Sprache als Spaltpilz
Das Gendern bringt für unseren Umgang miteinander mehr Probleme als Segen — nicht zuletzt erschafft es neue Formen der Diskriminierung.
In der heutigen Gesellschaft sollen wir stets inklusiv sein und alle Minderheiten gleichermaßen berücksichtigen. Es wird erklärt, dass Gendern weibliche und diverse Menschen in einer ansonsten männlich fokussierten Sprache sichtbar macht. Stimmt das? Das Gendern spaltet die Gesellschaft in eine progressive „In-Group“ und eine altmodische „Out-Group“, welcher unlautere Absichten unterstellt werden. Es macht Sprache unnötig kompliziert und weist gravierende Logikmängel auf. Bei näherem Hinsehen birgt das woke Neusprech so viele Stolperfallen, dass wir uns überlegen müssen, ob wir mit der „guten alten“ Sprachregelung nicht besser fahren.
Eine kritische Betrachtung des Genderns — Hintergrund zur Thematik
Begriffe wie Bürger, Schüler, Lehrer beschreiben jeweils einen Menschen, der einer bestimmten Personengruppe zugehörig ist oder einer Tätigkeit nachgeht: Er ist ein Mensch, der etwas lernt (Schüler) oder einer, der etwas vermittelt (Lehrer), oder Teil einer Gemeinschaft ist und für diese bürgt (Bürger). Diese Form von Sprache — inklusive ihrer grammatikalischen Deklinationsformen — hat sich über viele Jahrhunderte im deutschsprachigen Raum etabliert und wird als generisches Maskulinum bezeichnet. Nun wird zunehmend von einigen Gruppierungen in der Bevölkerung die verbindliche Einführung und Etablierung des Genderns im allgemeinen Sprachgebrauch gefordert.
Ich persönlich lehne das Gendern ab. Die Gründe hierfür sind folgende.
Spaltung der Gesellschaft
Das sprachliche Gendern führt zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft, zum Beispiel der Zielgruppen selbst: Eine vormals einheitliche Gruppe von Menschen mit inhaltlichem Bezug — Lehrer, Schüler, Bürger — wird über das Gendern generell in zwei Teile geteilt: männlich und weiblich. Und zwar auch in Zusammenhängen, in denen das Geschlecht keine Rolle für die Tätigkeit/Funktion der Menschen darstellt.
Wenn beide Geschlechtsgruppen adressiert werden — zum Beispiel die Lehrer und Lehrerinnen — werden alle Menschen, die sich nicht einem dieser beiden Geschlechter zugehörig fühlen, über diese Sprachregelung ganz ausgeschlossen.
Von Befürwortern des Genderns wird oft erklärt, dass Menschen, die nicht gendern, dies aufgrund einer sexistischen Haltung tun. Es wird also dem Sender einer Botschaft etwas unterstellt, was wohl im Regelfall nicht überprüft wird und wohl meist auch gar nicht zutrifft. Diese Haltung führt zu einer Unterteilung der Bevölkerung in zwei Lager: 1. „politisch korrekte“ Menschen und 2. „demokratiefeindliche“ Sexisten.
Gendern greift auch in unsere Gedanken- und Gefühlswelt ein. Wenn ständig eine Spaltung von Gruppen sprachlich ausgedrückt wird, erlebt mindestens mein Gehirn diese Separierung als real und ich kann „innerlich“ eine Gruppe nicht mehr gut als Einheit wahrnehmen: „Meine Schulfreunde“, „meine Lehrer“, „meine Kollegen“ werden in meiner Wahrnehmung ambivalent und nicht mehr als eine gefestigte Einheit erlebt, das heißt, es entsteht eine kognitive Dissonanz.
