Verantwortungslose „Wissenschaft“
Kinder werden fälschlicherweise zu Tyrannen erklärt — ironischerweise von Menschen, die selbst Tyrannen sind.
Der Kinderpsychiater Michael Winterhoff hat in seinem Bestseller „Warum Kinder zu Tyrannen werden“ 2008 die These aufgestellt, dass durch allgegenwärtige symbiotische Eltern-Kind-Beziehungen Unmengen von kleinen Tyrannen herangezogen würden. Nun berichtet eine ARD-Dokumentation, dass Kinder, die Winterhoff „behandelte“, quasi standardmäßig mit einer fadenscheinigen Narzissmus-Diagnose abgestempelt wurden. Die Betroffenen, die in der Sendung zu Wort kommen, berichten, dass ihnen auf dieser Grundlage massiv beeinträchtigende Medikamente verschrieben wurden, teilweise selbst dann, wenn sie keinerlei Symptome zeigten. Protestierten Eltern, drohte ihnen der Entzug des Sorgerechts. Bei diesem Skandal geht es um medialen Rummel, unklare Diagnosen, einschneidende Maßnahmen, schädliche Medikation, machtlosen Protest, schweigende Institutionen und willfährige Gerichte. Die Parallelen zu dem, was in größeren Dimensionen bei Corona abläuft, sind nicht zu übersehen.
Aktuell erregt die Recherche der Journalistin Nicole Rosenbach über den Bonner Kinderpsychiater Professor Michael Winterhoff — ausgestrahlt in der ARD vom 9. August 2021 mit dem Titel: „Warum Kinder keine Tyrannen sind“ — für größeres Aufsehen. Mehrere von Winterhoff ehemals behandelte Kinder und deren Eltern kommen darin zu Wort. Sie machen plausibel, dass der bekannte Arzt Fehlbehandlungen mit starken Medikamenten auf der Grundlage fragwürdiger Pseudo-Diagnosen vorgenommen hat. Winterhoff selbst widerspricht diesen Vorwürfen in einer Gegendarstellung auf seiner Webseite. Einige Betroffene streben nun anscheinend eine gerichtliche Klärung an.
Medialer Rummel und unklare Diagnosen
Menschen mit klugen Ideen bemühen sich wohl meist um deren öffentliche Anerkennung. Jedoch wird nicht jede große geistige Errungenschaft auch rasch bekannt. Umgekehrt gilt ebenso: Nicht alles, was öffentlich als großartige Idee gehandelt wird, hat diese Wertschätzung verdient. Ein Zufall mag die allgemeine Aufmerksamkeit auf provokative, aber unsinnige Thesen lenken. Eine geschickte PR-Strategie kann solche Ideen und ihre Urheber und Urheberinnen öffentlichkeitswirksam in Szene setzten. Die Thesen von Herrn Winterhoff wurden jedenfalls von den Medien — bei Anne Will, Markus Lanz, Frank Plassberg, Sandra Maischberger und vielen anderen Redaktionen — gerne aufgegriffen. Das hat sein Renommee gefördert. Aufgrund einer solchen Popularität waren dann Kritiker, die entsprechende Thesen und Maßnahmen in Frage stellten, schnell chancenlos.
Im Begleittext zu der oben genannten Sendung heißt es, eine „Standarddiagnose“ von Professor Winterhoff habe „Narzissmus“ gelautet. In den gezeigten Dokumenten ist zu lesen: Die Kinder hätten an einer „Entwicklungsverzögerung mit Fixierung auf der narzisstischen“ beziehungsweise „ödipalen“ Phase gelitten. Außerdem habe eine „Eltern-Kind-Symbiose“ vorgelegen. Auf die „narzisstische Phase“ möchte ich hier gerne etwas näher eingehen.
