Uncle Sams Hinterhof
Der amerikanische Journalist Max Blumenthal spricht mit Ecuadors Expräsident Rafael Correa über Lateinamerikas Versuch, sich von den USA zu emanzipieren.
Rafael Correa, Präsident Ecuadors von 2007 bis 2017, zählt zusammen mit Evo Morales, Luiz Inácio Lula da Silva und Hugo Chavez zu den Ikonen der Linken in Lateinamerika. Chavez verstarb 2013 im Alter von 58 Jahren. Die drei anderen wurden alle, mit juristischen Mitteln, in den unfreiwilligen Ruhestand versetzt. Zurzeit befindet sich Venezuela im Brennpunkt der US-amerikanischen Umsturzbemühungen — mit allen Mitteln: Unterstützung der Opposition, Wirtschaftsblockade und Propaganda — und auch die EU beteiligt sich nach Kräften an der Dämonisierung der legitimen Regierung von Präsident Nicolas Maduro. In Ecuador hat der amtierende Präsident Moreno, der mit einer linken Partei und Correas Unterstützung an die Macht kam, mit der Hilfe von Volksbefragungen und eines „Übergangsrates“ eine Art Umsturz von rechts vollzogen und bedient nun die US-freundlichen Eliten — die Hintergründe sind schwer zu durchschauen.
von Max Blumenthal
Max Blumenthal (MB): Herr Präsident, vielen Dank für diese Gelegenheit, hier in Caracas mit Ihnen zu sprechen. Sie hatten wahrscheinlich einen längeren Weg hierhin als ich. Sie sind von Europa aus angereist, wo Sie jetzt leben. Warum war es so wichtig, zu diesen Wahlen nach Venezuela zu kommen?
Rafael Correa (RC): Danke für das Interview. In Wirklichkeit war ich in Mexiko. Ich musste dorthin, um an einigen Treffen teilzunehmen. Ich habe den Trip ein bisschen ausgedehnt, denn, zurück in Belgien, hätte ich sofort in Quarantäne gemusst, und hätte danach auch nicht mehr ausreisen können. Deshalb kam ich von Mexiko direkt hierhin.
Wahlen in Venezuela
Aber auch von Belgien aus wäre ich höchstwahrscheinlich direkt angereist, denn Venezuela ist mir extrem wichtig, das gilt auch für seine Wahlen. Es gibt da eine ganze Reihe von Mythen, Lügen und Unwahrheiten. Deshalb will ich Europa und die Welt informieren, was wirklich in Venezuela vor sich geht.
Sie erwähnten einige der Lügen, die über Venezuela erzählt werden, einige der Täuschungen in den Medien. Wir haben kürzlich berichtet, wie das Wall Street Journal und der US-Kongress Diosdado Cabello, einem der wichtigsten Politiker hier, Kommentare in den Mund gelegt haben, dass er drohte, den Venezolanern Lebensmittel vorzuenthalten, wenn sie nicht wählen wollten. Eine Riesenlüge. Was halten Sie für die größten Lügen über Venezuela, mit denen Sie konfrontiert sind? Und warum war es so wichtig, hierher zu kommen und die Wahl zu beobachten?
Es ist wichtig, internationale Beobachter zu haben als Zeugen. Dabei sind die Wahlen in Venezuela sogar richtig langweilig. Weil alles wie am Schnürchen läuft. Es herrscht Ruhe. Weil die Abstimmungsmethode so effizient ist.
Die Stimmabgabe dauerte 20 Sekunden, was im Kontext der Pandemie günstig ist. Außer der Pandemie gibt es noch den Kraftstoffmangel, Stromausfälle und sogar Transportstreiks in einigen Bundesstaaten.
Deshalb ist es nötig, der Welt zu sagen, dass es hier Wahlen gibt wie in jedem anderen Land. Die Wahlen, die die Regierung vor fünf Jahren verlor, wurden damals anerkannt. Aber jetzt, wo sie wussten, wo Teile der Opposition wussten, dass sie verlieren würden, wollten sie die Wahlen boykottieren. Und deshalb werden sie jetzt von den westlichen Ländern nicht anerkannt.
Soviel zum Thema Doppelmoral. Deshalb ist es wichtig, dass es Zeugen gibt, die diese Wahl beobachten, die einen Organisationsgrad hat, wie man ihn nur ganz selten sieht. Sehr gut organisiert. Was war Ihre andere Frage?
Meine andere Frage war die nach den Lügen, die wir in unseren Mainstream-Medien ständig über Venezuela antreffen.
