz von Angriffswaffen geschult. Es seien CIA-Veteranen gewesen, die die ukrainischen Kräfte vorrangig im Gebrauch von Panzerabwehrraketen vom Typ Javelin unterwiesen hätten.
Bei der Javelin-Rakete handelt es sich um ein mittleres Panzerabwehrwaffensystem, eine Art tragbaren Wurfspeer. Sie wird seit 1995 von den amerikanischen Streitkräften eingesetzt und von der amerikanischen Rüstungsfirma Lockheed Martin produziert. Das Besondere am Javelin-Typ ist, dass er, im Gegensatz zu anderen Modellen von Panzerabwehrraketen, eine ideale Guerillawaffe darstellt. Mit einem Gewicht von etwa 20 Kilogramm ist sie problemlos von einer Person zu tragen und funktioniert darüber hinaus nach dem sogenannten Fire-and-Forget-System: Der Schütze muss das Ziel zwar anvisieren, kann danach aber sofort wieder in Deckung gehen, denn die Rakete findet ihr Ziel selbst (5).
Tatsächlich beschreibt auch Zach Dorfman, das CIA-Programm sei streng auf irreguläre Kriegsführung ausgerichtet gewesen. Im Klartext bedeutet das nichts anderes als die gezielte Vermittlung von Guerillataktiken. Er zitiert einen nicht namentlich genannten CIA-Beamten mit den Worten: „Die Scharfschützen sind wirklich effektiv, vor allem jetzt, da der russische Vormarsch zum Erliegen gekommen ist und ihnen die Vorräte ausgehen.“ Und weiter: „Die Ukrainer sollten nicht nur das Schießen lernen, sondern auch, wie man auf dem Schlachtfeld die Führungsmannschaft des Gegners ausdünnt“ (6). Diese von den USA trainierten Truppen bilden laut Dorfman einen harten Kern im ukrainischen Militär, der kaum zu unterschätzen sei.
Bisher hatte es von amerikanischer Seite immer geheißen, der Auftrag der CIA in der Ostukraine beschränke sich lediglich auf das Sammeln von Informationen. Dahingehend sind Dorfmans Enthüllungen als durchaus brisant einzustufen. Dieser berichtet, neben der militärischen Ausbildung, auch von weitgehender technischer Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte. Die CIA hätte den ukrainischen Soldaten beigebracht, ihre Kommunikation effektiv vor der russischen Armee zu verschlüsseln. 2014 hätten die Ukrainer in den Schützengräben noch mit Mobiltelefonen hantiert und seien von russischer Seite „in Stücke geschossen“ worden. Aus diesem Grund habe die CIA unter anderem abhörsichere Kommunikationsmittel geliefert (7).
Bereits im Februar 2022 hatte Dorfman bei Yahoo News einen Bericht veröffentlicht, in dem er in Berufung auf fünf ehemalige Geheimdienstbeamte darüber berichtet, die CIA beaufsichtige ein geheimes intensives Schulungsprogramm für ukrainische Elite-Spezialeinheiten und anderes Geheimdienstpersonal (8). Laut einem dieser Beamten befinde sich die dafür genutzte, jedoch nicht näher benannte Einrichtung im Süden der USA. Bereits damals hatte Dorfman vermutet, die hier ausgebildeten Spezialeinheiten könnten im Fall einer russischen Invasion eine wichtige Rolle spielen.
Zur Person Zach Dorfman
All das klingt nach Enthüllungsjournalismus, nach investigativer Recherche und das ist es natürlich auch, dennoch darf man nicht den Fehler machen, Dorfman als regierungskritischen Underdogjournalisten zu verkennen, denn das ist er keineswegs. Sein Anliegen ist weniger, der US-Regierung oder den Geheimdiensten durch seine brisanten Publikationen zu schaden. Vielmehr scheint es sich schlicht um ein Transparenzinteresse zu handeln, denn Dorfman steht durchaus hinter den amerikanischen Unternehmungen in der Ukraine. Er ist kein Insider oder Whistleblower, sondern gut vernetzter Geheimdienstexperte, der im amerikanischen Mediendiskurs immer wieder herangezogen wird, um politische Sachverhalte einzuschätzen. In seinen Artikeln lobt er teilweise das Vorgehen der Geheimdienste und ihre zutreffenden Prognosen bezüglich eines russischen Angriffs.
