Spirituelle Vereinnahmung
Dem Umarmen von Bäumen wird viel Heilsames nachgesagt — umarmen wir sie jedoch mit einer Erwartungshaltung, kann sich das negativ auf das Energiefeld auswirken.
In Nature-Retreats, beim sogenannten Waldbaden, in Yoga-Kursen oder esoterischen Veranstaltungen ist es seit Jahren beliebt, Bäume zu umarmen. Gibt man bei der Suchmaschine Ecosia „Bäume umarmen“ ein, so erscheinen ausschließlich positive Überschriften, die einhellig proklamieren, man sollte mehr Bäume umarmen und dass Bäume-Umarmen gesund sei: „Bäume umarmen: Warum Sie das öfter tun sollten“ — focus.de, „Bäume umarmen macht glücklich und gesund“ — Baumpflegeportal, „Bäume umarmen, Baum-Meditation im Wald als Kraftquelle“ — hsp academy.de, „Waldtherapie: Von der heilenden Wirkung, einen Baum zu umarmen“ — vogue.de. Dies sind nur die ersten vier Einträge, und es geht in diesem Sinne weiter. Die Autorin hat sich gefragt: Wem nützt das Umarmen von Bäumen? Was bewirkt es? Und daraus folgend: Ist es sinnvoll und nützlich, Bäume zu umarmen, ist es ohne Wirkung oder sogar schädlich?
Zum physischen Bild, zur Sachlage
Das Umarmen ist normalerweise eine menschliche Verhaltensweise. Weder Bäume noch Tiere umarmen sich untereinander von selbst. Tiere tun das manchmal, wenn sie mit Menschen zusammenleben, oder im Falle von Affen und einigen anderen höheren Säugetieren, denn Tiere haben offensichtlich Gefühle und können ihnen auch Ausdruck verleihen.
Da Pflanzen kein Zentralnervensystem und kein Gehirn besitzen, können sie nicht die Entscheidung treffen, jemanden zu umarmen, und sie haben auch keine Muskeln, die als Erfolgsorgane die nervliche Reizleitung dann zur Umarmung zu Ende bringen könnten. Anatomisch gesehen sind Bäume wohl eher nicht zum Umarmen angelegt.
Da Bäume kein Nervensystem besitzen, verfügen sie auch nicht über Gefühlsrezeptoren. Wenn man bestimmte „Verhaltensweisen“ von Bäumen beobachtet, die so wirken, als würden sie sich gegenseitig warnen, helfen oder schützen, so ist das eine Einrichtung der Natur, die in der Pflanze, vermutlich zur gesamten Arterhaltung, angelegt ist, aber sie stammt nicht aus einem Gefühl der Empathie oder Sympathie für den Nachbarbaum. Wenn den Pflanzen Gefühle angedichtet werden, so handelt es sich um eine Projektion. Man kann und sollte Menschen aus dem Wesen Mensch heraus deuten und Pflanzen aus dem Wesen der Pflanzen. Sie haben Lebenskräfte und geben Lebenskräfte, aber sie haben keine Gefühle.
Sehr hilfreich zur Unterscheidung der verschiedenen Ebenen des Daseins und der Naturreiche erscheint mir die Anthroposophie, die auf den geistigen Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeiten von Dr. Rudolf Steiner (1862 bis 1925) basiert.
Zunächst gibt es die Unterscheidung der vier Naturreiche: Man kann selbst sehen und bestätigen, dass es das Erdreich gibt, also die Steine, Edelsteine, Erden, den Sand und die Berge. Das nächsthöhere Reich ist das Pflanzenreich, dann das Tierreich, und schließlich kommt der Mensch.
Gemäß dem Menschenbild der Anthroposophie sind diese vier Naturreiche durch verschiedene Erscheinungsformen, „Körper“ oder „Leiber“ getragen. Das Mineralreich besitzt einen sichtbaren, wägbaren physischen Leib, aber es besitzt nicht die Fähigkeit, sich selbst zu bewegen, zu atmen oder zu wachsen. Dies sind Kennzeichen der drei nächsthöheren Naturreiche. Sowohl Tiere als auch Menschen, und in etwas geringerem Maße auch Pflanzen, können einen Gasaustausch herstellen, sie wachsen und vergehen und sie können sich bewegen. Dies sind Zeichen von Lebenskräften oder Lebensenergien, die den physischen Körpern innewohnen. Man nennt sie in der Anthroposophie und im spirituellen Schulungsweg von Heinz Grill „Ätherkräfte“.