Was die angeblichen Drohungen im Zusammenhang mit der Wahl betrifft, da ist nichts dran. Sie können die Leute fragen. Und bedenken Sie: Es ist eine Sache, wenn Sie zum Wahlboykott aufrufen, weil Sie sich nicht als Partei registrieren durften und dadurch um die Teilnahme oder ihre Gewinnchancen gebracht wurden. Aber es ist etwas anderes, wenn Sie gar nicht teilnehmen wollen, und dann zum Boykott aufrufen, um hinterher zu sagen: „Ah! Da war kaum Wahlbeteiligung, die Leute haben uns unterstützt!“ Wenn Ihr so viel Unterstützung habt, warum nehmt Ihr nicht teil und gewinnt? Es ergibt keinen Sinn, sie lügen.
In Wirklichkeit gab es einen bestimmten Teil der Opposition, der zum Boykott der Wahlen aufrief, nicht weil sie nicht gut organisiert waren, nicht weil es Betrug gab, oder irgendwelche Behinderung bei der Registrierung. Eine andere große Oppositionsgruppe hat teilgenommen. Es liegt nur daran, dass sie wussten, dass sie verlieren würden. Aber genug ist genug, das ist nicht demokratisch.
Venezuela im Würgegriff der USA
Venezuela ist ein extremer Fall. Sie sind so weit gegangen, eine barbarische Wirtschaftsblockade zu verhängen. Die Bevölkerung leidet darunter. Sie haben die einmalige Lächerlichkeit begangen, eine „Regierung“ anzuerkennen, einen Mann, der sich selbst in einem Park zum Präsidenten ausrief, dabei hat er ganze 60.000 Stimmen für seine Wahl in die Nationalversammlung erhalten, als Delegierter ohne irgendwelche Macht.
Denn auch wenn sie Maduro die Legitimität verweigern wollen: Er ist derjenige, der die Macht hat. Wenn sie dem venezolanischen Volk wirklich helfen wollten, müssen sie sich der Vermittlung des Mannes bedienen, der die Macht hat. Nicht der Vermittlung eines Clowns, der sich in einem Park zum Präsidenten ausrief.
Also das sind Extreme, die ich vorher noch nie gesehen habe. Der Rest ist ganz ähnlich, aber diese Extreme haben ernste Folgen. Zum Beispiel hatte Venezuela früher mehr als 50 Milliarden Dollar Einnahmen aus dem Ölgeschäft. Dieses Jahr werden es nicht einmal 500 Millionen Dollar sein — das ist ein Hundertstel. Wissen Sie, was das bedeutet?
Öl hatte immer einen Anteil von 90 Prozent an Venezuelas Deviseneinnahmen. Dass Venezuela bis heute überlebt hat, ist nichts weniger als ein Wunder.
Da gibt es viel Scheinheiligkeit, wenn sogenannte Analysten über Venezuela reden, über seine Wirtschafts- und Einwanderungspolitik, ohne zu erwähnen, dass das Land blockiert wird und nun eine Kriegswirtschaft hat. Das ist so wie wenn ich eine Atombombe auf Chile abwerfen würde, um am nächsten Tag zu erklären, der Neoliberalismus habe versagt. Genug von dieser Scheinheiligkeit.
Diese Extreme hat es, mit der Ausnahme Kuba, in keinem anderen Land gegeben. Der Rest der Strategie, die subtileren Interventionen der USA, ähnelt dem, was sie auch in anderen Ländern versuchen. Sie unterstützen die Opposition über das „National Endowment for Democracy“ (NED), das den finanziellen Arm der CIA darstellt. Es finanziert die sogenannten NGOs, die in Wirklichkeit Organisationen der Opposition sind, die dauerhaft versuchen, der Regierung zu schaden.
Doch das wichtigste Destabilisierungsinstrument sind die Massenmedien — die nationalen und internationalen Medien, die permanent lügen, die Wirklichkeit verzerren und die Leute irreführen.
