„…und niemand stoppt Assad!“
Die Berichterstattung zu Ost-Ghouta ist hochgradig manipulativ.
Dass man der Berichterstattung nicht mehr so recht trauen kann, diesen Eindruck haben immer mehr Menschen, gerade auch junge. Über die Gründe dafür wird viel gestritten und geschrieben. Dass dieses Misstrauen aber auch gut sein könnte, dass man der Berichterstattung tatsächlich nicht unhinterfragt trauen, sondern immer kritisch bleiben, hinterfragen, weiterforschen sollte, wird viel zu wenig beachtet. Natürlich kann man sich nicht auf eine Nachrichtenquelle verlassen. Das ist weder ein modernes Phänomen noch ist es ein spezifisch deutsches. Geändert hat sich aber zum Glück, dass man dank des Internets Zugriff auf so viele Kanäle hat, dass einen aber gerade die Vielfalt der Möglichkeiten schon wieder überfordern kann. Es kostet viel Zeit, sich einen umfassenderen Überblick zu verschaffen. Ein Beispiel zum Syrienkonflikt.
Tagesschau.de berichtet „ausführlich“ zu Syrien
Am Abend des 21. Februar widmeten sich die ersten drei Beiträge auf tagesschau.de dem Syrienkonflikt.
- Zuoberst eine „Analyse“: „Konflikt in Nordsyrien: Pulverfass Afrin: Sollten sich in Syrien Assad-treue Milizen der Türkei entgegenstellen, wäre das eine gefährliche Eskalationsstufe. Auch, weil Russland in der Region größere Ziele verfolgt“, liest der unbedarfte Nutzer, wenn er nicht auf „mehr“ klickt.
- Der nächste Artikel, ein „Kommentar“: Krieg in Syrien: Die Weltgemeinschaft versagt: 400.000 Menschen im syrischen Ghouta sind den Bombenangriffen der syrischen Führung ausgesetzt, und niemand stoppt Präsident Assad. Weltgemeinschaft versage und mache sich schuldig, meint...“
- Drittens die eigentliche Meldung: „Angriffe auf Ost-Ghouta: 300 Tote seit Sonntag: Bei den Angriffen auf das syrische Rebellengebiet Ost-Ghouta sind laut Aktivisten allein seit Sonntag fast 300 Menschen getötet worden, mehr als 1000 wurden verletzt. Die UN zeigen sich ‚zutiefst beunruhigt‘.“
1. Analyse der Wortwahl der „Analyse“
Man beachte die Wortwahl: „Sollten sich in Syrien Assad-treue Milizen der Türkei entgegenstellen“ klingt anders als „Sollten die Regierungstruppen Syriens die Invasion der Türkei zurückzuschlagen versuchen“. Die syrischen Verteidiger werden als illegitim dargestellt, die türkischen Angreifer als legitim – was noch durch den Rest des Satzes unterstrichen wird. Nicht die Tatsache, dass türkisches Militär sich im Gebiet des syrischen Staats aufhält, sorgt für eine gefährliche Eskalationsstufe, sondern die Truppen Assads – und nicht Syriens – sind schuld.
Der letzte Satz stänkert dann noch geheimnisvoll gegen Russland. Wohlgemerkt, auch wenn im Artikel selbst dann stände (was es nicht tut), dass diese „größeren Ziele“ vielleicht legitime Ziele sein könnten, wird in dieser „Vorschau“ auf die „Analyse“ meinem Eindruck nach ganz klar ohne Fakten zu benennen angedeutet, dass Syrien/Assad und Russland/Putin irgendwie böse sind: eine Suggestion. Es wäre selbst dann eine Suggestion, wenn es stimmte, denn die Bewertung wird nicht anhand von Fakten belegt, sondern eingeschmuggelt.
2. Analyse des Kommentars zu Ost-Ghouta
Beim Kommentar wird interessanterweise – bedauerlicherweise – gleich mal der Grund dafür weggelassen, dass Ghouta bombardiert wird. Unabhängig davon, ob es ein guter Grund ist oder nicht, erweckt dies den falschen Eindruck, es gäbe gar keinen Grund.
