Stimmen des Widerstandes

Weiterhin demonstrieren Tausende an vielen Orten gegen die Corona-Politik, so auch in der Hauptstadt — Rubikon sprach mit ihnen. Teil 5.

Am 18. November 2020 kamen viele Tausende aus der ganzen Republik nach Berlin, um gegen das an dem Tag verabschiedete „Bevölkerungsschutzgesetz“ zu demonstrieren. Sie machten in der Nähe des Bundestages und der Gebäude mit den Abgeordnetenbüros lautstark auf sich aufmerksam. Auf mehreren Demonstrationen und Versammlungen erklärten Menschen aus allen Schichten der Bevölkerung, warum sie das neue Gesetz als „Ermächtigungsgesetz“ ansehen. Die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten ließ sich davon nicht beeindrucken und verabschiedete das im Eilverfahren durchgewunkene Gesetz. Die Kritiker werden nicht verstummen und sich weiter gegen den Abbau der Demokratie und ihrer Rechte im Namen des Gesundheitsschutzes wenden.

„Das ist ein Ermächtigungsgesetz“, empörte sich Liane Gerstel aus Gifhorn in Niedersachsen am 18. November 2020 in Berlin. „Das darf nicht sein, dass wir so in unseren Grundrechten beschnitten werden.“ Sie stand mit anderen auf der Marschallbrücke in der Hauptstadt, gleich neben dem Jakob-Kaiser-Haus des Bundestages, in dem zahlreiche Abgeordnete ihre Büros haben. Zusammen mit vielen Tausenden aus sämtlichen Regionen der Bundesrepublik demonstrierte die freie Dozentin für Ernährungskunde gegen das an dem Tag von Bundestag und Bundesrat verabschiedete sowie von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unterschriebene „Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“.

Wenn die Impfflicht mit dem neuen Gesetz komme, sollen sich die verantwortlichen Politiker zuerst impfen lassen, forderte Liane Gerstel. „Die sollen ihre Nebenwirkungen in ihre schöne App eintragen.“ Für sie handelt es sich bei der auf den unzuverlässigen PCR-Tests gestützten Anti-Corona-Politik um „Lug und Betrug“. Ihre Motive, mit zu demonstrieren, beschrieb sie so:

„Ich will unsere Kinder schützen. Ich will nicht, dass wir geimpft werden. Und ich will nicht, dass das Grundgesetz geändert wird.“

„Schon einmal durchgemacht“

Die freie Dozentin berichtete, dass sie seit März keine Aufträge habe, weil sie die Maskenpflicht ablehne. „Ich bin das erste Mal in meinem Leben auf einer Demo“, gestand die vor 50 Jahren in der DDR geborene und aufgewachsene Frau. „Leider habe auch ich viel zu lange geschlafen. Erst als mir die Schulen sagten, ich sollte gegenüber meinen Zuhörenden die Maskenpflicht durchsetzen, bin ich aufgewacht.“ Ihre Kinder würden die Maske nicht tragen wollen, weil sie davon Ausschläge bekommen. Als „Verweigerer“ würden sie in ihrer Schule gemobbt, berichtete Liane Gerstel.

Was sie derzeit erlebe, komme ihr sehr bekannt vor, sagte sie mit Blick auf die DDR 1989. „Ich habe das alles schon einmal durchgemacht.“ Doch damals habe sie erst sehr spät erkannt, was vor sich geht. Ihre Schlussfolgerung: „Ich war schon einmal zu spät. Ich will nicht wieder zu spät sein. Ich will jetzt kämpfen.“ Sie kündigte an, Strafanzeige gegen die Schulleitung zu stellen, die ihre Kinder zum Maskentragen nötigen.