Wir hören so viel von Menschenrechtsverletzungen in Venezuela, von „außergerichtlichen Tötungen unter Maduros Aufsicht“. All das sind im Wesentlichen Gerüchte, die von der Opposition in Michel Bachelets UN-Bericht untergebracht wurden und seitdem ständig wiederholt werden. Aber wovon wir nichts hören, unsere Zuschauer in den USA, sie hören nicht sehr viel in den Mainstream-Medien über die Ereignisse des letzten Jahres in Ecuador. Die ganze Unterdrückung, die Verhaftung von Jorge Glas, die Terrorismusvorwürfe gegen Ricardo Patiño, der irgendwie mit Ola Bini aus Schweden zusammenhängt, der eingesperrt wurde, ohne einen Richter gesehen zu haben, dann Ihre eigene Verfolgung und Disqualifizierung. Vielleicht können Sie über die Repression sprechen und unseren Zuschauern erklären, was in Ecuador passiert ist, seit Lenin Moreno dort Präsident ist.
Zuerst muss ich über die Doppelmoral sprechen, die Sie eben erwähnt haben. In Kolumbien werden tagtäglich sozialistische Aktivisten umgebracht und es wird nicht einmal mehr in den Nachrichten erwähnt. Wenn umgekehrt in Venezuela ein Leopoldo Lopez verhaftet wird, der die Guarimbas (1) gefördert hat, die mehr als 40 Leute umgebracht haben, lebendig verbrannt, weil sie sie wegen ihrer dunklen Hautfarbe (2) für Chavisten gehalten haben, dann wird das zu einem weltweiten Skandal aufgeblasen.
Ja, Orlando Figuera.
Also gibt es dort viel Doppelmoral. In Ecuador ist es ähnlich. Es hat in der ganzen Region in den letzten Jahren viel Repression gegeben, in Kolumbien, in Ecuador, 11 Tote und 1.300 Verletzte, 1.200 Verhaftete im Oktober 2019, in Chile verloren Hunderte ihre Augen durch Gummigeschosse. Aber man hört nichts, es scheint kein Problem zu geben.
Wenn aber in Venezuela ein faschistisches Oppositionsmitglied verhaftet wird, das die Leute zu Gewalt aufwiegelte und Dutzende Todesopfer verursachte, wird das als Angriff auf die Menschenrechte gewertet. Eine Riesenheuchelei. Und wie Sie schon sagten, über Ecuador wird nicht einmal berichtet.
Die Moreno-Jahre in Ecuador
Zum Beispiel diese Wahlen. Am 7. Februar haben wir Wahlen, und unsere Bewegung führt alle Umfragen an. Mir haben sie, durch eine Betrügerei, die Teilnahme verboten. [Unsere Kandidaten] haben sich am 18. September registrieren lassen, dann wurde eine Serie von Zwischenfällen inszeniert, so dass die Registrierung bis heute nicht abgeschlossen wurde.
Das heißt, unsere Teilnahme ist in Gefahr. Sie haben das Unmögliche geschafft, unsere Teilnahme nicht zuzulassen, zweieinhalb Monate nach unserer Registrierung.
Stellen Sie sich die Schlagzeilen vor, wenn das in Venezuela passiert wäre. Die Titelseiten auf der ganzen Welt wären voll davon. Es ist eine Riesenheuchelei.
In Ecuador wurde das Gesetz permanent außer Kraft gesetzt. Sie haben den Staat mit einer völlig betrügerischen, manipulierten Volksbefragung übernommen, die keine verfassungsmäßige Grundlage hat. Mit den gleichen Methoden verschafften sie sich die Kontrolle über den Rat, der die Spitzen aller Aufsichtsbehörden ernennt. Als ob dies noch nicht reichen würde, hat sich der Präsident durch diese Volksbefragung die Macht verschafft, die Mitglieder eines Übergangsrates zu ernennen.
Doch der Präsident dieses Übergangsrates flippte aus. Er erklärte sich selbst zum Kaiser, dessen Entscheidungen über der Verfassung stünden. Er war 86 Jahre alt und starb schließlich. Sie haben ihn hochgejubelt, anstatt ihn ins Altersheim zu schicken.
Unter anderem löste er das Verfassungsgericht auf, das nicht aufgelöst werden kann. Er erklärte eine sechsmonatige Verfassungsvakanz. Das alles mussten wir miterleben.
Hinzu kam die politische Verfolgung im Fall Odebrecht. Jeder weiß darüber Bescheid. Der Vizepräsident Jorge Glas sitzt deshalb seit mehr als drei Jahren im Gefängnis, sie haben aber nichts finden können. Sie haben ihn extra nach veraltetem Recht verurteilt, um eine längere Strafe zu erzielen und ihn an der Rückkehr in das Amt des Vizepräsidenten zu hindern.