Es sind laut Kommentar die grausamen – auch wenn dies nicht explizit gesagt wird – Bombenangriffe „der syrischen Führung“, also Assads, der ja auch böse ist, wie man weiß. „Und niemand stoppt“ ihn – das heißt er wäre zu stoppen, ein Mensch mit moralischer Integrität, eine Weltgemeinschaft mit moralischer Integrität müsse ihn stoppen – aber es geschieht nicht. Wir versagen. Wollten wir nicht versagen, so müssten wir Assad stoppen, also am besten gleich stürzen, um 400.000 Menschen zu retten, die er sonst noch alle umbringen könnte.
Man vergleiche bitte die Meldungen (zum Beispiel diese auf tagesschau.de) zur Einnahme von Mossul, wo weit mehr Menschen eingeschlossen waren, hier aber nie gefordert wurde, deshalb sollte es nicht eingenommen werden.
Wenn man sich den Kommentar selbst durchliest, dann scheint er die Bytes nicht wert zu sein, die er irgendwo auf einem Server verbraucht – unter anderem weil er eine innere Inkohärenz aufweist, denn obwohl er im Fließtext zugibt, dass es sich bei den „Aufständischen“ um „Dschihadisten“ handelt und dass neben Russland und dem Iran auch die USA, Israel und die Türkei – wobei die europäischen Länder praktischerweise vergessen werden – geopolitische Interessen in Syrien verfolgen, beschränkt der Kommentar seinen Appell darauf, Assad zu stoppen.
3. Analyse der Meldung
„Angriffe“ auf das „syrische Rebellengebiet“ Ost-Ghouta. Viele Menschen getötet und noch mehr verletzt. UN „besorgt“. Wer in der UN eigentlich? Und warum das geographisch so gar nicht verortbare „Rebellengebiet“, was ganz anders klingt als „Vorort von Damaskus“. Selbst wenn man den Artikel anklickt, wird nicht klar, wie nahe Ost-Ghouta eigentlich am Zentrum von Damaskus liegt, nämlich weniger als 15km – Ost-Ghouta oder -Ghuta findet man als solches interessanterweise auf google maps gar nicht.
Die dem Artikel beigefügte Karte (immerhin) hat keinen Maßstab – was für Karten eigentlich unüblich ist –, zeichnet die Grenzen der Region Ost-Ghouta ein – eigentlich wahrscheinlich die Grenzen des von Rebellen gehaltenen Gebietes –, aber nicht die offiziellen Stadtgrenzen von Damaskus, sodass Damaskus auf der Karte im Vergleich klein wirkt.
Es wird zwar erwähnt, dass die Rebellen islamistisch sind (laut Wikipedia genauer: „dem radikal-salafistischen Bündnis Dschaisch al-Islam, einem Zusammenschluss von 43 Organisationen unter Führung der Terrormiliz Liwa al-Islam“ angehören), aber keinerlei Konsequenzen werden daraus gezogen. Es wird auch nicht gefordert, dass sie vielleicht aufhören sollten, Zivilisten als menschlichen Schutzschild zu gebrauchen – denn die „Rebellen“ haben Ost-Ghouta ja 2011 zu Beginn des „Bürgerkriegs“ eingenommen, der mit den „Protesten gegen die autoritäre Regierung von Machthaber Baschar al-Assad“, also legitimen Protesten (denn sie richteten sich gegen einen autoritären Machthaber) begonnen habe.
Medien in Deutschland – mögliche Einordnungen
Ich werde mich im Weiteren auf deutsche Medien beschränken. Wie eingangs bereits erwähnt, will ich damit nicht meinerseits suggerieren, dass die deutschen Medien besonders manipulativ seien. Das kann ich nämlich nicht beurteilen. Die deutschen Medien sind aber in Deutschland wohl die Hauptinformationsquelle. Ich möchte außerdem explizit betonen, dass es mir nicht um eine Einordnung oder Kritik der Politik in Syrien geht, weder der westlichen noch einer anderen, sondern hier nur um die Analyse der Berichterstattung dazu.
Laut dem „Medien-Navigator 2018“ (dessen Seriosität selbst freilich in Frage gestellt werden kann, weshalb er hier auch nicht als die Wahrheit präsentiert wird, sondern als mögliche Quelle einer Einordnung, die anhand vieler Beispiele überprüft werden kann und sollte), lässt sich ARD als stark NATO-konform einordnen, was durch die oben betrachteten Meldungen gestützt wird.
