Umweg zu mir selbst

Ein Sammelband von Björn Gschwendtner porträtiert bedeutende alternative Medienschaffende — wie Jochen Mitschka. Exklusivabdruck aus „Politische Köpfe im Porträt“.

Was für Persönlichkeiten stecken eigentlich hinter den bekannten Namen in der Alternativ-Medienszene? Das neue Sammelwerk aus dem ProMedia Verlag liefert biografische Einblicke in das Leben der Menschen, die man sonst nur von ihren Büchern, Vorträgen und Interviews kennt. Hier beschreibt Rubikon-Autor Jochen Mitschka, wie er zwischen radikalem Pazifismus, Einsicht in die Notwendigkeit von Wehrhaftigkeit und Widerstand gegen die Inszenierung eines neuen kalten Kriegs zu dem kritischen Geist wurde, als den wir ihn heute kennen. Seine kurze politische Autobiografie gibt Inspiration, um selbst aktiv zu werden.

Entscheidend für meine Sozialisierung in Deutschland war mein Vater. Er wurde im Krieg sieben Mal verwundet, aber immer wieder an andere Fronten geschickt, bis ihn ein Splitter im Kopf kurz vor dem Kriegsende lebenslang behinderte. Er war kein „stolzer Krieger“. Meine Mutter erzählte mir, wie einmal ehemalige Soldaten ihn besuchen wollten, um ihm zu danken, weil er sie unter Beschuss gerettet hatte. Aber er wollte nichts mehr vom Krieg wissen. Er habe sie weggeschickt, erzählte mir meine Mutter. Er schämte sich dafür, mitgeschwommen zu sein, als Soldat für ein System gedient zu haben, das er Verbrechen begehen sah.

Aber als ich mich gegen seinen Willen Anfang der 1970er-Jahre für vier Jahre in der Bundeswehr verpflichtete, davon zwei Jahre in Mons bei der NATO „diente“, da erzählte er mir, wie er im Krieg wieder religiös geworden war. Er berichtete, dass Menschen den Verstand verloren, wenn die „Stalinorgeln“ einen Angriff der Infanterie vorbereiteten und rechts und links die Kameraden zerfetzt wurden, und wie er in dieser Situation wieder begonnen hatte, zu beten.

Damals sagte ich ihm, dass die neue Bundeswehr ja gar nicht für den Krieg bestimmt ist, sondern dass die Aufgabe der neuen Soldaten wäre, Krieg zu verhindern. Und ich hatte daran geglaubt. Das war schließlich der Geist unseres Grundgesetzes, der auch in der Schule gelehrt wurde. Wir wollten eine wehrhafte Gesellschaft sein, eine Gesellschaft, die sich gegen Aggressionen verteidigen konnte. Und damit die Soldateska nicht wieder zum Staat im Staat werden konnte, sollten Wehrpflichtige zivile Ansichten in die Streitkräfte und Informationen über die Streitkräfte in die Zivilgesellschaft tragen.

Das Ziel war nicht, einen Gegner anzugreifen, das Ziel war nicht, das Töten zu lernen, das Ziel war nicht, etwas zu erobern. Das Ziel war, einem Angreifer bewusst zu machen, dass er einen hohen Preis zahlen müsste, sollte er sich entschließen, Deutschland anzugreifen.

Es war ein längerer Prozess, der mich dazu brachte, von meiner pazifistischen Grundhaltung, die jede Art von Militär und Vorbereitung von Gewaltanwendung ablehnte, zu einem vehementen Befürworter des „Bürgers in Uniform“ zu werden. Entscheidend dafür waren die Erfahrungen aus der Geschichte nach der Auflösung des Warschauer Paktes und asymmetrische Reaktionen auf Seiten des Westens darauf, insbesondere der USA. Ich musste lernen, dass heute ein Faustrecht regiert, wie es seit dem 30-jährigen Krieg nicht mehr zu beobachten war. Und im 30-jährigen Krieg war Pazifismus gleichbedeutend mit dem Tod.

Ich hatte meinen Vater insgeheim ausgelacht, war überzeugt, dass die deutsche Bundeswehr rein defensiv sei und „Kriege verhindern“ würde. Bis ich durch den Angriffskrieg gegen Jugoslawien aus meiner Ahnungslosigkeit aufzuwachen begann. Ich war zuvor zu beschäftigt mit Studium, Karriere, Haus bauen und was man noch so alles tut als junger Mann.