Odebrecht selbst (3) wurde nie angeklagt. Können Sie sich das vorstellen? Odebrecht, die korrupte Firma die andere korrumpiert, wurde nie angeklagt. Die damit verbundene Absprache liegt auf der Hand: „Ihr verklagt diesen und jenen [politischen Gegner von uns], und wir sorgen dafür, dass Euch nichts geschieht“.
Ich habe 36 Strafprozesse am Hals. So viele Anklagen hatten Chapo Guzmán, Pinochet und Al Capone nicht zusammen. Um mich an der Teilnahme zu hindern — an der Kandidatur für das Präsidentenamt war ich schon gehindert, aber ich hätte für die Vizepräsidentschaft kandidieren können —, um das zu verhindern, haben sie in 17 Tagen eine gerichtliche Entscheidung erwirkt. Niemals vorher haben sie das mit solcher Geschwindigkeit geschafft — um mich als Kandidaten zu disqualifizieren.
So hatten wir eine Menge zu tun. Zusätzlich zu den Verfolgungen wurde die frühere Präsidentin der Nationalversammlung angeklagt, die Proteste im Oktober angestiftet zu haben, und musste ins Asyl nach Mexiko flüchten. An dem Tag, als sie nach Mexiko flog, wurde ihr Vater verhaftet. Man warf ihm vor, als ihr Strohmann zu fungieren. Ein Skandal in allen Medien: „Gabriella Rivandeiras Millionen gefunden“. Ein Jahr später wurde er freigesprochen und die Medien sagten nichts.
Fernando Alvarado lebt hier in Venezuela. Er kam vor Gericht wegen angeblicher Veruntreuung des Geldes für einen Vertrag über 12.000 Dollar. Er kriegte acht Monate — jeder Monat für 1.500 Dollar, das Salär eines Journalisten. In der Zwischenzeit wird ein anderer, der 600 Millionen Dollar bewegte, wegen Veruntreuung angeklagt, und er hat nichts mit diesem Vertrag zu tun. Es ist so absurd, dass er den Prozess gewann — aber er gehört immer noch zu den gesuchtesten Kriminellen, der Steckbrief hängt noch auf jedem Flughafen aus.
In Wirklichkeit geht es darum, Leute zu verfolgen und zu erniedrigen. Ein anderes Beispiel, Ola Bini. Eine sehr lange Geschichte. Am Anfang wurde unser Außenminister Ricardo Patiño angeklagt, eine Beziehung zu zwei russischen Hackern zu haben und die Regierung auszuspionieren.
Sie erwirkten einen Haftbefehl für eine Vorlesung, die er gehalten hatte, aber angeklagt wurde er dann der Spionage zusammen mit zwei russischen Hackern. Dann stellte sich heraus, dass die beiden Hacker nur einer waren, und der war ein Schwede, Ola Bini, und er kannte Ricardo Patiño nicht einmal. Aber dieser Skandal wurde im Fernsehen gezeigt, und sie bestanden darauf, dass es Ricardo Patiño sei.
Schließlich steckten sie Ola Bini ins Gefängnis. Seit mehr als einem Jahr läuft nun ein sinnloser Strafprozess, und da ist absolut nichts. Später sagten sie, die Passwörter der Telefone seien entziffert und sie würden nun bald alles wissen. Das war vor sechs Monaten, und wir warten immer noch darauf dass „alles“ herauskommt.
Ich kenne Ola Bini nicht, aber er ist Ausländer und seine Menschenrechte wurden grob verletzt. Aber weil es Ecuador ist, ein Vasall der USA mit einer rechten Regierung, wissen sicherlich nicht einmal Nordamerikaner darüber Bescheid.
Sehen Sie die Doppelmoral? In Venezuela wird alles skandalisiert. Gleichzeitig werden in anderen Ländern der Region Menschen umgebracht, unterdrückt, politisch verfolgt: Nach Dekaden bitten wieder Menschen um politisches Asyl, weil es politische Verfolgung gibt, weil die Verfassung missachtet wird, aber davon erscheint nichts in den Nachrichten.
Wundert es Sie, dass Mike Pompeo Ecuador zweimal in den letzten Monaten besucht hat, dass er so viel Interesse an Ecuador zeigt? Ist das ungewöhnlich?
Überhaupt nicht ungewöhnlich. Es bestätigt das Offenkundige: dass die Ecuadorianische Regierung sich den Interessen der amerikanischen Regierung völlig unterwirft, die vor allem darin bestehen, fortschrittliche Führer zu verfolgen und Venezuela zu destabilisieren. Das ist offenkundig.