Als zweite Dimension der Einordnung dient die traditionelle Einteilung in politisch links (egalitär) und rechts (konservativ). Bei den NATO-konformen Medien sind ganz links „Jungle World“ und ganz rechts die NZZ eingeordnet. Ohne festzulegen, dass diese Zuordnung stimmt, könnte man sich jetzt deren jeweilige Berichterstattung zu Ost-Ghouta anschauen, um zu sehen, wie es sich in diesem Beispielfall verhält.
Die NZZ zu Syrien
Interessanterweise fand man am 22. Februar Artikel zu Syrien auf der NZZ-Seite gar nicht ohne Weiteres, dort dominierte nämlich die Berichterstattung zu Olympia und da, wie böse die Russen (schon immer und weiterhin) dopten.
Per Suchfunktion findet man aber zwei Artikel zu Ost-Ghouta. Die Schlagzeile des ersten, vom 20. Februar: „Die Kämpfe bei Damaskus eskalieren: Fast 400 000 Bewohner sind in der syrischen Rebellenenklave in Ost-Ghuta eingeschlossen. Ausserdem marschieren syrische Truppen in Afrin ein.“
Im Vergleich zu tagesschau.de scheinen mir diese Zeilen zurückhaltender und neutraler formuliert. Insbesondere scheint von den „Kämpfen bei Damaskus“ zu sprechen anzuerkennen, dass hier nicht nur eine Partei die andere zerstört, sondern dass kämpferische Handlungen in beide Richtungen stattfinden, auch wenn „Rebellenenklave“ einen instinktiv an die Guten in Star Wars denken lässt.
Im Artikel selbst wird Assad (korrekterweise) der „syrische Präsident“ genannt (verglichen mit tagesschau.de: „Machthaber“). Unter der Überschrift „Mörsergranaten auf Damaskus“ (der unbedarfte tagesschau.de-Leser mag sich fragen: Wieso auf Damaskus?) lesen wir, dass „die letzte grosse Enklave der Aufständischen“ (tagesschau.de: „Rebellen“) in Bedrängnis sei. Massive Angriffe.
Die „Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ (SOHR), die die Opferzahlen veröffentlicht hat, wird korrekterweise als „oppositionsnah“ bezeichnet. Auch wird berichtet, dass die Aufständischen „ihrerseits Damaskus mit Mörsergranaten“ beschießen und so „für Angst und Schrecken in der Hauptstadt“ sorgen. Das scheint tagesschau.de vergessen zu haben zu erwähnen. Die beiden Seiten berichten natürlich unterschiedlich über das Geschehen, in der NZZ werden beide Seiten dargestellt und korrekterweise nicht verschwiegen, ob sich eine Quelle oppositionsnah oder regierungsnah verhält.
Die Regimegegner-Seite erinnert an die Eroberung von Ost-Aleppo. „Damaskus scheint jetzt die Angriffe auf die südwestlichen Teile von Ost-Ghuta zu fokussieren, wo viele Kämpfer konzentriert sind“, und zwar „Freischärler der Rahman-Legion, die dort stark vertreten sind. Diese lehnen derzeit laut Quellen (welchen?) Gespräche mit dem Regime kategorisch ab“ – ein interessantes Detail, das, wenn es stimmt, in Verbindung mit den Angriffen auf Damaskus, ein ganz anderes Licht auf die Angelegenheit wirft, als es auf tagesschau.de dargestellt wird. Dort scheint das autoritäre Regime grund- und ziellos Zivilisten zu bombardieren, während hier sowohl Gründe als auch Zielgerichtetheit behauptet werden können – erneut unabhängig von der Bewertung der Ziele und Gründe.
Einig sind sich die Berichterstatter aber, dass die Lage für die Zivilisten „die Hölle“ darstellt. Allerdings gibt es keinerlei Appelle an die Aufständischen/Rebellen/Dschihadisten/Islamisten/Terror-Milizen (alles gebrauchte Begriffe), sich zurückzuziehen. Stattdessen wird auf NZZ über die Entrüstung und das Unverständnis berichtet, dass „Deeskalationszonen … weitgehend zu Eskalationszonen“ geworden sind, und Waffenstillstände abgelehnt werden. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass diese möglicherweise deshalb abgelehnt werden, weil sie dazu genutzt werden können, neue Waffen und Terroristen/Rebellen/et cetera ins Land zu schmuggeln.
