Umkehr oder Untergang

Eine Frau, deren Schicksal mit deutscher Geschichte eng verwoben ist, warnt die Verantwortlichen in Berlin in einem offenen Brief vor einem dritten großen Krieg.

„Jeder Schuss ein Russ‘“ — oder: „Nie wieder Krieg“? Auf den ersten Blick scheint die Antwort auf diese Frage nicht schwer zu sein. Die überwältigende Mehrheit der Deutschen will nicht in einen Krieg mit Russland hineingezogen werden. Vielen „Spitzenpolitikern“ hierzulande fällt die Entscheidung jedoch offenbar auch leicht: Sie marschieren stramm auf einen katastrophalen Konflikt mir Russland zu — so als hätten sie ein zweites Land oder gar einen zweiten Planeten in der Hinterhand, auf den sie sich flüchten könnten, wenn dieser durch einen großen Atomkrieg zerstört würde. Die Autorin wurde 1944, kurz vor dem Kriegsende, geboren. Ihr Lebensweg und ihre Familiengeschichte sind ein Spiegel des kollektiven Schicksals der Deutschen in den letzten 80 Jahren. Als Fazit aus teilweise leidvoller Erfahrung beschwört sie unsere verantwortlichen Politiker: Kehrt um, bevor sich der Kreis schließt und die Lebenswege älterer Menschen enden, wie sie begonnen haben: im Bombenhagel eines furchtbaren Krieges.

Ein öffentlicher Brief per mail an
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dialog@fdpbt.de
Info@bundestag.de

Sie stehen an einem Scheideweg.

• Entweder beschreiten Sie den Weg des Friedens und der Diplomatie und nehmen endlich die Verhandlungsangebote Russlands an, oder
• Sie entscheiden sich für den Weg des Krieges und riskieren einen dritten Weltkrieg, der nicht mehr mit Gas oder Phosphor die Menschen zerstören wird wie im Ersten und Zweiten Weltkrieg, sondern mit einem noch schrecklicheren, alles vernichtenden Waffenarsenal inklusive Atomwaffen.

Aber seien Sie sicher, Ihr deutsches Volk, dem Sie geschworen haben zu dienen und jedes Unglück von ihm abzuwenden, will keinen Krieg! Fragen Sie das Volk.

Führen Sie einen Volksentscheid durch mit der Frage: „Wollen Sie, dass Deutschland einen Krieg mit Russland beginnt oder daran teilnimmt?“

Es ist Aufgabe meiner Generation, Sie eindringlich zu warnen, den Weg des Krieges nicht weiter zu beschreiten. Unsere Väter und Mütter, als deren Kinder wir im Krieg geboren wurden, haben uns die eindringliche Botschaft hinterlassen:

„Nie wieder Krieg! Von Deutschland darf nie wieder ein Krieg ausgehen!“ Denn die Schrecken des Krieges und das Leiden im Krieg und in der Nachkriegszeit war nie mehr aus ihrem Bewusstsein zu tilgen.

Ist das alles schon wieder vergessen?

Kriegskind

Ich wurde 1944 im Januar des vorletzten Kriegsjahres in Küstrin geboren — der traditionsreichen preußischen Festung an der Oder. Mein Vater war dort als Unteroffizier Adjutant der Generalität unter Reinefahrt, einem großen Nazi, der später Bürgermeister von Westerland wurde — was zeigt: Sie sind immer noch unbehelligt unter uns gewesen, diejenigen, die bis zum letzten Mann das Töten befohlen haben. Und ihre Nachkommen lebten oft weiter in deren Tradition — eine absurde Realität des Nachkriegsdeutschlands, die Ralph Giordano nach den Nürnberger Prozessen, wo er als Journalist Beobachter war, für immer treffend als die „zweite deutsche Schuld“ gebrandmarkt hat. Denn er sah, wie das Gros der Alltags-Nazis unbehelligt weitermachen durfte: Als Richter, Beamte, Lehrer, Ärzte, Politiker, später Offiziere und Generäle, waren sie wieder „normal“ im Einsatz und bestimmten den zukünftigen Kurs in der „neuen deutschen Demokratie“.

Ist das alles schon wieder vergessen?

Wo sind wir, wo ist Deutschland auch mit deren Hilfe wieder angekommen? Deutschland steuert heute mit Ihrer (!) Hilfe — Nachkommen vielleicht genau dieser „Eliten“ — auf einen dritten Krieg gegen Russland zu!