Ihr Mann Stefan hatte sie nach Berlin begleitet. Im Gespräch erinnerte er daran, dass das Grundgesetz der Bundesrepublik 1949 aus der Erfahrung mit dem Faschismus heraus entstand. Es sollte nach dem Willen seiner „Väter“ mit dafür sorgen, dass sich so etwas nie wiederholt. Wenn nun Politiker in der Regierung das Grundgesetz aushebeln wollten, „dann müssen alle auf die Straße gehen“, stellte er klar. Für ihn handelt es sich um „verbrecherische Machenschaften“ von „Leuten, die keine Ahnung haben, was sie damit auslösen“. Er fügte hinzu:

„Noch schlimmer wäre, wenn sie Ahnung hätten, was sie damit auslösen, dann wäre das Vorsatz. Dann gehören die hinter Gitter.“

„Wir alle sind umarmbar“

Silke Langmacker aus Berlin verteilte auf der Marschallbrücke unter den Teilnehmenden Buttons mit der klaren Aussage „Umarmbar“. Die Steuerberaterin und Wirtschaftsprüferin mit eigener Kanzlei ist seit April in einer Gruppe aktiv, als die ersten Protestdemonstrationen auf dem Berliner Rosa-Luxemburg-Platz begannen. Seit Anfang August beteiligt sie sich in der „Love wins“-Gruppe, die alle zwei Wochen Autokorsos in der Hauptstadt organisiert, berichtete sie mir. Aber auch in Konstanz und Stuttgart seien sie schon gewesen: „Überall, wo man sich dagegen aussprechen kann, sind wir dabei.“

Sie habe die Button-Idee aus Stuttgart mitgebracht und habe 3.000 Stück davon anfertigen lassen. Die verteilte sie an dem Tag unter den Demonstrierenden:

„Wir sind alle umarmbar, und gerade in dieser Zeit.“

Sie wünschte sich, dass das neue Infektionsschutzgesetz mit seinen fragwürdigen Paragraphen 28 und 36 nicht verabschiedet würde. Und sie hofft: „Dass es wieder eine Normalität gibt. Dass wir begreifen, dass Corona eine Grippe ist. Es kann eine Lungenentzündung geben, aber es ist keine Krebs-Diagnose. Es ist nichts Lebensbedrohliches. Es ist kein Killer-Virus.“

Das gesellschaftliche Leben muss aus ihrer Sicht wieder in die Normalität zurückgeführt werden. Und es sei notwendig, „dass die Politik merkt, dass sie sich von der Pharmaindustrie hat einkaufen lassen“. An den PCR-Tests würden nur die Pharmaunternehmen verdienen, ebenso an der Impfforschung und den angekündigten Impfstoffen. „Das Allerschlimmste wäre wirklich, wenn jetzt ein Impfzwang kommen würde“, sagte sie.

„Wir werden entmündigt“

Auf die Frage, ob sie als Selbständige nicht Probleme befürchte, weil sie sich engagiere, antwortete sie:

„Wir werden hinterher viel größere Probleme bekommen, wenn wir uns jetzt nicht wehren und uns mit der Wahrheit auseinandersetzen. Wir sind alle aus der Mittelschicht der Gesellschaft. Wir sind das Rückgrat dieses Landes. Hier sind fast nur Menschen meiner Generation zwischen 40 und 60, ein paar Jüngere. Wir sind die Leistungsträger dieser Gesellschaft. Wir haben dieses Land vorwärts gebracht. Wir müssen Gehör finden.“

Ihm mache Angst, was in der Gesellschaft geschieht, begründete der 22-jährige Silvan, warum er auf der Brücke mit demonstrierte. Es werde nicht offen über das geredet, was passiert. Er kommt aus Ludwigshafen und ist nach seinen Angaben vor kurzem nach Leipzig gezogen. Dort hat er eine Ausbildung zum Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung begonnen.

„Ich habe Angst vor der Entwicklung, die wir durchmachen, vor dem, was passiert. Viele sehen das nicht. Aber natürlich passiert das nicht alles auf einmal. Es passiert in kleinen Schritten. Man muss weitsichtig sein und gucken, wohin sich das Ganze entwickelt.“

Er kritisiert die Entmündigung der Bevölkerung durch das neue Gesetz.