Der Begriff „Narzissmus“ wurde vor über hundert Jahren aus der Taufe gehoben. Seine Entwicklung zu dem, was heute ungefähr darunter verstanden wird, nämlich so etwas wie beziehungsunfähige Selbstgefälligkeit, ist reichlich absurd. Als Freund griechischer Mythen und Psychotherapeut habe ich mich ein Vierteljahrhundert lang mit diesem Konzept und seinem ideologischen Hintergrund auseinandergesetzt, einen Beitrag dazu im Februar 2020 für den Rubikon verfasst. In jüngster Zeit ist eine umfassendere Darstellung erschienen (1).
Darin prüfe ich unter anderem, wie Fachleute — in überwiegend neuerer Zeit, also in den letzten zehn Jahren — die fiktive Gestalt des Narziss einschätzen, der im antiken Mythos als ein Opfer von Schicksal und Gewalt beschrieben ist. So musste er sich beispielsweise gegen sexuelle Bedrängnis von anderen zur Wehr setzen. Die von mir unter die Lupe genommenen zwanzig „Koryphäen“ etikettieren nun jedoch tatsächlich Narziss unbeschwert als „narzisstisch“. Sie erklären also ihn selbst zum selbstgefälligen Täter. Er habe deutlich „Schuld“ auf sich geladen: Die Abgewiesenen hätten schließlich sehr unter seiner Abfuhr gelitten.
Texte, die solchen Unsinn verbreiten, stehen aus meiner Sicht — bewusst oder unbewusst — im Dienst der Manipulation des öffentlichen Bewusstseins: Man erzählt im Detail, wie Narziss in Bedrängnis gerät, diffamiert jedoch gleichzeitig seine berechtigte Gegenwehr als „narzisstische“ Beziehungsunfähigkeit. Das breite Publikum scheint diesen Widerspruch, diese Wirklichkeitsverkehrung noch nicht einmal zu bemerken. Die entsprechende Ratgeberliteratur findet reißenden Absatz.
Das Problem der „Narzissmus-Diagnose“ hat — weit über Winterhoff hinaus — eine gewaltige Dimension. Isidor Sadger, ein Schüler von Sigmund Freud, hatte 1910 „Narzissmus“ definiert als „Verliebtheit in die eigenen Genitalien“ und ihn zum allgemeinen frühen Entwicklungsstadium erklärt. Sein Meister hatte ihm freudig zugestimmt und seinerseits den Begriff 1914 ins Uferlose ausgewalzt. Seit Freud gelten Säuglinge und Kleinkinder als besonders selbstgefällig und egozentrisch.
Man spricht hier von „primärem Narzissmus“. Daraus ergibt sich wie von selbst die erzieherische Aufgabe: den Willen der kleinen Tyrannen zu brechen.
Das hatte zu Freuds Zeiten — und auch noch einige Jahrzehnte danach — relativ gut geklappt. Diese Blindheit für die Lebenswirklichkeit von Kindern gilt seit mehr als hundert Jahren als „wissenschaftliche Erkenntnis“ und ist somit geradezu unantastbar. Das populär gewordene Wort „narzisstisch“ — von Freud mühelos ausgedehnt auf Homosexuelle, Perverse, Größenwahnsinnige, Schizophrene sowie Frauen und Mütter — lässt sich geradezu beliebig vergeben und zur Opferbeschuldigung verwenden. Wie das in der Praxis aussieht, habe ich in „Die Narzissmus-Lüge“ mit konkreten Beispielen belegt.
Das mit solch einer „Narzissmus-Diagnose“ verbundene systematische Nicht-Verstehen der Lebenssituationen von Kindern und Erwachsenen — mit oder ohne psychische Beschwerden — hat also seinen Ursprung bereits bei Freud. Winterhoff zollt ihm ganz offen seine Verehrung. Er hat Freuds Thesen im Grunde nur wieder aufgekocht. Die Vorgänge um Winterhoff scheinen dabei voll und ganz meine Kritik zu bestätigen, wie leicht sich der Begriff „Narzissmus“ in den Dienst einer geradezu systematischen Opferbeschuldigung stellen lässt.