Reduzierung auf das Geschlecht und Schlechterstellung beider Geschlechter
Warum das Geschlecht bei den meisten Berufs- oder Zugehörigkeitsbezeichnungen nun ein besonderes Merkmal sein soll, welches hervorgehoben werden muss, ist nicht ersichtlich. Weitere Aspekte, die einen Menschen ausmachen — Leistung, Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft, Familienstand, Körpermerkmale wie zum Beispiel Größe, Gewicht, Augen- und Hautfarbe — werden sprachlich nicht aufgegriffen beziehungsweise nur dann, wenn diese Merkmale eine für die Situation relevante Bedeutung haben. Beispiele: „Für das Klassenfoto stellen sich alle großen Schüler in die hintere Reihe“ oder „Konfessionslose Bürger können am Sonntag ausschlafen, Bürger mit katholischem Glauben besuchen an diesem Tag die Kirche“.
Sowohl Männer als auch Frauen werden über die Nennung beider Geschlechter schlechter gestellt, da die Bezugsgruppe künstlich verkleinert wird: „Er ist der beste Schüler der Klasse“ oder „Sie ist die schnellste Läuferin des Sportvereins“ kann nun bedeuten, dass der Junge nur der Beste der männlichen Kinder und die Frau nur die Schnellste aller Frauen ist.
In beiden Fällen ist die Beurteilung weniger wertig, wenn die tatsächliche Bezugsgröße Menschen beider Geschlechter beinhaltet.
Keine offizielle deutsche Sprache
Es gibt weder auf Landes- und Bundesebene ein Gesetz zu einer Gender-Pflicht. Genderzeichen wie „:innen, Stern“ und andere Sonderzeichen im Wortinneren sind auch nicht Teil der etablierten deutschen Sprache. Eine definierte Bedeutung und verbindliche Nutzung ist nicht gegeben.
In den Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt, Hessen und Bayern wurde die Nutzung solcher Sprachveränderungen in Bildungseinrichtungen und behördlichen Strukturen in den vergangenen Monaten explizit von den jeweiligen Landesregierungen verboten. Die Nutzung von Genderzeichen ist für mich persönlich nicht akzeptabel, und ich will auch nicht, dass meine Kinder in der Schule oder mithilfe von öffentlichen Medien und Werbung diese Form der Sprachveränderung erlernen.
Das Gendern ist auch anerkanntermaßen keine einfache Sprache, und aus genau diesem Grund gilt die Regel: Sonderzeichen dürfen in Leichter Sprache nicht verwendet werden, da sie die Texte zu schwer verständlich machen. Das Onlineforum „inklusiv“ erklärt:
„Zugunsten der Lesbarkeit sollte in Leichte-Sprache-Texten auf das Gendern verzichtet werden, da es den Text nur unnötig erschwert und letztendlich die eigentliche Zielgruppe ausschließt.“
Für Nachrichten in Leichter Sprache nutzen öffentlich-rechtliche Medien, wie zum Beispiel die ARD am 13. Juni 2024, wieder das generische Maskulinum. Zitat: „BAföG: mehr Geld für Schüler und Studenten“. Wir erhalten — neben inhaltlichen Unterschieden — nun also auch zwei unterschiedliche Angebote in Bezug auf eine Ausgestaltung der deutschen Sprache.
Sprachliche Verwirrung
Generell sollte bekannt sein, dass das grammatische Geschlecht nicht gleich dem biologischen Geschlecht ist. Beispiele:
- „Das Kind, das Mitglied, das Opfer“ ist nicht geschlechtslos, nur weil es den Artikel „das“ erhält.
- „Die Person“ ist nicht nur weiblich.
- Bezeichnungen von Personengruppen beziehen sich im Singular nicht nur auf männliche und im Plural nur auf weibliche Menschen: der Lehrer — die Lehrer, der Schüler — die Schüler, der Bäcker — die Bäcker.
- Zusammengesetzte — und den deutschen Sprachschatz bereichernde — Wörter wie „die Schnapsnase“ oder „die Dumpfbacke“ beziehen sich auf Menschen beider biologischen Geschlechter.
- Für Sternzeichen gilt: Der „Wassermann“ repräsentiert nicht nur männliche und die „Jungfrau“ auch nicht nur weibliche Menschen.
