Tüchtig in den Tod

Wer über Krieg nachdenkt, der sollte zuerst seinen Verstand gebrauchen und unnötige Risiken vermeiden.

„Kriegstüchtig“ (1) müssten wir werden, fordert einer unserer Minister, den man konsequenterweise dann auch als „Kriegsminister“ bezeichnen sollte. Kriegstüchtig, was ist das? Verkehrstüchtig ist, wer sich und sein Fahrzeug unfallfrei nach Hause bringt. Wenn der eigene Sohn in den Krieg zieht, denken die Eltern nur eins: „Hauptsache, er kommt heil zurück.“ Richard Timberlake war im 2. Weltkrieg Copilot auf einem B-17-Bomber und wurde bei einem Einsatz über Deutschland verwundet. Später war er in den USA ein bekannter Wirtschaftsprofessor. Über seine Zeit als Soldat hat er ein Buch geschrieben. Tenor: Im Krieg war das wichtigste Ziel von Dick Timberlake, das Leben von Dick Timberlake zu erhalten (2, 3). Er zitiert Arthur Hoppe, einen Journalisten des San Francisco Chronicle: „Ich glaube, es gab im Zweiten Weltkrieg ein paar, die für Freiheit und Demokratie gekämpft haben, aber während meiner drei Jahre in der Navy habe ich keinen davon getroffen. Wir haben gekämpft, um am Leben zu bleiben. Das ist der wahre Schrecken des Krieges.“

In den letzten Kriegswochen sollte mein Vater beim Einschießen der Artillerie nach vorne gehen, um die Position der Einschläge zurück an die Geschützstellung zu funken. Er berichtet:

„Als mein Feldwebel zu einem unserer Panzer ging, die sich vorne gut versteckt hatten, und sagte, was wir vorhatten, meinte der Kommandant: ‚Ihr seid wohl verrückt geworden. Wir haben uns hier verständigt, tun uns gegenseitig nicht weh und warten das Ende des Krieges ab. Es ist eh bald alles vorbei.‘ Man einigte sich darauf, beim Einschießen ein wenig so zu tun als ob. Der Feldwebel und der Kommandant waren erfahrene Leute, ‚kriegstüchtig‘ im besten Sinne des Wortes. Währenddessen tobte 100 Kilometer entfernt die Schlacht um Wien mit circa 75.000 Toten und 150.000 Verwundeten auf beiden Seiten innerhalb eines Monats.“

„Kriegstüchtig“ zu sein, heißt zuallererst, seinen Verstand zu gebrauchen und keine sinnlosen und unnötigen Risiken einzugehen. Das gilt vor allem für die Führung.

Mit Feigheit hat das nichts zu tun. Dwight D. Eisenhower war der Oberkommandierende der Alliierten bei der Landung in der Normandie. Er wusste genau, dass dabei viele Menschen ums Leben kommen würden, aber er hatte mit sorgfältiger Planung und ungeheurem Materialeinsatz alles dafür getan, um die Verluste seiner Leute so gering wie möglich zu halten. Später, in seiner Abschiedsrede als US-Präsident, warnte er eindringlich vor den Gefahren des „militärisch-industriellen Komplexes“ (4). Vor Kurzem hat Friedrich Merz, Spitzenkandidat der CDU bei der nächsten Wahl, gesagt, er würde als Kanzler Russland ein 24-Stunden-Ultimatum stellen: Entweder sofortige Einstellung der Kämpfe oder Deutschland liefert Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine (5) zusammen mit den Geodaten (6), um damit Ziele tief in Russland treffen zu können – „nicht nur Ölraffinerien, sondern Ministerien“, wie sein Kollege Kiesewetter im Februar bereits gefordert hatte (7).

Auf Antenne Bayern gibt es die Serie „Metzgerei Boggnsagg“ (8), die immer mit dem Wortwechsel schließt: „Wou iss'n is Hirn?“ – „Da wo‘s hi ghört.“ In der CDU scheint das heute nicht mehr der Fall zu sein.

1993 war Helmut Kohl zu Besuch in St. Petersburg und sprach mit dem Bürgermeister. Wladimir Putin, damals dessen Vize, war dabei und erinnerte kürzlich an Kohls Worte bei diesem Treffen: „Wenn Europa ein unabhängiges Zentrum der globalen Zivilisation bleiben möchte, geht das nur gemeinsam mit Russland. Wir müssen unsere Kräfte bündeln“ (9). Horst Teltschik, Kohls Chef der außen- und sicherheitspolitischen Abteilung, hat über diese Zeit gesagt: „Die damaligen Politiker haben alles getan, um ein wechselseitiges Vertrauensverhältnis aufzubauen“ (10).

Heute reden deutsche Generäle über die Zerstörung der Krimbrücke (11), wollen deutsche Politiker Ministerien in Moskau angreifen. Dann sind wir laut Putin im Krieg mit Russland (12).

Die Taurus können wir selbst liefern, Franzosen und Briten benötigen für ihre Raketen die Zustimmung der USA – und die ist derzeit mehr als fraglich. Wir wären also allein und nicht durch Artikel 5 des NATO-Vertrags geschützt. Russlands Antwort wäre wohl „symmetrisch“: Raffinerie für Raffinerie, Ministerium für Ministerium, Brücke für Brücke, „Auge um Auge, Zahn um Zahn, … Brandmal um Brandmal“ (2. Mose 21,24). Wozu das – noch dazu im Alleingang? Soll nach der Ukraine auch Deutschland zerstört werden?

Es kann noch schlimmer kommen. Was ist, wenn die Ukraine wie angekündigt (13) die Bombe baut? Vor Kurzem hat Moskau seine nukleare Triade getestet. Man sah, wie jemand ein Kommando entgegennimmt: „Bestätige, Befehl erhalten! Paarweise Übertragung des Befehls an die Abschussrampe (…) Überprüfung der eingegebenen Daten auf Korrektheit. Daten korrekt. Achtung, Start.“ Dann drückt jemand eine rote Taste (14). Mit dramatischer Musik unterlegt, sieht man, wie eine Interkontinentalrakete in einem gewaltigen Feuerschwall abhebt, sieht eine andere Rakete aus dem Meer hochsteigen und die nächtliche Landung eines Atombombers. Eine Choreographie des Todes wie aus dem Kubrick-Film „Dr. Seltsam“ (15) – nur in echt.

Versteht bei uns niemand diesen Hinweis mit dem Zaunpfahl? Vor einem Jahr hatte ich Boris Pistorius in einem Brief eindringlich davor gewarnt, Taurus-Raketen an die Ukraine zu liefern (16). Bislang hat Scholz dem Druck der Kriegstreiber standgehalten und das nicht gemacht. Aber auch die SPD ist – ebenso wie CDU, Grüne und FDP – bereit, Wohlstand, Renten, Sozialsystem, Staatsfinanzen, Infrastruktur und ökologische Wende – war da was? – für einen Krieg mit Russland zu ruinieren. „Wou iss'n is Hirn?“ – „Hirn is aus. Kommt vorerst nicht wieder rein.“