„Ich habe nicht mehr die Möglichkeit, über meine eigene Gesundheit zu entscheiden. Es entscheiden andere Menschen, was mir gut tut. Und wenn ich das nicht als gut empfinde oder merke, das tut mir nicht gut, habe ich nicht mehr das Recht, es nicht zu tun. Es wird mir aufgezwungen.“

Silvan ist zwei Wochen zuvor das erste Mal zu einer Demonstration gegen die Corona-Politik gegangen, wie er sagte. Aber er beobachte das Geschehen seit Jahresanfang kritisch. Für ihn geht es nicht nur um das, was in diesem Jahr geschieht, sondern was schon länger passiert. Er erlebe mit, wie seiner Mutter von den Behörden ständig Steine in den Weg gelegt würden, weil sie versuche, als Selbstversorgerin aus den Mechanismen des Kapitalismus auszusteigen.

„Irgendwann ist es zu spät“

Normalerweise sei sie keine Demonstrantin, erklärte mir die 25-jährige Sarah, die mit ihrer dunklen Hautfarbe und ihren Haaren unter den Menschen auf der Brücke auffiel, aber dennoch nicht allein war. Sie organisiert laut ihrer Aussage in der bayrischen Hauptstadt jeden Montag die dortigen Meditationsdemos mit. „Ich bin kein Demo-Mensch, der mit einem Schild da steht und schreit. Ich meditiere und bin mit meiner inneren Welt beschäftigt.“

Sie glaube, dass solche Demonstrationen normalerweise zwar ein Ventil für die Wut der Menschen seien, aber nichts bewirken würden. Seit dem 1. August dieses Jahres sei ihr aber klar, dass sie auch zu den großen Demos gehen muss. Das ist für sie notwendig, weil die Entwicklung aus ihrer Sicht in eine falsche Richtung geht. Das merkt sie daran, wie sie behandelt wird, weil sie keine Maske tragen kann und ein Attest dafür hat, sagte sie. Die Menschen würden durch die Massenmedien aufgehetzt.

Sie protestiere im Alltag, indem sie keine Maske trage und Menschen über die entsprechenden Ausnahmen aufkläre, die sie darauf ansprechen. Viele wüssten nicht, dass es Ausnahmen von der Maskenpflicht gibt.

„Man muss Menschen informieren. Solange ich mitgehen kann, solange ich mein Gesicht zeigen kann, werde ich das machen — denn irgendwann wird es ja zu spät.“

Mit der Maskenpflicht werden die Menschen belogen, ist sie sich sicher. „Wenn man im Herzen weiß, was nicht die Wahrheit ist, dann kann man das nicht ausleben. Sobald man das aber macht, stirbt man langsam. Das ist der langsame Tod.“ Sie habe keine Angst vor dem angeblichen Killer-Virus.

„Wichtig ist das Immunsystem. Gesundheit fängt von innen an.“

Ihr helfe dabei vor allem Yoga und Meditation, erklärte sie. Sie gehe auch im Winter in kaltes Wasser, um ihr Immunsystem zu stärken, fügte sie hinzu.

„Das sind keine Nazis“

Sarah kam mit neun Freunden aus München nach Berlin. Sie stammt eigentlich aus den Südstaaten der USA und lebt seit 2016 in Deutschland, wie sie mir erzählte. Sie widersprach denen, die behaupten, die Demonstrationen und Kundgebungen gegen die Anti-Corona-Politik würden vor allem von Rechtsextremen und Neonazis beherrscht. Mit ihrer Herkunft sei sie sensibel für so etwas und wisse, was Rassisten sind. Doch sie habe in Deutschland erlebt, dass der Begriff „Nazi“ strategisch als Schimpfwort benutzt werde, um Kritiker zu diffamieren.

Sie habe auf den Demonstrationen, an denen sie sich bisher beteiligte, selbst keine Faschisten erlebt.

„Ich habe die Reichsbürger mit ihren Flaggen angesprochen, weil mir gesagt worden ist, dass sie Nazis sind. Ich habe ein bisschen Angst gehabt. Ich habe so einen hinter mir angesprochen. Und ich muss ehrlich sagen: Das sind keine Nazis, auch wenn die wie Nazis aussehen. Ich kann die ansprechen.“

Sie erkenne als dunkelhäutige Frau aus dem Süden der USA Rassisten, betonte Sarah. Die Vorwürfe gegen die Mehrheit der Demonstranten, sie seien Rechtsextreme, seien Propaganda. Das habe sie nicht für möglich gehalten.