Wahlen in Ecuador
Die Linke erlebt, quer durch Lateinamerika, eine Wiederauferstehung. Und Ecuador ist als nächstes dran. Es kommen Wahlen. Glauben Sie, es gibt Gewinnchancen, angesichts all der Repression und Unterdrückung der Opposition in Ihrem Land?
Nach den Umfragen sollten wir gewinnen, sogar schon in der ersten Runde. Aber nachdem sie gerade in Bolivien vernichtend geschlagen wurden, sind sie entschlossen, alles zu tun um unseren Sieg zu verhindern.
Also sind wir optimistisch, aber nicht triumphierend, und machen uns auf alles gefasst. Konkret? Sie könnten uns immer noch von den Wahlen ausschließen. Ich glaube aber, das wäre Selbstmord. Aber sie könnten die Wahlen aufschieben, wegen der Pandemie. Oder illegal andere Kandidaten ins Spiel bringen. Durch eine Fragmentierung der Abstimmung würden sie den eigenen Kandidaten schaden, aber auch unsere Chancen auf einen Sieg in der ersten Runde vereiteln.
Sie sind also wirklich verzweifelt. Sie sind zu allem fähig, denn für sie ist es das Schlimmste, wenn wir gewinnen, denn sie wissen, dass sie sich dann vor Gericht verantworten müssen. Wir sind zwar nicht nachtragend, aber Gerechtigkeit muss sein. Ohne Hass, aber mit Erinnerung.
Natürlich ist die größte Herausforderung die Erholung des Landes, das zurzeit in Trümmern liegt. Ecuador macht gerade die schlimmste Wirtschaftskrise seiner Geschichte durch, infolge des Missmanagements der Pandemie und der Wirtschaft, deshalb sind sie zu allem bereit. Die Welt sollte genau beobachten, was bei diesen Wahlen in Ecuador geschieht.
Abhörangriff auf Correa
Ich weiß, dass Sie meine Untersuchungen zu UC Global in The Grayzone gelesen haben — eine Firma, die offenkundig, unter der Aufsicht des damaligen CIA-Direktors Mike Pompeo, von der CIA damit beauftragt war, Julian Assange in der Londoner Botschaft Ihres Landes zu überwachen. Und im Zuge dieser Untersuchungen bekam ich, durch das spanische Gericht, Dokumente ausgehändigt, die von David Morales (4) stammten, auf denen er Sie überwacht, ausspioniert, Ihre Familie ausspioniert, sogar Ihren Produzenten (5) bei RT. Was können Sie uns über diese Kampagne zur Verletzung Ihrer Privatsphäre sagen? Wahrscheinlich ein krimineller Akt. Und halten Sie Mike Pompeo für den Verantwortlichen?
Ich wurde von derselben Firma ausspioniert wie Julian Assange in unserer Botschaft. Der direkt Schuldige ist also David Morales, der Chef dieser Firma, aber er hatte regelmäßig Kontakt mit der CIA — und das steht nun im Zentrum der Ermittlungen.
Ich könnte nicht sagen, „Pompeo wusste Bescheid“, aber es ist klar, dass der Typ für die CIA und die USA arbeitete. Und es ist klar, dass außer mir noch meine Familie und meine Töchter ausspioniert wurden.
Und man erkennt die Täuschungsabsicht verschiedener Medien. Sie kannten bereits die Stellungnamen dieses Spaniers, und dann titelten sie „Correa autorisierte die Überwachung seiner Töchter.“ Sie sagten „autorisierte“. Ich kann mich nicht erinnern, aber es würde nicht schaden, wenn sie GPS auf den Handys hätten für den Fall einer Entführung, dass man dann über die Telefone etwas herausfinden könnte. Etwas ganz anderes ist es, dort Trojaner zu platzieren, um ihre Gespräche mitzuhören. Aber genau das wurde auf ihren Handys entdeckt.
Aber die Presse verzerrt alles. Sie informieren gezielt falsch, so dass die Leute glauben, man lüge. Sie suchen nicht nach der Wahrheit. Die Ecuadorianische Presse sind politische Akteure, die uns nur vernichten wollen.
Aber der unmittelbare Übeltäter ist diese Firma UC Global, David Morales. In Spanien gibt es Ermittlungen, um herauszufinden, für wen diese Leute arbeiteten. Ganz ohne Zweifel spionierten sie Julian Assange aus, und mich und meine Familie.