Ebenfalls nicht erwähnt werden die Verhandlungen von Sotschi. Hier versäumt es NZZ, nachdem der Beginn des Artikels relativ neutral schien, beide Seiten darzustellen – ist dies Schlampigkeit, oder aber Absicht? Will man sich etwa zunächst den Anschein einer neutralen Berichterstattung geben, um dann im Fazit am Ende zu sagen: „Wenn es nach dem Drehbuch von Aleppo geht, werden die Bewohner noch für längere Zeit durch die Hölle gehen“?
Der zweite, einen Tag später veröffentlichte Artikel enthält aktualisierte Opferzahlen, daneben aber nichts wesentlich Neues.
Jungle World berichtet nicht
Jungle World scheint Ost-Ghouta nicht der Berichterstattung wert zu sein. Es gibt lediglich einen Blog-Eintrag mit dem Titel „Aleppo wiederholen: In Ost-Ghouta findet gerade ein weiteres Massaker statt und sowohl Assad als auch Russland brüsken sich auch noch damit, wie der Spiegel berichtet“ – es folgt ein längeres Spiegel-Zitat, damit endet der Eintrag auch schon. Interessant, dass ein doch vorgeblich linkes Medium sich darauf beschränkt, den Spiegel zu zitieren.
Der Spiegelartikel zitiert den russischen Außenminister Sergej Lawrow: „‚Wir wollen unsere Erfahrungen, die wir bei der Befreiung von Aleppo gesammelt haben, in Ost-Ghuta einsetzen‘, sagte Lawrow. Das bedeutet, dass Krankenhäuser, Schulen oder Ersthelfer so lange bombardiert werden, bis sich die Rebellen ergeben. Diese werden dann per Bus in andere Landesteile transportiert, vermutlich in die noch von Rebellen kontrollierte Provinz Idlib in Nordsyrien.“ Man beachte, wie geschickt das Zitat eingebaut ist. Es enthält nichts an sich Verwerfliches. Angehängt wird, fast so als sei es Teil des Zitats (beim ersten Lesen hielt ich es für einen Teil des Zitats!), was es – nach Meinung des Verfassers wohlgemerkt – „bedeutet“.
Unabhängig von der links-rechts-Zuordnung scheint sich jedenfalls die NATO-konform-Zuordnung des Medien-Navigators von Jungle World, Spiegel, ARD und NZZ zu bestätigen. Dies ist natürlich erst einmal nur ein Hinweis, man muss zu weiteren Themen erneut hinschauen.
Auf der Seite der „Junge Welt“, ganz links und eher NATO-kritisch eingeordnet, ist der Artikel „Kampf um Damaskus“ ganz oben (scheinbar auch der Titelartikel ihrer aktuellsten Printausgabe): „Heftige Gefechte um östliche Vororte der syrischen Hauptstadt. Dschihadisten beschießen Wohnviertel, Armee antwortet mit Offensive“. Hier wird Ost-Ghouta als „Vorort“ von Damaskus bezeichnet, die „Rebellen“ sind „Dschihadisten“ und haben zuerst geschossen, die „Armee“ (vergleiche tagesschau.de: „Milizen“) „antwortet“ (lediglich) mit einer „Offensive“ (tagesschau.de: „Bombardierungen“). Die Wortwahl zeigt direkt den Unterschied an, die syrische Regierungsseite wird positiver, die Gegenseite negativer konnotiert.
Der erste Absatz stellt den gleichen Sachverhalt ebenfalls unter anderer Konnotation dar. „Die syrische Armee und ihre Verbündeten aus Russland, dem Iran und von der libanesischen Hisbollah“ (faktisch korrekt) „haben in den vergangenen Tagen ihre Offensive auf die östlichen Vororte von Damaskus (Ghuta) weiter verschärft.“
„Offensive“ lässt vollkommen offen, wie diese aussieht. Aber mit einem relativ neutralen Wort zu beginnen, wenn es dann im Weiteren des Artikels mit Inhalt gefüllt wird, scheint mir ein durchaus vertretbares Vorgehen zu sein. Zeitgleich gebe es „intensive Verhandlungen um den Abzug der dort verbliebenen Dschihadisten“. Davon hörte man nichts bei den bisher besprochenen Medien; wenn es stimmt, ist dies eine peinliche Unterlassung.
