Unter Mördern und Irren
Will man Wahnsinn überwinden, muss man ihm die Maske des Vernünftigen vom Gesicht reißen.
Um Wahnsinn zu begreifen, muss man ihn fassen können. Dafür braucht es Bezüge, die ihn sichtbar machen. Was gegenwärtig in Berlin, in München und anderswo von der Exekutive veranstaltet wird, ist blanker Irrsinn. Ist tödlich. Vor der Erkenntnis, dass an der Spitze des Staates Irre und Mörder am Werke sein könnten, schrecken die meisten jedoch zurück. Zu unbegreiflich scheint dies, zu beängstigend auch die Erkenntnis der Wahrheit. Die Erkenntnisse der Dichterin und Denkerin Ingeborg Bachmann machen — dichterisch ausformuliert — den Irrsinn fassbar, indem sie ihn in eine Geschichte einbetten. Nur gegen einen Wahnsinn, den man durchschaut hat, lässt sich vorgehen. Gleichgültig, ob er den Namen Hitler trägt oder den eines lebenden Politikers.
Im Jahre 1961 veröffentlichte Ingeborg Bachmann eine Kurzgeschichte mit dem Titel „Unter Mördern und Irren“ (1). Dieser Text, dem ausgerollten Glauben widersprechend, der Faschismus sei mit dem Ende Hitlers überwunden, wurde nicht zu einem bekannten Titel der Schriftstellerin und Denkerin, die ihren Namen für die Klagenfurter Literaturshow hergeben muss. Und dass eine so systemkonforme Angelegenheit wie diese Show überhaupt auf Bachmann referiert, kann nur einem fundamentalen, allerdings in sich logischen Unverständnis geschuldet sein.
Als man, wen wundert‘s, das Gesamtwerk der Denkerin mit der Schablone des sexuellen Missbrauchs zu fassen versuchte, dachte ich, der Höhepunkt der Textentschärfung sei erreicht. Gefehlt. Es ließ sich punkto Abzug der Kritik von den Zentren der Macht noch eins drauflegen, und so erklärte die Germanistin Ina Hartwig den Mord, den die Autorin als letztes Wort ihres Romans „Malina“ setzt, zu einer Selbstzerstörung. Ganz im neoliberalen Sinne: Der Mensch ist seines Glücks Schmied. Und geht was schief, so geht auch das auf ihn selbst zurück. Niemals aufs System. Das ist mit Eigenverantwortung gemeint, und Macht gibt es nicht. Das heißt, es gibt sie schon, irgendwie, aber sie ist so verästelt und am Ende jeder daran so unentrinnbar beteiligt, dass sie mit Ohnmacht und überhaupt allem verschwimmt und sich jedem Zugriff entzieht.
Dieses neoliberale Mantra, eingeleitet weit im 20. Jahrhundert drin mit dem Kongress der kulturellen Freiheit und der zielgenauen Einführung des Begriffs der Verschwörungstheorie durch die CIA zwecks Diffamierung sämtlicher Macht-Entschleierungsversuche und am Ende überhaupt jeder erkenntnistheoretischen Reflexion, hat mittlerweile alles durchseucht, sodass Irre und Mörder wie zu Hitlers Zeiten nicht nur die Welt regieren, sondern dabei gänzlich bieder als das Gegenteil dessen auftreten können, was sie sind: als Verkörperung von Vernunft und Verstand. Eine Pandemie wurde fällig.
„Einproben“ ist dafür der angemessene Begriff, denn es ging bei all den Übungen, von Dark Winter bis Event 201, die dem Virus den Weg ebneten, nicht um wissenschaftliche Versuchsanlagen, vielmehr saßen die Teilnehmer, überwiegend keine Wissenschaftler und wenn, dann Lobbyisten, ganz trivial an Tischen und übten Rollen ein. Die Texte, allesamt der totalitären Rhetorik entnommen, waren drehbuchmäßig vorgefertigt. So wird keine Erkenntnis gewonnen, so werden eben Inszenierungen geprobt. Abläufe, Rollenverteilung, Finanzierungen, Vorwegnahme möglicher Kritik und vor allem: Zensur und Propaganda.
