Straftäter von Amts wegen
Die Ausschreitungen in Leipzig, die vor Kurzem geschehen sind, wurden offenkundig durch die Polizei undercover mitausgelöst.
Brennende Barrikaden, fliegende Steine: Bei der Demonstration für Lina E. in Leipzig-Connewitz haben offenbar verkleidete Polizeiagenten vorneweg mitrandaliert. Der Einsatz von Provokateuren ist gängige Praxis, um unliebsame politische Gruppen zu zersetzen. Der Staat füttert damit die Mär von einer „vernünftigen Mitte“ und „gewalttätigen Rändern“.
Der „Hufeisen-Mythos“
Randalierende „Linksextremisten“ in Leipzig Connewitz, wie am Wochenende bei den Protesten gegen das in der Tat fragwürdige Urteil gegen Lina E. sind ein gefundenes Fressen für viele Medien. Da können sie, wie der MDR kürzlich, endlich wieder ihre „Linksextremismus-Forscher“ aus der Mottenkiste holen, während ihre „Rechtsextremismus-Forscher“ sich mutmaßlich schon auf die nächste „Schwurbler-Demo“ vorbereiten.
Heraus kommt dabei wie immer die sogenannte „Hufeisentheorie“: ein pseudoakademischer Propaganda-Mythos, um die sich selbst als „vernünftge Mitte“ beweihräuchernde, in ewiger Seriositätsheuchelei versunkene Bildungsbourgeoisie, und alle die sich um sie scharen, vereint als „die Guten“ gegen „die bösen Ränder“ links und rechts — ganz im Sinne der Herrschenden bei der Stange zu halten.
Die vermeintlich „vernünftige Mitte“ ist ein äußerst brauchbares Konstrukt für die Herrschenden. Fast jeder will zu ihr gehören, denn mit den Anderen redet man nicht. Die Anderen nämlich sind die „gewaltbereiten Ränder“, die Bösen, die Auszugrenzenden. Damit das so bleibt, greift der Staat keineswegs nur ideologisch ein, sondern seit Langem auch aktiv. Die Schlagzeile in ZEIT ONLINE ging vermutlich an vielen vorbei, zeigt aber einen Ausschnitt dieser Praxis: „Polizisten im Schwarzen Block“ — in Leipzig Connewitz am Wochenende, auf der Demo für Lina E.. Randalierer von Staatswegen also.
Polizisten als Steinewerfer
Wer sich in politischen Kreisen etwas auskennt, wundert sich nicht darüber, denn es ist seit Jahren ein übliches Vorgehen unserer westlichen „Demokratie“. Nach Recherchen von ZEIT ONLINE „hatten sich am Tag der Demo Beamte in szenetypischer Bekleidung und vermummt unter die teils gewalttätigen Demonstrierenden gemischt.“
Aus dieser Menge heraus sei die Polizei mit Steinen und Feuerwerkskörpern angegriffen worden. Dies sei durch Nachbohren von Abgeordneten der Linksfraktion im Sächsischen Landtag herausgekommen. Mehr Details, also etwa wie viele solcher Provokateure die Polizei im Einsatz hatte, wollte allerdings niemand bekanntgeben. Ein Schelm, wer denkt, die vermummten Beamten hätten nur zugeschaut.
Waffen liefernde V-Leute
Die staatliche Praxis, sogenannte Agents Provocateurs, also Provokateure aus Polizei- oder Geheimdienstkreisen auf Demonstrationen oder überhaupt in Gruppen dieser „politischen Ränder“ einzusetzen, um zu Straftaten anzustacheln oder diese selbst zu begehen, ist mindestens so alt wie die Propaganda-Anleitungen von Edward Bernays von vor rund 100 Jahren.
Die USA experimentierten mit solchen Provokateuren schon in den 1950er Jahren im Rahmen des 1971 aufgeflogenen FBI-Programms COINTELPRO. In Deutschland ließ sich bereits die erste Generation der RAF von einem unerkannt eingeschleusten V-Mann mit Waffen beliefern und zu Überfällen und Morden motivieren, wie 2012 die Süddeutsche Zeitung im Rückblick berichtete.
Kein Protest ohne Agenten
Bei den Protesten rund um den G8-Gipfel in Heiligendamm im Jahr 2007 warfen nicht etwa gewöhnliche Demonstranten die Steine auf Polizisten, sondern deren eigene Kollegen, verkleidet als Protestler. Nachdem das aufgeflogen war, berichteten zahlreiche Medien darüber, zum Beispiel die WELT. Laut der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) setzte das Bundeskriminalamt (BKA) dort sowie bei einem NATO-Gipfel in Baden-Baden sogar einen britischen Spezialisten ein, der Demonstranten zu schweren Straftaten aufwiegeln sollte.
Auch bei den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg 2017 waren die vermummten, provozierenden Agenten mit Dienstausweis der Polizei mittendrin im schwarzen Block. Dem Hamburger Abendblatt zufolge starteten sie nicht nur im Dienstauftrag Zerstörungsexzesse und Angriffe gegen ihre eigenen Kollegen, sondern stellten selbst jene „Vermummten“, deretwegen die Polizei eine Demonstration noch vor dem Start gewaltsam aufzulösen versuchte.
Das linksautonome Zentrum im Hamburger Schanzenviertel namens Rote Flora enttarnte mehrfach Polizeispitzel, die weitaus mehr taten, als nur die Szene auszuspionieren.
Das jeweilige Vorgehen scheint einem Muster zu folgen: Junge, entsprechend ausgebildete Polizeibeamte steigen unter Tarn-Identitäten in eine Szene ein, führen sogar zum Schein Beziehungen mit Mitstreitern, um teilweise nach Jahren der Unauffälligkeit zu Gewalttaten anzustiften oder selbst welche zu begehen und so eventuelle Mittäter überführen zu können.