Die dritte Ebene oder der dritte Leib wird „Astralleib“ genannt, da die Strahlungen der Planeten einen Einfluss auf unser Gemüt und Bewusstsein über das Nervensystem bewirken. Da Pflanzen keine Begierden und Gefühle erleben oder ausdrücken können, kann man leicht erkennen, dass sie im Gegensatz zu Tieren und Menschen keinen Astralleib besitzen. So gibt es den physischen Leib, der allen Naturreichen eigen ist, den Ätherleib oder Lebenskräfteleib, den Pflanzen, Tiere und Menschen besitzen, und den Astralleib, den nur Tiere und Menschen besitzen.
Die vierte Ebene des Daseins, das sogenannte „Ich“ oder höhere Selbst ist nur dem Menschen eigen, denn nur der Mensch kann sich seiner selbst bewusst werden und „Ich“ zu sich selber sagen. Er hat die Fähigkeit, durch Vernunft, Einsicht und bewusst gewählte Ideale sein Denken, Fühlen und Wollen, also seine Bewusstseinskräfte zu führen. Die Fähigkeit, bewusste Entscheidungen zu treffen, sich selbst zu führen, mentale Vorstellungen zu bilden und daraus etwas Neues zu erfinden und ein Bewusstsein über die geistig-seelische Welt zu gewinnen, besitzt nur der Mensch.
Wie ist es, wenn man Bäume umarmt?
Bei Heinz Grill, einem deutschen spirituellen Lehrer, Buchautor, Vortragsredner, Yogalehrer, Heilpraktiker und Bergsteiger habe ich zu diesem interessanten Thema in seinen Meditationsbriefen aus dem Jahre 2022, Nummer 140 bis 143, einige aufschlussreiche Passagen gefunden, die ich gerne hier zitieren und kommentieren möchte.
Es geht in den Briefen um das Thema der Meditation an sich. Er führt, hier verkürzt formuliert, aus, dass nach seiner Erfahrung eine Meditation immer eine Art gebende Handlung sein muss, damit sie wirklich einen Bestand und eine Wirkung in der unsichtbaren, geistigen Welt hat. So sollte eine Meditation dazu dienen, das Meditationsobjekt zu beleben, in seinem Inneren Wesen und Sinn zu erkennen und ihm dadurch eine gewisse Energie, eine sogenannte „Ätherkraft“ entgegenzubringen.
Dadurch kann sich das Meditationsobjekt von geistig wahrnehmbaren „Verhüllungen“ befreien, erholen oder klären. Durch die wiederholte und ruhige Betrachtung und Beobachtung des Menschen empfängt das Objekt „das Licht der Beschauung“ aus dem menschlichen Bewusstsein des Betrachters und erscheint somit in einem freieren, schöneren Licht. Die Meditation dient also dazu, das Objekt, auf das man meditiert, und sogar auch die ganze Umgebung zu „beleuchten“ und damit zu fördern oder sozusagen zu „erfrischen“. Rückwirkend wirkt dieser Vorgang dann auf den meditierenden Menschen beruhigend, ordnend und damit lösend und in positiver Weise belebend. Heinz Grill drückt das in der Meditation 140 folgendermaßen aus:
„Für eine erfolgreiche Meditation muss immer das Objekt der Betrachtung ausreichend beziehungsvoll und konkret zur Anschauung gelangen. (...) Eine intensive Bewusstseinsorientierung in objektiver Klarheit zu einem Thema, einem spirituellen Gedanken, einem beschriebenen Phänomen in der Welt oder einer bestimmten ausgewählten Person setzt dieses Betrachtungsobjekt frei. Je klarer die Beziehungsaufnahme und wirkliche Vorstellung zu dem gewählten Thema ist, desto mehr wird es in eine lichte Sphäre gehoben. Die Verschleierung und die Verhüllungen mit ihren Verwirrungen fallen langsam von diesem Objekt hinweg und ein klares Licht der Beschauung, das sich in der Konzentration eröffnet, gewinnt eine souveräne ätherische Strahlkraft. (...) Nicht nur der Meditierende ändert sich, sondern das Betrachtungsobjekt gewinnt eine sensible Einbindung in eine empfindungsfreudige Sphäre.“
Der Meditationsbrief endet mit den Worten:
„Das Ziel ist es, das zu beobachtende Phänomen durch die rechte Aufmerksamkeit wirklich zu erleben und zu erkennen damit es sich befreien und verschönern kann.“
Rudolf Steiner schreibt in der Gesamtausgabe seiner Werke, GA 110, S. 36 fortfolgende ausführlicher zu diesem Thema. Es geht, wie auch bei Heinz Grill, darum, dass man einen Gegenstand, auf den man meditiert, nicht nur anschaut oder, wie im Falle der Bäume, umarmt, sondern dass man ein wirkliches (Forschungs-)Interesse an ihm haben sollte, dass man dieses Objekt näher kennenlernen, näher verstehen will.