Die Preisgabe von Julian Assange
Wie passt der Fall Assange in die derzeitige Politik Ecuadors? Überhaupt nicht. Das ist der Grund, warum diese Halunken aufgaben (6). Aber das durften sie nicht. Im Fall Assange weiß ich nicht, ob jeder die UN-Charta der Menschenrechte kennt, aber das Recht auf Asyl ist heilig. Es ist ein Menschenrecht, und dieses Menschenrecht ist gebrochen worden.
Sie sagen, das Asylrecht gelte nicht für gewöhnliche Verbrechen, aber soweit es um Julian Assanges Verbrechen geht, wenn man es so nennen kann, ist es ein gewöhnliches? Sie sagen, Asyl sei nicht für Aktionen, die die Menschenrechte verletzen. Aber ist das Erzählen der Wahrheit ein Angriff auf die Menschenrechte? Dadurch ist der Fall Assange beispielhaft, und was da geschieht, ist von immenser Bedeutung.
Die Institution des Asyls wurde nicht respektiert. Ecuador missachtete seine eigene Verfassung. Artikel 41 der Verfassung verbietet explizit die Auslieferung eines Flüchtlings. Moreno tat es trotzdem. Zum ersten Mal in der Geschichte ließ eine souveräne Regierung eine bewaffnete Macht in ihre Botschaft.
Es ist schlimm, dass das passieren konnte. Aber weil es Moreno war, der den USA stets zu Diensten ist, versteckt die Presse den Vorgang und es ist, als wäre gar nichts passiert. Aber in Bezug auf Julian Assanges Fall ist es sehr verrückt, es ist ein zivilisatorischer Rückschlag. Die Person, die die Verbrechen offenlegte, muss ins Gefängnis, und die Kriminellen werden zu Strafverfolgern. Das ist total verrückt. Und wieder, Scheinheiligkeit und Doppelmoral.
[Und dann sagen sie] „Es liegt daran, weil er vertrauliche Information veröffentlicht hat.“ Ich war selbst ein Staatschef, und ich glaube, dass es vertrauliche Information geben sollte, aber nicht, um Kriegsverbrechen zu verstecken.
Und schließlich, wer hat die Informationen veröffentlicht? Julian Assange hat sie geliefert, aber wer hat sie veröffentlicht? Die New York Times, El Pais, auch deutsche Medien. Warum werden diese Medien nicht angeklagt?
Wie Sie sehen, hat alles nur mit Macht zu tun. Sie gehen gegen den Schwächsten vor, in diesem Fall den Journalisten. Es ist ein wirklich ein verrückter Fall, wobei demjenigen, der die Wahrheit sagt, der Kriegsverbrechen aufdeckt, 175 Jahre Haft drohen, und er wird von genau denselben Kriminellen verfolgt, die er enttarnte.
Rätselhafter Lenin Moreno
Und all das wurde durch Präsident Lenin Moreno möglich gemacht, Ihren Nachfolger, der früher einmal auf Ihrer Seite war. Hätte es keine Regierung Moreno gegeben, dann wäre Julian Assange niemals in der Botschaft verhaftet worden, diese Verletzung der Souveränität der ecuadorianischen Botschaft in London. Nichts von all dem wäre passiert. Ich habe mich immer gefragt, bevor aus ihm diese Art von trojanischem Pferd wurde, haben Sie jemals gespürt, dass er diese Richtung einschlagen würde? Gab es irgendwelche Anzeichen?
Nichts, rein gar nichts. Sie können sogar bis zum Wahlkampf 2017 zurückgehen, wo er mich den besten Präsidenten der Geschichte nannte, den besten Präsidenten der Welt, den besten Ecuadorianer aller Zeiten. Unsere Regierung sei eine Legende. Auch Kuba, auch Chavez warf er sich an den Hals und verlieh ihnen Medaillen.
Der Typ ist ein Psychopath. Niemand kann so schamlos lügen. Der Typ gehörte nie zu uns.
Und der Verrat hat auch nicht den Grund, dass der Typ mittelmäßig ist, er ist korrupt. Vielleicht haben die Gringos (Nordamerikaner und Europäer) sein geheimes Konto in Panama vor uns entdeckt, seine Korruptionsprofite, die immer noch unberührt sind. Vielleicht wurde er mit diesem Konto erpresst.
Aber wie kann man den pathologischen Hass auf uns erklären? Sogar seine Berater warnten ihn: „Lass Correa in Ruhe, er hat das Volk hinter sich, das gibt Widerstand“. Aber er zog es vor, sich selbst zu zerstören.