Das blaue Wild jagen
In Bachmanns Erzählung sitzen ebenso Gruppen um Tische. In einem Wirtshaus. Ein paar Jahre nach dem Krieg. Genau genommen zwei verschiedene Gruppierungen in zwei verschiedenen Räumen. Intellektuelle zum einen, die an die Gruppe 47 (2) erinnern und sich selbst fast schon paradigmatisch als Exempel der Überwindung der NS-Zeit verstehen. Zum anderen Fröntler-Nostalgiker, also sozusagen deren Antipoden. Antifaschisten und Faschisten in räumlicher Nähe, und am Ende des Abends gibt es einen Toten. Das Entscheidende: Der Text lässt Grenzen verschwimmen. Faschistoides schält sich plötzlich da heraus, wo es nicht sein kann. Bei den Intellektuellen eben. In ihren Träumen, ihren Erinnerungen. Mit ihrer Sprache jagen sie das blaue Wild. So fasst Bachmann metaphorisch, was sich einstellt. Und dass es ein jagen ist, ist Zufall nicht.
Zweifelsohne liegt dem Text die persönliche Erfahrung zugrunde, die Ingeborg Bachmann anlässlich eines Treffens der Gruppe 47 im Jahre 1952 zur Aussage veranlasste: „Am zweiten Abend wollte ich abreisen, weil ein Gespräch (...) mich denken ließ, ich sei unter deutsche Nazis gefallen“ (3).
Das Muster, das nicht erst seit Corona gegeben ist, dass nämlich jene, die sich mit antifaschistisch anschreiben, das Totalitäre vollziehen, mitunter just bei diesem Anschrieb, dieses Muster wurde von Ingeborg Bachmann lange vor Corona, lange vor 9/11, lange vor dem Mauerfall und vor dem Beginn der „humanitären Eingriffe“ im Balkan und anderswo und Jahre vor Reagan/Thatcher herausgestellt. Aufgegriffen wurde das zwar auch von anderen Intellektuellen, sofern es sich auf die Kommunisten im Osten beziehen ließ. Und Stalin bot sich wahrlich an. Ingeborg Bachmann dagegen, als eine von wenigen, hat es hier im freien Westen abgelesen. Und sie benannte das Muster: Faschismus.
Kann nicht sein
Es braucht Zeit um zu begreifen, dass es wieder so weit ist. In Bachmanns Text sitzen sie noch im Wirtshaus und machen sich erst mal bereit für die Übernahme der „Verantwortung“, während die Schicht, die zuvor an der Reihe war, in einem Nebenraum, die verlorene Macht betrauert. Nun, 60 Jahre später, nach Aufruhr im Jahr 68 und einer längeren Zähmungs- und Konsolidierungsphase, alles im Code schon enthalten, wie ihn Bachmann aus der Sprache seziert, sitzen sie wieder. Nicht im Wirtshaus, sondern auf Kanzler- und Ministerposten. In Ämtern und Konzernen. Und es wäre eigentlich das Leichteste, sie zu erkennen. Und doch erkennen wir nicht. Mörder und Irre unter (4) sich können sich nicht erkennen. Auch Hitler wurde — bis auf Ausnahmen — nicht erkannt, und selbst als Eduard Schulte die Nachricht von Auschwitz nach außen trug, griffen zunächst die Muster der Verharmlosung.
Und so lechzen die Köpfe der Menschen nach Stabilität und Kontinuum, wenn sie die immer hirnrissigeren und monströseren Maßnahmen der Politiker im Kampf gegen das Virus schönrechnen, Maßnahmen, die sich ausnehmen, als wäre die Menschheit mit Verstand und Vernunft niemals in Berührung getreten.
Erst wenn die Ordnung bricht, denen die Mörder und Irren entstammen, werden sie kenntlich.
Zuvor sind sie es für die, die als Umstrittene, Leugner, Verschwörer, Idioten, zusammengefasst als Ketzer sich nicht unter ihnen bewegen, sondern sich vielmehr als Wild anbieten.
Blaues Wild. Und zeigen sie die Vernichtung an, die Lügen, die Fluten, worin der Geist ertrinkt — im Event 201 werden diese Informationsfluten wörtlich gefordert —, so ergeht es ihnen wie Schulte. Lager? Welches Lager? Kann nicht sein. Falsche Vergleiche. Übertrieben. Es gibt kein Lager. Auch Produktionsketten sehen anders aus als vor 100 Jahren.
