Unterwerfung als Spektakel
Bundeswehr-Soaps inszenieren Kriegsvorbereitung als Lifestyle-Event und verharmlosen die Erniedrigung junger Menschen.
Für die, die’s noch nicht wissen sollten: Die Bundeswehr ist jetzt total in. Bundeswehroffiziere werben mit Duldung der meisten Lehrer und Eltern in deutschen Klassenzimmern fürs Sterben. Auf Plakaten und in Anzeigen liest man Slogans wie „Grünzeug ist auch gesund für deine Karriere“, „Bei uns geht es ums Weiterkommen. Nicht nur ums Stillstehen“, „Mach, was wirklich zählt“. Nicht zuletzt bereiten YouTube-Serien wie „Die Rekruten“, „Die Rekrutinnen“ und „Unsere Bundeswehr“ junge Menschen darauf vor, dass selbst eine entwürdigende Behandlung durch Vorgesetzte „normal“ und somit hinzunehmen ist — mitten in Deutschland, in unserer vermeintlichen Demokratie. Bundeswehr-Soaps sind Ausdruck eines zunehmend wieder autoritären Staatsverständnisses und bagatellisieren psychische Gewalt. Paradoxerweise hat der perfide Marketing-Vorstoß der Bundeswehr Erfolg: bei den potenziellen Opfern.
Der bullige Ausbilder gibt sich genervt. Es ist der erste Tag eines neuen Rekrutenjahrgangs. Viele Anfängerfehler, die es zurechtzuschleifen gilt. Aber der Hauptfeldwebel hat Routine. Auf seinem Gesicht liegt das selbstgefällige Grinsen eines Mannes, der möglichen Widerstand gelassen nimmt, weil er weiß, dass er jederzeit die Mittel hat, diesen zu brechen. In die Kamera erklärt der Reality-Protagonist der Bundeswehr-Soap „Die Rekruten“.
Es geht um einen simplen Vorgang: das Eintreten der Neulinge in ein Amtszimmer. „An der Linie sollen die sich einfach bloß aufhalten und dann ordentlich anklopfen. Und viele schaffen’s einfach nicht. Die rennen einfach los und sagen ‚Hallo, hier bin ich‘. Das gibt’s aber nicht.“ Der Ausbilder erklärt nicht den Sinn der Regel, er sagt nur, was Sache ist: „Es gibt zwei verschiedene Arten, diese Linie zu übertreten: eine richtige und eine falsche.“
Die Filmregie unterstützt diese Regelung visuell — als wolle sie angehende Rekruten im Interesse der Bundeswehr schon präventiv miterziehen. Ein junger Mann bleibt vor einem dick gezogenen Strich am Boden stehen. Ein dicker grüner Schriftzug wird eingeblendet: „Richtig“. Ein unsicherer anderer Rekrut schlendert gleich ohne Anklopfen ins Amtszimmer. Dicker roter Schriftzug: „Falsch“. Ein dritter verlässt das Zimmer gerade. Er sagt zum Abschied: „Alles klar!“ Jetzt erhebt sich die Stimme des Vorgesetzten drohend: „Nicht ‚alles klar‘, sondern …???“ Sichtlich gequält und eingeschüchtert stößt der Jüngling hervor: „Jawohl!“ Mit diesem Unterwerfungsritual ist das Erziehungsziel erreicht. Nicht nur wird der Rekrut künftig dienstbeflissen die Silbe „…wohl“ anhängen; er hat auch kapiert, wer beim Bund das Sagen hat.
„Nix gestellt“ — Entwürdigung als Realität
„Es war, als würde man auf dem Marktplatz eine Guillotine aufstellen. Du rechnest doch nicht damit, dass zig Leute Schlange stehen, um den Kopf reinzulegen.“ So sagt es Firmengründer Ty in Dave Eggers Roman „The Circle“. Er meint damit die von seinem Unternehmen produzierte Überwachungstechnologie, der sich Millionen Menschen freiwillig ausliefern. Ein Phänomen kann gar nicht so perfide und so abstoßend sein, dass es sich nicht durch geschickt gemachte PR zu einem Verkaufsschlager aufmotzen ließe. Über Jahrzehnte war ich dem Irrtum aufgesessen, das Phänomen Militärausbildung sei von Geheimhaltung abhängig. Die „Normalbevölkerung“ wisse nicht, was in den Kasernen an täglichen Demütigungen, an struktureller Gewalt und Ödnis ablaufe. Würde sie es erfahren, erhöbe sich ein Aufschrei und großer Widerstand in der Bevölkerung.