Was ich für den „Narzissmus“ skizziert habe, lässt sich auch ganz analog für die von Winterhoff so benannte „ödipale Phase“ nachweisen (2): Auch hier wird eine literarische Vorlage aus der Antike so verdreht, dass am Ende das Opfer einer Misshandlung zum Täter erklärt wird. Auch hier führt diese im Konzept fest verankerte Opfer-Täter-Umkehr leicht zur Fehldeutung der Lebenswirklichkeit konkreter Menschen, und damit — bei entsprechender „Behandlung“ — geradezu zwangsläufig zu Verschlechterungseffekten. Dieser irrsinnige Begriff hat es ebenfalls über mehr als ein Jahrhundert geschafft, als „wissenschaftlich“ angesehen zu sein — zumindest in bestimmten Kreisen.
Einschneidende Maßnahmen
Gelten bestimmte Auffassungen als wissenschaftlich, dann lassen sich daraus Maßnahmen ableiten, die machtvoll in das Leben anderer Menschen eingreifen können — selbst dann, wenn diese Auffassungen jeder vernünftigen Grundlage entbehren. In einem mir bekannten Fall bildete sich beispielsweise eine Ärztin ein, sie könnte im Rahmen der „Begutachtung“ einer alleinerziehenden Lehrerin diese in die vermeintlich zuverlässige Kategorie „narzisstisch“ einsortieren. Sie empfahl, deren Sohn von acht Jahren „in Obhut“ zu nehmen und in einem Heim unterzubringen. Ein Gericht folgte dieser Empfehlung. Dabei handelte es sich bei der Mutter — aus der Anschauung eines konsultierten Psychiaters und von mir selbst — um eine völlig gesunde Person.
Auch Winterhoff scheint mit seinen obskuren Einschätzungen in mindestens zwei Fällen der genannten ARD-Sendung eine „Inobhutnahme“ bewirkt zu haben. In einem dritten Fall, in dem sich eine Mutter der medikamentösen Behandlung ihrer Tochter durch Winterhoff widersetzt hatte, war eine solche „Kindeswohlgefährdung“ — wohl von ihm mit angestoßen — diskutiert worden.
Schädliche Medikation und willfährige Gerichte
Mehrere Betroffene berichten, wie sie — auf der Grundlage einer unklaren Diagnose — von Professor Winterhoff eine Dauer-Medikation mit einem schweren Beruhigungsmittel — Pipamperon — erhalten haben. Das Medikament führte bei den Betroffenen zu massiver Müdigkeit. Es können weitere Nebenwirkungen wie Übergewicht oder ruckartige Bewegungen auftreten. In entsprechenden Kinderheimen wurde die verordnete Medikation anscheinend willfährig umgesetzt. Auch Jugendämter scheinen die Hinweise auf die medikamentöse Belastung nicht ernst genommen zu haben. Einzelne im Film gezeigte resolute Eltern sowie eine beherzte Betreuerin konnten sich wohl — trotz Drohungen — gegen die Anweisungen Winterhoffs durchsetzen.
In der Dokumentation wird von einem Fall berichtet, in dem eine Mutter unmittelbar die negativen Auswirkungen des Medikaments registriert hatte und ihr Kind vor Schaden bewahren wollte. Sie weigerte sich, ihrem Kind „Winterhoffs Pillen“ zu verabreichen. Ein Gericht hatte — angeregt durch ein von Winterhoff inspiriertes Jugendamt — dieser Mutter das Sorgerecht entzogen und es allein dem willfährigen Vater zugesprochen. Es wäre schön, wenn einmal überprüft würde, ob dieses Gericht seiner Sorgfaltspflicht Genüge getan hat.