Es gehe auch um die Freilassung von Geiseln (bisher ebenfalls nicht erwähnt). Rund 200.000 (vergleiche tagesschau.de: 400.000) Zivilisten würden als „lebende Schutzschilde“ missbraucht (von Seiten der „Dschihadisten“).
Einwohner von Damaskus berichten über den Beschuss von Seiten der Dschihadisten (aus Duma, Dschobar und Arbin) mit Mörsergranaten. Das „Französische Krankenhaus und die Mariamitische Kathedrale“ habe es getroffen. Darüber werde nicht berichtet, lediglich darüber „was diese ‚Ein-Mann-Pressestelle‘ in England sagt“, womit die „Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ (SOHR) gemeint ist, von der die NZZ immerhin berichtete, sie sei oppositionsnah (also nicht neutral!) und tagesschau.de im „Kleingedruckten“ zugab, die Informationen der SOHR ließen sich nicht „unabhängig überprüfen“.
Die SOHR gebe ihrerseits als Quellen die Weißhelme und die „Syrisch-Amerikanische Medizinische Gesellschaft“ an, zwei Organisationen, die (unbestritten) oppositionsnah und finanziell unter anderem von den USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland unterstützt sind (also ebenfalls nicht neutral).
Die syrische Regierung widerspricht der Darstellung der SOHR, was auf den bisher besprochenen Seiten nicht erwähnt wurde. „Mehr als 1.500 Granaten und Raketen seien in den vergangenen sieben Wochen in Damaskus eingeschlagen, zivile Infrastruktur und privates Eigentum seien zerstört und Hunderte getötet und verletzt wurden (vergleiche NZZ: zwei Getötete; die unterschiedlichen Zahlen liegen möglicherweise daran, dass sich NZZ nur auf Zivilisten, die syrische Regierung auch auf Militärangehörige bezieht).
Der Artikel endet mit der Bemerkung, die syrische Armee sei „entschlossen, das gesamte Gebiet der östlichen Vororte“ unter ihre Kontrolle zu bringen und habe seit dem 18. Februar „schwere Luft- und Artillerieangriffe auf die Stellungen der Hai‘at Tahrir Al-Scham, besser bekannt als Nusra-Front (sic), und andere islamistische Verbände“ durchgeführt.
Hier wird also benannt (ohne emotionale Färbung), was wir uns unter der eingangs erwähnten Offensive vorzustellen haben. Diese Offensive wird im Artikel insgesamt als eher legitim und zielgerichtet dargestellt. Es wird behauptet, die westliche Berichterstattung sei im Allgemeinen eher Propaganda als Faktenmeldung.
Die Einordnung als NATO-kritisch stimmt jedenfalls in diesem Beispiel.
NATO-kritisch und/aber konservativ
Da die vom Medien-Navigator als ganz konservativ, aber NATO-kritisch eingestellt bezeichneten Medien mir alle unbekannt sind, schaue ich mir kurzerhand die Seite an, die ganz unten rechts platziert ist: parstoday.
Dort fand ich auch keinen Bericht speziell zu Ost-Ghouta. Allerdings einen Artikel, der stark gegen die USA ausgerichtet ist und fragt, warum die USA nach dem Zusammenbruch des IS ihre Präsenz im Land und ihre finanzielle Unterstützung von regierungsfeindlichen Gruppen noch ausgeweitet hat, wenn sie doch vorgeblich nur den IS bekämpfen wollten. Der Artikel antwortet, es gehe um Öl (wie auch der Titel besagt: „Trump riecht Öl in Syrien“ und beruft sich auf Russland und den Generalsekretär der libanesischen Hisbollah Seyyed Hassan Nasrallah, also Verbündete Assads, was jedoch nicht erwähnt, geschweige denn thematisiert wird. Die NATO-kritische Zuordnung jedenfalls findet Bestätigung.
