Traumatisierte Tyrannen
Der Zwang zur Unterwerfung unter Herrschaftssysteme deformiert die Psyche derart, dass Menschen selbst immer wieder zu Gewalttätern und Unterdrückern werden.
Angesichts von Krieg und Totalitarismus stellt sich die Frage, woher diese Phänomene kommen und aus welchem Grund so viele Menschen bereitwillig mitmachen. Eine wichtige Ursache ist dabei die seit Jahrtausenden stattfindende Traumatisierung der Menschen in einem System von Herrschaft. Durch diese Traumata bilden die Menschen individuelle Anpassungsmechanismen aus, die sie zu Gewalt und Macht greifen lassen und dazu bringen, Andersdenkende zu verfolgen, zu diffamieren und zu diskriminieren. Kriegs- und Krisenbewältigung erfordert also die Arbeit an den eigenen Traumata.
Angesichts der Krisen und Kriege auf der Welt stellt sich die Frage, wie es so weit kommen konnte. Wie ist es möglich, dass die Welt zuerst in einem Coronafaschismus versinkt, nur um sich im nächsten Augenblick an der Schwelle eines Weltkrieges wiederzufinden? Wie ist es möglich, dass Israelis einen Völkermord im Gazastreifen begehen, sich dabei auf Selbstverteidigung berufen können, und dass sich Länder wie Deutschland und die USA auch noch hinter dieses Land stellen? Was ist los mit den Menschen, die dem Coronatotalitarismus willentlich gefolgt sind, die Andersdenkende, Kritiker, diffamiert, ausgeschlossen, diskriminiert und teils physisch und psychisch angegriffen haben? Was ist los mit den Menschen, die totalitäre Tendenzen nicht erkennen, sie sogar noch verteidigen und verstärken?
Einer der wesentlichen Antriebe für diese gesellschaftlichen Phänomene ist die komplexe Traumatisierung der Menschen in modernen Gesellschaften. Ein Trauma ist, nach der Theorie des Traumatherapeuten Professor Dr. Franz Ruppert, die Reaktion der menschlichen Psyche auf ein von außen kommendes belastendes Ereignis. Findet ein traumatisierendes Ereignis statt, das den Menschen dazu zwingt, sich mit seinem Selbst, seiner psychischen Integrität, anzupassen, spaltet sich die Psyche in einen gesunden Anteil, einen traumatisierten Anteil und eine Überlebensstrategie auf.
Die Überlebensstrategie ist letztlich der Anpassungsmechanismus, mit dem die Psyche auf das Ereignis reagiert. Der gesunde Anteil, also das eigentliche Selbst des Menschen, bleibt darunter erhalten, ist nur dem Menschen nicht mehr zugänglich. Der traumatisierte Anteil ist der Schmerz, den die Situation auslöst, der aber ebenso verdrängt werden muss und unter der Überlebensstrategie verschwindet.
Eine typische traumatische Situation, die alle Menschen erleben, ist der strenge Gehorsam und die Unterwerfung, die in den Schulen praktiziert werden. Kinder müssen sich mit ihrer psychischen Integrität den Lehrern und den Erfordernissen des Systems Schule unterwerfen.
Sie haben zu bestimmten Zeiten in der Schule zu sitzen und sich mit den Themen zu beschäftigen, die andere ihnen vorgeben. Dabei werden sie gemaßregelt, wenn sie das nicht tun, und sind beständiger Bewertung unterworfen. Fügen sie sich nicht oder zeigen nicht genug Leistung, dann erhalten sie eine schlechte Note, verbunden mit all den Ängsten um Zukunft und Ansehen, die damit einhergehen.
Das Kind lernt so schnell, sich zu unterwerfen und zu gehorchen. Seine Psyche spaltet sich auf in den gesunden Teil, der viel lieber draußen spielen und herumtoben würde und nicht viel an die Zukunft denkt, sich auch nichts aus Bewertungen macht, und in den traumatisierten Anteil, der den ganzen Schmerz über die Ungerechtigkeit sowie die Machtlosigkeit in sich vereint.