„Aber wenn die Anti-Kriegs-Partei ,Die Grünen‘ nicht dagegen sind, muss ich wohl falsch liegen“, dachte ich dann.

Und ich musste immer wieder daran denken, was mir mein Vater gesagt hatte. Es ging wieder los. Und ich schämte mich, innerlich über meinen Vater gelacht zu haben, was dazu führte, dass ich mich zehn Jahre später bei einem serbisch-stämmigen Ex-Kollegen entschuldigte, weil ich dessen Einwände vom Tisch gefegt hatte, vollkommen überzeugt, dass die SPD und die Grünen doch keinen auf Lügen basierten Angriffskrieg führen würden, wie es dann zehn Jahre später offenbar doch passierte.

Ich musste lernen, dass sich die sogenannten Demokratien beliebig zugunsten von Bomben und Kriegen manipulieren lassen. Und auch das Entlarven von Kriegslügen, wie der Hufeisenlüge, der Brutkastenlüge, der Massenvernichtungswaffenlüge, der Libyenlüge, der Giftgaslüge zum Beispiel, sorgt in unseren „Demokratien“ nur für ein Schulterzucken, nicht aber für einen Druck der Öffentlichkeit, der zu einem Ende der Kriege führt.

Die nächste Phase des Erwachens geschah dann in Asien, während und nach dem Militärputsch von 2006 in Thailand und während einer 3-monatigen Arbeit für die UNO in Vietnam. Ich wurde Zeuge von Ereignissen, deren Beschreibung ich dann in den internationalen und deutschen Medien zum größten Teil vollkommen verzerrt las und hörte. Eines dieser Schlüsselereignisse war ein Bericht über Thailand gewesen, wo die Demonstranten „das Parlament“ erstürmt hätten, und der Premierminister mit seinen Leibwächtern hätte fliehen müssen. Dieser Vorgang diente dann der Regierung dazu, den Ausnahmezustand zu verhängen. Und da begann ich, damals noch unter Pseudonymen, meine Sicht auf die Ereignisse und was ich tatsächlich beobachtet hatte niederzuschreiben.

Kurz vor Eintritt in den Altersruhestand fing ich dann damit an, unter eigenem Namen zu schreiben. Im Jahr 2014 verfolgte ich den Staatsstreich in der Ukraine und war erneut schockiert über die Medienberichterstattung. Das führte mich zu einem Buch von Richard Sakwa über das Thema, welches ich zum Teil in einem eigenen Buch „Das Ukraine-Narrativ“ verarbeitete. Da die deutschen Medien sich bis heute weigern, über das Massaker von Odessa, die Schüsse auf dem Maidan, die Korruption, in der auch US-Politiker massiv verstrickt sind, oder den Einfluss Deutschlands auf die Gewalttaten in der Ukraine neutral und investigativ zu berichten, veröffentlichte ich das Buch im Jahr 2019.

Das machte mich in der Folge zu einem entschiedenen Gegner der „Teile und Herrsche“-Ideologie, welche in Deutschland immer stärker zu beobachten war. Unbeirrt begann ich weiter, unangenehme Themen zu behandeln.

Am 25. Januar 2021 gründete ich mit neun anderen Online-Gründern den gemeinnützigen Verein „Der Politikchronist“, mit dem Bücher und Medien, die von Verlagen wegen fehlender kommerzieller Aussichten oder aus anderen Gründen nicht veröffentlicht werden, aber die eine politische und gesellschaftliche Relevanz haben, gefördert werden sollen. Darüber hinaus sollen solche Medien durch preiswerte Produktion und Verzicht auf Gewinne auch in haptischer Form erschwinglich werden und durch CC-Lizenzen leicht verbreitbar. Außerdem will sich der Verein um Jahr- und Themenbücher kümmern, und darum, dass durch Nachveröffentlichungen wichtige Informationen nicht im Tsunami der allgemeinen Informationen untergehen, was derzeit verstärkt wird durch Suchmaschinen-Algorithmen und Zensur in den sozialen Medien.


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Bild: Zeichnung von Björn Gschwendtner