Winterhoff und Corona
So bedenkenlos wie Winterhoff anscheinend Kindern Neuroleptika verordnet und das Sorgerecht verantwortungsvoller Eltern infrage gestellt hat, so unbeschwert zeigt er sich auch gegenüber den Anti-Corona-Maßnahmen. Am 25. Januar 2021 erscheint ein Interview hierzu im oberösterreichischen Volksblatt, Linz. Der offenbar corona-gläubige Redakteur Manfred Maurer fragt, ob denn die Corona-Krise für Kinder nicht auch eine Chance böte: Sie könnten erkennen, dass auch überfürsorgliche, „symbiotische“ Eltern sie nicht vor den Schrecken der Realität beschützen könnten.
Winterhoffs Antwort (Hervorhebungen KS):
„Das funktioniert nicht. Denn Kinder erleben das gar nicht als handfeste Krise. Viele haben es ja bequemer als vorher. Ich habe Kinder, die jetzt kennengelernt haben, wie schön es ist, im Bett zu bleiben oder mit dem Computer zu spielen. Alles, was an Struktur da war, ist verloren gegangen. Aber das empfinden Kinder nicht als Nachteil, sondern als Gewinn. Da, wo Eltern klar Struktur vorgeben, ist das kein Problem, aber da, wo Eltern dauernd gegen die Maßnahmen wettern, werden Kinder auch dagegen wettern.“
Also: Kontaktverbote zu Großeltern und anderen Kindern: Für Kinder ist das „keine handfeste Krise“, sondern ein „Gewinn“.
Ständig vermittelt zu bekommen, man könne selbst tödlich erkranken oder geliebte Angehörige tödlich infizieren: Das macht Kindern nichts aus. Stundenlanges Tragen von Masken mitsamt Sauerstoffmangel, Einatmung von Fasern und Beeinträchtigung des sozialen Kontaktes: Völlig harmlos.
Wenn Kinder damit ein Problem haben, dann sind nur die symbiotischen, strukturlosen Eltern daran schuld. Zynismus pur.
Für Stimmungsmache missbraucht
Und Maurer setzt nach: „Apropos: Traumatisiert Tragen von Schutzmasken Kinder, wie manche behaupten?“ Winterhoff: „Kinder haben überhaupt kein Problem damit.“ Maurer: „Wie erklären Sie sich dann den in sozialen Medien ausgetragenen Kampf gegen Maskenpflicht und Corona-Tests in Schulen?“ Winterhoff: „Kinder müssen heute für alles herhalten. Sie dienen zur Projektion: Es wird argumentiert, das Kind wolle keine Maske tragen. Tatsächlich haben die Eltern ein Problem. Ich sehe in meiner Praxis, wie selbstverständlich Kinder Masken tragen. Sie werden nur für Stimmungsmache missbraucht.“
Ein Glück, dass wir solche verantwortungsbewussten Ärzte und Ärztinnen und Psychiater und Psychiaterinnen haben, die Kindern schwere Neuroleptika dauerhaft verordnen, ihnen unerprobte Impfstoffe empfehlen, atmungshemmende Masken oder andere einschneidende Maßnahmen befürworten. So ebnen sie den Kindern einen Weg in ein gesundes Leben und schützen sie gegen ihre grundlos wetternden Eltern — notfalls mit der Entziehung des Sorgerechts. Ironie off.
ARD und Kinderrechte
Die genannte ARD-Dokumentation bezieht dankenswerter Weise engagiert gegen Winterhoff Stellung. Selbstkritisch wird darin sogar reflektiert, dass nicht zuletzt die öffentlichen Medien ihn so populär gemacht hätten. Ab Minute 6:30 kommt es jedoch zu folgender Szene: Eines der von Winterhoff offensichtlich fehldiagnostizierten Kinder leidet — laut anderweitig erfolgter Diagnostik — am Asperger-Syndrom. Sein Schulbegleiter kommt ihm — im Freien — von Ferne, mit Maske im Gesicht und beidhändig winkend, entgegen. Das ebenfalls maskierte Kind reiht sich mit ihm in eine Schlange von maskierten Kindern ein, die dann so in die Schule geführt werden.