Die Psyche bildet, um den Schmerz nicht spüren zu müssen, eine Überlebensstrategie aus. Diese kann darin bestehen, dass das Kind besonders leistungsorientiert wird. In dem Bestreben, es dem Lehrer oder auch den Eltern besonders recht zu machen, kann dieses Kind zu einem Karrieremenschen werden, dessen einzigen Lebensinhalt Arbeit und Aufstieg, Geld und Ruhm bilden. Dahinter liegt jedoch immer der unbewusste Wunsch, es den Eltern und den Lehrern recht machen, sie zufriedenstellen zu wollen.
Dies gilt auch, wenn Eltern nie zufrieden mit ihren Kindern sind und immer noch mehr von ihnen erwarten.
Die Unzufriedenheit der Eltern oder die Leistungsforderungen der Schule verinnerlichen die Kinder und bilden ihre eigenen, individuellen Überlebensstrategien als Antwort darauf aus.
Dasselbe gibt es aber nun auch in Bezug auf die gesamte Gesellschaft. Denn auch der Staat ist eine traumatisierende Instanz, die mit Gewalt und Macht regiert und damit die ihr Unterworfenen traumatisiert, und das seit Jahrtausenden. Der Erste, der Herrschaft über andere Menschen ausgeübt und diese mit Macht beziehungsweise Gewalt durchgesetzt hat, setzte eine lange Reihe von Traumatisierungen in Gang, die zu einer komplex traumatisierten Gesellschaft führte, wie wir sie heute haben.
Denn wer Herrschaft über andere ausübt, der muss den Willen dieser anderen brechen. Dies geschieht über Gewalt und psychologische Manipulation. Die davon Betroffenen haben dann nur zwei Möglichkeiten: Sie können sich unterwerfen oder rebellieren. Rebellion wird wiederum mit Gewalt niedergeschlagen und führt daher zu noch mehr Trauma.
So hat sich über Jahrtausende als hauptsächliche Überlebensstrategie die Unterwerfung herausgebildet. Die Unterworfenen müssen dabei den Teil ihrer Psyche abspalten und verdrängen, der etwas anderes will als die Herrschaft, der frei sein will — ohne Konkurrenzdruck und Zukunftssorgen, ohne Steuern und ein Korsett aus Regeln und Gesetzen, die den Menschen vorschreiben, was sie dürfen und was nicht. In den Vordergrund tritt die Überlebensstrategie, die in Unterwerfung und bei vielen in die besonders eifrige Folgsamkeit führt.
Ein Heer aus Beamten und fanatischen Eiferern, beispielsweise im Nationalsozialismus oder auch im Coronafaschismus, entsteht nicht aus reinem guten Willen oder der Sympathie für eine Idee heraus. Die Menschen, die das Narrativ besonders eifrig verfolgen und durchzusetzen versuchen, sind getrieben von ihrem Trauma, das eine Überlebensstrategie herausgebildet hat, die sich damit beschreiben lässt, dass sie besonders gut, besonders brav sein wollen.
Dabei wird ersichtlich, dass dabei die eigenen Eltern auf den Staat projiziert werden. Denn Kinder haben nur die Möglichkeit, sich ihren Eltern unterzuordnen, ihnen zu gehorchen und es ihnen recht zu machen. Tun sie es nicht, riskieren sie damit ihren eigenen Tod, da sie ihre Eltern zum Überleben brauchen. Diejenigen, die den Coronafaschismus vorangetrieben haben, sind damit wohl besonders stark traumatisiert und haben als Überlebensstrategie die Unterwerfung ausgebildet.
Auch Kriegstreiberei ist ein Ergebnis von Traumata. Besonders deutlich wird das im Gazakonflikt.
Der Staat Israel beruft sich auf Selbstverteidigung, und in der Wahrnehmung vieler Juden ist das wahrscheinlich auch richtig. Denn die Juden leben in einem kollektiven Trauma, das daher rührt, dass sie über Jahrhunderte Opfer von Gewalt und Diskriminierung waren, mit einem dramatischen Höhepunkt im 20. Jahrhundert; sie erleben sich also seit Jahrhunderten als Opfer.
