Über Gräben keine Brücken
In bestimmten Kreisen haben Gender- und Transkritiker Schwierigkeiten, überhaupt Gehör zu finden — die Reihen der Befürworter sind fest geschlossen.
„Wer schweigt, stimmt zu“, lautet ein bekannter Spruch. Die Gesellschaft der Kinder- und Jugendpsychiater handhabt das genau andersherum: Wer nicht zustimmt, muss schweigen. Die Veranstalter haben Genderkritikern auf ihrer Fachtagung so wenig Redezeit zugeteilt, dass diese aus Protest dem Podium fernblieben. So haben am Ende nur noch Befürworter der Kinder-Hormonspritzen erklärt, warum ihre Position angeblich genau die richtige ist.
Wie soll man umgehen mit Heranwachsenden, die fest davon überzeugt sind, im falschen Körper geboren zu sein? Hier gibt es zwei sehr unterschiedliche Positionen und wenig Platz dazwischen.
Anfang der 1990er-Jahre entwickelte man in Holland das „Dutch Protocol“, wonach transidentifizierte Kinder möglichst früh in der Pubertät mit Pubertätsblockern und etwa zwei Jahre später mit Gegenhormonen — bei Jungen Östrogen und bei Mädchen Testosteron — behandelt werden sollen. Die Idee dahinter ist einfach: Wenn die Kinder gar nicht erst durch ihre biologische Pubertät gehen und frühzeitig Gegenhormone bekommen, können sie viel leichter als Mitglieder ihres Wunschgeschlechts durchgehen. „Zwingt“ man diese Kinder aber durch ihre normale Adoleszenz, werden vor allem Jungen niemals als Frauen wahrgenommen — Körpergröße, kantiges Kinn, Stimme und so weiter weisen sie als zugehörig zum männlichen Geschlecht aus.
Vor diesem Schicksal wollten die holländischen Ärzte die transidentifizierten Kinder bewahren. Die Pubertätsblocker sollen dabei als Wartebank dienen — da Gegenhormone die Kinder sterilisieren und lebenslang sichtbar bleiben, sollten die Heranwachsenden Zeit bekommen, in Ruhe nachzudenken, ob der Schritt der „Geschlechtsumwandlung“ wirklich der richtige für sie ist.
Viele Therapeuten waren begeistert — eine klare Idee, wie man diesen Kindern helfen kann. Georg Romer war einer der Ersten, die schon in den Neunzigerjahren in Deutschland begannen, das Dutch Protocol anzuwenden. Seitdem hat der Professor für Kinder- und Jugendpsychiatrie wohl Tausende Kinder auf ihrem Trans-Weg begleitet. Und sich vermutlich als Helden gesehen, der Gutes tut und auf der richtigen Seite der Geschichte steht. Heute ist er Leiter jener Kommission, die festlegt, wie man Transkinder medizinisch behandeln soll und darf. Diese Vorschriften gelten dann für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Er ist nach wie vor ein klarer Vertreter der Hormonspritzen—wenn Kinder sich als trans outen, sollen sie mit Beginn der Pubertät behandelt werden können. Operationen wie Brustamputationen hält er ab sechzehn für angezeigt.
Auf der anderen Seite gibt es zunehmend Kritik an diesem Vorgehen. Gar nicht so sehr aus moralischer Empörung darüber, dass trans falsch wäre, sondern durch die Erkenntnis, dass Pubertätsblocker und Gegenhormone großen Schaden anrichten, gleichzeitig aber kein Nutzen erkennbar ist.
Das Dutch Protocol ist weitgehend diskreditiert. Nicht nur, dass die Ursprungsstudie Fehldarstellungen erhält — um es vorsichtig zu formulieren. Es haben sich weitere schwerwiegende Probleme gezeigt:
• Das Gefühl ,„im falschen Körper“ zu stecken, verliert sich bei etwa 85 Prozent der Kinder wieder, wenn man sie sich in Ruhe entwickeln lässt. Werden sie auf Pubertätsblocker gesetzt, bleibt die psychosexuelle Reifung aus – nur mehr 1 Prozent der Kinder stellt fest, dass sie doch in ihr Geburtsgeschlecht gehören. Wer Kinder auf Pubertätsblocker setzt, sterilisiert 85 Prozent der kleinen Patienten unnötigerweise – so die große Sorge.
- Die Behandlungen haben massive Nebenwirkungen: Sterilität, der Verlust der sexuellen Erlebnisfähigkeit, Inkontinenz, klein bleibende Sexualorgane sind Probleme, mit denen viele dieser Kinder leben müssen — für immer.
- All diesen Problemen steht kein messbarer Gewinn entgegen. Viele Studien haben mittlerweile gezeigt, dass behandelte Kinder nicht glücklicher sind als unbehandelte.
Die letzte, bislang größte Studie war der Cass-Report, der wie zuvor auch schon schwedische und finnische Studien ebenfalls keinen Gewinn für die Patienten erkennen konnte, dafür aber massive Nebenwirkungen. Daher hat England die Behandlung von Minderjährigen mit Pubertätsblockern und Gegenhormonen verboten. Genau wie die meisten anderen westlichen Länder auch.
