Terrorismus-Lügen

Wie die Stasi im Untergrund agierte.

Mein Buch „Terrorismus-Lügen. Wie die Stasi im Untergrund agierte“ erschien im Jahr 2012 mit großem, vorrangig regionalem Presseecho im Sommer 2012, es wurde als spannender Politthriller sowie eine solide und behutsame Recherche gelobt, und die 3Sat-Kulturzeit sendete dazu einen 6-Minuten-Film. Besondere Aufmerksamkeit fand die aufgedeckte enge Zusammenarbeit des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS, Stasi) mit Rechtsterroristen. Einschlägig bekannte Journalisten und Zeithistoriker schwiegen auffällig. Zu einer großen Lesung in Gräfelfing mit Ina Beckurts, Witwe des RAF-Opfers Karl-Heinz Beckurts und lange schon überzeugte Stasi-Anklägerin, gesellte sich auf dem Podium ganz unabgesprochen und leise ein Moderator, der natürlich nicht vergaß, das Wort verschwörungstheoretisch fallen zu lassen.

Bei der Stasi-Unterlagen-Behörde (BStU) reagierte man hinter verschlossenen Türen mit mächtiger Aufregung, Helfer für die Igel wurden gesucht.

Die hauseigenen Wissenschaftler der BStU lesen in ungeschwärzten Akten, sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Für die Öffentlichkeit tätige Journalisten, die bei der Behörde Anträge auf gezielte Akteneinsicht stellen, erhalten nur geschwärzte und ausgedünnte Akten (siehe den detaillierten Nachweis im Schlusskapitel der „Terrorismus-Lügen“). Vor allem bei Akten aus explosiven Bereichen des Geheimdienstes geht es da vorrangig nicht um Wahrung von Persönlichkeitsrechten – wie es offiziell heißt –, sondern um Wahrung von Staatsgeheimnissen.

Der deutsche Geheimdienst Ost hatte mit Weitsicht und Raffinesse schon gleich nach dem 2. Weltkrieg seine Leute in die Verästelungen der neu aufzubauenden demokratischen Gesellschaft West infiltriert und bis zu seinem Ende viele Geheimnisse des deutschen Staates West gesammelt.

Jedoch gab es keine Helfer und es wurde auch keiner gefunden. Die Aktenleserin hatte allerdings einiges Vorwissen über die Hintergründe des Terrorismus aus Ermittlungen von Untersuchungsrichtern und parlamentarischen Untersuchungskommissionen in Italien (Regine Igel: Terrorjahre. Die dunkle Seite der CIA in Italien, Herbig 2006) und die Nutzung des Terrorismus auf beiden Seiten des Kalten Krieges. Der bis dahin seit Bestehen der BStU erstmalige, gründlichere Blick in 60.000 Akten aus der Stasi-Abteilung XXII zur sogenannten Terror-Abwehr erbrachte große Neuigkeiten, wie die „Terrorismus-Lügen“ belegen.

Bereits im ersten Jahr nach Erscheinen des Buches wurde deutlich: Der Inhalt ist nicht erwünscht. Doch warum sollte niemand erfahren, dass der untergegangene Osten Terroristen ausgebildet, finanziert, strategisch geführt und vor Verfolgungen in anderen Ländern geschützt und beherbergt hat?

Anhänger des Sowjetsystems, und davon gibt es noch erstaunlich viele, – sie halten sich jedoch gerne bedeckt –, leugneten vehement: So etwas kann gar nicht sein, der Osten habe diese schon zu Lebzeiten erhobenen Vorwürfe immer dementiert und Terrorismus als revolutionäres Mittel scharf kritisiert. Sie sträubten sich ganz offensichtlich zu akzeptieren, dass das Nebeneinander von offener und verdeckter Politik, also von deep politics, auch in sozialistischen Ländern existierte.