In dieser Opferhaltung haben sie einen Staat gegründet, der augenblicklich zu einem Krieg mit den Nachbarländern geführt hat. Wieder wurden sie in ihrem Opferdasein bestätigt und haben daher, um sich verteidigen zu können, ihre Gesellschaft militarisiert. Seitdem stecken sie in ihrer Opferhaltung fest, die jedes gewalttätige Vorgehen gegenüber den vermeintlichen Aggressoren rechtfertigt.
Jeder noch so grausame Gewaltakt, das Einpferchen von Millionen von Palästinensern im kleinen Gazastreifen, das Besiedeln des Westjordanlandes, all das wird als gerechtfertigt erlebt, weil es aus der Haltung der Opfer heraus geschieht. Auf diese Weise wird das Opfer zum Täter, eine typische Erscheinung, wenn es nicht gelingt, sich aus dieser Opferhaltung zu befreien.
Und so wird ein Opfervolk zum Tätervolk, wobei man hier einräumen muss, dass es einen signifikanten Teil der Bevölkerung in Israel gibt, der diesen Völkermord nicht unterstützt. Doch die Verbrechen, die seit Jahrzehnten gegen die Palästinenser verübt werden, die ihrerseits auch in einer Opferhaltung gefangen sind und zum Täter werden, sind von dem größten Teil des Staates getragen worden, ansonsten hätten sie nicht stattfinden können.
Auch die Kriegstreiberei gegenüber Russland in Europa ist durch Traumata zu erklären. Gerade Länder wie Polen oder das Baltikum haben mit Russland keine positiven Erfahrungen gemacht. Jahrhunderte der Kriege, die aber nicht ausschließlich von Russland ausgingen, sowie eine Besetzung zu Zeiten der Sowjetunion, mit der Niederschlagung von Aufständen, haben diese Völker zu Opfern gemacht. So werden sie nun zu Tätern, indem sie sich in der Kriegstreiberei gegenüber Russland engagieren.
Anders ist die Situation in Deutschland. Hier lebt ein ganzes Volk mit der Schuld am Zweiten Weltkrieg. Damals sind deutsche Soldaten bis nach Russland marschiert, haben den „Krieg nach Russland“ getragen, wie es heute wieder gefordert wird, der 28 Millionen sowjetische Bürger das Leben gekostet hat. Diese Kriegsschuld lastet noch heute auf dem deutschen Gewissen, man ist sich ihrer durchaus bewusst, bekommt sie immer wieder in den Schulen und Medien serviert und meint daher, das kollektive Tätersein aufgearbeitet zu haben. So verschreibt man sich einem „Nie wieder“ und setzt alles daran, moralische Vorstellungen zu verteidigen und überall auf der Welt durchzusetzen.
Deutschland ist Opfer seines eigenen Täterseins geworden und wird auf diese Weise wieder zum Täter.
Denn nun genügt es, den Deutschen einen vermeintlichen Diktator zu präsentieren, der wahllos Kriege anzettelt, ganz so wie Deutschland in seiner Vergangenheit, der Menschenrechte vermeintlich missachtet oder LGBTQ-Aktivisten verbieten lässt, um Deutschland, natürlich geleitet von der Kraft des moralisch Guten, in Stellung gegen diesen vermeintlichen Diktator zu bringen.
Dieser Geist ist fest in der Bevölkerung verankert und drückt sich auch in jenen aus, die gegen „rechts“ auf die Straße gehen, die, um Demokratie und Meinungsfreiheit zu verteidigen, demokratische Parteien bekämpfen und Andersdenkende zensieren. Letztlich werden diese traumatisierten Systeme der Staaten getragen von traumatisierten Individuen. Denn in solchen Systemen kommen diejenigen an die Macht, die besonders traumatisiert sind und deren Überlebensstrategien diesem traumatisierenden System angepasst sind, sodass sie in hohe gesellschaftliche Positionen gelangen.