In der Tier- und Pflanzenwelt nutzen wir alle drei Artikel, und es gilt:
- Der Vogel ist nicht generell männlich, und wir sagen auch nicht die „Vögelinnen oder Vögel:innen“.
- Der Ginkgo wird im Plural auch nicht zu „Ginkgosinnen oder Ginkgos:innen“.
Bestimmte Inhalte können mit Gendern auch gar nicht mehr dargestellt werden. Zum Beispiel: „Wir kennen nicht mal das Geschlecht des Verdächtigen."
Auch die oft empfohlenen neutralen Formulierungen führen zu unklaren Aussagen. Beispiele:
- Studenten → Studierende
- Pfleger → Pflegende
Substantivierte Partizipien — hier Studierende und Pflegende — beschreiben Menschen, die über einen limitierten Zeitraum dabei sind, einer bestimmten Tätigkeit nachzugehen.
Aussagen wie „die reisenden Studierenden“ oder „die kranken Pflegenden“ werden in der Bedeutung unklar und klingen — zumindest für meine Ohren — auch alles andere als sprachgewandt.
Sonderzeichen: nicht zu vereinbaren mit einer pluralistischen Gesellschaft
Von nichtbinären Personen — also Menschen, die sich keinem der beiden biologischen Geschlechtern zugehörig fühlen — wird oft erklärt, dass sie das Gendern mit Sonderzeichen im allgemeinen Sprachgebrauch benötigen, um sich angesprochen zu fühlen. Und genau diese Forderung wird im öffentlichen Diskurs, in den Medien, Schulen, Behörden, Unternehmen und Verbänden zunehmend umgesetzt.
Ich persönlich finde sowohl die Argumentation als auch die Umsetzung zumindest verwunderlich: Wir erfinden doch auch sonst keine neuen Begriffe oder emotionalen Konzepte aufgrund von Befindlichkeiten einzelner Personen oder Menschengruppen, die sich dann in der Sprache widerspiegeln und von der Allgemeinheit verwendet werden sollen.
Wenn ich mich heute wie ein Kätzchen fühle oder morgen wie ein Regenbogen und übermorgen wie ein König, ist das mein gutes Recht. Es sind meine Gefühle, und die kann mir keiner nehmen. Aber ich erwarte nicht, dass die Allgemeinheit mich als Haustier, Wetterphänomen oder Gebieter anspricht, neue Begrifflichkeiten für meine Gefühlslage erfunden werden und diese Einzug in den allgemeinen Sprachschatz erhalten.
Eine solche Erwartungshaltung spiegelt für mich eine ausgeprägte Form von Egozentrismus wider.
Ablenken von Inhalten und Veränderung der Wahrnehmung
Ein auch nur halbwegs sinnvolles Gendern erfordert, selbst für einen Muttersprachler wie mich, viel Konzentration und das ständige Überlegen, bei welchen Wörtern welche Form von Ansprache und sprachlicher Ausgestaltung gegebenenfalls richtig sein könnte. Die Konzentration liegt somit auf der Form und weniger auf dem Inhalt einer Botschaft. Diese Problematik gilt sowohl für den Sender — zum Beispiel Vortragende oder Schriftsteller — als auch den Empfänger, also Zuhörer und Leser. Gendern sinnvoll einzusetzen scheint jedoch nicht nur mir schwerzufallen, sondern auch akademisch ausgebildeten Muttersprachlern in meinem Umfeld. In einer von mir kürzlich besuchten Sitzung fiel zum Beispiel das Wort „Lehrerinnenschaft“.
Dass nun der Fokus mehr auf der Form und weniger auf dem Inhalt einer Botschaft liegt, empfinde ich als bedenklich.