Im zweiten Jahr nach Erscheinen wurde der Buchinhalt systematischer diskreditiert. Wie gerufen tauchten Juniorprofessoren und ambitionierte Forscher auf und beklagten den „investigativen Übereifer“ der Autorin und diskreditierten mehr pauschal als detailliert und dies mit unpräzisen kleinen Fußnoten. Das Zauberwort „verschwörungstheoretisch“ fungierte allseits als ein sich selbst entlarvender Beleg. Niemand widerlegte Inhalte des Buches mit seinen 750 Fußnoten.

Dann versuchten alte Ostfreunde die Dinge in Film und Druckmedien von den neuen Beweisen reinzuwaschen. Zeithistoriker schwiegen weiter und schauten weg, hatten sie doch peinlicherweise selbst immer einen großen Bogen um einschlägige Ostakten gemacht. Was hätten die vielen Zeithistoriker und RAF-Spezialisten also schon zu vermelden gehabt?

Und bei Wikipedia? Allein in Deutschland wird dieses mächtige Massenmedium nach letzten Angaben täglich 15 Millionen Mal angeklickt. Die Neuigkeiten zur Verbindung von Terrorismus und Geheimdiensten sollen im größten Lexikon der Welt allerdings nicht nachzulesen sein. Darüber wachen mit Macht und Decknamen versehene, unsichtbare Administratoren. Sie löschten ohne große Debatte ruckzuck, was kritische Nutzer aus den „Terrorismus-Lügen“ zum Beispiel zu den sogenannten zehn RAF-Aussteigern neu eingetragen hatten. In die Wikipedia-Seite der Autorin holten diese Administratoren dafür die erwähnten diskreditierenden kurzen Zitate hinein, die die Juniorprofessoren in gebotener Eile und Kürze wie bereit gestellt hatten. Der Autorin wurden bei ihrem Versuch, Tatsachen aus ihren gesichteten Akten bei Wikipedia einzutragen, die Mitarbeit umgehend und Einträge dauerhaft untersagt. Die Begründung: das Wikipedia-eigene Delikt Vandalismus.

Die Verlagschefin hatte nach Rückgang des Hypes um das Buch noch wohlwollend kommentiert: Das wird für uns lexikalischen Wert behalten.

Doch im Frühjahr 2017 war das Buch plötzlich von der Bildfläche verschwunden und im Buchhandel vergriffen. Die Autorin zu benachrichtigen, hielt der Verlag mit neuer Verlagsleitung nicht für nötig. Bei zufälliger Entdeckung des vertragswidrigen Geschehens – Monate später – hieß es nur: Mit dem Verlagsumzug und neuer Verlagsleitung seien die Restbestände „aus Versehen“ vernichtet worden.

Nun ist das Buch ein Jahr später mit anwaltlicher Hilfe in neuem Druckformat als PoD wieder im Buchhandel oder direkt beim Verlag erhältlich.

Der Inhalt des Buches

Die Rolle der Stasi im deutschen und internationalen Terrorismus ist bis heute nicht aufgeklärt. Das Wissen darüber ist bruchstückhaft, und es ist nicht damit zu rechnen, dass je vollkommene Klarheit hergestellt wird. Möglicherweise im Jahr 2060, für das zumindest zu den Akten von Terroristin und Doppelagentin Verena Becker Zugang verfügt wurde. .

Doch dokumentieren die in dem Buch vorliegenden Ergebnisse, insbesondere die erstmals gründlichere Aktenrecherche zur MfS-Abteilung XXII, dass die Stasi entgegen der Legende einer nur „gelegentlichen Hilfestellung“ von Anfang an deutschen und internationalen Terrorismus massiv und dauerhaft unterstützt und gesteuert hat.

Die Recherche ist deshalb schwierig, weil mit der Auflösung des MfS 1989/90 viele und sicherlich die operativ entscheidenden Akten aus diesem Bereich vernichtet oder weggeschlossen wurden. Es ist also von besonderer Bedeutung, das sich schon Mitte der 1960er-Jahre offenbarende Interesse am Aufbau des Terrorismus vonseiten des Ostblocks zu rekonstruieren.