Milliardäre wie Bill Gates, Elon Musk oder Warren Buffet sind eigentlich stark traumatisierte Individuen, die in dem traumatisierenden und traumatisierten System des Kapitalismus besonders großen Erfolg haben. Denn auch der Kapitalismus ist ein auf Trauma basierendes System, das seinerseits traumatisiert, da es die Menschen einem beständigen Wettbewerb unterwirft und sie dazu zwingt, sich den Erfordernissen der Ökonomie zu unterwerfen. Wer es hier besonders weit bringt, hat nur seine Traumata am meisten verinnerlicht und besonders gut angepasste Überlebensstrategien entwickelt.
Wenn wir aus diesem System des Traumas aussteigen und eine menschliche Gesellschaft errichten wollen, müssen wir also zunächst auf individueller Ebene anfangen. Jeder ist in dieser Welt traumatisiert. Es kann gar nicht anders sein, da die Systeme wie Staat und Kapitalismus uns dazu zwingen, uns zumindest in gewissem Sinne anzupassen und Anteile von uns selbst abzuspalten.
Daher ist ein erster wichtiger Schritt, sich diese Teile wieder ins Bewusstsein zu rufen und in der Traumaarbeit wieder Kontakt zu ihnen aufzunehmen. Dafür ist die Identitätsorientierte Psychotraumatheorie und -therapie (IoPT), die von Professor Dr. Franz Ruppert entwickelt wurde, ein gutes Instrument. Sie ermöglicht es, vorhandene Traumata aufzuzeigen und Traumadynamiken, die innerhalb der Psyche ablaufen, ins Bewusstsein zu holen. Dadurch ist es möglich, sich ihrer bewusst zu werden, die Überlebensstrategien, die das eigene Handeln bis dahin bestimmt haben, zu erkennen und andere Antwortmöglichkeiten zu finden.
Die IoPT ist eine Therapieform, die von einer Vielzahl von Therapeuten genutzt und weiterentwickelt wird. Sie ist vielfältig einsetzbar und kann in verschiedenen Kontexten genutzt werden. Um die Vielfalt der IoPT erlebbar zu machen, findet vom 2. bis zum 4. August 2024 ein Symposium statt, bei dem verschiedene Therapeuten zusammenkommen, und ihre Arbeit präsentieren. Auch das Thema Trauma im Allgemeinen wird behandelt.
Mit dabei sind unter anderem Dr. Hans-Joachim Maaz, Franz Renggli und Michaela Huber. Auch gibt es eine Telegramgruppe zu dem Symposium, in der auch Interviews und Artikel der Gastredner verlinkt werden. Da die Veranstaltung aufgezeichnet wird, können auch diejenigen, die nicht kommen können, virtuell teilnehmen und sich im Anschluss alle Veranstaltungen ansehen.
Sich mit den eigenen Traumata auseinanderzusetzen ist auf alle Fälle ein lohnendes Unterfangen. Es macht nicht nur deutlich, an welcher Stelle man fremdgesteuert ist, und hilft, diese Steuerungen aufzulösen, sondern verdeutlicht auch, wie traumatisiert und traumatisierend und damit psychisch schwer krank die gesamte Gesellschaft eigentlich ist. Zudem erhöht die Aufarbeitung der eigenen Traumata die eigene Lebensqualität und beseitigt viele psychische Hürden und Beschwerden sowie Muster, die einem das Leben erschweren.
Hinzu kommt, dass wir als Menschheit nur dann aus der Spirale der Gewalt aussteigen können, wenn wir deren Ursachen verstehen sowie die Wirkungsweise der Traumata.
Da jeder Einzelne ein Teil dieses Systems ist und somit an der Spirale der Gewalt partizipiert, bringt die individuelle Traumaarbeit auch einen Wandel auf gesellschaftlicher Ebene.
Sie ist der erste Punkt, an dem wir als Menschen konkret ansetzen können, um Frieden, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung zu schaffen und Kriege, Pandemiefaschismus und Totalitarismus in Zukunft zu verhindern.