Total dem Kapital ergeben
Rudolph Bauer demaskiert im neuen Band seines „Kritischen Wörterbuchs des Bunten Totalitarismus“ die Begriffe und Begriffsverwirrungen der Unmenschlichkeit.
Der Bremer Künstler und Publizist Rudolph Bauer hat sein „Kritisches Wörterbuch des Bunten Totalitarismus“ — vorläufig — vollendet. Die Hefte 3 und 4 des Nachschlagewerks sind im pad Verlag erschienen. Die Erläuterung ausgewählter Begrifflichkeiten von A wie Alternativlos bis Z wie Zuwanderungskorridor, die in Politik und Medien wie selbstverständlich verwendet, aber bezüglich ihrer praktischen Konsequenzen selten genauer unter die Lupe genommen werden, schärft den Blick für die politischen Machtverhältnisse und die sozioökonomischen Entwicklungen, die die Gesellschaften auf ihrer Fahrt über die „Road to Fascism“ bis ins Mark erschüttern.
Das Wörterbuch schöpft seine Bedeutsamkeit aus einer Vielzahl von überraschenden Pointen und gedankliche Rückschlüssen, die selbst inhaltsleere Schlagwörter wie „Transformation“ oder „zukunftsfähige Gesellschaft“ mit Leben erfüllen. Außerdem besticht es durch die prägnante Darstellung komplexer Dimensionen und die Benennung kaum beachteter Facetten politischen Agierens, die bis in die dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte und in die Kellergewölbe der Macht reichen. Dadurch wird das „Kritische Wörterbuch“ zum Must-have jedes politisch interessierten Menschen, der seine Weltsicht über den von der Herrschaft erwünschten Horizont hinaus erweitern will, ohne dafür ganze Bibliotheken lesen zu müssen.
Die Kritiker „weghitlern“
Rudolph Bauer hat sich mit seinen vier Heften — zusammen rund 400 Seiten — das Prädikat Regimekritiker redlich verdient. Sein „Kritisches Wörterbuch“ beantwortet durch die Sezierung nicht nur politischer und soziologischer Fachbegriffe im Brecht’schen Sinne alle „Fragen eines lesenden Arbeiters“. Mit einem glühenden Vierzack aus geschichtlich belegtem Wissen, umfangreichen Quellenangaben, logischen Schlussfolgerungen und einer allgemeinverständlichen Erklärungsweise wird vor allem den Wörtern des alltäglichen Gebrauchs zu Leibe gerückt, deren Sinngehalt von der herrschenden politischen Klasse zum Teil ins völlige Gegenteil verkehrt wird.
Dadurch qualifiziert sich Bauers „Kritisches Wörterbuch des Bunten Totalitarismus“ als essenzielle Grundlage für die vorgezogene Analyse der noch anhaltenden, aber schon jetzt historisch einmaligen Entwicklungen, die sich als Amoklauf des Kapitals in die Geschichtsschreibung und das kollektive Gedächtnis einbrennen werden. Ebenso die mediale Dominanz einer kapitalkonformen Expertokratie, die die alleinige Deutungshoheit über Begriffe und Ereignisse beansprucht, diese analysiert, das heißt, intensiv vorkaut und dann Stück für Stück an die Bevölkerung verfüttert.
Während das Staatsvolk den zugeteilten Informationsbrei verdaut, wird vor aller Augen — denen man nur noch außerhalb der digitalen Echokammern vertrauen kann, seit sich durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) selbst aus einem banalen Foto eine lebensechte Reportage erfinden lässt — der Sozialstaat geschliffen, das Gemeinwesen geplündert und die Staatsverschuldung in aberwitzige Höhen getrieben.
Der Ausbau repressiv agierender Staatsapparate und die aktive Förderung des Denunziantentums durch die Installation sprachlich-gedanklicher Kontrollinstanzen, im Wörterbuch exemplarisch am Beispiel einer „Petz- und Mobbing-Agentur“ dargestellt, sind nicht zu übersehende Belege für die finale Ausdifferenzierung eines neuen Totalitarismus, der seine toxische Existenz mit Begriffen wie Freiheit, Demokratie und Sicherheit ummantelt.
