Unbedachte Zustimmung
Jene, die heute im Fall Trump die Zensur bejubeln, könnten ihr schon morgen selbst zum Opfer fallen.
Nach der Sperrung des Twitter-Accounts des scheidenden US-Präsidenten Donald Trump wurde das Thema Zensur in der öffentlichen Wahrnehmung wieder präsenter. Jedoch wurde es vielfach eher affirmativ als kritisch behandelt. Zensur — so klingt es bei manchen Kommentatoren des Zeitgeschehens — ist dann okay, wenn es die „Richtigen“ trifft. Was die Zensur Trumps anbelangt, sollte man sich jedoch nicht der Illusion hingeben, dies sei das Ergebnis seines entschiedenen Handelns gegen „die Eliten“. Denn obwohl nach außen hin der Eindruck entstehen mag, Trump sei gerade deswegen gesperrt worden — auch seine Amtszeit erfüllte ihren Zweck im globalen Spiel derer, die einen Welt-Polizeistaat zum Schutz des Kapitalismus wünschen.
Im Jahr 2017 habe ich in einem Artikel vor den Gefahren des Zelebrierens der Zensur gewarnt. In jenem kurzen Artikel habe ich auf ein paradigmatisches Problem in Bezug auf die Redefreiheit aufmerksam gemacht, das sich als doppelter Widerspruch entfaltet. Als der polnische Europaparlamentarier Janusz Korwin-Mikke diskriminierende Behauptungen gegen Frauen aufstellte, bestand die Reaktion der liberalen europäischen Politik darin, den polnischen Politiker — im Namen der Redefreiheit — zu zensieren, zu bedrohen und zu entmündigen. Anstatt auf eine solche Rede mit mehr Rede zu reagieren, nämlich mit Argumenten gegen die Diskriminierung von Frauen, nutzten europäische Politiker die Zensur ausgiebig, um ihr Gegenteil zu verkünden.
Hier offenbaren sich die Widersprüche und falschen Behauptungen liberaler Politik, denn in liberalen Gesellschaften steht alles auf dem Kopf, für jede Behauptung im Diskurs wird ihr Gegenteil Realität.
Nun bleibt einerseits der wichtigste Journalist unserer Zeit, Julian Assange, im Gefängnis, um ihn zum Schweigen zu bringen und andere investigative Journalisten präventiv davon abzuhalten, die Missstände der Elite aufzudecken; andererseits wird der Präsident des kriegerischsten und (noch) mächtigsten Landes der Erde von der internationalen Kapitalistenklasse zensiert, die versucht, unauffällig ein Management der eigenen Grausamkeit durchzuführen.
Während die Menschen die „Freiheit“ zelebrieren, feiern sie noch affirmativer die Zensur im Namen derselben „Freiheit“.
Im ersten Fall bedeutet das Zelebrieren der Zensur in der Praxis das Verbot von investigativem Journalismus, wenn er nicht in das Mainstream-Narrativ passt. Damit wird die eindimensionale Elitenmacht von Geld und Kapital verwirklicht. Nicht nur die kapitalistische Macht schafft die Narrative auf allmächtige Weise, sondern alle Formen des Versuchs, die kapitalistische Klasse zur Rechenschaft zu ziehen, scheitern a priori, da der Journalismus, den man als vierte Quelle der kontrollierenden Macht — qualitativ anders, dennoch parallel zu den Instanzen der Legislative, Exekutive und Judikative — verstehen könnte, stirbt und an seiner Stelle nur noch die Diskurse der Öffentlichkeitsarbeit zu finden sind.
Was den zweiten Fall betrifft, so repräsentiert Donald Trump trotz des Verbots immer noch die Konkretisierung mehrerer Eliteninteressen. Seine Figur ermöglicht eine Divergenz für die Eliten. Die Rechten erscheinen nicht als Teil ebendieser Elite, sondern als externe Figuren, die kontrolliert werden müssen. In Wirklichkeit treten die Rechten nicht auf, um selbst die Kontrolle über die Gesellschaft zu übernehmen, sondern um der Elite, die mit ihrer plutokratischen Herrschaft und ihren falschen Ansprüchen die unzufriedenen Massen nicht unter Kontrolle halten kann, eine Managementlösung im Rahmen ihrer Logik anzubieten.
Insofern ist es die Aufgabe der Rechten, eine formale Anerkennung der Unzufriedenheit der Massen zu liefern, und dadurch wird es möglich, das Narrativ zu schaffen, das die Quellen der Probleme bestimmt.
Der Identitätskult erscheint sehr wichtig, da er vereinfachende Antworten auf komplexe Probleme liefert. Die Rechten erzeugen aus der Unzufriedenheit Mythen.
Der Identitätskult lenkt gleichzeitig davon ab, erstens die wirklichen Ursachen durch eine wirkliche Kritik anzusprechen, sodass die Plutokratie in ihrem Machtmissbrauch unauffällig bleibt — erscheint sogar als Retterfigur; und zweitens lenkt er die wütende Masse von jeder Form einer wirklichen (!) Linken ab, nämlich von einem politischen Standpunkt, der den Kapitalismus und seine Form des Privateigentums als Hauptgrundlage für die gesellschaftliche Organisation in einen Zusammenhang bringt, das heißt, während Privateigentum der Produktionsmittel besteht, kann keine demokratische Wirtschaft und dementsprechend Demokratie überhaupt möglich sein.
Die Zensur wird also auf der Basis eines gemeinsamen Feindes legitimiert, ein Problem, das alle bekämpfen sollten. Gerade die Klasse, die sich selbst als Trägerin der Freiheit proklamiert, überzeugt die Gesellschaft davon, die Freiheit als allgemeinen Wert zu verwirken.
Diejenigen, die sich heute feiern, haben den Präzedenzfall dafür geschaffen, morgen selbst zensiert zu werden.
Das ist kein komplexer Gedanke und hat sich in der Geschichte immer wieder ereignet, und dennoch feiern die heutigen kapitalistischen Linken es noch. Die kapitalistischen Linken sind ein wichtiger Teil des Systems, das sie vorgeben zu bekämpfen, deshalb haben sie keine Angst, zensiert zu werden. Die kapitalistischen Linken der Menschenrechte sind in der Regel die letzten Legitimatoren von Kriegen, Staatsstreichen, Embargos, Zensur, Naturzerstörung und so weiter. Die kapitalistischen Linken erhellen in keiner Weise die kapitalistischen Verhältnisse, sondern gewähren ihnen eine mitschwingende, hoffnungsvolle Tinte, dass, wenn man politisch kapituliert, auf grundlegende Systemveränderung verzichtet, alles dann gut sein sollte.
Donald Trump ist das perfekte Werkzeug, um aus dem Missbrauch der Macht einen Zustand der Normalität zu schaffen; so wie die Taliban und andere vom Westen ausgebildete, finanzierte und geförderte Terrororganisationen dem „Krieg gegen den Terror“ den perfekten Vorwand für ewige Kriege liefern, ermöglicht Trump die Aktualisierung des Polizeistaats auf neuen Ebenen der sozialen Beziehungen, wo der Diskurs innerhalb der kapitalistischen Struktur noch enger wird.