Das war naiv, denn nun liegen die Zustände bei der Bundeswehr offen zutage. TV-Soaps wie „Die Rekruten“ zeigen auf youTube in 10-Minuten-Filmchen den Alltag bei der Truppe. Dabei wechseln sich „Reality“-Szenen mit Kurzstatements von Ausbildern wie auch Rekruten ab. Das Ganze scheint realitätsnah und zeigt auch die Härten des Soldatenalltags. Das offizielle Making-of macht durchaus glaubwürdig klar: Da ist „nix gestellt“. Natürlich würde die Serie nie einen Vorgesetzten zeigen, der ausrastet oder mit Schikanen die Vorschriften verletzt.
Die Wahrheit ist jedoch: Beim Wehrbeauftragten gehen jährlich zwischen 4.100 und 9.500 Beschwerden ein. Häufig geht es dabei um Grundrechtsverletzungen durch Vorgesetzte. Wenden sich die Zuschauer nun mit Grausen von der Serie ab? Mitnichten. „Die Rekruten“ erreichte in den ersten Jahren der Ausstrahlung — seit 2016 — stets Spitzenwerte in den youTube-Statistiken. Die Bundeswehr gibt an, dass Bewerberzahlen durch die Serie um 20 Prozent gestiegen seien.
Frauen an die Waffe!
Natürlich haben die Werbestrategen jetzt auch die Frauen entdeckt und eine Komplementär-Soap, „Die Rekrutinnen“, auf die Beine gestellt.
„Ihr Frauen wollt Gleichberechtigung? Na, dann kommt zu uns! Hier dürft ihr zeigen, dass ihr genau das Gleiche draufhabt wie die Männer!“, heißt es in einer der Folgen. Hier wird der verständliche Wunsch nach Gleichberechtigung instrumentalisiert, um junge Frauen an die Gewehre und auf die Exerzierplätze zu locken. Emanzipation ist, wenn Frauen bei demselben menschenverachtenden Unsinn mitmachen wie Männer.
Die Zeitschrift Emma titelte 2002: „Einige unserer besten Soldaten tragen Lippenstift.“
„Rekrutinnen“ zeigt Homestorys von den sichtlich unreifen Bundeswehrfreiwilligen Enny, Lea und Melanie. Ennys Vater entlässt seine Tochter mit einem besonders feinfühligen Spruch in den Dienst am Vaterland: „Wenn du heulst, dann heul ins Kissen!“ Die Storys zeigen: Von ihren Eltern können die jungen Leute keinen Schutz erwarten. Die agieren eher systemstabilisierend im Sinne einer Heimatfront.
Das Perfide an den Rekrutinnen-Soaps ist nicht, dass sie eine heile Welt vermitteln würden. Da fließen manchmal Tränen, machen Jungsoldatinnen ihrem Frust und ihrer Traurigkeit vor der Kamera Luft. Wirklich abstoßend ist die indirekte Kumpanei der Inszenierung mit den Ausbildern. Die äußert sich zum Beispiel oft durch die Musikauswahl, durch Schnitte, Geräusche und Schrifteinblendungen, die lustig wirken sollen und offensichtlich darauf abzielen, bei den Zuschauern Schadenfreude zu wecken. Sicher konsumieren viele an Trash gewöhnte Zuschauer die Rekruten-Serien wie Folgen des „Dschungelcamps“ — als lustvoll erlebtes Ekel- und Erniedrigungsschauspiel.
„Freiwillige“ Preisgabe der Würde
Dabei verstecken die Soaps nicht einmal, dass gerade Frauen bei der Bundeswehr respektlosen Sprüchen ausgesetzt sind: „Sie sind eine Frau, oder?“, „Ich nehme an, Sie können lesen?“. Im Sinne einer insgesamt ins Autoritäre abdriftenden Zeitstimmung und einer zunehmend den öffentlichen Raum durchdringenden Präsenz der Bundeswehr sind die Filmchen deshalb mehr als eine Bagatelle.
Sie inszenieren Erniedrigungen bewusst als Lehrstücke deutscher Wirklichkeit, was den Umgang des Staats mit seinen Bürgern betrifft. Schon dadurch, dass kritische Kommentare zu den Geschehnissen seitens der Regie völlig unterbleiben, werden die Rekrutinnen öffentlich bloßgestellt und in eine Position hilflosen Erduldens gedrängt.