Seine Zustimmungswerte sind auf 6 Prozent gesunken, der niedrigste Wert in Lateinamerika sowie in der Geschichte Ecuadors. Er zog es vor, das Land zu zerstören, und versuchte auch, mich zu zerstören.
Letzteres hat er nicht geschafft, aber das Land ist in Stücke gerissen. Er hat vielen guten Leuten geschadet, vielen Familien. Und er zerstörte seine eigene Regierung, die nun als die schlechteste der Geschichte gilt.
Lateinamerika und die US-Präsidenten
Als Präsident von Ecuador hatten Sie auch ziemlich regelmäßig mit der Obama-Administration zu tun. Also auch mit Joe Biden, der jetzt der designierte neue Präsident ist. Glauben Sie, dass die Biden-Regierung Lateinamerika mehr zu bieten hat als die Trump-Regierung, speziell für sozialistische oder linke Regierungen?
Obama und Biden unterscheiden sich deutlich von Trump. Trump ist amoralisch, er hat ein sehr einfaches Denkschema. Er glaubt, dass ein Land wie eine Firma ist; er gibt damit an, wie er Steuern vermeidet, er hat keinerlei Moral.
Es ist sehr schwer mit Leuten dieses Typs einen Konsens zu erreichen, mit ihnen zu reden, wenn einer keine Prinzipien hat. Aber nicht nur das. Die Botschaften, die er aussendete, die Fremdenfeindlichkeit, die Diskriminierung und vieles andere, die Botschaften von Gewalt. Trump war wirklich eine globale Gefahr.
Biden ist etwas anderes. Unglücklicherweise könnte ich Ihnen jetzt erzählen, dass Obama ein guter Mensch, ein netter Kerl und ganz sicher ein kluger Kopf ist. Dasselbe gilt für Biden, den ich sehr bewundere, er hatte ein sehr schweres Leben. Aber beide sind in ein System eingebettet.
Mit der Elite eines Landes, vielleicht sogar in Venezuela, kannst Du Dich prima unterhalten und sie werden die nettesten Leute sein, die ihre Freunde unterstützen. Aber am Ende werden sie nicht zögern, die Tötung derjenigen Leute zu befehlen, die sie für anders halten.
Ihr Nordamerikaner habt ein historisches Beispiel. Thomas Jefferson, der Autor des schönsten Dokuments in der Geschichte der Menschheit, der Unabhängigkeitserklärung, in deren zweitem Paragraph Dinge wie diese stehen: „Wir erachten es als selbstverständliche Wahrheit, dass alle Menschen gleich geschaffen sind (...) mit gewissen unveräußerlichen Rechten, darunter Leben, Freiheit und das Streben nach Glück.“ Aber er selbst war ein Sklavenhalter.
Das Thema transzendiert die Frage, ob jemand gut oder böse ist. Sie glauben dass das, was sie glauben, wahr sein muss. Das ist die Vorstellung des amerikanischen Exzeptionalismus, ebenso wie der lateinamerikanischen Eliten, sie glauben, dass das der Weg ist.
Wenn Thomas Jefferson von Freiheit und dem Recht auf Glück der Menschen sprach, meinte er nur sie [seine weißen Landsleute]. Schwarze sah er nicht als Menschen an, und das lag nicht daran, dass er ein schlechter Mensch war. Sondern weil er gar nicht auf die Idee kam. Er wuchs so auf, er war so erzogen.
Dasselbe gilt, mit allem Respekt, für alle US-Führer, und seien es privat die besten Menschen. Aber sehen Sie, wie viele Menschen Obama bombardiert hat. Wie viele Kriege er angefangen hat. Er fing auch mit den Sanktionen gegen Venezuela an, und welchen Schaden haben diese angerichtet.
Er mag ein großartiger Mensch sein, aber er kann nicht verstehen. Für ihn beginnt und endet die Welt mit den USA.
Deshalb glaube ich, dass es in der amerikanischen Außenpolitik, ganz besonders in Bezug auf Lateinamerika, keine fundamentalen Veränderungen geben wird. Einige Extreme werden verschwinden, weil sie der Simplizität von Trump geschuldet sind, der so moralfrei ist wie ein prähistorischer Höhlenbewohner. Solche Dinge wie die Blockade der venezolanischen Küste mit Kriegsschiffen. Ich glaube nicht, dass Biden das fortsetzt.