Trotz aller offiziellen propagandistischen Verurteilung des Terrorismus und trotz der von beiden Seiten Deutschlands ab Ende der 1960er-Jahre verfolgten Entspannungspolitik blieb es Ziel des sowjetischen In- und Auslandsgeheimdienstes (KGB) und seiner befreundeten Geheimdienste, insbesondere der Stasi, das Operationsgebiet BRD und den kapitalistischen Westen mithilfe des Terrorismus zu destabilisieren.

Das bestätigten bereits die ersten, ungefilterten Aufdeckungen nach dem Ende der DDR: Die Stasi bildete Terroristen an Waffen aus, gab logistische Hilfestellungen und „duldete“ vieles. Man entdeckte beispielsweise zehn Terroristen, die für zehn, zwei von diesen für acht Jahre in der DDR untergetaucht waren. Sie erklärten nach ihrer Verhaftung 1990, mit ihrer Übersiedelung 1980 in die DDR dem Terrorismus abgeschworen zu haben und vor der Justiz „umfassend“ als Kronzeugen aussagen zu wollen. Anreiz dafür war allerdings nicht, endlich reinen Tisch zu machen, sondern allein die zugesagte Strafminderung. Geschwiegen wird bis heute. Die lange Reihe der sogenannten RAF-Morde ist bis heute unaufgeklärt.

Stutzig machte zudem, dass sich „Aussteiger“ bei ihrer Entdeckung gegenüber ihren Führungsoffizieren äußerst beunruhigt über den Verbleib ihrer MfS-Akten zeigten. Erst als ihnen deren Vernichtung bestätigt und versichert worden war, dass mehr nicht getan werden könne, atmete man - so „Aussteigerin“ Sigrid Sternebeck in einem Dokumentarfilm – erleichtert auf.

Nie hat jemand öffentlich danach gefragt, was denn bei einem angeblich braven Leben in der DDR eigentlich so Beunruhigendes in den Akten stehen könnte. Dabei waren auch die verantwortlichen Stasi-Offiziere besorgt und fürchteten ihrerseits Inhaftierungen. Doch auch das Strafmaß ihrer Verurteilungen fiel unangemessen gering aus. Und alles verlief schließlich im Sande.

Politik, Justiz und Medien nehmen MfS-Akten aus der Abteilung XXII kaum zur Kenntnis. Etliche Autoren haben umfangreiche Bücher zur Roten Armee Fraktion (RAF) veröffentlicht. Doch erstaunlicherweise hat so gut wie keiner MfS-Akten konsultiert, so als ob es sich nicht gezieme oder lohne, der ungeheuerlichen Involvierung von Geheimdiensten in den Terrorismus nachzugehen. Zumal das Ungeheuerliche eines Staatsterrorismus ja über das Ende des Kalten Krieges hinaus noch bedrohlich weitergeht.

Krönendes Beispiel für die Ignoranz – oder die Unterwerfung der Wissenschaft unter die Staatsräson – sind die 1450 Seiten zweier sogenannter wissenschaftlicher Bände zu „Die RAF und der linke Terrorismus“ aus dem Jahr 2006 unter der Ägide von Wolfgang Kraushaar, der für dieses Thema als wissenschaftlicher Großmeister gilt. Entscheidende Quellen auszublenden, kann schwerlich als wissenschaftlich angesehen werden.

Selbst die Untersuchung „Das RAF-Phantom“ von Gerhard Wisnewski, Wolfgang Landgraeber und Ekkehard Sieker, zuerst erschienen im Jahr 1992, geht zwar von einem Mitmischen der Geheimdienste aus, schaut aber selbst 2008 in der überarbeiteten Neuauflage lediglich in Richtung Westen. Der Blick auf die andere Seite des Kalten Krieges bleibt unkritisch getrübt, und der Glaube der Autoren an SED-Propaganda ist somit ungebrochen.