Was wird uns mit diesen Bildern suggeriert? Etwa so etwas wie: „Wenn derartige Maßnahmen irgendwie gegen das Wohl von Kindern verstoßen würden, dann hätte die ARD natürlich direkt interveniert! Und da dies nicht passiert ist, sind diese Maßnahmen natürlich nicht zu beanstanden. Selbst Kinder mit Asperger-Syndrom gewöhnen sich problemlos und rasch daran, verbrauchte Luft und zerbröselte Fasern einzuatmen. Mutig dringen sie in die Todeszonen von Schulsälen vor.“ Vielleicht gab’s ja für diese Szene Sonderzuschüsse vom Kultus- und Gesundheitsministerium.
Und wenn demnächst die ARD über die erfolgreiche und vielversprechende Impfung von 12-Jährigen berichtet, wer wird da nicht glauben, dass sich diese Rundfunkanstalt hier erneut in tiefster Sorge um das Wohl von Kindern und deren Eltern engagiert?
ARD und Corona
Leider mangelt es in der ARD — und anderen öffentlichen Medienanstalten — an Dokumentationen, die herausarbeiten, dass in Corona-Zeiten im Grunde dasselbe geschieht wie im „System Winterhoff“ — nur in viel größerem Maßstab. Nachdem ein zweifelhafter Professor das „Wissen“ um eine drohende Gefahr durch einen Virus aus China irgendwie verbreitet und populär gemacht hat, sind er und ein unqualifizierter Tierarzt — angefeuert durch medialen Rummel — zu Medienstars avanciert. Mit zweifelhaften Methoden — beispielsweise PCR-Tests — haben sie serienmäßig für fragwürdige Diagnosen gesorgt und, darauf aufbauend, entsprechend massive Erkrankungen konstatiert.
Die angeblich adäquaten Behandlungen schneiden tief in das „normale“ Leben der Menschen ein — Isolation, Masken, Schließungen, Quarantäne, Ausgangssperren, … . Eltern droht bei Nicht-Umsetzung von Anordnungen die Entziehung des Sorgerechts. So gut wie alle Einrichtungen — Ämter, Krankenhäuser, Altenheime, Schulen, … — machen sämtliche Maßnahmen unkritisch mit. Gegen das gebetsmühlenartig wiederholte Corona-Mantra der Gurus kommt keine kritische Stimme an. Kaum jemand traut sich noch, ernsthaft zu widersprechen. Heilmittel — Hydroxychloroquin, Beatmung, mRNA-Impfung, … —, deren Wirkungen zumindest als zweifelhaft oder sogar schädlich einzustufen sind, werden unbeschwert verabreicht. Willfährige Gerichte erzwingen die Umsetzung von Maßnahmen, anstatt sie sorgfältig und neutral auf ihre Angemessenheit hin zu untersuchen.
Resümee
„Wissenschaft“ prägt schon seit Jahrhunderten unsere Sicht auf die Welt. Bisweilen können ihre Einsichten durchaus hilfreich sein. Manche vermeintliche Weisheiten sind jedoch nur in die Welt gesetzt, um uns Menschen zu manipulieren. Im Interesse einiger Weniger wird absichtlich das öffentliche Bewusstsein verwirrt. Das hat Rainer Mausfeld gut herausgearbeitet (3). Selbst Laien könnten das bisweilen klar erkennen.
Gelenkt vom Herdeninstinkt und Gehorsam gegenüber Autoritäten geht die Mehrheit der Herde jedoch allzu gern der Lüge auf den Leim — unter medialer Dauerpropaganda auf der Grundlage sorgfältig entwickelter „Softpower-Techniken“.