Vielleicht auf einen dritten Weltkrieg?

Kriegstrauung

Meine Eltern waren — jeder/jede auf seine/ihre Weise — Opfer des Kriegs, aber hofften doch, in letzter Minute, vor dem absehbaren Ende des „Totalen Kriegs“ — Deutschlands gegen Polen, Russland und die europäischen Nachbarn — auf eine Zukunft und eine Familie und wurden „kriegsgetraut“. Schon an meinem ersten Geburtstag mussten sie sich trennen: Die letzten Zivilisten, alles Frauen mit Kindern, sollten, mussten Küstrin verlassen. Mit Kisten und Kinderwagen versuchte meine Mutter mit den anderen noch mit der Bahn nach Berlin zu gelangen, wo es hoffentlich noch eine Wohnung der Schwiegermutter gab, falls sie nicht inzwischen zerbombt worden war. Es wiederholte sich ein Familiendrama. Mein Vater, 1913 geboren, wurde wie ich in seinem ersten Lebensjahr von seinem Vater verlassen, denn der zog wie alle Männer in den verordneten Krieg und kam erst zwei Jahre nach Kriegsende zurück zur Familie. Warum so spät, blieb unbekannt. Man redete nicht darüber.

Ist auch das alles schon wieder vergessen?

Flucht-Trauma

Meine Erinnerungen daran sind dunkel. Es gab immer wieder Tiefflieger, die Jagd auf Menschen machten; die Mütter sprangen aus dem Zug, die Kinder im Arm, manchmal auch einfach im Waggon belassen, wenn es schnell gehen musste. Es wurde geschrien, geweint, geflucht.

Jeder Alarm, Sirenen, verstörende Flugzeuggeräusche bringen mich noch heute aus der Fassung.

Erzählungen

Die Nachrichten besagten kurz danach: „Küstrin ist gefallen, es wurde heldenhaft bis zum letzten Mann verteidigt!“

Die Wahrheit war anders: Die Rote Armee hatte die Oder überquert, Küstrin umgangen, lag in drei Ringen vor Berlin und bereitete sich auf den Sturm auf Berlin vor. Die „Helden von Küstrin“ hatten sich, Reinefahrt voran, davongeschlichen und versucht, sich durch die drei russischen Ringe in Richtung Berlin „durchzuschlagen“. Nur einem Bruchteil gelang das, darunter meinem Vater, der, wie er es beschrieb, alles, was schwer war, von sich geworfen hatte und nur noch gerannt ist.

Nur ein Zufall rettete ihn dann davor, wie die meisten anderen „Geretteten“ als Strafe für diesen „Defätismus“ an die Front geschickt zu werden. Es gelang ihm, in Potsdam in einem Sanitätsverband als Fahrer unterzukommen. Seine alte Einheit gab es nicht mehr.

Und so sahen sich meine Eltern dort noch ein letztes Mal, bevor mein Vater auf der Glienicker Brücke in russische Gefangenschaft ging und meine Mutter mit mir versuchte, bis Dänemark zu kommen, „weil man dort noch Lebensmittel fand“. Anders sollte es dort sein als in Deutschland, wo man sich im letzten Kriegsjahr nicht mehr ausreichend versorgen konnte, erst recht nicht mit einem Baby.

Ist das alles schon wieder vergessen?

Nachkriegszeit — Zeit der Sehnsucht, des Wartens, der Hoffnung

Dänemark schloss die Grenzen, und meine Mutter steckte mit mir in Flensburg fest, suchte nach Hilfe, Wohnung und einer Arbeit, die uns ernähren könnte. Wir wurden in der britischen Besatzungszone als Flüchtlinge im eigenen Land registriert. Ich bin noch im Besitz dieses Dokuments, das mich als „Flüchtling A“ ausweist und mir Lebensmittelkarten für eine armselige Grundversorgung zusicherte. „Care-Pakete“ gab es hier nicht.

Wo ihr Mann, mein Vater, verblieben und ob er noch am Leben war, wusste sie lange Zeit nicht. Sie war gerade 19 Jahre alt geworden.

Nachrichten aus Moskau

im Dezember 1945 kam endlich eine erste Nachricht: Ihr Mann, mein Vater, war am Leben und in der Nähe von Moskau in einem Kriegsgefangenenlager; glücklicherweise nicht am Ural oder in Sibirien. Von dort kamen wenigsten zwei- oder dreimal im Jahr Lebenszeichen auf Postkarten, in kleinster Schrift vollgeschrieben mit Berichten, Wünschen, Hoffnungen — und immer wieder Enttäuschungen — zu uns nach Flensburg. Diese Dokumente einer traurigen Zeit sind noch in meinem Besitz — mit ein paar Fotos, die den Zustand meines Vaters, sein Älterwerden in der Gefangenschaft dokumentieren.