RT Deutsch kritisiert UNICEF
Auf Russia Today Deutsch, das ebenfalls sehr NATO-kritisch, aber politisch neutraler eingestuft wird, gibt es einen „Meinungs“-Artikel: „Syrien-Propaganda zu Ost-Ghuta: Deutsche Medien diskreditieren sich erneut“.
Dies ist natürlich ein geschickter Schachzug, da bei einem Kommentar, der gleich auf die Metaebene der Berichterstattung springt, keine eigene Darstellung erforderlich ist und so ausgezeichnet das vollzogen werden kann, was ich in diesem Artikel zu vermeiden versuche: die (wahrscheinlich legitime) Kritik an der deutschen Berichterstattung kann suggestiv implizieren, dass (1) andere es besser machen, zum Beispiel RT selbst; und (2) nicht nur die westliche Berichterstattung, sondern auch die westliche Politik selbst damit diskreditiert wäre, was jedoch ganz unabhängig davon ist.
Neben den Medien diskreditiere sich auch das UNO-Hilfswerk UNICEF durch „eine Emotionalisierung“. „Wieder werden wehrlose Kinder für die mediale Verdammung geopolitischer Konkurrenten eingespannt“, lautet gleich der erste Satz. Dass dieses zumindest in der Vergangenheit geschehen ist, ist unbestritten (zum Beispiel die Brutkastenlüge 1990). Dass die Konfliktparteien in Syrien zumindest auch geopolitische Interessen verfolgen, ist ebenfalls unbestritten.
Und die Berichte auf tagesschau.de und in der NZZ haben tatsächlich von den armen Kindern (und Frauen) gesprochen. Natürlich stimmt es, dass Kinder und Frauen leiden, nur ist die Betonung dieser Tatsache eben bereits Emotionalisierung – die Frage bleibt nur, ob Emotionalisierung per se schlecht ist, oder nur wenn sie (von den Bösen) instrumentalisiert wird.
Weitere Benennungen werden kritisiert: die „Rebellen“ seien „Islamisten“, der „Bürgerkrieg“ ein „westlich befeuerter Angriffskrieg“. Die „trüben Quellen wie die ‚Weißhelme‘, ‚Bellingcat‘ oder die (SOHR)“ seien doch schon längst als Propaganda-Konstrukte enttarnt. Dass UNICEF nun auch an der Emotionalisierung teilnehme, könne dem Ruf dieser eigentlich zur Neutralität verpflichteten UNO-Organisation schaden.
Der Vorwurf von RT an die deutschen Medien: „Sie liefer(n) ausschließlich Momentaufnahmen. Und die zeigen, dass Menschen sterben. Warum sie sterben, wer diesen Krieg angefangen hat und mit großem Aufwand am Laufen hält, wer dafür verantwortlich ist, dass ein säkulares Land seit sechs Jahren von internationalen Terror-Söldnern attackiert wird, und wie man die Situation lösen soll,“ das werde nicht thematisiert.
Der „Meinungs“-Artikel schließt mit einer Rundschau in die deutschen Medien (Spiegel, TAZ, BILD, Deutsche Welle, FAZ, die im Navigator auch alle als NATO-treu (oder gar nicht) gelistet werden), die sich jedenfalls den Zitaten nach tatsächlich nicht mit journalistischem Ruhm bekleckern.
Als positives Gegenbeispiel wird der Britische Independent (einer kurzen Recherche zufolge wohl auch eher NATO-kritisch und links) zitiert, der zu Bedenken gibt, im Bildmaterial fehlten (erstaunlicherweise) alle Anzeichen dafür, dass es in Ghuta auch Kämpfer gebe, und nicht nur unschuldige Zivilisten – „das Filmmaterial zeigt eindeutig nicht die ganze Wahrheit. Die Kameras – oder ihre Cutter – zeigen nicht die al-Nusra-Kämpfer, die sich in Ghuta verschanzen. Und sie werden es auch nicht tun.“
Fazit: Nicht naiv sein!