In einem Gepräch mit dem Hamburger Abendblatt über brutale Polizeigewalt auf den Demonstrationen gegen das Bahnhofsprojekt „Stuttgart 21“ räumte ein kritischer Polizeibeamter 2010 ein, dass der Einsatz von polizeilichen Provokateuren nicht die Ausnahme, sondern die Regel sei und immer häufiger praktiziert werde. Wörtlich sagte er damals dem Blatt:
„Ich weiß, dass wir bei brisanten Großdemos verdeckt agierende Beamte, die als taktische Provokateure, als vermummte Steinewerfer fungieren, unter die Demonstranten schleusen. Sie werfen auf Befehl Steine oder Flaschen in Richtung der Polizei, damit die dann mit der Räumung beginnen kann.“
„Geheimdienstprojekt“ NPD und Co.?
Nicht nur die linke, auch die rechte Szene bis hin zu faschistischen Kräften ist bis in die höchsten Führungsetagen derart von staatlichen Agenten unterwandert, dass man etwa die NPD, die sich kürzlich in „Die Heimat“ umbenannte, wohl als Geheimdienstprojekt schlechthin bezeichnen kann. Deshalb kam die Justiz mit dem Verbotsverfahren gegen die Partei über Jahre nicht voran und ließ es schließlich platzen.
Auch im Laufe des Verfahrens um den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) war bekannt geworden, dass es sich mitnichten um ein völlig allein agierendes Trio gehandelt haben kann, von dem die Staatsorgane vor dem Auffliegen 2011 nichts wussten. Ein V-Mann namens Andreas Temme war im Jahr 2006 sogar bei einem Mord anwesend.
Propaganda mit irren Ideologien
Es ist wenig plausibel, anzunehmen, dass dies in der freien Kameradschaftsszene sowie in Organisationen, deren Funktionäre zum Teil aus diesem Umfeld stammen — so etwa die „Freien Sachsen“ — anders sein könnte. Auch in anderen rechten Parteien, wie AfD oder „Der III. Weg“, tummeln sich wahrscheinlich zahlreiche V-Leute und sonstige Agenten.
Ebenso kann man davon ausgehen, dass in staatskritischen kleinbürgerlichen Bewegungen wie „Querdenken“, in rechten Protesten wie PEGIDA inklusive sämtlicher Ableger, oder in nach außen hin als „links“ firmierenden Bündnissen und Parteien eine Menge solcher Agenten aktiv sind — wohl nicht nur, um zu spionieren und zu provozieren, sondern um mit diffusen Ideologien oder Ablenkungsmanövern politisch weniger bewanderte Mitläufer oder sogar Funktionäre in die Irre zu führen.
Letzteres sind nicht abschließend bewiesene Hypothesen, für die allerdings bei Betrachtung des Gesamtbildes sehr viel spricht. Sie könnten zum Teil erklären, wie Teile der einstigen Antifa zu sogenannten „Antideutschen“ mutierten, die sich heute eher als „Ideologiekritiker“ oder „Antinationale“ bezeichnen, mit USA- oder Israel-Flaggen wedelnd den westlichen Imperialismus als Heilsbringer abfeiern und jeden Kritiker einer westlichen Regierung, sogar Antikapitalisten, als Nazis niederschreien. Die Herrschenden, deren PR-Truppen und Schreiberlinge jedenfalls scheint es zu freuen.
Die extremistische „Mitte“
Mit Spitzeln, Provokateuren und sonstigen Agenten bastelt so die herrschende Klasse eigens an ihrem propagierten hufeisenförmigen Weltbild: Eine „große vernünftige Mitte“, die gegen die bösen, weil gewaltbereiten kleinen Ränder rechts und links kämpft. Nur merkt nicht jeder, dass allein die Beschreibung „vernünftig“ ziemlich nichtssagend, ja geradezu schwachsinnig ist. Denn darunter kann man praktisch alles einordnen, was den Herrschenden gerade passt: Befürwortung unsinnigster Coronamaßnahmen, Hass auf Russen oder völlig aus dem Ruder laufende, realitätsfremde Energiepolitik zum Beispiel.
Die damit einhergehende Gleichsetzung der politischen Begriffe links und rechts und das diesbezügliche Stiften von Verwirrung ist sicherlich ein Ziel der Propaganda.
Dabei ist es einfach, die Adjektive nach ihrer politischen Ursprungsbedeutung korrekt auseinanderzuhalten: Links sein bedeutet demnach, für Gleichwertigkeit aller Menschen und gegen Herrschaft von Menschen über Menschen einzutreten. Rechts sein heißt, alte Klassenhierarchien aufrechterhalten zu wollen. Danach gewichtet, kann man nur konstatieren: Nicht immer ist drin, was auf der Verpackung steht.
Und mal ehrlich: Wer oder was genau soll eigentlich diese „vernünftige Mitte“ sein? Alle, die einfach nur mitlaufen, niemals aufmucken und das Denken weitgehend verweigern? Menschen, die zu keinem Thema irgendeine politische Meinung haben? Oder ist die selbsternannte „Mitte“ vielleicht doch gar nicht so gut und vernünftig, wie sie von sich glaubt? Ist sie womöglich selbst „extremistisch“, wenn es darum geht, Unliebsame zu unterdrücken und zu diskreditieren? Genau das ist schließlich die Aufgabe diverser Randalierer und sonstiger Provokateure von Staatswegen — wie letztes Wochenende in Connewitz.