Der Begründer der Anthroposophie spricht von dem Unterschied, der passiert, wenn man ein Objekt wirklich mit Fragen und Gedanken erforscht und konkret betrachtet, im Gegensatz dazu, wenn man es nur anstarrt.
„Nehmen wir nur einmal an, der Mensch, der so die Gegenstände anglotzt, hätte gar nicht die Neigung, nachzudenken über die Gegenstände, in seiner Seele irgendetwas leben zu lassen vom Geist der Dinge. Er macht sich's bequem, geht nur so durch die Welt, verarbeitet es aber geistig nicht, nicht mit Ideen, nicht mit Gefühlen, mit gar nichts, er bleibt sozusagen ein bloßer Anschauer dessen, was ihm materiell in der Welt entgegentritt.“
Die Konzentrationsübung nach Heinz Grill als „Meditation“ für die Bäume
Umarmt man beispielsweise eine Birke, so kann man sich fragen, was eine Birke eigentlich seelisch-geistig oder wesenhaft ausdrückt, was beispielsweise eine Birke von einer Eiche unterscheidet. Man beginnt mit den sichtbaren Tatsachen und trägt sie zusammen. Ich empfehle hierzu das Buch von Roger Kalbermatten „Wesen und Signatur der Heilpflanzen“. Heinz Grill nennt dies die Konsolidierungsphase der sogenannten „Konzentrationsübung“. Man wird herausfinden, dass die Birke wesentlich weicher erscheint, ihre jungen Äste sind zart, und biegsam wiegen sie sich im Wind. Sie wirkt viel „jugendlicher“ mit ihrem frischen Hellgrün im Frühling als die „alte Eiche“.
Die Eiche weist dagegen ein härteres Holz auf und wirkt fest und knorrig. Rudolf Steiner bringt die Birke mit den weiblichen Eigenschaften der Venus in Verbindung, während er die Eiche dem Planeten Mars zuordnet. So kann man viele eigene, objektive Beobachtungen, und später, in der zweiten, der sogenannten „Intensivierungsphase“, auch Kenntnisse aus der Wissenschaft oder Geisteswissenschaft mit zu seinen Beobachtungen hinzunehmen. Durch Wiederholung der Besinnung auf die Birke über mehrere Tage und durch die Hinzunahme von sogenannten „geistigen Imaginationen“ — das sind Wahrheiten, die sich demjenigen offenbaren, der feinere, geistige Sinnesorgane ausgeprägt hat — kann der Mensch so dem Meditationsobjekt ein Bewusstseinslicht, eine tatsächliche lebendige, seelische Kraft entgegenbringen, und das Objekt beantwortet diese Zuwendung über die Tage hinweg mit einem meist sichtbaren „Schöner-Werden“, einer Art Erblühen oder Erstrahlen, was sich dann rückwirkend auch auf den Meditierenden aufbauend auswirkt.
Die Beziehungsrichtung muss stimmen — Nehmen oder geben wir den Bäumen etwas?
Ganz anders ist hier also die Beziehungsebene geschildert, als wir sie üblicherweise kennen. Der Mensch will durch diese Meditation nicht etwas für sich gewinnen, er will nicht für sich eine Energie von dem Baum nehmen oder eine Ruhe, Tiefe oder Verbindung zu seinem eigenen Nutzwert herstellen, sondern er fasst das Meditieren als eine gebende Handlung auf und — im Gegensatz zum mehr emotional geleiteten Umarmen der Bäume — geht er „mit dem Licht eines Gedankens“ auf den Baum zu. Er denkt aktiv Gedanken, die mit dem Baum direkt zusammenhängen, und erschafft dadurch eine „Gedankensphäre“ um den Baum herum beziehungsweise zwischen sich selbst und dem Baum. Und in diesem gedanklichen Raum beginnt durch das Interesse und die bewusste Beobachtung oder Beschaulichkeit ein „Gedankenlicht“ zu fließen, das beide, sowohl den Baum als auch den Meditierenden, in ihren Lebenskräften fördert.
Grundsätzlich unterschiedlich erscheint die Vorgehensweise, Bäume ohne Gedanken aus den eigenen Emotionen heraus zu umarmen, zu der hier nur sehr kurz vorgestellten Seelenübung in Bezug auf die Bäume. Rudolf Steiner und Heinz Grill gehen von dem Wissen aus, dass der Mensch über seelisch-geistige „Schöpferkräfte“ verfügt, weil er in Verbindung mit dem göttlichen oder seelisch-geistigen unsichtbaren „Himmel“ steht, und weil er bewusst denken kann.