Seinem Twitteraccount (9) ist die Ansicht zu entnehmen, der Einmarsch Wladimir Putins sei vorhersehbar gewesen und der Westen habe es versäumt, ihn rechtzeitig zu besänftigen oder abzuschrecken. Auch der etwas russlandfreundlicheren Außenpolitik von Bidens Vorgänger Donald Trump kann er nur wenig Positives abgewinnen. In einem zweieinhalbstündigen Interview auf dem amerikanischen YouTube-Kanal „Teamhouse“ (10), in welchem er auch über die geheimen CIA-Programme spricht, erklärt er, man habe unter Trump fast nie Gutes über die Russlandpolitik der Vereinigten Staaten sagen können, weil alles Politische durch die medial inszenierte, fast freundschaftliche Beziehung zwischen Trump und Putin überlagert gewesen sei. Dieses Bild sei allerdings nicht ganz zutreffend. Dorfman beschreibt, unter Präsident Trump habe es zwei Arten der Außenpolitik gegeben: eine vom Präsidenten selbst und eine von den Geheimdiensten. Dies verhält sich durchaus logisch zu seinen Enthüllungen, denn schließlich lief das Guerilla-Programm in der Ostukraine hauptsächlich während der Amtszeit von Donald Trump.
Grundsätzlich ist Zach Dorfman als Unterstützer amerikanischer Politik zu betrachten. Seinen differenzierten Analysen ist eher nuancierte Kritik zu entnehmen. Ihn als Oppositionellen oder Russlandversteher einzustufen, wäre falsch.
Neben seiner Autorentätigkeit bei Yahoo war Dorfman bis vor einigen Jahren leitender Redakteur beim Aspen Institute im Bereich Cybersicherheit. Hierbei handelt es sich um eine der einflussreichsten US-amerikanischen Denkfabriken. Ihrem Kuratorium und Expertenrat gehören unter anderem Miguel Bezos, Königin Nūr von Jordanien sowie die ehemaligen Außenministerinnen Condoleeza Rice und bis zu ihrem Tod auch Madeleine Albright an (11,12).
Das Aspen Institute ist weltweit vernetzt. Der deutsche Ableger beispielsweise widmet sich der Förderung der „transatlantischen Gemeinschaft“ in allen gesellschaftlichen Bereichen und hat es sich zur Aufgabe gemacht, relevante gesellschaftliche Akteure aus Medien, Politik und Wirtschaft unter dieser Prämisse zu vernetzen, um so Einfluss zu gewinnen (13).
Das Ansehen der CIA
Auch die neuesten Enthüllungen zu den Ausbildungsprogrammen im Donbass könnten das Ansehen der Geheimdienste in der amerikanischen Gesellschaft eher noch steigern. Es sei, so Dorfman, das erste Mal seit dem Irakkrieg im Jahr 2003, dass die amerikanische Bevölkerung gebeten werde, der CIA in einer großen außenpolitischen Krise zu vertrauen.
Nachdem die Rechtfertigung des Irakkrieges, Saddam Hussein besitze Massenvernichtungswaffen, als Lüge enttarnt worden war, hatte die amerikanische Regierung die Geheimdienste nie wieder in diesem Maße öffentlichkeitswirksam zur Rechtfertigung außenpolitischer Entscheidungen herangezogen.
Besonders im Januar und Februar dieses Jahres wurden jedoch immer wieder Stimmen aus dem Geheimdienst laut, die den Angriff Russlands vorhersagten. Der nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan antwortete auf die Frage eines Journalisten, warum man nach den Lügen des Irakkrieges jetzt ausgerechnet den Geheimdiensten vertrauen solle, wenn es um die Einschätzung militärischer Gefahren gehe, der Unterschied liege gerade darin, dass die CIA im Vorfeld des Irakkrieges eingesetzt worden war, um einen Krieg zu beginnen, heute gehe es darum, einen Krieg zu verhindern (14).
Seriosität und Glaubwürdigkeit der Informationen
Yahoo News, die Seite, auf der Dorfman seine Berichte veröffentlicht, ist in den USA keineswegs als Suchmaschine zweiter Wahl bekannt. Während in Deutschland wohl kaum jemand gerade hier nach investigativem Qualitätsjournalismus suchen würde, ist die Seite in den Vereinigten Staaten eine der meistgelesenen Quellen, zuletzt noch vor Fox News, der New York Times oder BBC News (15). Ein dort publizierter Exklusivbericht wird in der öffentlichen Wahrnehmung in der Regel als validiert und seriös angesehen. Umso erstaunlicher ist die weitgehend ausbleibende mediale Rezeption des Ganzen.