Aus der gültigen Sprache aussteigen
Der Zeitpunkt, zu dem Bachmann ihren Text spielen lässt, ist die Sammlung der neuen alten Ordnung. Die Irren und Mörder scheinen harmlos, sitzen sie doch im Wirtshaus noch und geht es ums Reden bloß. Indes, ihre Sätze — und das war die Leistung der Denkerin Bachmann — sind harmlos nicht. Das kann nur erkennen, wer aus der Sprache, die gilt, aussteigt. Wer sich nicht in Zahlen und Tabellen einnistet, wer nicht von Gesängen der Regierenden und Visionen der Konzerne sich betören lässt. Bachmann, 1961 wie gesagt, hätte die Erkenntnis eröffnet. Doch eine Chance hatte sie nicht wirklich, diese Erkenntnis.
Sie wurde überdeckt, die Gehirne geflutet, mit Spaß und Werbung und Zahlen über Jahrzehnte hin. Und wo Erkenntnis doch einmal durchdrang, griff die Rede von der Verschwörungstheorie. Selbst die, die skeptisch blieben, in Teilen erkennend, haben die Wucht des Ganzen nicht erkannt, weil selbst verstrickt. Konsum als Kunst. Konsum als Leben. Und Marketing ein Menschenrecht. Wie gesagt: UNTER Mördern und Irren existieren für Mörder und Irre keine Mörder und Irren.
Von der Aufrichtung zum Lockdown
Der Mensch sieht sich im Gegenüber, steht auf, erwirbt die Sprache, sagt wir, tötet die Tiere, die ihn bedrohen, beginnt zu produzieren, zu dichten, sagt ich, wird entseelt, wird mechanisiert, reduziert auf den Körper, dann überführt, als Biomasse ins Gerät, und überwunden. Nanotechnik. Und immer ist‘s die Angst. Vorm Sterben. Vorm Tod. Der Weisheit letzter Schrei: dem Tod zuvorkommen, indem man zu leben aufhört. Super Idee. Lockdown. Shutdown. Klinische Ruhe. Dann Cyborgs. Geräte haben keine Angst. Ein Verfallsdatum, aber kein Bewusstsein. Und wenn eines Tages doch: Dann frieren sie sich ein. Auf dass noch Gescheitere sie dereinst wieder aus dem Eis buddeln. Beim Ende der Vernunft — einen Anfang mal vorausgesetzt — geht es brutal zu und her. Aber unter Mördern und Irren wird der Krieg gegen das Leben zum humanen Gefecht. Wer nicht teilnimmt, fällt aus der Art. Entartung eben. Nichts ist neu. Nur die Technik.
Schwierig, dem Angstwesen Menschen klarzumachen, dass die Mörder und Irren aus Bachmanns Erzählung wieder am Werk sind, hat er sein Schicksal doch gänzlich in deren Hände gelegt. Sie sollen ihn erlösen von dem Bösen. Daran beißt du dir die Zähne aus:
Deine Freunde, deine Verwandten haben sich ergeben. Sind unter ihnen, den Mördern und Irren. Die hirnrissigste Maßnahme, die offensichtlichste Vernichtung: es wird als Heil begriffen.
Als Übel durchaus, aber notwendig. Und je übler die Sache, je vernichtender, desto notwendiger. In der Tat: Es muss ein Riesenübel sein, das uns aus der Angst führt. Je hirnrissiger, desto einleuchtender. Je übler die Wirkung, desto richtiger der Weg. So geht Vernunft heute.
Im Südtirol schnüffeln Hunde die Verseuchung bei Kindern heraus. Und dringen Erkenntnisse durch, die das Ganze doch zum Überlaufen brächten, Erkenntnisse, welche die Vernichtung als Selbstzweck zu Tage fördern, so greifen Zensur — man hat ja geübt — und Filter. Kann doch nicht sein. Übertrieben. Die Kreise schließen sich.
Betten abbauen, Kliniken schließen
Was kann irrer nicht sein und deshalb notwendig und vernünftig? Antwort:
Inmitten der verkündeten Pandemie die Intensivbetten abbauen, Kliniken dichtmachen. Das ist es, was die Irren und Mörder tun, sodass die Auslastung der verbliebenen Betten in alle Höhe schnellt, was auch die Pandemie in der Höhe und die Lämmer süchtig hält, süchtig nach Maßnahmen mit noch größerem Übel. Betten abbauen, Kliniken schließen, Pflegepersonal symptomfrei in Quarantäne testen, sodass die Pflegebedürftigen, von den Angehörigen isoliert und abgesperrt, unbetreut verenden: Das sind Taten von Irren und Mördern. Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Aber sind die Parameter andersrum gesetzt, erscheint das Kranke als Gesundes, Vernichtung als Heilsversprechen. Inmitten einer behaupteten Pandemie die Intensivbetten abbauen und niemand schreit auf — das kann nur eines bedeuten: Es ist vollbracht.
