Unerwarteter Schulterschluss
Der Deal zwischen dem türkischen Präsidenten Erdoğan und Kurdenführer Öcalan richtet sich gegen die israelisch-amerikanische Machtausweitung.
Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), der Türkei bisher in Todfeindschaft verbunden, schließt ein Abkommen mit Recep Tayyip Erdoğan, um das Erstarken Israels als Regionalmacht zu vereiteln. Am 24. Januar 2025 schrieb der libysche Präsidentschaftskandidat Saif al-Islam al-Gaddafi über die Rolle der Kurden im regionalen Machtspiel: „Durch die Unterstützung der Kurden versucht Israel, seine regionalen Gegner, insbesondere den Irak, zu destabilisieren“ (1). Doch geht es Israel nicht nur um den Irak, sondern auch darum, den Iran nach dem Zusammenbruch der „Achse des Widerstands“ weiter zu schwächen, eine Fragmentierung Syriens voranzutreiben und mittels eines Kurdenstaates zwischen die Türkei und Syrien einen Riegel zu schieben. In dieser geopolitisch wichtigen und ressourcenreichen Region machen sich Israel und die Türkei die Vorherrschaft streitig. Der Türkei ist nun ein Deal mit Abdullah Öcalan, dem Führer der PKK, gelungen.
Öcalan rief am 27. Februar von seinem Gefängnis aus alle kurdischen Gruppen auf, die Waffen niederzulegen und die PKK, die sich dem Kampf für mehr Autonomie und gegen die Türkei verschrieben hatte, aufzulösen. Damit verzichtet Öcalan quasi auf einen Kurdenstaat, den die USA und Israel so gerne in der Region als zweiten „US-Flugzeugträger“ neben Israel installiert hätten. Ein Staatsgebilde, das ebenso wie Israel finanziell und militärisch vollständig von den USA abhängig gewesen wäre.
Dem politisch weitsichtigen Kurdenführer Öcalan dürfte klar sein, dass einem Kurdenstaat in der gegenwärtigen Weltlage einzig die Rolle eines US-amerikanischen Vasallenstaates zugedacht wäre, der jederzeit Proxykämpfer stellen oder als Schlachtfeld missbraucht werden könnte.
In dieser Lage scheint die Aussöhnung der Kurden mit der Türkei Erdoğans das kleinere Übel zu sein. Sie könnte den Kurden in der Türkei weniger Unterdrückung und mehr Autonomie bringen — sowie dem PKK-Führer Öcalan die Haftentlassung nach 26 Jahren Gefangenschaft. Öcalans PKK verstand sich immer als sozialistische Bewegung; auch dies könnte sie davon abgehalten haben, sich auf die Seite Israels und der USA zu schlagen.
In Nordsyrien kontrolliert die Kurdenmiliz YPG ein großes Gebiet. Ein Kurdenstaat auf syrischem Boden, oder zumindest eine Kurdenregion mit einem starken Autonomieanspruch und unter US-Kontrolle, wäre für Israel wünschenswert. Der geografische Riegel, der die Türkei und Syrien in Form von „Kurdistan“ trennen würde, wäre eine Schwächung der Türkei — und gleichzeitig der syrischen Regierung unter Ahmed asch-Scharaa (alias al-Dschulani), der von der Türkei an die Macht gebracht wurde und gleichzeitig von ihr kontrolliert wird. Daneben würde mit diesem Kurdenstaat in Syrien an der türkischen Grenze ein ständiger Unruheherd und eine nicht endende Bedrohung der territorialen Einheit entstehen, denn die ebenfalls nach Unabhängigkeit strebenden Kurden in der Türkei könnten maßgeblich vom Kurdenstaat auf syrischem Boden unterstützt werden.
Die Erklärung Öcalans fiel mit den türkisch-amerikanischen Verhandlungen über die Zukunft der kurdischen Kräfte in Syrien zusammen, die bisher von den USA auch militärisch unterstützt werden. Was deren zukünftiges Schicksal innerhalb der neuen Pläne ist, bleibt ungewiss; vermutlich wird das kurdische Gebiet wie bisher eine syrische Region bleiben. Eine weitere Fragmentierung des syrischen Staates wäre vermieden — ein Syrien, in dem die Türkei seit dem Zusammenbruch der Assad-Regierung die beherrschende Rolle spielt und weiterhin spielen möchte.
Und die USA unter Präsident Donald Trump? Trump versteht sich als Dealmaker, und dies bedeutet, es sind auch Zugeständnisse zu machen. Kein USA-kontrollierter Kurdenstaat, dafür ein starker NATO-Partner Türkei, der seine regionale Vormachtstellung nicht behauptet, sondern ausbaut. Erdoğan dürfte seine al-Kaida-Kämpfer in Syrien, die jetzt auf seriös machen, fest im Griff haben. Es gibt für die USA also Schlimmeres. Das US-amerikanische Interesse wird sein, im Norden Syriens Ruhe zu schaffen, um die eigenen Truppen von dort abzuziehen.
Trump setzt andere Schwerpunkte, darunter auch das Sparen im militärischen Bereich. Die Sicherheit von Israel ist auch mit der Türkei gewährleistet, da Israel mit dem Einverständnis der gegenwärtigen syrischen Machthaber fast bis vor die Tore von Damaskus militärisch vorrücken konnte und die militärische Schlagkraft Syriens komplett vernichtet ist.
In der Geopolitik überschlagen sich momentan die Deals, auf dem weltpolitischen Schachbrett folgt so schnell Zug auf Zug, dass einem schwindelig werden könnte. Welche weitreichenden Folgen sich langfristig aus all diesen Umwälzungen ergeben, bleibt abzuwarten.