Dorfman gibt für seine Einschätzungen und Erläuterungen keine konkreten Quellen in Form von Namen der befragten Beamten an. Das Auslassen von Quellen unterwirft die in Berichten vorkommenden Informationen natürlich immer einer gewissen Unsicherheit. Andererseits ist diese Art des Quellenschutzes im journalistischen Tagesgeschäft nichts Ungewöhnliches, vor allem dann nicht, wenn es sich um brisante Informationen handelt. Die Identität der Hinweisgeber in solchen Fällen zu verbergen, ist nicht zwangsläufig unseriös.
Auch was seine bisherigen Recherchen angeht, gilt Zach Dorfman als durchaus renommiert. Zuletzt hatte es im Herbst 2021 einer seiner Berichte in die Schlagzeilen geschafft, in dem er gemeinsam mit zwei Journalistenkollegen aufgedeckt hatte, wie innerhalb der CIA verschiedene Mord- und Entführungsszenarien gegen WikiLeaks-Gründer Julian Assange geplant worden waren (16).
Die Ukraine als Defacto-Nato-Staat
Seine aktuellen Berichte erfahren weit weniger mediales Echo und das, obwohl es sich sogar um eine noch brisantere Thematik handeln dürfte. Der Autor und Experte für Internationale Beziehungen Ted Galen Carpenter interpretiert die neuesten Erkenntnisse auf der Website des CATO Institutes (17) als endgültigen Beweis dafür, dass die USA bereits vor Jahren damit begonnen haben, die Ukraine als inoffiziellen NATO-Staat zu behandeln. Seit 2014 seien mehr als drei Milliarden US-Dollar an „Sicherheitshilfe“ in das Land gepumpt worden. Eine Summe, die man normalerweise nur einem eindeutig Verbündeten offerieren würde. Russland hatte immer kommuniziert, dass es sich bei einem NATO-Eintritt der Ukraine um eine rote Linie der eigenen Sicherheitsinteressen handele (18).
Umso verlockender muss für die Vereinigten Staaten die Vorstellung gewesen sein, die Ukraine einfach inoffiziell zum NATO-Staat zu erklären, ihr jede Unterstützung und Aufrüstung zuteilwerden zu lassen, als wäre sie Teil des Sicherheitsbündnisses, und trotzdem im Fall eines Krieges nicht im Rahmen des Bündnisfalles verpflichtet zu sein, selbst in den Krieg mit Russland einzusteigen.
Es ist eine Verlockung, der die amerikanische Regierung in den vergangenen Jahren mehr als einmal nachgegeben zu haben scheint. Aber es ist auch eine Verlockung, für die man im Zweifelsfall einen Preis zahlt, einen Preis, der im Verständnis amerikanischer Sicherheitspolitik nie besonders hoch angesehen war: der militärische Frieden in Europa.
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://news.yahoo.com/exclusive-secret-cia-training-program-in-ukraine-helped-kyiv-prepare-for-russian-invasion-090052743.html
(2) https://www.watson.ch/international/ukraine/688256010-wie-die-cia-die-ukrainische-armee-auf-den-krieg-vorbereitet-hat
(3) https://beta.t-online.de/nachrichten/ausland/id_91846370/cia-hat-die-ukrainische-armee-jahrelang-auf-den-krieg-vorbereitet-details.html
(4) https://www.aol.com/news/cia-applies-lessons-iraq-debacle-090001982.html?guccounter=1
(5) https://www.stern.de/digital/technik/panzerknacker-javelin---diese-rakete-ist-der-gefaehrlichste-tank-killer-der-welt-7802858.html
(6) https://beta.t-online.de/nachrichten/ausland/id_91846370/cia-hat-die-ukrainische-armee-jahrelang-auf-den-krieg-vorbereitet-details.html
(7) Ebenda.
(8) https://news.yahoo.com/as-the-russian-threat-grew-us-intelligence-ties-to-ukraine-deepened-225919359.html
(9)https://twitter.com/zachsdorfman?ref_src=twsrc%5Egoogle%7Ctwcamp%5Eserp%7Ctwgr%5Eauthor
(10) https://www.youtube.com/watch?v=oJ50hsp_X34
(11) https://www.aspeninstitute.org/team/board-of-trustees/
(12) https://www.aspeninstitute.org/blog-posts/madeleine-albright-1937-2022/
(13) https://de.wikipedia.org/wiki/Aspen_Institute_Deutschland
(14) https://www.aol.com/news/cia-applies-lessons-iraq-debacle-090001982.html?guccounter=1
(15) https://www.deutschlandfunk.de/bericht-ueber-mordplaene-der-cia-das-schweigen-der-us-100.html
(16) Ebenda.
(17) https://www.cato.org/commentary/washington-helped-trigger-ukraine-war#
(18) https://www.reuters.com/world/kremlin-says-nato-expansion-ukraine-crosses-red-line-putin-2021-09-27/