Mit einem Tarnanstrich aus sprachlichen Verdrehungen und dem langen Arm seiner moralischen Überlegenheit, die bis zu den Sternen reicht, imprägniert sich der bunte Totalitarismus gegen jede begründete Kritik. Was Wirkung entfaltet, wird durch Diffamierung im Keim erstickt. Ein Griff zu Bauers Wörterbuch bringt Klarheit. Die „substanzlose Entwertung von Fakten, validen Quellen und konträren Argumenten“ lässt sich durch einen Nazi-Vergleich schnell einmal „weghitlern“.
Der feine Unterschied
Bauer, der sein Verständnis des bunten Totalitarismus auf fast zwei Seiten ausführlich erläutert, präsentiert streng genommen das Resultat der globalen Diktatur des Kapitals, das seinen Siegeszug Mitte der 1980er-Jahre als Neoliberalismus begann und nach dem Ausfall des Antagonisten, des Realsozialismus, seine weltweite ideologische Dominanz zementierte. Habgier und Maßlosigkeit sind die herausragenden Merkmale dieser Herrschaft des Kapitals. Sie manifestieren sich in vordefinierten Renditen, steil ansteigenden und nur durch die Fantasie der Anleger beflügelten Börsenkurse und überdimensionierten Spekulationsblasen. Der Bezug zur Realwirtschaft ist verloren gegangen.
Die zivile Produktion löst sich auf. Neue Technologien, allen voran die KI, erobern die dahinschmelzenden Produktionsstätten. Sie dringen in die Verwaltung ein, erobern die Dienstleitungsbereiche und deformieren Kunst und Kultur. Die Vollbeschäftigung weicht der Teilzeitarbeit. Immer mehr menschliche Arbeitskraft sucht nach temporärer Verwertung in der Gig Economy oder braucht Unterstützung von „Vater Staat“.
Das ökonomische System hat sich aber in einem permanenten Krisenmodus verfangen. Es muss mit gigantischen Krediten gestützt werden, um nicht sofort tot umzufallen. Die herrschende politische Klasse im globalen Norden, egal welcher Partei zugeordnet, muss deshalb die materielle Umverteilung von unten nach oben beschleunigen und die Zahl der Krümel, die vom vollen Teller fallen, merklich reduzieren.
Während sich die Hautevolee mit Suborbitalflügen und Kurztrips ins Weltall die Zeit vertreibt, dreht die Masse die Heizung runter und steigt von Butter auf Margarine um. Ist da etwa ein Riss im gesellschaftlichen Zusammenhalt erkennbar? Die Spaltung der Gesellschaft wird im Kritischen Wörterbuch wie folgt beschrieben:
„Die tatsächliche Spaltung der Gesellschaft in gesellschaftliche Klassen mit unterschiedlichem ökonomischem Status wird überlagert von politisch induzierten und medial inszenierten Spaltungsbemühungen, bei denen verschiedene, nicht zuletzt unterprivilegierte Teile der Gesellschaft gegeneinander ausgespielt werden: Alte gegen Junge, Kranke gegen Gesunde, Frauen gegen Männer, Migranten gegen Alteingesessene, Nicht-‘Geimpfte’ gegen ‚Geimpfte‘, Ossis gegen Wessis, ‚Demokratinnen und Demokraten‘ gegen ‚Nazis‘ usw.“
Dieser Taschenspielertrick funktioniert, obgleich er schon vor Jahrzehnten aufgeflogen ist. Es war der Soziologe Pierre Bourdieu, der in seinem 1979 veröffentlichten Buch „Der feine Unterschied — Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft“ begründet herausarbeitete, dass die breite Masse das Spiel der Herrschenden weder durchschaut noch ihre Sprache versteht und sich daher bei der Beurteilung von politischen Zusammenhängen vor allem auf ihr Gefühl verlassen muss.
Sachlich begründete Begriffserklärungen, so wie sie Bauer in seinem Wörterbuch vorhält, sind daher im besten Verständnis von politischer Bildung mehr als eine sinnvolle Ergänzung. Sie sind eine Notwendigkeit, um den politischen Trash-Talk der Parteieliten und Experten abzuschütteln, der darauf abzielt, die Emotionen der Menschen zu triggern und sie gegen andere Menschen, die im gleichen Boot sitzen, aufzuhetzen, damit sich die Oberschicht auf dem Weg ins Steuerparadies ungestört die Taschen füllen kann. Auch das hat Methode.