In Deutschland hingegen sind Pubertätsblocker und Gegenhormone für Kinder noch immer erlaubt — ohne Altersbeschränkung. Derzeit ist die Leitlinie, die dieses Vorgehen regelt, in Überarbeitung. Doch mit Romer als Leiter der Kommission gab es keinerlei Anpassung der Bestimmungen an die neuen Forschungsergebnisse. Der Entwurf wurde im April veröffentlicht, und eigentlich sollten die Leitlinien vier Wochen später verabschiedet werden.
Doch es regt sich Widerstand — massiv. Der Deutsche Ärztetag mahnt eine Abkehr der evidenzlosen Verschreibung von Pubertätsblockern an. Die Schweizer Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie will solch eine Leitlinie für ihr Land nicht mehr akzeptieren, fünfzehn Medizin-Professoren kritisieren den Entwurf in einem offenen Brief, die Europäische Kinder- und Jugendpsychiatrische Fachgesellschaft (ESCAP) schreibt, hier würden medizinethische Grundsätze verletzt.
Doch Romer sieht die Verschreibung der Hormone noch immer als den besten Weg. Das habe seine langjährige Erfahrung gezeigt. Versetzt man sich kurz in seine Position herein, wird das dadurch nicht richtig, aber nachvollziehbar: Sicher hat er mit seinen Behandlungen viel Geld verdient, doch das hätte er genauso gut mit der Entfernung von Krampfadern erreichen können. Das Motiv war vermutlich schon, dass er helfen wollte. Dass er überzeugt war, Gutes zu tun.
Wenn er sich jetzt eingestehen müsste, dass er — mit bestem Wissen und Gewissen, aber eben doch — Kinder fehlbehandelt hat, wäre das hart. Haufenweise Kinder zu sterilisieren, ihnen die sexuelle Erlebnisfähigkeit und oft auch die physische Fähigkeit zu Sexualkontakten zu nehmen.
Zu überlegen, dass es nicht viele erfüllte Partnerschaften ohne Sexualität gibt. Die ganzen Nebenwirkungen. Und das für — nichts? Keinen Gewinn an Lebensqualität? Wenn die Leitlinienkommission nun Pubertätsblocker und Gegenhormone verbieten würde, hieße das für Romer, dass er ganz offiziell beruflich nicht nur nichts Gutes getan, sondern über Jahrzehnte hinweg eine schädliche Behandlungsmethode angewendet hat. Das wäre bitter. Dass man in so einer Situation darauf beharrt, dass die anderen alle unrecht haben, ist menschlich.
Als Max Planck die Quantenphysik entwickelte, wurde er von den etablierten Kollegen massiv kritisiert. Es war ein frontaler Angriff auf die klassische Physik, denen die Professoren ihr ganzes Leben gewidmet hatten. Wenn Planck recht hätte, dann hätten sie ihr ganzes Leben auf dem falschen Dampfer zugebracht. Nach einer Weile hörte Planck auf, die älteren Kollegen überzeugen zu wollen — es war sinnlos. Er fand sich damit ab, dass die alten Kollegen mit ihren alten Überzeugungen in den Ruhestand gehen müssen. Gemeinsam mit den jungen entwickelte er die Quantentheorie weiter.
Viele der alten Kinder- und Jugendpsychiater finden sich nun in einer ähnlichen Position wieder. Sie wollen nicht diskutieren. Sie wollen nicht glauben, was die Studien der letzten Jahre zeigen. Da der Druck aber so groß wird, haben sich Georg Romer und Sabine Maur, beide Mitglieder in der Leitlinienkommission, bereit erklärt, auf dem Fachkongress der Deutschen Kinder- und Jugendpsychiatrie in Rostock mit zwei genderkritischen Kollegen zu diskutieren. Der Saal war mit 500 Zuhörern voll besetzt; auf dem Podium fehlten aber die Kritiker, Florian Zepf und Veit Rösner. Beide hatten die Teilnahme kurzfristig abgesagt, nachdem ihnen bestimmte Themen zugeteilt und andere verboten worden waren. Zudem waren für Romer zwanzig Minuten Redezeit, für Maur fünfzehn und die beiden Kritiker gemeinsam ebenfalls fünfzehn Minuten eingeplant worden. 2,33-mal so viel Redezeit für die Befürworter und Sprechverbote zu bestimmten Themen — das schien ihnen keine faire Diskussionsgrundlage zu sein.
Leider wird dieser Vorfall wenig berichtet — doch immerhin hatte die FAZ zwei Artikel zum Thema und berichtete zu der „Simulation einer Debatte“. Der Wind in Deutschland dreht sich. Vom Saalmikrofon statt vom Podium aus sagte Florian Zepf: „Betroffene haben eine evidenzbasierte Leitlinie verdient.“ Er halte es für unethisch, eine Leitlinie nicht an den aktuellen Forschungsergebnissen zu orientieren (1).