Morden und entladen — der Mechanismus will‘s
„Mörder“ und „Irre“: Man könnte — noch in der alten Fassadenlogik zuhause — leicht glauben, das seien Etiketten, polemisch zugespitzt, satirisch überhöht, eine übertriebene Wutparole vielleicht, um etwas anzuzeigen, das irgendwo vielleicht sogar ein Körnchen Wahrheit enthielte. Bloß, dem ist nicht so. Die Kategorien — Bachmann war philosophisch wie wenige andere Dichter deutscher Sprache im 20. Jahrhundert — entsprechen erkenntnistheoretischen Wirklichkeiten. Keine Wutparole, keine Etikette. Sie morden wirklich, die Mörder.
Das Zerstörungswerk ohne Gegenwehr wird wachsen, muss wachsen. Der Mechanismus will es. Fällt dem einen 35 Kilometer als Radius ein, so der zweiten 15 Kilometer, und der dritte braucht die Menschen gänzlich eingesperrt, bei einer Grippe mit einer Letalität von 0,23 Prozent. Systeme, über Verfügungsmacht sich erfahrend, umgeben von Scheinwerfern, angefleht von Journalisten, die um Härte betteln, Systeme, in den Sog aus Reglementieren und Sanktionieren geraten, mit Gewalt drohend, spielend und dafür bejubelt — sie reden zu Kindern, zu Vieh und zu unser aller Schutz, wohlverstanden —, solche Systeme müssen entladen. Den Erfolg abschießen. Periodisch. Mal ein festlicher Empfang, mit der Leopoldina die Hymne summen, Treffen unter seinesgleichen, denn auch sie, die das Menschensein zum Verschwinden bringen, sind Menschen noch und brauchen die Befriedigung.
Vollendeter Selbstbezug
Diktaturen sind Ordnungen des vollendeten Selbstbezugs. Und die Bilder der Maske festigen das Gewebe: Verbeugung vor Gesslers Hut, permanent. So werden Herrscher gemacht und Hunde, im Jagdrausch, können nicht stoppen, das Virus so nah. Zerstörung, Wahn und Erguss sind das, was man Regieren nennt. Hitlers Aufstieg hatte ökonomische Gründe, und es ist nicht die Psyche Hitlers, die den Nazismus erklärt. Aber doch ist es der Wahn, der bei der Aufrechterhaltung der hergestellten Krise den Takt angibt, nicht die Ökonomie. Unter ökonomischen Gesichtspunkten könnten Lockdowns keinen Tag bestehen, selbst dann nicht, wenn man mit ihnen den Kapitalismus besiegen wollte, zerstören sie doch alles, nicht aber das Kapital.
Schiller mit Maske
Die Begriffe „Mörder“ und „Irre“ sind bei Bachmann am Ende nicht politisch gesetzt. Bachmann spricht nicht von Ideologien. Sie spricht von Menschen. Von deren Sprache. Von deren Denken. Unsere Wahrnehmung aber ist tot. Die Irren können das Irre an Irrnis um Maßen übertreffen und sie werden keine Irren sein. Und sie können morden und sie werden keine Mörder sein. Die Groteske mag alle Maßstäbe sprengen, nicht aber das Vertrauen in die Mörder und Irren, die der Grippe mit einer Letalität von 0,23 Prozent zu Halse rücken.
Nein, nicht die Grippe, der Tod ist das endliche Ziel. Seine Überwindung. Und deshalb die Hymnen und die heroischen Blicke, wenn die Hohen Priester des Coronas-Glaubens zur Litanei anheben.
Schiller hätte Maske getragen, Jesus ebenso, das Krippenbild dazu auf dem Stern-Cover. Zu überbieten sind die Botschaften nicht. An Wahnwitz, an Dummheit.
Nicht wer das System gegen die Wand fährt, wer auf den orbitofrontalen Totalschaden bei Söder und Co aufmerksam macht, ist der Irre. Und so wird es zuweilen selbst für die letzten Erkenntnistheoretiker schwierig, den Irrsinn und die Brutalität wenigstens gedanklich zu stellen, hat das Irresein doch eine Dimension erreicht, der rational kaum beizukommen ist.
Wieder im Sportpalast
Bachmann sah im Heraustreten aus der Ordnung und deren Sprache die einzige Möglichkeit, die Verhältnisse darzustellen. Und was aus der Darstellung würde: Sie wusste, dass sie dies nicht wissen konnte. Und so bleibt mir eben genau das. Auch mit diesem Text.