Der italienische Philosoph Niccolò Machiavelli, der sich unter dem Begriff „Staatsräson“ einen Platz im kritischen Wörterbuch sichern konnte, stellte schon vor über 500 Jahren in seiner Schrift „Der Fürst“ fest, dass Politik nichts mit Moral zu tun hat. Und solange mit handfesten Lügen die höchsten Ämter im Staat erobert werden können, so viel Klarheit sei unterstellt, interessiert sich ohnehin keiner der politischen Akteure für sein Geschwätz von gestern. Der Bürger ist schließlich vergesslich und durch anhaltende Propaganda sediert.
Wahrhaftigkeit und Haltung
Insofern sind Unwahrheiten und Sprachwirrwarr feste Bestandteile des Affentheaters, das in den Parlamenten aufgeführt wird.
Im stillen Hinterzimmer und über die Köpfe der Bevölkerung hinweg werden die Weichen für die Zukunft des Kapitals gestellt. Erst viel später kommt der Mensch, der vom System vereinnahmt wird.
Auch das kommt bei Rudolph Bauer, der für seine politisch nicht minder kritischen Bildmontagen bereits vor Gericht gezerrt wurde, im Vorwort des 3. Heftes unter dem Titel „Bunte Maske und bunter Vogel“ auf den Tisch.
„Es ist eine merkwürdige Situation: Ich bin den Verhältnissen, über die ich recherchiere und schreibe, als Teil derselben existenziell verhaftet. Ich lebe in dieser Gesellschaft und bin ein Objekt des Herrschaftsapparats, den ich kritisch durchleuchte und als totalitär bezeichne. Ich lebe also mit der Frage: Wann schlägt der Herrschaftsapparat, den ich analysiere, zurück und wieder zu? Bzw. falls er nicht zurückschlägt, dann kann es doch gar nicht ‚so schlimm‘ sein, wie ich behaupte, oder? Sehe ich etwa Gespenster?
Der Gefahr, vom Objekt des Herrschaftsapparats zum Opfer seiner Macht zu werden, bin ich mir bewusst. Aber ich bin geschützt, auf dreifache Weise: Zum einen brauchen der Apparat und seine Helfershelfer Leute wie mich und meine (noch) nicht verbotenen Veröffentlichungen als Indiz dafür, dass ‚bei uns‘, bitteschön, wirklich und immer noch Meinungsfreiheit gilt und nicht Totalitarismus herrscht. Mich schützt die Vorsicht des Apparats, sich vollends zu entlarven und sein totalitäres Gesicht offen zu zeigen. Da stellt so ein ‚bunter Vogel‘ wie ich keine ernsthafte Bedrohung dar.
Zum anderen schützt mich die Tatsache, dass der Apparat noch auf die ‚bunte Maske‘ der Diversität angewiesen ist, hinter der er sein wahres Gesicht verbirgt. Wenn schon nicht Meinungsfreiheit, dann doch immerhin Meinungsvielfalt. Erst recht, wenn sie in einer kaum beachteten Nische des Buchmarktes erscheint. Das Kritische Wörterbuch stellt ein Alibi dar.
Drittens schützen mich die vielen aufgeklärten und um Aufklärung bemühten Menschen. Als kritische Mitstreiter weiß ich sie an meiner Seite: im Familien- und Freundeskreis, in den Betrieben und Gewerkschaften, in alternativen Medien, unter Lehrern und Pfarrern, bei Handwerkern und Landwirten, bei jungen Menschen und Rentnern, nicht zuletzt auch bei einzelnen Anwälten und — hoffentlich — auch Richtern.“
Sich bewusst zu sein, eine Funktion zu erfüllen, die die Herrschaft benötigt, um sich zu legitimieren, und gleichzeitig zu wissen, dass die Diener des Rechts keine verlässliche Barrikade gegen das Unrecht sind — mehr Wahrhaftigkeit und Haltung kann man von dem Verfasser eines kritischen Wörterbuchs, das dem Totalitarismus seine bunte Maske herunterreißt, nicht erwarten.
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