Die Suggestion — auch an die Bürger „draußen“ gerichtet — ist: „So ist das nun mal bei der Bundeswehr. Da herrscht ein rauer Ton. Da wird pariert. Besser du gewöhnst dich dran.“
Warum tun Mädchen und Jungen sich das an? Sicher gibt es naheliegende Erklärungsmuster, die unserem Gemeinwesen allesamt kein gutes Zeugnis ausstellen. Entweder wurden die Kinder schon vorab durch Erziehung und Elternhaus gebrochen, sodass der totale Entzug von Freiheit für sie nur die Fortsetzung des Gewohnten darstellt. Oder es ist im Gegenteil eine empfundene Halt- und Perspektivlosigkeit, die junge Menschen motiviert, sich dem glatten Gegenteil des Gewohnten auszuliefern. Statt „Abhängen“ und „Chillen“ ein komplett fremdbestimmter Alltag, der bis ins kleinste Detail durch Befehle vorstrukturiert ist.
Faschistoides Männlichkeitsideal
Hierzu muss man einen Blick auf die Versprechungen werfen, mit denen die Bundeswehr Bewerber zu fangen versucht. So in dem Motivationsfilm „Wir. Dienen. Deutschland.“. Die Produktionsfirma dieses Films — offensichtlich keine Parodie — heißt „Wargasm“. Der Clip ist in der Ästhetik eines Spielfilm-Trailers gehalten. Zu martialischer Spannungsmusik werden Aktionen von Soldaten gezeigt, vorzugsweise mit schwerem Gerät, Flugzeugen und Panzern. Gespenstisch und faschistoid eine Szene, in der hochgewachsene, haargenau gleich aussehende Elitesoldaten „Wir! Dienen! Deutschland!“ brüllen. Danach eine Reihe von Einzelstatements wie „Weil ich dem Land etwas zurückgeben möchte“.
Häufig findet man in Werbefilmen zwei Argumentationsmuster: Erstens wird das Herausfordernde des Militärdienstes betont. Jemand will „an seine Grenzen gehen“, betrachtet die Militärausbildung also quasi als Mentaltraining mit dem Ziel der Selbstoptimierung. Oder, zweitens, die Wehrwilligen suggerieren eine Art Bringschuld des Bürgers gegenüber „seinem“ Land beziehungsweise Staat.
Schon dies wäre ein Symptom massiver Gehirnwäsche.
Durch die Bundeswehr-Soaps wird ein Menschenbild dargestellt, das die Volks-Dressurkünstler auch außerhalb der Militärausbildung für erstrebenwert halten:
- Stets nimmt die Perspektive der Vorgesetzten einen breiten Raum ein, sodass von Anfang an eine Solidarisierung mit deren „Nöten“ — faule, ungehorsame und unfähige Rekruten — erzeugt wird.
- Ausbilder sind bei aller „notwendigen“ Härte und Strenge in der Regel wohlwollend, bleiben sachlich und fair. Es wird somit ein positives Image für Härte und Strenge generell sowie für das Prinzip Befehl und Gehorsam erzeugt.
- Rekruten verhalten sich häufig ziemlich vertrottelt, werden als haltlose Waschlappen dargestellt. Dies suggeriert, dass ein bisschen Drill ihnen eigentlich ganz guttäte, damit sie zu Männern beziehungsweise Männinnen geschmiedet werden.
- In den Serien wird niemals ein erfolgreicher Akt des Aufbegehrens gezeigt — „Widerstand ist zwecklos“. Die einzige bestehende Alternative ist die zwischen sofortigem, blindem Gehorsam und halbherzigen Versuchen des Aufbegehrens, die stets unausweichlich im finalen Unterwerfungsakt münden.
- Die Serien stellen den Sinn von Befehlen und Vorschriften nie infrage, obwohl nicht weniges offensichtlich unsinnig ist — angefangen von der „Formalausbildung“ bis hin zur „Spind-Ordnung“ —, „Warum haben Sie keinen Staub gewischt? Was habe ich letzte Woche gesagt?“. Auch der unterirdische Tonfall der Vorgesetzen wird nicht kritisch hinterfragt. So brüllt ein Unteroffizier in „Die Rekrutinnen“: „Saubere Formation! Ich hab nichts von irgendwelchen Sauhaufen befohlen.“ Die Serie zeigt deutlich: Auch Beleidigungen sind in den menschenrechtsreduzierten Zonen des Militärs gang und gäbe.
