Springer über den Rubikon
Die Rubikon-Jugendredaktion wechselt zur Bundeswehr.
Fast ein Jahr existiert die Rubikon-Jugendredaktion nun schon. Zu Anfang nur ein bunter Haufen von jungen Menschen, die etwas in der Welt verändern wollten, verstärkten sich bereits nach wenigen Monaten die Zeichen, dass Rubikon zwar keine eingebrachten Meinungen zensiert, aber sie vorsätzlich steuert. So werden Beiträge, die sich kritisch mit Verschwörungstheorien auseinandersetzten, gar nicht erst ans Korrektorat weitergeleitet und auf diese Weise aussortiert. Aufgrund dieser Einsichten beschlossen zwei Jugendredakteure, das Team zu verlassen und, nach einiger Zeit der ideologischen Genesung, ihre journalistische Kreativität in den Dienst einer seriöseren Zeitschrift zu stellen. Madita Hampe und Felix Feistel packen aus! Exklusivabdruck aus der BILD-Zeitung.
„Alles begann auf der Autorenkonferenz“, erklärt Felix Feistel, der namentlich eigentlich nicht genannt werden will. „Wir ahnten nichts Böses, doch als unser Chefredakteur Jens W. (intern bekannt als Rubikon-Diktator, Anm. d. Red.) anfing, öffentlich über die Verschwörung der Reptiloiden zu sinnieren und eine engagierte Diskussion entbrannte, ob die Erde nun hohl oder flach sei (oder gar beides?), wurde mir etwas mulmig zumute. Als der größte Teil des Rubikon-Teams am abendlichen Lagerfeuer dem ausgiebigen Drogenkonsum frönte, vertraute ich mich meiner Mitjugendredakteurin Madita Hampe an. Da sie erst 16 ist, hatte ich die Hoffnung, dass die politische Indoktrination des Rubikon bei ihr noch nicht so weit fortgeschritten ist und sie sich einen kritischeren Blick bewahrt hat.“
„Auch ich kam ins Grübeln“, vertraut uns Madita, die wir in einem Café in der Axel-Springer-Straße in Berlin treffen, an. „Besonders bitter stieß mir auf, dass uns bei unserem Zusammentreffen in Weitersroda Formen der Mangelernährung aufgezwungen wurden. Nicht nur auf Glutamat mussten wir verzichten, das Essen war sogar vegan! Das ist doch typisch Verschwörungsideologie: Böse Lebensmittelindustrie!“ Doch erst wenige Tage später, als die beiden auf ein Aufklärungsprojekt der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) namens „Wahre Welle tv“ stießen, begannen sie die Perversionen der neurechten Friedensbewegung zu durchschauen.
„Das war erst einmal wie ein schwarzes Loch für uns“, sagten die beiden. „Wir hatten so viel ideologische Energie in den Rubikon investiert.“ Schließlich entschieden sie sich, ihre Kreativität in den Dienst des wahren Friedens zu stellen. Aufmerksam geworden durch eine Videoserie auf der Internetplattform YouTube, entschieden sie sich für ein unbezahltes Praktikum bei der Bundeswehr.
„Wir waren direkt begeistert von der Wichtigkeit der Aufgabe, die uns hier vertrauensvoll übertragen wurde. Da die Bundeswehr personell suboptimal aufgestellt ist, durften wir die Konzeption der vierten Webserie ‚Die Springer‘ übernehmen.“ Diese zeigt junge, motivierte Soldaten auf ihrem entbehrungsreichen Weg zum Berufstraum des adrenalinhungrigen Fallschirmspringers. Ausgiebig wird jeder Ausbildungsschritt mit der Kamera begleitet, flankiert von Homestories, welche die persönliche Geschichte der Hauptfiguren vertiefen.