Vonseiten der Bundesregierung konnte man Mitte der 1990er-Jahre hören: In den unaufgeklärten Anschlägen gäbe es neben der RAF keinerlei Hinweise für andere Täter (damit waren Stasi-Agenten gemeint). Und die Leitung der Stasi-Unterlagen-Behörde (BStU) gab die Linie aus: „Große Funde sind nicht mehr zu erwarten.“ Es bleibt ein Rätsel, wie man sich dessen so sicher sein kann. Immerhin sind noch 15 000 Säcke mit unbekannten, zerrissenen oder sogar geschredderten Akten ungeöffnet, die seit 25 Jahren im Archiv auf ihr Zusammensetzen warten.

Die Botschaft ist klar: Aufklärung unerwünscht!

Ein Anliegen der Autorin des Buchs „Terrorismus-Lügen. Wie die Stasi im Untergrund agierte“ ist es, diese Aufklärung zu suchen. Das Buch bietet sehr wohl „große Funde“ aus den Akten und versucht eine erste Bilanz auch der wenigen, schon Anfang der 1990er-Jahre erfolgten punktuellen Aufdeckungen zur unheilvollen Allianz zwischen Stasi, KGB und Terroristen zu ziehen.

Dabei ordnet es die Geschehnisse in die Spannungswelt der Zeit des Kalten Krieges ein, bekanntermaßen eine Zeit außerordentlicher Aktivitäten der Geheimdienste.

Nicht zu vergessen ist, dass der Kalte Krieg aus zwei Seiten bestand:

Allianzen mit Terroristen pflegten auch die CIA und ihre verbündeten Geheimdienste.

Dem ist die Autorin ausführlich in ihrem Buch „Terrorjahre. Die dunkle Seite der CIA in Italien“ nachgegangen. Da ist nichts überholt, aber die massive Rolle des Ostens im Terrorismus hinzuzufügen.

Vorboten des deutschen Terrorismus

Ein neuer Blick auf einige frühe Ereignisse und die vier Großen der beginnenden Militanz des deutschen Terrorismus, Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Horst Mahler und Dieter Kunzelmann, legt Merkwürdigkeiten und Geheimnisse offen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass diejenigen Terroristen Infiltrierte oder zur Agententätigkeit ausgebildete junge Mitglieder der kommunistischen Partei waren, die Waffen, Drogen und Sprengstoff beschafften, die Bewegung damit anheizten und Mitstreiter anregten, Hemmschwellen zu überschreiten.

Es lässt sich einiges zusammentragen, was die führenden Genossen in einem neuen Licht erscheinen lässt. Beim Anschlag auf Aldo Moro 1978 haben die Ermittler starke Indizien zu Geheimdienstverbindungen derjenigen beiden Rotbrigadisten entdeckt, die Moro umgebracht haben. Im Notizheft des einen, Mario Moretti, stand bei seiner Verhaftung die Telefonnummer eines führenden CIA-Generals, bei dem anderen, Valerio Morucci, die eines führenden KGB-Generals.

Die Stasi hatte ein intensives Interesse an der Studentenbewegung und ihrer Militanz. Daher ist die Tatsache, dass die BStU kaum Akten zu deren wichtigen Führern herausgibt, als ein Indiz für ihre Bedeutung bei den Geheimdiensten beider Seiten zu werten.

Das internationale Netz unter dem Dach von Stasi und KGB

Untersuchungen zu den Anfängen der Militanz und der Herausbildung des Terrorismus stellten bisher eher das nationale, kaum das internationale Geschehen dar, obwohl die Bomben ab 1969 in vielen Ländern der Welt hochgingen. West und Ost reagierten bereits Mitte der 1960er-Jahre auf Veränderungen der internationalen Lage des Kalten Krieges. KGB-Chef Jurij Andropov rüstete angesichts der neuen Unruhen in der Welt für eine antikapitalistisch/antiimperialistische Offensive und kurbelte nach einer großen Tagung 1966 in Havanna paramilitärische Guerilla-Ausbildungen für geheime Kampfeinsätze an. Die ČSSR wurde das Hinterland für den italienischen Terrorismus, die DDR für den deutschen und internationalen.