Die Briefe meiner Mutter kamen nicht mehr zurück, nur ein paar Fotos sind noch vorhanden, deren Kopien sie meinem Vater schickte als Zeugnisse unserer Anwesenheit, unserer Entwicklung und unseres Älterwerdens.

Diese Zeit, mehr als vier Jahre „der Sehnsucht, des Hoffens, des Wartens und der immer wiederkehrenden Enttäuschung“, lagert irgendwo tief in meinem Inneren vergraben.

Gab es noch Raum für Liebe, Fürsorge, Trost? Ich erinnere mich einfach an nichts.

Meine Mutter „gestand“ mir im hohen Alter, dass ich ihre größte Last in dieser Zeit, ihr „Unglück“ gewesen sei.

Wie ging es den vielen Kindern, die ihre Väter gar nicht gekannt haben und nie kennenlernen durften, die ohne Vater aufgewachsen sind?
Ist auch das alles wieder vergessen?

Die Familie ist endlich vereint

Im Sommer 1949 ist es so weit: Mein Vater kommt aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause, zu uns. Wir sind eine Familie …

Aber leider erweist sich dieses Wunschbild bald als ein Trugbild. Die Jahre der Entbehrungen, der Armut, des gesamten Elends blieben nicht spurlos: Meine Mutter ist an Tuberkulose erkrankt, typisch für jene Zeit. Sie verbringt die nächste Zeit in Krankenhäusern und Sanatorien. Ich wandere von Kinderheim zu Kinderheim und werde schließlich noch zu Pflegeeltern geschickt, wie viele andere Kinder meiner Generation.

Inzwischen wissen wir, dass dies furchtbare und Furcht einflößende Anstalten waren. An diese Zeit erinnere ich mich sehr genau, an die Demütigungen und Zumutungen, die an uns wehrlosen jungen Menschen verübt wurden. Brei in jeder Form, ob von Hafer, Reis oder Buchweizen, löst in mir immer noch Brechreiz aus.

Aber auch jedweder Zwang stößt seitdem bei mir auf hartnäckigen Widerstand.

Auch das ist schon wieder vergessen?

Wohlstandsglück im Wirtschaftswunderland

Erst als ich sechs Jahre alt war und die Schule begann, kam etwas Ruhe und Hoffnung in unser Familienleben. Und das „Wirtschaftswunderland“ ermöglichte den Aufbau einer Zukunftsperspektive für uns alle. Mein Vater war wieder in seinem Beruf und erfolgreich als Architekt und Spezialist für Molkereibauten tätig. Ich konnte später studieren.

Nur die Ehe meiner Eltern strahlte kein Glück, keine Liebe mehr aus. Ein Haus, ein Auto, der Führerschein — das waren die Symbole der Zufriedenheit. Ein zweites Kind, ein Sohn, kam dazu, um dessen Wohl ich mich als Zwölfjährige oft kümmern musste. Sobald ich aus der Schule kam, wechselte das „Team“: Die Eltern fuhren auf die verstreuten Baustellen meines Vaters, meine Mutter steuerte stolz und selbstsicher den Opel, später den VW Karmann-Ghia. Mein Vater hatte nachts die notwendigen Berechnungen, Zeichnungen und Baupläne erstellt.

Besser ging es leider nicht. Für Angestellte reichte es trotz allen Erfolges nicht. Unsere Familie hatte keinen Besitz — wir blieben Flüchtlinge, Fremde. Die Verwandten lebten sämtlich in der DDR. Die alte Tante Li kam manchmal zu Besuch, auch die Oma Emma. Einen Opa lernte ich nie kennen. Der Vater meines Vaters starb, arbeitslos geworden und krank — in der großen Weltwirtschaftskrise. Seine Mutter verstarb unter den Bomben auf Berlin. Mütterlicherseits gab es nur die Oma Emma; der Opa war kurz nach Kriegsende verstorben.

Wir Schulkinder stellten Kerzen ins Fenster, die „nach drüben“ leuchten sollten. Regelmäßig wurden Pakete mit guter Schokolade „aus dem Westen“ dorthin geschickt. In der Schule lernten wir, wie wir uns gegen einen drohenden Atomkrieg, der natürlich von Russland ausgehen würde, zu schützen hätten: „Unter die Schulbank, die Aktentasche über den Kopf!“

Ist auch das alles schon wieder vergessen?

