Trauer als Lösung
Eine Sterbebegleiterin berichtet über ihre Arbeit und den Umgang mit dem Tod in unserer Gesellschaft.
Dem Thema „Tod“ gehen die meisten Menschen gekonnt aus dem Weg, da es für viele Verlust, Trauer und Schmerz bedeutet. Sobald man sich — bedingt durch die individuellen Lebensumstände — früher oder später damit beschäftigt, wird einem die Endlichkeit des Lebens bewusst. Sich mit seinem Lebensende oder dem eines geliebten Menschen zu beschäftigen, schürt Ängste und Unsicherheit. Dennoch wird bei jedem Einzelnen von uns irgendwann der Punkt erreicht sein, an dem sein Aufenthalt auf dieser Erde endet. Deshalb ist es umso wichtiger, über das Thema Tod zu sprechen, aufzuklären und seinen eigenen Weg zu finden, damit umzugehen.
Was viele nicht wissen: Genauso wie uns am Anfang unseres Lebens Hebammen helfen, auf die Welt zu kommen, gibt es auch die Möglichkeit einer Begleitung durch Sterbeammen beziehungsweise Sterbegefährten am Ende unseres Lebens. Ob in den letzten Monaten, Wochen oder Stunden — Sterbeammen und Sterbegefährten stehen dem Sterbenden sowie dessen Angehörigen in diesem so wichtigen Abschnitt eines Lebens zur Seite. Denn Trauern ist nicht das Problem — es ist die Lösung. Dieser Text entstand aus einem Gespräch mit der Sterbeamme Heidi Hohenberger, die derzeit als Hospiz- und Trauerbegleiterin auf der Palliativstation im Klinikum Ingolstadt, im Elisabeth-Hospiz und ambulant im häuslichen Bereich tätig ist.
Die genaue Bezeichnung des Berufs, man könnte auch sagen der Berufung, ist Sterbeamme oder Sterbegefährte. Zur besseren Lesbarkeit dieses Textes wurde entschieden, nachfolgend den Begriff in der der weiblichen Form Sterbeamme zu verwenden, wobei die männliche Form des Sterbegefährten inbegriffen ist.
Es gibt verschiedene Formen der Sterbebegleitung. Zum einen die bereits genannten Sterbeammen, die nach einer zweijährigen Ausbildung selbstständig tätig sein können, und zum anderen die Hospiz- und Palliativbegleiter, die diese Tätigkeit zumeist ehrenamtlich ausüben und durch die einzelnen Hospizvereine ausgebildet werden.
Der Inhalt der zweijährigen Ausbildung mit insgesamt 14 Modulen beschäftigt sich mit der Arbeit, die Sterbenden und Trauernden in einen heilsamen und friedvollen Sterbe- und Trauerprozess hineinzubegleiten (1). Die Ausbildung besteht aus einem breiten Spektrum — von den Sterbephasen über physiologische und pathologische Trauerprozesse, dem Umgang mit Angst bis hin zu den Grundlagen der Weltreligionen und vieles mehr. Die Arbeit als Sterbeamme ist nicht an Konfessionen oder sonstige gesellschaftliche Ideologien gebunden. Natürlich besteht jedoch immer die Möglichkeit, die Konfession des Trauernden oder Sterbenden miteinzubeziehen.
Die Arbeit als Sterbeamme
Der Ablauf des Einsatzes einer Sterbeamme ist sehr individuell und wird an die Bedürfnisse des zu Begleitenden angepasst. So individuell die Menschen selbst sind, so individuell sind auch die Lebensphasen und -situationen, in denen ein Mensch eine Sterbeamme aufsuchen kann. Sei es, dass man selbst eine Diagnose erhalten hat, sehr krank ist, im Sterben liegt, oder sich als Angehöriger im Verabschiedungs- oder Trauerprozess befindet — es geht immer darum, einen individuellen Weg zu finden, mit diesen herausfordernden Lebensumständen umzugehen. Neben Einzelbegleitungen gibt es auch eine Vielzahl an großen und kleinen Trauergruppen, oftmals auch zu bestimmten Themen, wie Suizid, plötzlicher Kindstod und anderem.
Nach dem ersten Kennenlernen, bei dem herausgefunden wird, ob die Chemie zwischen den Beteiligten stimmt, folgt das Eruieren des Ist-Standes. Es wird herausgearbeitet, wo sich der zu begleitende Mensch befindet, psychisch und physisch. Nach seinen Bedürfnissen wird der folgende Ablauf geplant. Ganz wichtig ist hierbei, dass der Ist-Stand im Laufe des Prozesses immer wieder neu analysiert wird, denn in diesen Ausnahmesituationen können sich Bedürfnisse, Gefühle, Sichtweisen und Befindlichkeiten rasant ändern. Respekt und Wertschätzung stehen durchgehend an oberster Stelle. Ein wichtiger Ansatz der Begleitung ist die klare Formulierung der Situation und der Gefühle. Die Ängste der Beteiligten müssen und sollen ungeschönt ausgesprochen und ernst genommen werden.