Gebrochene Menschen sind ideale Staatsbürger
Schikanöse Vorschriften und permanente Herabsetzungen der Rekruten dienen der Brechung des Eigenwillens, sie werden nicht trotz, sondern wegen ihrer Unsinnigkeit konzipiert. Denn nur ein Soldat, der das Nachdenken komplett aufgegeben hat und dessen Gehorsam automatisiert abläuft, ist im Krieg „brauchbar“.
Ein solcher Mensch wird willig in das Gewehrfeuer des „Feindes“ hineinlaufen und ist selbst bereit zu töten. Den Rekruten wird damit ein Teil dessen abtrainiert, was sie als Menschen ausmacht. Durch staatlich legitimierte Strukturen, die den Einzelnen einer Situation absoluter Machtlosigkeit ausliefert, wird letztlich eine Identifikation mit dem Aggressor erzwungen.
Das Bewusstsein, sich diesem Irrsinn unterworfen zu haben, führt zu einem latenten Gefühl der Scham, einem Selbstwertverlust, der es wiederum für die Ausbilder künftig leichter macht, ohne Gegenwehr über das optimierte Menschenmaterial zu verfügen.
In der Geschichte hatte es vielfach Zwangsrekrutierungen gegeben, so unter Hitler, in der Preußischen Armee („Zwangsaushebung“) sowie im Osmanischen Reich, wo dafür der Begriff „Knabenlese“ benutzt wurde. Generell ist auch ein System der Wehrpflicht mit Recht auf Kriegsdienstverweigerung partiell ein Zwangssystem, wenn jemand bei nicht bestandener „Gewissensprüfung“ gegen seinen Willen eingezogen wird.
Im Nachhinein betrachtet muss man fragen, warum sich all diese Regime überhaupt solche Mühe gemacht haben. Bei Jungs und Mädels, wie wir sie in den Bundeswehr-Soaps erleben, müsste man wohl Zwang anwenden, damit sie nicht willig in die Kasernen und an die Gewehre rennen. Vielleicht fehlten unter Hitler und dem „Alten Fritz“ auch einfach moderne Propagandamethoden, wie sie der Bundeswehr heute zur Verfügung stehen.
„Unsere“ Jugend an die Front
Nachdem die nur auf youTube verfügbaren Serien „Die Rekruten“ und „Die Rekrutinnen“ nach Anfangserfolgen nicht mehr so viel Zulauf hatten, musste natürlich ein Update auf den Markt geworfen werden. Dieses hieß nicht etwa, wie man hätte vermuten könne, „Die Rekrut*innen“, um auch genderfluide Rekrutierte miteinzubeziehen. Nein, die neue Drill-Soap heißt: „Unsere Bundeswehr“.
Das Possessivpronomen „Unsere“ lässt mich in diesem Zusammenhang mittlerweile entnervt zusammenzucken. Zu sehr erinnert es an die Schaffung eines künstlichen Gemeinschaftsgefühls zu Propagandazwecken. „Unsere Demokratie“ sagt Nancy Faeser, sagen auch andere etablierte Politiker gern, um ebendiese Demokratie dann Schritt für Schritt durch Einschränkung der Meinungsfreiheit zu unterhöhlen. Um indirekt auch Personen zu markieren, die eben nicht zu „uns“ gehört, sondern infolge unbotmäßiger Kritik wie schmutzige Hunde „draußen bleiben“ müssen. Andererseits strahlt das Pronomen „unsere“ auch etwas Gemütliches aus. Man denkt unwillkürlich an die Serie „Unsere kleine Farm“, an Helmut Kohls Diktum „In diesem unserem Lande“ oder an den ehemaligen Lieblingsfußballer der Nation, Uwe Seeler, der vertraulich als „Uns‘ Uwe“ bezeichnet wurde.
„Unsere Bundeswehr“ bedeutet: Die Bundeswehr gehört zu uns, sie geht uns alle etwas an. Sie sollte stets in unseren Gedanken und Herzen wohnen. Eine positive Einstellung zu „unseren“ Jungs und Mädels wie überhaupt zum Soldatentum sollte den Volksgeist durchdringen.
Auffällig ist bei „Unsere Bundeswehr“, dass die Serie von der Machart her ernsthafter rüberkommt als ihre Vorgänger.