Zentren der Militanz formierten sich mit aktiver Förderung der Stasi und dem Segen des KGB und mit deren führenden Aktivisten: Giangiacomo Feltrinelli (es gibt zahlreiche Indizien, dass er KGB-Agent war), Wadi Haddad (erwiesener KGB-Agent), Carlos (in Moskau ausgebildet), die gewalttätigsten Palästinenser wie Abu Daud und Abu Nidal und die Japaner Masao Adachi und Fusako Shigenobu (alle vier erwiesene Stasi-Agenten). Hier stößt man in Akten des MfS und anderer östlicher Geheimdienste auf erstaunlich viele Neuigkeiten. Zürich, Paris, Prag, Ostberlin und Mailand wurden in Europa zu den entscheidenden logistischen Orten. Die Führer der radikalen Palästinenser hielten sich schon in den 1970er-Jahren zu langen Aufenthalten in der DDR auf.

Die sogenannten Terrorismus-Aussteiger und die Dritte RAF-Generation

Bei genauem Studium von Stasi-Akten finden sich klare Spuren zu Destabilisierungstouren der zehn „Aussteiger“ und Stasi-Verbindungen der Kämpfer der sogenannten Dritten RAF-Generation mit ihren strafrechtlich bis heute unaufgeklärten Anschlägen.

MfS-Akten bestätigen ihr reges Reiseleben. Operative Finanzakten der Terrorismus-Abteilung belegen die Unterstützung der westdeutschen Terroristen auch mit hohen Finanzmitteln.

Mag die Moral der Terroristen Ende der 1970er-Jahre durchaus, wie es heißt, danieder gelegen haben. Der Stasi gelang es, mit paramilitärischen Ausbildungskursen ihren Kampfgeist wieder neu zu beleben. Die vermeintlichen Sehnsüchte der zehn Terrorismus-„Aussteiger“ nach einem ruhigen Kleinbürgerleben entlarven sich als zweckgerichtete Legenden. Der verdeckte Kalte Krieg, vor allem gegen die feindliche Bundesrepublik und die USA, trat Anfang der 1980er-Jahre mit den regenerierten Kräften der Terroristen in eine neue Phase. Aufzeichnungen der Abteilung Funk belegen das intensive Hin- und Herreisen der Terroristen zwischen der DDR und der BRD, und zwar unter den Augen der Behörden im Westen.

Die paramilitärische Ausbildung des Westens wurde 1990 in Italien unter dem Namen Gladio/Stay-behind-Geheimmilizen bekannt. Jedoch „nur für den Kriegsfall“ hieß es. Italienische Ex-Kommunisten nennen die sehr viel später aufgedeckten Geheimmilizen des Ostens, vorrangig in der CSSR angesiedelt, heute schlicht Gladio rossa. In der DDR trugen die ausdrücklich auch für Friedenszeiten einzusetzenden Paramilitärs den unscheinbaren Tarnnamen AGM/S (Arbeitsgemeinschaft des Ministers/ Sondergruppen).

Stasiakten belegen: Zur Ausbildung gehörte auch der Umgang mit Lichtschranken-Zündern. Mit denen wurde 1986 der Anschlag auf den Siemens-Manager und Atomphysiker Karl-Heinz Beckurts durchgeführt. Ein Ausbildungsabschnitt galt auch dem perfekten Töten, ohne Spuren zu hinterlassen.