Ausblick
Ich habe mich immer gefragt, nach allem was in Ecuador passiert ist, wie weit das Land in amerikanische Hände gefallen ist, wie sehr seine Souveränität verletzt wurde, ob Sie je ihren Schritt bereut haben, das Amt aufzugeben und nach Europa zu gehen, anstatt für eine weitere Amtszeit zu kandidieren?
Ich hatte das vor. Aber 2014 kündigte ich an, dass ich 2017 nicht mehr kandidiere, weil meine Familie binational ist und aus anderen Gründen. Wenn jemand anders weitermachen kann, gut. Aber der Hauptgrund ist, ehrlich gesagt, meine binationale Familie. Meine Frau ist Belgierin, und wir hatten schon 25 Jahre lang in den USA gelebt.
Ich habe vorhin das Interview unterbrochen, weil sich heute der Todestag meiner Schwiegermutter jährt. Wir kehrten 2017 glücklich zurück, 18 Monate danach starb meine Schwiegermutter, und 15 Monate später starb mein Schwiegervater.
So war es sinnvoll, diese Zeit in Belgien zu verbringen. Meine Frau ist aus Belgien und meine Töchter studierten dort. Ich war müde.
Nicht dass ich an der Macht hängen würde. Aber natürlich kenne ich meine Verantwortung. Ich glaubte nie, dass es zu dem kommen könnte, was passiert ist, sonst hätte ich weitergemacht.
Aber ich hatte drei Jahre vorher verkündet, dass ich 2017 nicht mehr kandidieren würde, sondern mich nach Belgien zurückziehe. Ich wollte mich aus der Politik zurückziehen, weil ich glaube, man kann auch auf anderen Gebieten einen Beitrag leisten.
Ich war immer auch in der akademischen Welt aktiv und ich wollte dorthin zurück. Ich bin promovierter Wirtschaftswissenschaftler mit einer Spezialisierung in Entwicklungspolitik. Ich hatte das Privileg, zehn Jahre lang ein Entwicklungsland zu führen. Ich denke, ich kann zur Analyse der Entwicklung beitragen, und ich wollte schreiben. Das war mein Lebensentwurf.
Aber dann kam dieser Verrat, und danach diese brutale Verfolgung. Bis heute stehe ich jeden Tag auf, um nachzusehen, welchen neuen Fall sie gegen mich bringen, was die neue Anklage ist. Die letzte kam vergangene Woche. Sie klagten mich an, dem ecuadorianischen Institut für soziale Sicherheit die Subvention gestrichen zu haben. Ist es ein Verbrechen dem IESS die Subvention zu streichen? Das ist Teil des Regierens!
Sie haben mich angeklagt, ein Kidnapper zu sein, ein Bestechungsnetzwerk mit „psychischer Beeinflussung“ zu steuern, ein Mörder zu sein, die Flugzeuge falsch gehandhabt zu haben, als ob der Präsident ein Pilot wäre. Es ist entsetzlich.
Jedenfalls lassen sie mich nicht zur Ruhe kommen. Ich musste zurückkommen. Es geht jetzt darum, die völlige Zerstörung unserer Heimat, die Verfolgung unserer Kameraden zu verhindern, und unsere Zukunft zu sichern. Wir mussten dem Ruf der Geschichte folgen, aber das war nicht meine Lebensplanung.
Max Blumenthal ist der leitende Herausgeber von The Grayzone, ein preisgekrönter Journalist und der Autor zahlreicher Bücher, darunter die Bestseller „Republican Gomorrah“, „Goliath“, „The Fifty One Day War“ und „The Management of Savagery“.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „Max Blumenthal meets Rafael Correa in Venezuela“. Er wurde vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzerteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratteam lektoriert.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Guarimbas: Gruppen radikaler Oppositioneller, die 2014 mit Straßensperren gegen die Anhänger von Präsident Maduro vorgingen.
(2) Expräsident Hugo Chavez wurde vor allem von Menschen indigener Abstammung, also mit dunklerer Hautfarbe, unterstützt.
(3) Odebrecht ist ein Baukonzern, der sich in vielen Ländern Lateinamerikas durch Bestechung von Politikern Staatsaufträge verschafft hat, was für entsprechende Skandale sorgte.
(4) ... dem Chef von UC global ...
(5) Rafael Correa hat eine eigene Fernsehshow im spanischen Programm des russischen Senders RT.
(6) gemeint ist die Auslieferung von Assange an die britischen Behörden.
Themenverwandte Artikel:
https://www.rubikon.news/artikel/lugen-fur-den-krieg-2
https://amerika21.de/blog/2019/08/229862/institutionelle-krise-ecuador