Der Mensch kann Gedanken bilden und erschafft dadurch geistig existente Bilder, Formen und Energien. Indem er sich in seiner Meditation Gedanken zu dem Baum macht, lässt er ihm Aufmerksamkeit, oder anders gesprochen, Energie zukommen.
Wenn die Gedanken von heiligen oder spirituellen Lehrern dazukommen und der Übende um Erkenntnisse ringt, kommen den Objekten sogar die ordnenden, reinigenden und befreienden geistigen Wahrheiten entgegen, die der Meditierende denkt. Er wirkt — besonders, wenn er selbst diese Wahrheiten durch eigenes Erleben schließlich bestätigen kann — dann auf das Objekt, also in diesem Falle auf den Baum und die Umgebung, erhellend und beseelend.
Die übliche Art, einen Baum zu umarmen, entstammt hingegen dem sogenannten Konsumprinzip, das besagt, dass man durch Meditation etwas für sich gewinnen könne. Natürlich gibt es auch die Motivation, dem Baum etwas geben zu wollen durch das Umarmen, ihn gegen die Umweltverschmutzung stärken zu wollen, ihm Kraft und Liebe zu geben. Aber ohne konkrete Gedanken aktiviert weder die eine noch die andere Ausrichtung die in jedem Menschen schlummernden Schöpferkräfte. Diese stärken sich, wenn sie durch Gedankenbildung eingesetzt werden, und verleihen einem Menschen dadurch eine größere Strahlkraft, Freiheit und Unabhängigkeit.
„Derjenige, der ein Naturphänomen ausreichend intensiv studiert, erlebt auf langsame Weise, dass sich neue Kräfte in diesem Objekt erwecken, und er erlebt die Befreiung, da er mit seinen Gedanken und Sinnen forschend tätig ist“ (Heinz Grill, Meditationsbrief 141).
Sich die Beziehungsrichtung, die mit dem eigenen Tun einhergeht, allgemein bewusst zu machen, erscheint mir bedeutungsvoll. Einen Baum zu umarmen, um sich Gesundheit, Ruhe, Trost zu holen, erscheint im Bilde der Sache genau so, als wenn man einen Menschen, vielleicht einen Freund, umarmt, ohne ihn zu sehen, ohne sich für ihn zu interessieren, nur um sich selbst etwas Trost oder menschliche Wärme „abzuholen“.
Natürlich kann man einwenden, dass das menschliche Leben aus Nehmen und Geben besteht, aber wenn man für sich beansprucht, das Umarmen der Bäume sei eine Handlung mit spiritueller Wirksamkeit, dann muss man davon ausgehen, dass Spiritualität immer mit einem gebenden Akt verbunden ist.
Die spirituelle Entwicklung soll den Menschen ja gerade zu einer größeren Freiheit und Unabhängigkeit führen und somit immer mehr zum Geben befähigen.
In einer Zusammenfassung auf der Internetseite „Yoga und Synthese“ zitiert Sigrid Königseder Heinz Grill im Zusammenhang mit der Frage: „Was geschieht in der Natur, wenn der Mensch eine Betrachtung der Natur macht?“ Sie schreibt in ihrem kurzen Bericht, dass der Referent weiter ausgeführt hätte: „So wie der Mensch wahrgenommen werden wolle, so wolle auch die Natur wahrgenommen werden.“ Er sagte wörtlich: „Lebendiges will wahrgenommen werden.“ Sie fährt dann fort:
„Die verschiedenen Naturerscheinungen würden förmlich darauf warten, dass sie von Menschen beachtet werden. Sie erfahren durch die wahrheitsgetreue Wahrnehmung von Seiten des Menschen eine direkte Verstärkung. (...) Gehe man aber in den Wald und in die Natur, um diese heilsamen Wirkungen für sich zu konsumieren, wirke dies schwächend auf die Natur (...). Ein forschendes Betrachten und interessiertes Wahrnehmen stärke sie. Der Konsum (...) dieser Naturerscheinung drücke eine Haben-Orientierung aus. Die wahrnehmende Betrachtung führe den Menschen mehr in eine gegenwärtige seelische Aktivität. (…) An der Natur und auch am Betrachter wird dadurch ein Lichter- und Schöner-Werden beobachtbar.“
Ist das Umarmen der Bäume für die Umgebungs-Atmosphäre hilfreich oder eher störend?