Im 1981 verfassten Handbuch der AGM/S wird die Breite der Destabilisierungsmöglichkeiten im Operationsgebiet aufgelistet, das ist in Akten dieser Abteilung in der Regel die BRD, darunter die Nutzung terroristischer Organisationen zur Schwächung des Feindes. Es ist nicht bekannt geworden, dass Staatsanwaltschaften auf der Grundlage dieses Handbuchs nach 1990 Ausbilder und Ausgebildete vernommen hätten. Diese sind jedoch in Stasiakten mit ihren (meist bekannt gewordenen) Decknamen identifizierbar aufgelistet.

Rechtsterroristen an der Seite der Stasi

Der bekannteste rechtsterroristische Stasi-Agent Odfried Hepp war für die Stasi weder nur ein Informant oder kleiner Spitzel, noch brachte ihn die Stasi – wie es die Legende will – auf den guten Weg. Vielmehr reihte auch er sich nachweislich als Stasi-Agent aktiv in die operative Destabilisierungsfront vorrangig im Nahen Osten ein.

Diese seinerzeit hochgeheime Nutzung von Rechtsterroristen durch die Stasi zeigt das doppelte Agieren des Ostens besonders deutlich: das offene, von der internationalen Diplomatie bestimmte, und das verdeckte, das aus dem Bedürfnis nach Macht und Stärke die Schwächung des Gegners trotz Wandel durch Annäherung im Visier behielt. Mit den Rechtsterroristen ließ sich die anti-imperialistische Kampfesfront erweitern, auch sie gebrauchten Parolen gegen den eigenen Staat und den US-Imperialismus.

Auch im Spannungsherd Südtirol in der Mitte Europas nutzte die Stasi die Zusammenarbeit mit Rechtsterroristen, um diesen Schauplatz des Kalten Krieges und zahlreicher Geheimdienste anzuheizen. Als ein wichtiger, in Südtirol tätiger Dreifach-Agent für Italien, die DDR und die BRD und Sprengstoffexperte Anfang der 1990er-Jahre angeklagt wurde, belieferte die Stasi-Unterlagen-Behörde das Gericht mit manipulierten Akten, um seine Verurteilung zu verhindern.

Die Akten zeigen auch, dass der Verfassungsschutz mit Rechtsterroristen und mit alten und neuen Nazis zusammenarbeitete, - genutzt als anti-kommunistische Kraft. Da hatte ein Angestellter der Behörde offensichtlich das Schwärzen der entsprechenden Akten vergessen.

Aufklärung unerwünscht

Erstmals zeigte der 2010 begonnene Prozess gegen Verena Becker zur Feststellung ihrer Täterschaft beim Anschlag auf Generalbundesanwalt Siegfried Buback: Neben Italien hatten auch in Deutschland Geheimdienste im Terrorismus eine massive Rolle gespielt. Doch Aufklärung und Wahrheitsfindung sind in diesem geheimen Bereich besonderen Schwierigkeiten ausgesetzt. Da es sich bei diesem Thema um geheime Aktionen im Staatsauftrag handelt, gehört es zu deren Natur, sie nicht oder nur sehr lückenhaft aufdecken zu können. Aktionen von Geheimdiensten sind geheim und sollen geheim bleiben.

Geheimdienstlich gedeckte Terroristen, oft Doppelagenten, folgen der ihnen auferlegten Geheimhaltungspflicht und stehen als Quelle nicht zur Verfügung. Auch Staatsanwaltschaften haben in Deutschland – anders als in Italien – zur Wahrheitsfindung nur punktuell beigetragen. Sie sind gegenüber ihren Vorgesetzten bis hin zum Justizminister weisungsgebunden und gehalten, nicht aufzuklären, wenn es der Politik nicht gefällt.

