Stirb langsam!

Wie britische und amerikanische Behörden mit Julian Assange umspringen, lässt nur eine Schlussfolgerung zu — sie wollen seinen Tod.

Julian Assange erlitt im Oktober einen leichten Schlaganfall. Es geschah während der Anhörung zur Berufung der USA gegen die Entscheidung eines britischen Gerichts in seinem Auslieferungsverfahren. „Der 50-jährige WikiLeaks-Herausgeber, der in einem Hochsicherheitsgefängnis in Untersuchungshaft sitzt, während er gegen seine Auslieferung an die USA kämpft, hatte ein hängendes rechtes Augenlid, Gedächtnisprobleme und Anzeichen von neurologischen Schäden“, berichtet die Daily Mail (1). „Er glaubt, dass der leichte Schlaganfall durch den Stress des laufenden US-Gerichtsverfahrens gegen ihn und durch eine allgemeine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes ausgelöst wurde, während er wohl zum dritten Mal in Folge Weihnachten hinter Gittern verbringen muss.“

„Assange wurde von einem Arzt untersucht, der eine verzögerte Pupillenreaktion feststellte, als ein Auge angestrahlt wurde — ein Zeichen für eine mögliche Nervenschädigung“, heißt es in dem Artikel.

„Julian geht es nicht gut, und ich befürchte, dass dieser leichte Schlaganfall der Vorbote eines heftigeren Anfalls sein könnte. Es verstärkt unsere Befürchtungen zu seinen Überlebenschancen, je länger dieser Rechtsstreit andauert“, sagte Assanges Verlobte Stella Moris der Daily Mail.

„Der Schlaganfall von Assange ist keine Überraschung“, twitterte der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, als Reaktion auf die Nachricht. „Wie wir nach einer Untersuchung gewarnt haben, war absehbar, dass seine Gesundheit in eine lebensbedrohliche Abwärtsspirale gerät, wenn er nicht von dem ständigen Druck der Isolation, Willkür und Verfolgung befreit wird.“

Melzer untersuchte Assange 2019 zusammen mit medizinischen Experten und veröffentlichte in Zusammenarbeit mit dem Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der Vereinten Nationen einen Bericht, in dem es hieß: „Herr Assange zeigte alle Symptome, die typisch sind für langanhaltende psychologische Folter, einschließlich extremen Stresses, chronischer Angstzustände und intensiver psychologischer Traumata.“

Im darauffolgenden Jahr drückte Melzer es noch deutlicher aus, indem er schrieb, dass „Julian Assange die typischen Symptome psychologischer Folter zeigt. Wenn er nicht bald Schutz erhält, ist eine rasche Verschlechterung seines Gesundheitszustands wahrscheinlich, und der Tod könnte eine der Folgen sein.“

Im Oktober dieses Jahres drückte sich Melzer noch eine Stufe deutlicher aus: „Sollte er im Gefängnis sterben, ist er tatsächlich zu Tode gefoltert worden. Das ist die Realität. Und ich übertreibe nicht. Ich habe in Kriegsgebieten gearbeitet. Ich habe lange Zeit Gefangene besucht. Ich habe Julian Assange besucht und hatte zwei spezialisierte Gerichtsmediziner und einen Psychiater dabei, die ihn vier Stunden lang untersuchten, und wir alle kamen unabhängig voneinander zu diesen Schlussfolgerungen. Zu diesem Zeitpunkt war sein Leben in Gefahr. Und ein paar Tage nachdem wir das Gefängnis verlassen hatten, hat sich sein Zustand tatsächlich verschlechtert.“

Sie bringen Julian Assange um. Experten sind sich einig, dass sie ihn umbringen. Assanges Schlaganfall ist nur ein weiteres Element auf dem Berg von Beweisen, die wir bereits dafür hatten.

Die US-Machtallianz ermordet einen Journalisten, so sicher wie das saudische Regime den Washington Post-Kolumnisten Jamal Khashoggi ermordet hat. Der einzige Unterschied besteht darin, dass Khashoggi sehr rasch durch die Zerstückelung bei lebendigem Leibe mit einer Knochensäge getötet wurde, während Assange langsam durch die Strafverfolgung getötet wird.

Der Auslieferungsfall Assange ist nur die westliche Version der Knochensägenbehandlung. Sie ist nicht weniger barbarisch, grausam, bösartig und tyrannisch; sie ist nur medienfreundlicher und besser geeignet für den Nice-Guy-Faschismus der westlichen Zweige des weltumspannenden Imperiums, das unsere Welt beherrscht. Die Regierungen der USA, Großbritanniens und Australiens hacken Assange in ihrer koordinierten Kampagne zu seiner Vernichtung nicht in Stücke, aber sie könnten es genauso gut tun.

Die Welt ist vor Entsetzen zurückgeschreckt, als sie von Khashoggis grausamem Ende erfuhr, und es wird nicht lange dauern, bis die Welt in gleicher Weise vor dem zurückschreckt, was man Assange angetan hat. Unsere Gesellschaft wird sensibler für so etwas; wir schämen uns bereits für Dinge, die wir noch vor ein paar Jahren für in Ordnung hielten.

Wir wissen jetzt, dass Männer wie Harvey Weinstein Raubtiere sind und dass die Hollywood-Sternchen, die man früher dafür kritisierte, dass sie sich „nach oben geschlafen“ haben, in Wirklichkeit Opfer von Übergriffen waren. Wir wissen jetzt, dass es falsch war, Witze über die Praktikantin zu machen, die Bill Clinton sexuell missbraucht hat. Wir wissen jetzt, dass es falsch ist, Menschen ein schlechtes Gewissen wegen ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer sexuellen Identität zu machen. Viele Filme, die vor zehn oder fünfzehn Jahren gedreht wurden, erzeugen heute beim Anschauen ein unangenehmes Gefühl, weil sie sich der Machtdynamik, die wir heute viel deutlicher sehen, nicht bewusst waren.

Und unabhängig davon, ob Assange diesen Mordversuch in Zeitlupe überlebt oder nicht, wird es nicht lange dauern, bis die Gesellschaft vollständig versteht, dass ihre Regierung und ihre Verbündeten sich aktiv verschworen haben, um einen Journalisten zu ermorden, weil er die Wahrheit gesagt hat.


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien am 12. Dezember 2021 unter dem Titel „They‘re killing him“ auf caitlinjohnstone.com. Er wurde von Max Stadler vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratteam lektoriert.


Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.dailymail.co.uk/news/article-10300037/Julian-Assange-stroke-Belmarsh-prison-Fianc-e-blames-extreme-stress.html