Die Sterbeammen kommen mit einem breit aufgestellten Werkzeugkoffer an Begleitungsmethoden zu ihren Klienten. Dieser umfasst das rein empathische Zuhören bis hin zu psychologischem und seelischem Beistand. Es wird immer der lösungsorientierte Ansatz verfolgt. Dies bedeutet auch, dass im Sterbeprozess ebenfalls schmerztherapeutisch mit Palliativmedizin gearbeitet wird, um die Lebensqualität in dieser Phase zu verbessern und die Schmerzen sowie die Angst zu nehmen. Ein weiterer Bestandteil der Methoden kann die Ritualarbeit während und auch nach dem Sterbeprozess sein. Diese kann helfen, den Prozess zu verarbeiten und damit umgehen zu lernen.
Der Sterbende kann oftmals sehr schwer gehen, wenn die Angehörigen eine 24-Stunden Sitzwache organisieren. Viele Sterbende entschlafen dagegen, wenn die Angehörigen sich „nur“ schnell einen Kaffee holen gehen.
Deshalb geht es auch darum, dem Sterbenden Zeit zu geben, „alleine“ sterben zu können und ihm dies mit einem wahrhaft gemeinten: „Du darfst jetzt deinen Weg weitergehen“ zu sagen. Zudem können auch Worte der Versöhnung und des Verzeihens am Lebensende für beide Seiten sehr heilsam sein und einen friedvollen Abschied ermöglichen.
Den Tod verwalten
Ein Todesfall ist mit einem enormen organisatorischen Aufwand verbunden. Auch hier können Sterbeammen den Hinterbliebenen zur Seite stehen. Sobald ein Angehöriger zu Hause eines natürlichen Todes verstorben ist, muss im ersten Schritt ein Arzt kontaktiert werden, der eine Todesbescheinigung ausstellt. Dieser Schein ist unter anderem für den Bestatter nötig, welcher innerhalb von 48 Stunden (Bestattungspflicht in Bayern) verständiget werden muss. Bis dahin darf der Verstorbene Zuhause behalten werden, sofern es der Zustand seines Körpers sowie die Witterung erlauben.
Wenn der Verstorbene sich frühzeitig mit seiner Endlichkeit befasste, hat er oft für seine Hinterbliebenen eine Patientenverfügung oder Ähnliches erstellt. In dieser sind all seine Wünsche festgehalten — was für Angehörigen eine große Erleichterung in dieser Zeit bedeutet. Eine derartige Verfügung kann den letzten Willen, ein Testament, Nachrichten für das Umfeld des Verfassers, Wünsche für die Beerdigung und vieles mehr beinhalten.
Die Zeit zwischen dem Moment des Todes und der Beerdigung wird die Schleusenzeit genannt. Die Hinterbliebenen können aufgrund der vielen bürokratischen Formalitäten meist erst nach der Beerdigung mit dem Trauern beginnen.
Ein heilsamer Weg ist es daher auch, einen langfristigen Umgang mit der Trauer zu finden, anstatt zu warten, bis die Trauer „aufhört“ — im Grunde hört die Trauer nie auf, mit der Zeit wird sie milder und leichter.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, den Umgang mit der Trauer zu lernen. Sei es, ein Trauertagebuch zu führen oder sich ein Glücksglas zu besorgen, das mit schönen Momenten gefüllt wird und das in schwierigen Zeiten zur Hand genommen werden kann — kleine Methoden können bei der Trauerbewältigung eine große Wirkung haben.
Dazu kann der tägliche Besuch auf dem Friedhof genauso dienlich sein wie eine kleine Gedenkstelle zu Hause oder in der Natur, wo auch immer man sich mit seinem Verstorbenen verbunden fühlt. Ein schönes Ritual ist auch, zu besonderen Anlässen ein Gedeck extra für den Verstorbenen aufzulegen und so zu signalisieren, dass er immer noch Teil des Lebens ist. Den Umgang mit Trauer zu lernen, ist ein heilsamerer Weg, anstatt Gedanken an den Verstorbenen und damit den Schmerz zu verdrängen. Wir müssen unseren Verstorbenen nicht loslassen, sondern sollten die Erinnerung an ihn vielmehr bewahren und mit ihm verbunden bleiben.
Der Trauerprozess ist der Weg zurück ins Leben ohne den geliebten Menschen. Diesen muss und kann man nicht alleine gehen: Man braucht Menschen, wie zum Beispiel eine Sterbeamme, die zuhören, mit einem in die Natur gehen und einfach nur da sind.