Die umfangreichen Aufdeckungen von Justiz und parlamentarischen Untersuchungsausschüssen in Italien bieten für den, der auch bei uns mehr Aufklärung sucht, hilfreiche Impulse. Für denjenigen, der nicht an Aufklärung interessiert ist, sind sie eher bedrohlich. So raunte ein Mitglied der Chefredaktion einer großen deutschen Zeitung der Autorin einmal zu: Hören Sie endlich auf, die Dinge aus Italien nach Deutschland zu tragen!

In Italien sind Staatsanwaltschaften und Parlamentsausschüsse in ihren Ermittlungen nicht weisungsgebunden. Daher können sie eine stärkere Kontrollfunktion gegenüber der Politik wahrnehmen und deren Schattenseiten beleuchten.

Die Antwort auf die Frage, warum gerade Italien und die Bundesrepublik besonders heftig von terroristischen Anschlägen heimgesucht waren, ist in ihrer Rolle als Frontstaaten innerhalb der beiden Blöcke im Kalten Krieg zu suchen. Die BRD hatte den Feind, die DDR, geostrategisch gleich nebenan, Italien die für die westliche Hemisphäre außergewöhnlich starke kommunistische Partei mitten im eigenen Land.

Vor dem Mailänder Gericht bestätigte der Vize-Chef des italienischen militärischen Geheimdienstes SISMI, Gianadelio Maletti, im Jahr 2001 auf Befragen des Staatsanwaltes: Die Geheimdienste bedienten sich in der Strategie der Spannung der Agents provocateurs,

damit diese Terrorakte verübten. Er räumte sogar ein, dass Deutschland noch bedeutender als Italien gewesen war, insbesondere für die amerikanische Sicherheitspolitik. Dieser O-Ton aus dem Gerichtssaal ist sogar im Internet nachzuhören.

Die BStU legt selten Akten zu operativen Einsätzen und direkter, geheimpolizeilicher Einflussnahme, im Stasijargon aktive Maßnahmen, vor. Deren Handlungsziel ist es, dem Gegner zu schaden, zum Beispiel auf wirtschaftlichem oder politischem Gebiet.

Finden wir heute in den Akten wenig bis nichts, so darf nicht geschlossen werden, vermutete operative Einsätze hätten nicht stattgefunden, „die Stasi“ hätte davon nichts gewusst oder wäre nicht aktiv daran beteiligt gewesen. Bekanntermaßen wurden 1989/90 sehr viele Akten vernichtet. Schon deshalb können heute etliche Antworten auf offene Fragen nicht mehr in den Akten gefunden werden.

Doch die Stasi-Offiziere konnten die Aktenflut nur begrenzt vernichten. Kundige Stasi-Forscher sehen die heutige reduzierte Aktenlage auch darin begründet, dass vieles in Giftschränken dauerhaft unter Verschluss gestellt wurde, darunter 10 Prozent des HVA-Bestandes. Im Fachjargon heißt das „Geheimschutzunterlagen in gesonderter Verwahrung“. Der amerikanische Wissenschaftler John C. Schmeidel spricht von rund 450 Metern solcher Akten.

In den gesichteten Akten stößt man deutlich auch auf nach 1989 eingearbeitete Desinformationen und Manipulationen, mit dem offensichtlichen Ziel, wie im Fall eines in Südtirol tätigen Agenten, in Gerichtsprozessen der 1990er-Jahre die Rolle der angeklagten Agenten für die Stasi zu minimieren und damit Strafminderung zu erwirken. In dieser Frage hatte es auch ein Erpressungsdeal zwischen Ost und West gegeben – siehe am Ende der Terrororismus-Lügen.

Schon 2007 mutmaßten die Verfasser des „Gutachten über die Beschäftigung ehemaliger MfS-Angehöriger bei der BStU“ derartige Akteneingriffe. Im Buch sind einige dieser Akten-Manipulationen belegt.

Schlussfolgerungen können oft nur relativ bleiben. Zum Beispiel ist Inge Viett nachweislich nur in den 1980er-Jahren Stasi-Agentin gewesen. Für die Zeit davor gilt das wahrscheinlich auch, ist aber mit den (reduzierten) Akten nicht zu belegen. Doch wer wittert, kann durchaus fündig werden.