Ich möchte gleich vorweg sagen, dass ich mich selbst auf dem vom Medien-Navigator aufgespannten Spektrum als eher links und NATO-kritisch einordnen würde. Umgekehrt bedeutet Kritik an der NATO – also letztlich am außenpolitischen Vorgehen der westlichen Mächte unter Führung der USA – nicht automatisch, dass man andere Mächte (Syrien, Russland, China et cetera) automatisch unkritisch betrachtet.
Im Gegenteil sollte es eigentlich klar sein (ist es aber komischerweise nicht), dass man gegenüber der Macht und den Mächtigen, also zum Beispiel Staaten oder großen Firmen, und damit auch gegenüber den Medien, eine kritisch-hinterfragende (was nicht heißt: vorweg alles verurteilende) Haltung haben sollte.
Es grenzt an Realitätsverweigerung, nicht einzusehen, dass jede Regierung, jedes Unternehmen, selbst die meisten Menschen natürlich versuchen werden, sich selbst immer in einem möglichst positiven Licht darzustellen und dass die öffentlichen Medien (und große PR-Apparate) zu diesem Zweck genutzt werden. Man muss dies nicht einmal als einen Vorwurf betrachten, aus Sicht des jeweiligen Akteurs ist es rational, sich selbst und sein Vorgehen in einem möglichst positiven Licht betrachet haben zu wollen.
Kritik 1: verschiedene Perspektiven darzustellen ist Pflicht
Was nun die Berichterstattung zu den neuen kämpferischen Handlungen um Damaskus angeht, so scheinen mir zwei Vorwürfe besonders gerechtfertigt, die von Seiten der NATO-kritischen Berichterstattung erhoben werden und besonders die Berichterstattung auf tagesschau.de treffen.
Erstens, dass bestimmte (unbestrittene) Fakten einfach verschwiegen oder heruntergespielt werden, zum Beispiel um was für Gruppen es sich bei den „Rebellen“ handelt, dass es Angriffe von Seiten der Rebellen auf Damaskus gab, oft auch, dass es überhaupt auch eine syrische und russische Perspektive, in Stellungnahmen geäußert, zu dem Geschehen gibt. Dies haben meiner Analyse nach vor allem NZZ und Junge Welt geleistet, viele andere Medien nicht. Ironischerweise wirft ein Artikel auf tagesschau.de genau diese Einseitigkeit der Darstellung, die hier selbst gepflegt wurde, den russischen Medien vor.
Kritik 2: Das Geschehen in seinen Kontext einbetten
Zweitens wird das Gesamtgeschehen meistens vollkommen ausgeblendet. Es wäre aber wichtig, nicht nur die einzelnen Kampfhandlungen in den Kontext des gesamten Syrienkonfliktes zu stellen, sondern diesen auch in die gesamte Geschichte der Region und der geopolitischen Auseinandersetzungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Es ist naiv, angesichts der unbestrittenen Geschichte, anzunehmen, irgendein Staat würde irgendwo lediglich eingreifen, um humanitäre Hilfe zu leisten. Die humanitäre Hilfe wird erst dann geleistet, wenn es dem Akteur nutzt. Man muss also bei allen Akteuren fragen, welchen Nutzen sie von ihrem Eingreifen haben. Und genau das verhindert die (von RT kritisierte) Emotionalisierung des Geschehens.
Es ist nicht falsch, das ganze Leid in der Welt/in Syrien darzustellen – aber es müsste mit einer ehrlichen Analyse der Gründe und Ursachen für dieses Leid verbunden sein. Stattdessen wurde vor allem auf tagesschau.de der Eindruck erweckt, dieses Leid ginge ganz klar ungeteilt auf das Konto des syrischen autoritären Machthabers – mit Hilfe seiner schlimmen Russenhorden.
Der Krieg geht weiter
Der Krieg in Syrien scheint nicht nur immer weiter zu gehen, sondern sich auch langsam auszubreiten. Da es in Kriegen immer um viele Menschenleben geht, sollte uns gerade bei diesem Thema sehr an einer ausgewogenen, informierenden Berichterstattung gelegen sein. Gleichzeitig führt Krieg zumindest historisch betrachtet typischerweise zu Kriegspropaganda. Die Dämonisierung der politischen Gegner, in diesem Falle der syrischen Regierung und Russlands, wäre äußerst opportun, aber falsch, weil manipulativ und suggestiv. Wir sollten also ganz genau hinschauen.