„Narzissmus“ ist aus meiner Sicht einer von solchen manipulativen Begriffen, durch den ein Unheil, wie ihn die ARD-Dokumentation darstellt, begünstigt worden ist. Am Einzelfall Winterhoff ist für einen kurzen Moment ein Missstand sichtbar geworden. Die willfährigen Handlanger beteuern pflichtschuldig, sie hätten davon nichts gewusst — haben dabei womöglich zuvor nur entsprechende eigene Wahrnehmungen oder auch Warnungen von außen nicht ernst genommen. Das alte Grundübel — eine im Begriff „Narzissmus“ fest eingebaute Opfer-Beschuldigungs-Ideologie — besteht jedoch in vielen anderen Zusammenhängen fort und stiftet dort weiterhin immensen Schaden. Und zwar seit über einhundert Jahren, unbeachtet von jeglichen Medien. Seit einem Vierteljahrhundert rede ich mir hierzu „den Mund fusselig“.
Über Jahrzehnte hat — laut ARD-Dokumentation — das „System Winterhoff“ offenbar unnötiges, schlimmes Leid verursacht. Vermutlich lässt sich keine Gesetzmäßigkeit erkennen, warum an dieser Stelle eine entsprechende Aufklärung einmal die Chance hatte, wahrgenommen und beachtet zu werden. Eine Verschwörungs-Hypothese könnte lauten, dass dieses fast ein wenig auffällig wirkende mediale Schlachtfest eine Funktion hätte, nämlich: einen für die nächste Zeit geplanten weiteren medialen Feldzug — zur Corona-Impfung von Kindern — glaubhafter zu machen.
Wahrscheinlich ist im Fall Winterhoff schon bald wieder — wie bei dem „Schweine-Grippen-Desaster“ — „Gras über die Sache gewachsen“. An vielen anderen Stellen laufen ohnehin in ganz ähnlicher Weise solche Inszenierungen und Manipulationen weiter ab — zum Schaden der Allgemeinheit und zum Nutzen einiger Weniger.
Abhilfe?
Wie lange noch? Wer erklärt uns mal plausibel, wer eigentlich die echten Tyrannen sind, wie sie nur dazu werden konnten und wie wir sie wieder loswerden? Wann endlich werden Ombudsmänner und -frauen oder unabhängige Ausschüsse fest installiert, bei denen Tyranneien in allen Belangen des öffentlichen Lebens — nach Hinweisen aus der Bevölkerung — systematisch, gründlich und transparent diskutiert und untersucht werden?
Wieso werden die echt informativen Sitzungen des Corona-Untersuchungsausschusses nicht zur besten Sendezeit abwechselnd von ARD und ZDF übertragen? Wäre doch schön, wenn in einer mit Informations-Medien bestens ausgestatteten Gesellschaft sich endlich erübrigt hätte, dass Menschen immer dann, wenn mal wieder ein jahrelanges Desaster aufgedeckt wurde, entsetzt ausbrechen müssen in ein: „Das haben wir ja gar nicht gewusst!“
Quellen und Anmerkungen:
(1) Klaus Schlagmann: „Die Narzissmus-Lüge. Über den Missbrauch eines emanzipatorischen Mythos“, 2021, R.G. Fischer Verlag, Frankfurt
(2) Klaus Schlagmann: „Ödipus — komplex betrachtet“, 2005, Eigenverlag. Dem Begriff „Ödipuskomplex“ liegt das Drama „König Ödipus“ von Sophokles zugrunde. Das grandiose Stück thematisiert gleichnishaft, dass die Bürgerschaft Athens ihre ursprünglich demokratischen Gepflogenheiten missachtet und vernachlässigt hatte. Dadurch hatte sie sich selbst immer mehr in eine bedrohliche Situation hinein manövriert. Hierbei spielt auch eine Seuche eine wichtige Rolle. Dies habe ich für den Rubikon am 21. Mai 2020 dargestellt.
(3) Rainer Mausfeld: „Warum schweigen die Lämmer?“, 2018, Westend-Verlag, Frankfurt