Wie es ein Ermittler der Justiz mit seinen Indizien zu Delikten und in Verdacht geratenen Delinquenten zu tun pflegt, so muss auch der Forscher, der sich mit illegalen Begebenheiten der Zeitgeschichte beschäftigt, Thesen zu Bedeutungszusammenhängen seiner Indizien (neudeutsch: ein Narrativ) aufstellen. Doch was Juristen als eine seriöse und wissenschaftliche Methode der logischen Ableitung praktizieren, wird bei Journalisten in diesem Bereich gesellschaftlicher Grauzonen gerne diskreditiert. Wer Aufklärung verhindern will, setzt Mutmaßungen, Thesenbildungen und Aufstellung von Wahrscheinlichkeiten gerne als unseriös, spekulativ oder verschwörungstheoretisch herab.

Wer tiefer in diese Fragen eindringt, erhält ein Wissen über zweierlei, miteinander verwobene Politikwelten, der verdeckten der deep politics und der offenen der Diplomatie. Die Logik der beibehaltenen Geheimhaltung dieser düsteren Seiten des Kalten Krieges wird deutlich.

Zweifelsfrei wusste der Geheimdienst West von der Geheimpolitik des Geheimdienst Ost, den Terrorismus zu nutzen. Die offene Politik jedoch, die Diplomatie, wollte Versöhnung, den Wandel durch Annäherung. Kurz: Wiedervereinigung.

Nach Meinung der politischen Machthaber schloss dies eine konsequente und offene Kritik am DDR-Staat aus. So ließ man geschehen und wurden wichtige Wahrheiten geopfert. Deutschland wurde auf der Basis von Lügen und tiefen Beschädigungen des Rechtsstaats wiedervereint. Die einst sich links wähnenden Genossen teilen bis heute ihr düsteres Geheimnis und werden zu
Komplizen mit dem eben noch mit Bomben und Pistolen bekämpften westlichen Hauptfeind, der verachteten politischen Macht. Welche Moral.

Ein Anhang

Ein Meilenstein in der Aufklärung unaufgeklärt gebliebener Morde wurden die Hinweise von Klaus von Dohnanyi, zwischen 1969 und 1982 Staatsminister der sozialliberalen Koalition im Auswärtigen Amt. In dem Dokumentarfilm „Mord in Titos Namen“ aus dem Jahr 2014, legt er dar, dass man die Hintergründe der sogenannten Kroatenmorde seinerzeit sehr wohl kannte. Vorrangig in Bayern wurden zwischen 1967 und 1989 mindestens 29 Exilkroaten ermordet, ausgeführt auf Befehl des jugoslawischen Regimes unter Titos Führung.

Man wollte die Führung im strategisch wichtigen Jugoslawien, Teil des sowjetischen Systems und wichtig als Brücke zu Moskau, nicht verärgern, so Klaus von Dohnanyi zu diesem „dunklen Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte“. Es gäbe „Dinge in der Politik, die so sind, wie sie sind. Unser überragendes Interesse war, einen Weg zu finden, um in Europa Entspannung mit der Sowjetunion voranzutreiben.“

Es passiert also, dass alt und mild werdende Politiker sich der Wahrheit verpflichten wollen. Denn: Gab es da nicht noch andere unaufgeklärt gebliebene Mord-Reihen? Die sogenannten RAF-Morde an wichtigen Persönlichkeiten aus der westdeutschen Wirtschaft? Die NSU-Morde an Türken, mehrheitlich Kurden?

Wurden auch sie nicht aufgeklärt, weil die Politik aus diplomatischen Gründen gegenüber den Auftraggebern stillhielt?

Die Anwendung der Logik „der Politik der schmutzigen Hände“ nach Klaus von Dohnanyi könnte auch hier greifen.


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