„Nicht einmal in der DDR“

Zu den wenigen Künstlern, die am 18. November in Berlin mit auf die Straße gingen, gehörte der Schauspieler Ronald Kuste. Ich traf ihn unter jenen, die auf dem Platz des 18. März am Brandenburger Tor demonstrierten und von Wasserwerfern und Polizisten in Kampfmontur von der Straße geräumt wurden, während im Bundestag das Gesetz beschlossen wurde. Der 58-jährige stammt aus der Sächsischen Schweiz und war nach seinen Worten bereits am 1. August dieses Jahres bei der großen Demonstration in Berlin dabei. Auch in Dresden und in Leipzig hat er mit demonstriert.

In der sächsischen Messestadt habe er unter den Demonstranten einen Polizisten aus Hannover in Zivil kennengelernt, der extra angereist war, um mit zu protestieren. Dieser Polizeibeamte habe die jungen Bereitschaftspolizisten in ihren Kampfuniformen angesprochen und versucht, mit ihnen zu reden. Für Kuste war das ein Zeichen, wie weit der Protest gegen die Entwicklung in die Gesellschaft hineinreicht.

„Die Leute wissen zu wenig“, bedauerte der Schauspieler, „beziehungsweise, sie interessieren sich nicht dafür, was mit ihnen geschieht. Das Infektionsschutzgesetz schreibt der Regierung einen Blankoscheck aus. Es wird hin- und her gelogen. Das gab es ja nicht einmal in der DDR. Da hatten wir zwar eine Pro-forma-Volkskammer, aber so dreist haben die uns nicht belogen.“

„Wir sind nicht allein“

Mit dem Gesetz könne der Lockdown „bis ins Unendliche“ verlängert werden – „und deswegen sind die Menschen hier“, fügte er hinzu. Sie kämen aus den unterschiedlichsten Schichten der Bevölkerung. Auf die Vorwürfe, dass vor allem Rechte und Rechtsextremisten demonstrieren würden, reagierte er mit Kopfschütteln. „So dreist gelogen wurde nicht mal in der DDR“, wiederholte Kuste.

„Es ist so schade, dass immer noch so viele Menschen wegschauen. Es geht um ihre Enkel.“

Für ihn ist das, was Menschen wie der Gründer des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos, Klaus Schwab, als „Great Reset“ ankündigten, bedrohlich. „Was auf uns zukommen könnte, wenn wir es nicht aufhalten, ist so monströs und groß, dass es sich gar nicht aussprechen lässt, was die planen. Jeder kann es in dem Buch von Klaus Schwab nachlesen.“

Für den Schauspieler ist die jetzige Entwicklung nicht mehr mit der von 1989 in der DDR vergleichbar. Damals sei er als 27-jähriger in Magdeburg mit auf die Straße gegangen.

„Vielleicht war 1989 nur der Anfang. Und die 30 Jahre in Freiheit waren eine kurze Zeit, die man uns gegeben hat. Aber wenn Du Dir die Bilder anguckst, in Dänemark, in Frankreich, in Italien und anderswo, da gehen die Leute auf die Straße und sagen: ‚Das ist Krieg, was ihr mit uns macht. Ihr nehmt uns alles weg.‘ Das sind ganz normale Leute.“

Es geschehe weltweit etwas und die Proteste in der Bundesrepublik seien nicht die einzigen, betonte Kuste.

„Wir sind nicht allein. Das müssen wir nicht nur glauben — das müssen wir einfach wissen. Und die anderen müssen von uns wissen, dass es uns gibt.“

Die Berichte über die Proteste in Deutschland würden wieder den Menschen in anderen Ländern helfen. Nach unserem Gespräch am Rand mischte er sich wieder unter die Demonstranten, die sich weigerten, ihren Protest zu beenden, nur weil die Polizei via Lautsprecher dazu aufforderte und mit Wasserwerfern drohte.


Stimmen des Widerstands, Teil 1
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