Drehbuch und Regie verzichten darauf, sich über die Rekrutierten lustig zu machen, es gibt keine launigen Auflockerungen der Szenerie mehr, keinen Slapstick. Dies wirkt fairer gegenüber Soldaten, scheint aber auch ausdrücken zu wollen: „In der jetzigen Weltlage ist Schluss mit lustig.“ Die Sendung wurde dann auch nicht bloß auf youTube ausgestrahlt, sondern ganz seriös im Fernsehen, auf Kabel Eins. Die Serie folgt nicht über mehrere Folgen denselben Protagonisten, sondern deckt verschiedene Truppenteile mit verschiedenen Aufgabenbereichen ab und versucht dadurch einen möglichst vollständigen Eindruck von „unserer“ Armee zu vermitteln.
Halbgötter in Uniform
Einer der Höhepunkte der Reihe ist die Folge „Das Extrem-Bootcamp in der Grundausbildung“. Sie beginnt mit der Aussage einer Stimme aus dem Off, es gebe seit der Abschaffung der Wehrpflicht zu wenige Freiwillige. Ein paar von ihnen wolle der Film dennoch porträtieren. Einer von ihnen ist der 21-jährige Roman. „Er hat einen Traum: mit der Marine zur See fahren.“
Zuerst aber muss er das „Biwak“ absolvieren, „die extremste Härteprüfung der Grundausbildung“. Immer wieder brechen nach dem 2-tägigen Bootcamp Rekruten ihre Grundausbildung ab, erklärt die Stimme. Nun wird gezeigt, wie die Soldaten auf dem Kasernenhof antreten. Da kommt der Ausbilder, ein Hauptmann, gleich zur Sache: „Wenn ich als Ihr stellvertretender Zugführer Ihnen den Befehl gebe, ‚Helm auf den Rucksack‘, dann ist das — ja! — das Amen in der Kirche.“
Offensichtlich möchte der Zuführer seine Tätigkeit, also das Ausstoßen gebellter Befehle zur Kriegsvorbereitung, mit quasireligiöser Bedeutung aufladen. Hier wäre es angebracht gewesen, dieses Gehabe eines Vorgesetzten journalistisch einzuordnen und Kritik zu üben. Die Offstimme kommentiert aber nur: „Bei der Bundeswehr gibt es kein Zögern und keinen Protest, schon gar nicht in der Grundausbildung.“
Roman, der in der Folge eine kleine Hauptrolle spielt, spricht in einem eingefügten Kurzinterview über seine Motivation, all das auf sich zu nehmen: „Ich sehe absolute Stille im Meer. Zusammen mit Kameraden einfach mal zur See fahren, Dinge erleben, Sachen zusammen machen, Kameradschaftlichkeit …“ Schnitt: Der Zugführer verhöhnt einen Soldaten, der sein Gesicht zu wenig mit der Tarnung dienendem Schmutz beschmiert hat. „Wie kann man sich denn nur die Stirn und die Wangen so’n bisschen …? Moulin Rouge oder was? Meine Fresse!“ Offstimme: „Ein rauer Ton ist normal. Disziplin muss sein.“ Immer wieder hakt der Vorgesetzte nach: „Habt ihr verstanden?“ Im Chor rufen die Unterworfenen: „Jawohl, Herr Hauptmann.“
„Bisweilen ein rauer Ton“
Dann folgen zwei Kilometer Dauerlauf mit Gewehr und Gepäck — rund 17 kg. Roman sieht darin durchaus einen Sinn: „Die Grenzen austesten. Wann du anfängst zu kotzen, wenn du läufst.“ Dieses Durchhaltevermögen nötigt dem Kommentator Respekt ab. „Die Kräfte lassen nach, aber Aufgeben ist für Roman keine Option. Auch hier gilt: Trainiert wird für den Ernstfall.“ Beim Antreten nach absolviertem Dauerlauf sind die Soldaten fix und fertig. Sie wanken und schnaufen. Der Zugführer legt dennoch Wert auf eine tadellose Haltung: „Stellt euch vernünftig hin. Hinstellen, nicht nach vorne beugen.“ Einer scheint das nicht kapiert zu haben und wird zusammengebrüllt: „Sie sollen sich hinstellen!“
Unmittelbar nach diesem für viele Zuschauer sicher befremdlichen Ereignis wird ein Oberst a. D. eingeblendet, der eindeutig Partei für den Brüller ergreift und somit auch uns Zuschauer geistig auf Linie zu bringen versucht:
„Der Vorgesetzte ist darauf bedacht, dass seine Rekruten robust werden, sich auch hohen körperlichen Anforderungen stellen. Er schlägt bisweilen einen rauen Ton an, um höchste Konzentration zu stiften und allen die enorm wichtige Bedeutung dieser Maßnahmen zu verdeutlichen. Zaghaftes Herumlabern oder gemütlicher Erzählton wären wenig hilfreich.“
Schießbefehl für den Ernstfall
Roman und seine Kameraden sollen jetzt Stellung beziehen, jedoch nicht politisch, sondern buchstäblich, indem sie sich mit Blick auf einen potenziellen Feind in Stellung bringen. Fast sadistisch wirkt da der Kommentar der Offstimme: „Kaum eine Pause zur Erholung, doch die Soldaten werden bald noch mehr leiden.“
Wieder sieht man die Jungs mit Gepäck rennen. „Wenig Essen und kaum Schlaf“ sei kennzeichnend für diese Phase der „Ausbildung“. Roman hat seine Stellung bezogen und zielt mit seinem Gewehr ins Irgendwo. Er fantasiert — allerdings jetzt nicht mehr von der „Stille auf dem Meer“, sondern von einem Tötungsvorgang, zu dem er im Ernstfall berechtigt wäre: „Wenn sich ein Feind auf mehr als 200 Meter nähert, dann habe ich die Feuererlaubnis.“
Zu all dem ist zu sagen, dass körperliches Training sicher noch zu den sinnvolleren Ausbildungsabschnitten beim Militär gehört. Wenn der Russe demnächst in Peißenberg oder Prenzlau einmarschieren würde, könnte es tatsächlich sein, dass es zu strapaziösen Anforderungen an Soldaten und zu gefährlichen Situationen käme. Da die Regierung jedoch außerstande ist, eine Entspannungspolitik zu machen, die derart „spannende“ Situationen gar nicht erst entstehen ließe, müssen immer neue Generationen unter Qualen und Demütigungen für den „Ernstfall“ trainieren.
Militaristen spielen einander die Bälle zu
Und so gut es an und für sich ist, wenn junge Menschen körperlich leistungsfähig sind — den „Unsere Bundeswehr“-Filmchen merkt man nur allzu deutlich an, dass es bei der ganzen Veranstaltung vor allem darum geht, Menschen zu brechen. Soldaten als Gebrochene einem Millionenpublikum vorzuführen ist besonders perfide, auch wenn nicht alle Gesichter in der Serie deutlich gezeigt werden und besonders eifrige Protagonisten wie Roman freiwillig teilnahmen. „Audiatur et altera pars“ (lateinisch für „Gehört werde auch der andere Teil)“ lautet ein Rechtsgrundsatz, dessen Berücksichtigung auch den Medien gut anstünde.
Das heißt:
Wenn ein Sender wie Kabel Eins über die Bundeswehr berichtet, wäre es angemessen, im Sinne der Ausgewogenheit auch Antimilitaristen und Pazifisten zu Wort kommen zu lassen, Bundeswehr-Aussteiger mit Misshandlungserfahrung, Menschen, die den Drill und das Prinzip „Befehl und Gehorsam“ grundlegend infrage stellen. Tatsächlich aber spielen sich in „Unsere Bundeswehr“ nur verschiedene Befürworter des Systems Militär gegenseitig die Bälle zu.
Auf einen linientreuen Vorgesetzten folgen ein linientreuer Ex-Soldat, eine linientreue Offstimme sowie als Krönung ein unbegrenzt unterwerfungsbereiter, braver Soldat. So viel zur Meinungsvielfalt in den Medien.
Worum es — zusätzlich zur Menschendressur — speziell in den letzten Jahren gegangen ist, bringt ein weiterer Film der Reihe „Unsere Bundeswehr“ klar zum Ausdruck:
„Seit Beginn des Ukrainekriegs setzt die Bundeswehr ihren Trainingsfokus wieder verstärkt auf Landes- und Bündnisverteidigung. Das Wachbataillon trainiert deshalb vermehrt, nicht nur Protokolldienst zu leisten, sondern sich auch als Infanterie im Ernstfall schützend vor uns alle zu stellen. Ein Ernstfall, der hoffentlich nie eintreten wird.“
Durch Angstmache werden die Menschen an der „Heimatfront“ dazu gebracht, der Militarisierung des Landes und den erniedrigenden Ritualen der Soldatenausbildung zuzustimmen. Und während „unsere Jungs und Mädels“ für den Ernstfall trainieren, „der hoffentlich nie eintreten wird“, tun Kriegstreiber aus fast allen Parteien ihr Bestes, damit er eintritt.