Die große Politik der Nachkriegszeit und Lehren aus dem Faschismus

Drei große „Lehren“ brachte mein Vater aus seinen Lebenserfahrungen in der Vor- und Nachfaschismuszeit und während der Kriegsgefangenschaft mit in die Familie — und gab diese an uns, seine Kinder, weiter:

• Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus! Wehret allen Anfängen!
• Nie wieder Krieg mit Russland! Das russische Volk ist ein Kulturvolk wie das Deutsche, es hat große Opfer an Millionen Menschen gebracht, die durch den Krieg der deutschen Armee umgekommen sind, und war die entscheidende Kraft, die den deutschen Faschismus zu Fall gebracht hat.
• Misstraut der Politik, misstraut der Propaganda und den Medien, verschafft euch stets ein eigenes Urteil! Wehret den Anfängen neuer Kriegsgelüste.

Er trat in die DFU, die Deutsche Friedensunion ein, aber Partei war nichts für ihn. Dennoch ging er zu jeder großen Demonstration, die den Anfängen wehren wollte: gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands, gegen die Wiedereinführung der Notstandsgesetze, gegen den Eintritt in die NATO, gegen die Stationierung der Pershing Raketen. Und als ich Ende der 60er Jahre Studentin in Berlin war, trafen wir uns manches Mal dort in Bonn.

Aber all das hat offenbar nichts genützt, und es hat ihn bis zu seinem Ende 2006 ungeheuer besorgt gemacht. Er würde nicht glauben können, dass wir — fast 70 Jahre nach Kriegsende — schon wieder kurz vor einem Krieg mit Russland stehen.

Und wieder ist es die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, die eine entscheidende Rolle spielt. Und — noch absurder — die aus der Friedens- und Anti-Atom-Bewegung entstandene Partei der „Grünen“, allen voran ihre aktuellen „Wendehälse“ Baerbock und Co., sind die größten Bellizisten geworden. Ebenso und noch schlimmer die „christliche“ Opposition.

Alle sind auf Linie.

Alles wie gehabt? Wo sind die Lehren geblieben, die sogar in unsere Verfassung Eingang gefunden haben?

Nochmals an die Regierenden

Sie wollen wieder den „Totalen Krieg“? Und fragen erst gar nicht mehr „Ihr Volk“, sondern bereiten alles ungestört weiter vor? Obwohl Sie das Risiko kennen, dass es tatsächlich totale Endzeit bedeuten könnte?

Ist es schon wieder zu spät? Können wir noch den Anfängen wehren?

Mein Schreiben an Sie ist ein Aufschrei! Ein Aufruf zur Vernunft in letzter Sekunde:

• Beschreiten Sie den Weg des Friedens und nehmen Sie endlich die Verhandlungsangebote Russlands wahr und an, von denen Frau Baerbock behauptet, es gäbe sie nicht, und öffentlich im Fernsehen das deutsche Publikum belügt!

• Verlassen Sie den eingeschlagenen Weg der Kanzlerin Merkel, die letztes Jahr gestand, dass das „Minsker Abkommen“ nur ein Täuschungsmanöver war und geschlossen wurde, um „Putin zu beruhigen und Zeit zu gewinnen, um Kiew aufzurüsten und für einen Krieg vorzubereiten“!

Sie begehen Betrug am deutschen und am russischen Volk, aber auch am ukrainischen, das Sie mehr zu lieben scheinen als Ihr eigenes. Das ukrainische Volk wird auf dem großen Schachbrett der Weltpolitik zwischen den USA und Russland in einem Stellvertreterkrieg geschlachtet, und Deutschland spielt erneut den „Dummen August“ und Auslöser für diesen Weltbrand.

Hören Sie auf, den besserwissenden Weltpolizisten zu spielen! Sie spielen mit dem Feuer! Sie haben kein Recht dazu! Und auch keine „Ermächtigung“.

Denken Sie an Ihr Karma — Sie kommen da gar nicht gut weg.

Dr. rer.pol. Viktoria Waltz

Zu Ihrer Erinnerung:

https://mid.ru/ru/foreign_policy/rso/nato/1790803/?lang=en&clear_cache=Y

https://mid.ru/ru/foreign_policy/rso/nato/1790818/?lang=en&clear_cache=Y