Dabei drängt die Zeit. Denn im Gegensatz zu 1961 sitzen die Irren und Mörder nicht in den Wirtshäusern — die sind bekanntlich geschlossen, Gefahrenzonen: Gegenerzählungen könnten aufkeimen —, sie sind vielmehr aus exekutiven Positionen heraus dabei, Endlösungen herbeizuführen: „Es wird nie mehr so sein. Es gibt kein Zurück.“ Das sind die Losungen.
Als einem bald Erblindenden muss es mir gelingen — so mache ich mir das Leben schwer, indem ich Teiresias-Ähnliches von mir erwarte —, mindestens einige meiner Freunde sehend zu machen, auf dass sie verstehen, was wirklich gesagt wird, wenn einer sagt: „Die Front hat angesichts der übermenschlichen Opfer, die sie täglich zu bringen hat, ein elementares Anrecht darauf, dass auch nicht ein einziger in der Heimat das Recht für sich in Anspruch nimmt, am Kriege und seinen Pflichten vorbeizuleben“ (5). Söder oder Goebbels? Ersetzen Sie „Front“ durch „Ärzte und Pfleger an der Front“ und „Krieg“ durch „Krieg gegen das Virus“ und es lässt sich nicht entscheiden.
Vom Winterschlaf zum Totenbett
Faschismus führt nicht allein den Krieg herbei, sondern auch den Grund für diesen. In den Jagdfantasien beginnt es. Mit dem blauen Wild, das in einer materialistischen Welt nur über Jagd einzufangen ist. Über Besitz und Kapital. Wenn wir aus der PR und ihren Sätzen und also aus der Jagdrhetorik nicht rauskommen, so wird erkenntnistheoretisch gesehen „aus dem sich schon länger andeutenden Winterschlaf endgültig ein Totenbett“ (6).
Wenn das Denunzieren wieder Volkssport ist, wenn jemand genötigt wird, öffentlich zu widerrufen, hat er eine unpassende Meinung vertreten, ansonsten er sein Amt verliert, wenn Gesundheit und Sicherheit wieder über alles gelten und das große eine Volk gegen Leugner (nur eine Heilssekte kann ein solches Wort setzen) und Verschwörer (vor 100 Jahren waren Juden die Verschwörer) ausgespielt werden, wenn jede Nachricht mit Todeszahlen beginnt und Grundrechte zerstört liegen (da geht immer noch was), wenn man von Quarantäne-Camps spricht und Überwachungsmechanismen greifen, gegen die jene des NS-Faschismus technisch bedingt noch Kinderspiele waren, und wenn eine Sprache wieder herrscht, die sich von Goebbels‘ Rhetorik nicht unterscheidet, wenn das alles ist, und man empört sich ob der Vergleiche, die mit dem Hitler-Regime gezogen würden, dann, ja dann befindet man sich UNTER Mördern und Irren.
Solchen klarzumachen, dass Auschwitz nicht mit Auschwitz begann, sondern mit einer Sprache, bedeutet die Quadratur des Kreises.
Es sind Denk- und Sprachmuster, die den Holocaust herbeiführen. Nicht umgekehrt.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Unter Mördern und Irren, herausgegeben im Erzählband „Das Dreißigste Jahr“, 1961
(2) Die Gruppe 47 war der wohl berühmteste lose Zusammenschluss deutschsprachiger AutorInnen nach dem 2. Weltkrieg, die sich von 1947 bis 1967 in unregelmäßigen Abständen zu Lesungen und Diskussionen trafen. Dem Selbstverständnis seiner TeilnehmerInnen entsprechend stand dieser lose Verbund für einen antifaschistischen, von der Nazizeit klar abgetrennten Neuanfang der deutschen Literatur.
(3) Vergleiche Klaus Briegleb 2003; es sei erwähnt, dass sich durchaus eine kritische Diskussion über die Gruppe 47 im deutschsprachigen Kulturbetrieb findet, allerdings eine, die die Thematik auf die Frage nach antisemitischen Tendenzen einschränkt. Bachmanns Fokus ist umfassender und zielt auf den Faschismus als Ganzes.
(4) UNTER im Sinne des Englischen „among“, nicht hierarchisch verstanden
(5) Ausschnitt aus der Sportpalast-Rede Goebbels‘
(6) Milosz Matuschek, Der Corona-Complex, Teil 3