Tag X für die Pressefreiheit

Aktivisten und Medienschaffende kamen aus aller Welt nach London, um sich mit ihrem Mitstreiter Julian Assange zu solidarisieren, dessen mögliche Auslieferung an die USA an diesen Tagen verhandelt wurde. Manova war vor Ort.

Der Fall Julian Assange ist Kafka auf Steroiden. Hier bekommt das Kafkaeske globale Dimensionen. Ein Journalist, der grausamste Kriegsverbrechen aufdeckte, sitzt seit Jahren unschuldig in Isolationsfolterhaft. Die ertappten Kriegsverbrecher laufen indes noch frei umher. Nun ist es fast ein halbes Jahrzehnt her, dass Assange gewaltsam und gegen jedes (inter)nationale Recht aus der ecuadorianischen Botschaft herausgezerrt und nach Belmarsh verfrachtet wurde. Seither hängt über seinem Kopf das Damoklesschwert einer Auslieferung an die USA, die einem Todesurteil gleichkommen würde. Nicht nur, dass die ihm dort drohenden 175 Jahre Haft seine verbleibende Lebenszeit weit überdauern — die lange Geschichte der US-Foltergefängnisse lässt das Schlimmste vermuten, was die Haftbedingungen für Assange anbelangt. Noch nie hat ein Journalist den US-amerikanischen Deep State so öffentlichkeitswirksam bloßgestellt und die hässliche Fratze hinter der Maske der vermeintlichen Schutzmacht der Demokratie so schonungslos aufgezeigt. Entsprechend sinnt der militärisch-industrielle Komplex nicht nur auf Rache, sondern trachtet auch danach, ein Exempel zu statuieren. Die Botschaft lautet, an alle Journalisten gerichtet: „Seht euch vor! Wenn ihr uns auf die Pelle rückt, unsere Geheimnisse aufdeckt, dann jagen und kriegen wir euch — selbst im letzten Winkel der Welt.“ Am 20. und 21. Februar 2024 war es dann so weit: Am Royal Court of Justice in London wurde über die Auslieferung verhandelt. Nur eine geringe und ausgewählte Anzahl an Prozessbeobachtern war zugelassen. Somit konzentrierte sich der Protest auf den Platz vor dem Gericht. Manova war mit zwei Reportern vor Ort.

Der Protest vor dem gotischen Gerichtsgebäude war überaus überschaubar. Zu Spitzenzeiten erreichte die Traube der Protestierenden vielleicht gerade einmal den vierstelligen Bereich. London verfügt über mehrere Millionen Einwohner, und das, was im Gerichtssaal verhandelt wurde, war nichts Geringeres als die Zukunft der Pressefreiheit. Darüber hinaus war ein beträchtlicher Teil der Demonstranten und Reporter gar nicht mal aus London, sondern aus aller Welt angereist. Ein hervorstechendes Merkmal war die zahlenmäßig große Vertretung von Aktivisten und Medienschaffenden aus Deutschland. Auf dem kleinen Vorplatz wurde stellenweise mehr deutsch als englisch gesprochen.

Zugegen waren „Studenten stehen auf“ (Stauf), die Schauspielerin Gabriele Gysi, Vertreter von Mutigmacher oder auch Anonymous. Bunt gemischt waren die Berichterstatter. Von den Leitmedien fanden sich unter anderem die Welt, das ZDF und der NDR vor Ort ein. Die BBC ließ sich erst am zweiten Tag blicken. Hingegen waren reichlich freie und alternative Medien anwesend, unter anderem die Weltwoche, der österreichische Sender Auf1 und apolut. In einem stundenlangen Livestream-Marathon übertrug der Rapper Kilez More trotz englischen Winds und Wetters die Geschehnisse auf dem Vorplatz des Gerichts an Tausende Zuseher an den weltweiten Endgeräten.

Assange selbst konnte nicht persönlich zur Verhandlung erscheinen. Sein gesundheitlicher Zustand ließ das nicht zu, was tief einblicken lässt in die Haftbedingungen in Belmarsh.

Die Demonstration unterschied sich stark von den Wohlfühl-Regierungsdemonstrationen für Gratismut-Aktivisten. Die Protestler standen sich hier stundenlang bei rauem Inselwetter die Beine in den Bauch, Ewigkeiten wartend, bis dann endlich in den Pausen die Prozessbeobachter und Anwälte aus dem bedrohlich-imposanten Gerichtsgebäude hervortraten und die wenigen Neuigkeiten verkündeten. Immer wieder zogen sich Demonstranten und Reporter in die noblen Cafés zurück. Ein kostspieliges Unterfangen, denn Kaffee und Snacks waren sündhaft teuer und konnten überdies in der britischen Finanzhochburg nur noch bargeldlos beglichen werden.

Die Kernschmelze der Freiheit ist in London besonders sichtbar.

Am ersten Abend hatte die in London lebende deutsche Aktivistin Sabine von Törne einen Londoner Julian-Assange-Doppeldeckerbus organisiert, der im Anschluss an die Demo durch London fuhr und mit der Außenverzierung die Passanten und Autofahrer auf den Fall Assange aufmerksam machte. Immerhin war nicht einmal ein halbes Promille der Londoner Bevölkerung anwesend.

Am nächsten Tag folgte die ernüchtertende Nachricht: Die Entscheidung wurde vertagt. Daraufhin zog die Demonstration im Zug durch die Londoner Innenstadt, in Richtung Downing Street, dabei laut rufend:

„US, UK, hands off Assange!“


Nicolas Riedl und Flavio von Witzleben vor Ort bei den Protesten für Julian Assange

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Ein großer Dank gebührt dem Komponisten Jan Fabricius (@janfabrik bei instagram), der uns für diese Reportage mehrere Musikstücke zur Verfügung stellte.