„Erst da wurde mir klar, wie sehr der Konsum von alternativen Medien in den letzten Jahren mein Gehirn hat verkümmern lassen“, erklärt Madita. „Der einzige Fallschirmspringer, den ich zuvor kannte, war Ken J. (der Redaktion bekannt als „Moustafa Kashefi“, Anm. d. Red.). Das ist einer der Opinionleader der Verschwörungsszene. Was der sagt, quatschen alle nach. Das ist der Grund, warum eine der von uns kreierten Hauptfiguren ‚Obergefreiter Ken‘ heißt.“
„Etwas anderes ist uns einfach nicht eingefallen“, pflichtet Felix bei, während er in seinem laktosefreien Chai-Latte für 4,50 Euro rührt. „Natürlich haben wir noch ein paar andere Figuren kreiert. Von denen haben wir dann Homestories geschrieben, in denen sie behaupten, Motorrad fahren zu können oder gerne wandern zu gehen.“
„Zur Vorbereitung beschäftigten wir uns mit dem Ablauf einer Fallschirmspringer-Ausbildung. Wir waren sogar zweimal (auf Kosten des Verteidigungsministeriums) beim Paragliding“, erklärt Madita. „Naja, und dann hatten wir halt nicht mehr so viel Geld für die Produktion. Für die Kameraführung waren wir dann ebenfalls auf unbezahlte Praktikanten angewiesen, die an der Filmhochschule abgelehnt wurden. Zum Glück litt darunter die Qualität kein bisschen. Ich meine, einige unserer Kollegen kritisierten die Serie zwar als etwas unrealistisch, weil nahezu kein Soldat, der zur Bundeswehr geht, Fallschirmspringen lernt, und man mit den veralteten Modellen nicht einmal steuern kann – aber wir brauchten eben ein bisschen Spannung.“
„Am Ende waren wir mit unserem Drehbuch ganz zufrieden. Doch als wir es unseren Vorgesetzten vorlegten, schärften sie uns noch einmal ein, worum es wirklich geht: um den Frieden in der Welt. Und dieses Ziel will hart erkämpft werden – das Drehbuch benötigte daher mehr Drill“, erklärt Felix. Die beiden schrieben das Konzept also noch einmal komplett um. Aus vergnüglichem Abenteuerurlaub wurde knallharte Militärakademie.
Und das Ergebnis kann sich sehen lassen: Wagemutige Sprünge in den Sandkasten, philosophische Interviews in den Stuben und echte Spannung. Denn bereits in Folge 4, „Der Turm“, fließt das erste Blut. Leider nur in leichte Blutergüsse. Es ist dennoch eine beachtliche Leistung, mit welcher Kreativität und Akribie diese ehemaligen Verschwörungsblog-Autoren die emotionale Situation und Entwicklung der Soldaten porträtiert haben.
Es ist natürlich auch marketingtechnisch ein gelungenes Glanzstück, richtet es sich doch an das menschliche Verlangen nach Abenteuer und Adrenalin. „Wir sind im Gespräch für den nächsten Grimmepreis“, tönt Felix ganz bescheiden und nickt selbstzufrieden vor sich hin. Doch ein Problem blieb, als die Serie schon im Kasten war: das passende Logo!
Nachdem sich die beiden Video-Künstler wochenlang mit Wirtschaftspsychologie und Marketing auseinandergesetzt hatten, kam ihnen die Idee: eine Eiswaffel. „Es war genial. Das Eis sieht nicht nur aus wie ein Fallschirm, sondern suggeriert auch noch die süße Verführung, durch Drill echte Abenteuer zu genießen. Natürlich schickten wir auch unserem ehemaligen Chef Jens W., der sich noch immer als Alleinherrscher sieht, eine Kopie unseres vollendeten Werkes. Eine Antwort blieb aber bis heute aus.“ Damit verdiene er sich die Auszeichnung als Verlierer des Tages. BILD meint: peinlich!
Das großartige Kunstwerk der Bundeswehr ist weiterhin im Netz zu sehen. Während Madita Hampe nun als Sekretärin bei der Bundeswehr arbeitet, absolviert Felix Feistel ein weiteres unbezahltes Praktikum bei der Amadeu Antonio Stiftung, wo er bereits sein nächstes Projekt in Angriff nimmt.
Das Gespräch führte Kai D. (Name von der Redaktion geändert).
Quellen und Anmerkungen:
Die BILD braucht keine Quellen!