Undemokratisch und pseudowissenschaftlich
Laut mehreren großen repräsentativen, aktuellen Umfragen lehnt die Mehrheit der deutschen Bevölkerung das Gendern ab. Die Zahlen bewegen sich von 65 bis 80 Prozent. Und trotz dieser großen Mehrheit wird in etlichen Behörden und Schulen, großen Konzernen und nun zunehmend auch in kleineren Vereinen und Betrieben diese mehrheitlich ungewollte Sprachveränderung umgesetzt. An vielen Stellen verpflichtend oder mit Druck und angeblichen Vorgaben „von oben“. Das widerspricht dem Grundsatz der Demokratie, und ich lehne ein solches Vorgehen ab.
Auch die wissenschaftliche Grundlage ist fragwürdig. Von Befürwortern des Genderns wird erklärt, Studien belegten, dass weibliche Menschen gedanklich von Personen diskriminiert werden, wenn sie als Frauen nicht explizit angesprochen werden. Bei genauer Betrachtung einiger dieser Studien stellt sich allerdings Folgendes heraus:
- Autoren dieser Studien arbeiten oft mit der deklarierten Annahme, dass die historisch gewachsene Sprache diskriminierend sei, und suchen nach Belegen für ihre eigene Annahme. Sie hegen also selbst diskriminierende Gedanken — der Fachbegriff hierfür nennt sich „conscious bias“. Solche Studien empfinde ich als manipulativ, und sie haben für mich daher keine wissenschaftliche Aussagekraft.
- Die zugrunde liegenden Datensätze für eine angebliche Diskriminierung basieren mindestens zum Teil auf nicht repräsentativen Umfragen. Zum Beispiel haben in der Studie: „Breaking Away From the Male Stereotype of a Specialist: Gendered Language Affects Performance in a Thinking Task — Department of Applied Psychology: Work, Education and Economy, Faculty of Psychology, University of Vienna, Vienna, Austria“ (2018) lediglich 389 Teilnehmer online geantwortet, und der belegte Unterschied im Antwortverhalten war gering.
- In vielen der Studien selbst wird erklärt, dass zwischen Gendern und mehr Gleichberechtigung in der Gesellschaft ein kausaler Zusammenhang nicht wissenschaftlich belegt ist.
Fragwürdige Notwendigkeit
Die meisten Arbeitsverträge, ebenso wie Schul- und Hausordnungen, haben bereits eine Antidiskriminierungsklausel im Vertragswerk verankert. Zum Beispiel:
„Folgendes ist verboten: abfällige, sexistische oder rassistische Bemerkungen, Beleidigungen und Bedrohungen und jede Form von Gewalt — sei sie körperlich oder seelisch.“
Oftmals muss eine Selbstverpflichtung der Parteien unterzeichnet werden:
„Die auftraggebende Person lehnt jede Form der Diskriminierung ab und bekennt sich zu gesellschaftlicher Diversität und engagiert sich konzeptionell und programmatisch für dieses wichtige gesellschaftliche Thema.“
Eine Diskriminierung — in Bezug auf das Geschlecht oder auch andere körperliche Merkmale — ist in all diesen Unternehmen, Vereinen, Schulen oder Behörden also bereits verboten und wird bei Verstoß sanktioniert. Eine gesonderte sprachliche Regelung in Bezug auf die Inklusion von weiblichen oder auch diversen Menschen ist demnach — und nach meinem Verständnis — überflüssig.
Fazit
Ich will, dass Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht — und weiteren körperlichen und geistigen Merkmalen — in unserer Gesellschaft gleichberechtigt behandelt werden. Für mich wird dieses Ziel aber nicht durch das allgemeine Gendern erreicht. Im Gegenteil:
Aus meiner Wahrnehmung ist Gendern in vielen Fällen undemokratisch und führt zu unterschiedlichen Formen der Diskriminierung sowie weiterer Spaltung unserer Gesellschaft.
Der gestörte Sprachfluss, Eingriffe in die Grammatik, willkürlich gesetzte Sonderzeichen und neue, oft sinnbefreite Wortkreationen behindern unsere geistigen Fähigkeiten, klar zu denken und logische Argumente zu formulieren.