Der Umgang mit dem Tod
Tod ist ein Tabuthema in unserer Gesellschaft. Sei es der eigene Tod oder der Tod im Umfeld — man spricht nicht gerne darüber. Teilweise wissen Menschen gar nicht so recht, wie sie mit diesem Thema umgehen sollen. Zum einen ist es das Ungewisse, zum anderen die Angst vor Schmerz und Verlust, die uns solche Angst bereitet. Sterben bedeutet Veränderung — eine ungewisse Veränderung des bisherigen Lebens. Möglicherweise macht uns das Bewusstwerden unserer Endlichkeit und die damit einhergehende unbekannte Veränderung genau diese Angst?
Gerade während der Zeit der Pandemie ist das Thema Tod und Sterben in unserem Leben präsenter geworden, da man jeden Tag mit den neusten Sterbezahlen und horroartigen Sterbeszenarien konfrontiert wurde. Auf der einen Seite war dieses Thema plötzlich so sichtbar und in aller Munde. Auf der anderen Seite war oftmals eine friedvolle Verabschiedung aufgrund der zu dieser Zeit geltenden Maßnahmen nicht möglich.
Die erschwerte Teilnahme oder gar die Nichtteilnahme am Sterbeprozess sowie das Nicht-verabschieden-Können eines Angehörigen hinterlassen tiefe Wunden, die kaum heilbar sind. Dies war in Zeiten der Pandemie oftmals der Fall und erschwert es allen Beteiligten, einen gelungenen Umgang damit zu finden.
Früher war es oft so, dass Menschen, die im Kreise der Familie natürlich verstorben sind, nicht einsam waren. Der Tod war Teil des Lebens und auch die Verabschiedung spielte eine große Rolle im Gemeinschaftsleben. Diese Möglichkeit besteht auch heute noch. Gerade die ambulante Palliativversorgung ermöglicht es Menschen, zu Hause zu sterben und die nötige Unterstützung dafür zu erhalten.
Es gibt viele Möglichkeiten, die in diesem Abschnitt unseres Lebens in Anspruch genommen werden können und dabei helfen, den persönlichen Umgang damit zu finden. Ein wichtiger Punkt ist auch, dass die Menschen angstfrei auf Trauernde und Sterbende zugehen und ihnen nicht mit Scham oder Unsicherheit begegnen. Wir alle können nicht voraussagen oder -sehen, was uns am Ende dieser letzten Phase des Lebens erwartet, da es für jeden das erste Mal sein wird. Jedoch können wir versuchen, den Tod ins Leben zu holen, um einen Umgang damit zu finden und offen für alles zu sein, was kommen mag.
Das Leben nach der Geburt
Ein Dialog der Zwillinge im Mutterleib — von Henri Nouwen, Priester und Psychologe (2)
„Sag‘ mal, glaubst du eigentlich an ein Leben nach der Geburt?“, fragt der eine Zwilling.
„Ja, auf jeden Fall! Hier drinnen wachsen wir und werden für das, was draußen kommen wird, vorbereitet“, antwortet der andere Zwilling.
„Ich glaube, das ist Blödsinn!“, sagt der Erste. „Es kann kein Leben nach der Geburt geben — wie sollte das denn bitteschön aussehen?“
„So ganz weiß ich das auch nicht. Aber es wird sicher viel heller als hier sein. Und vielleicht werden wir herumlaufen und mit dem Mund essen?“
„So einen Unsinn habe ich ja noch nie gehört! Mit dem Mund essen, was für eine verrückte Idee. Es gibt doch die Nabelschnur, die uns ernährt. Und wie willst du herumlaufen? Dafür ist die Nabelschnur viel zu kurz.“
„Doch, es geht bestimmt. Es wird eben alles nur ein bisschen anders.“
„Du spinnst! Es ist noch nie einer zurückgekommen nach der Geburt. Mit der Geburt ist das Leben zu Ende, Punktum.“
„Ich gebe ja zu, dass keiner weiß, wie das Leben nach der Geburt aussehen wird. Aber ich weiß, dass wir dann unsere Mutter sehen werden, und sie wird für uns sorgen.“
„Mutter???? Du glaubst doch wohl nicht an eine Mutter? Wo ist sie denn bitte?“
„Na hier — überall um uns herum. Wir sind und leben in ihr und durch sie. Ohne sie könnten wir gar nicht sein!“
„Quatsch! Von einer Mutter habe ich noch nie etwas bemerkt, also gibt es sie auch nicht.“
„Doch, manchmal, wenn wir ganz still sind, kannst du sie singen hören. Oder spüren, wenn sie unsere Welt streichelt.“
Quellen und Anmerkungen:
(1) www.sterbeamme.de
(2) http://www.engelbrecht-media.de/s_leben_nach_der_geburt.html