Bevor ich diese Texte gelesen habe, hatte das Umarmen von Bäumen nach meinem Empfinden immer etwas Nehmendes, Sehnsüchtiges, ja fast Verzweifeltes an sich, es sei denn, man umarmt den Baum um seiner selbst willen, um ihm vielleicht Kraft und Beachtung zu schenken. Wie es sich aber aus einer geisteswissenschaftlichen Erkenntnis und aus einem übersinnlichen Schauvermögen heraus darstellt, erfuhr ich dann im Meditationsbrief 142 vom 10. Juni 2022 von Heinz Grill. Dort heißt es:
„Die objektive Beobachtung und Wahrnehmung zu den Objekten der Welt oder zu geistigen Inhalten darf tatsächlich in keiner Meditation fehlen. Heute verwechseln sehr viele Personen Spiritualität mit einem Gefühl des In-die-eigenen-Emotionen-Zurückfallens oder sie praktizieren sogar fälschlicherweise eine Art Konzentrationsübung in einer vollkommenen Abkehr von jeder Beziehung konkreter Art zur Wirklichkeit. (...)
Würde er (der Meditierende, Anmerkung der Autorin) eine Meditation in eine so eigentümlich anmutende subjektivistische, vielleicht sogar tranceähnliche oder träumerisch emotionale Wirklichkeit hineininterpretieren, begibt er sich in schreckliche Illusionen. Meist werden Meditationsformen gerade mit dem Motiv der Flucht vor der oft unerträglichen Realität getätigt und deshalb können sie nicht nur keine Kraft entfalten, sondern sie verursachen sogar das Gegenteil, weitere Verrücktheiten mit disharmonischem Einfluss auf das Weltganze. (...) Das zu schnelle emotionale Einleben und Verbinden mit einer Sache (Anmerkung der Autorin: zum Beispiel einem Baum) (ist) meist sehr trügerisch.
Wer meditiert und mit seiner Form der Meditation von der konkreten Wirklichkeit und einem geordneten Konzentrationsaufbau mit einem Meditationsinhalt in sein persönliches Innenleben entgleitet, bindet die Objekte. Er verzaubert in negativer Weise, anstelle dass er die Natur entzaubert. Er beschwert und entnimmt die werdenden Lichtkräfte der Schöpfung.“
Zunächst einmal wird es dem Leser vielleicht ähnlich ergehen wie mir, dass eine Überraschung und vielleicht sogar eine Bestürzung sich bemerkbar macht, dass das Umarmen von Bäumen solche negativen Wirkungen im unsichtbaren, energetischen Raum hervorbringen kann.
Man kann nun diese von Heinz Grill geschilderten geistigen Forschungsergebnisse rundweg ablehnen und verwerfen oder man kann in Ruhe und Gelassenheit innehalten, sie zur Kenntnis nehmen und erst einmal versuchen, sich in die Schilderungen hineinzudenken. Durch eine wiederholte Besinnung auf die kritisch ausgesprochenen Worte kann man die Inhalte eventuell nachvollziehen. Man sollte sich dazu Zeit lassen, denn geistige Wahrnehmungen brauchen einen wiederholten, rhythmischen Aufbau.
Über mehrere Tage kann man sich für einige Minuten mit diesen Gedanken und Bildern beschäftigen und wird dann vielleicht sogar empfindungsmäßig nachvollziehen können, dass die eigene Sehnsucht nach Trost, Kraft, Ruhe oder einer starken Schulter, die der Baum einem bieten soll, diesen nicht frei atmen lässt, sondern Erwartungen oder Forderungen an ihn stellt. Man bindet damit den Baum an sich selbst, an die eigenen subjektiven Gefühle. Der Baum soll mir etwas geben. Ich lasse ihn nicht frei.
Wenn ich hingegen „ein Licht der Beschauung“ auf ihn richte, mich für ihn interessiere, ihn erforsche und „eines Blickes würdige“, so lasse ich ihm etwas zukommen, und der Gedankenprozess, der dazu nötig ist, ordnet und beruhigt auch mich.
In beiden Meditationsbriefen, Nr. 141 und 142 drückt Heinz Grill das Ziel einer Meditation im Allgemeinen oder einer Seelenübung zu dem Baum hier im Speziellen noch einmal sehr gut verständlich aus:
„Das Ziel ist es, das zu beobachtende Phänomen durch die rechte Aufmerksamkeit wirklich zu erleben und zu erkennen, damit es sich befreien und verschönern kann“ (141).
„Das Ziel jeder Meditation ist es, dass die Objekte der Meditation und darüber hinaus die Umgebung sowie auch die Mitmenschen ein freieres Licht erhalten“ (142).
Es wäre erfreulich, wenn diese Inhalte zur allgemeinen Anschauung beitragen und eine tiefere Wahrnehmung und Bewusstheit fördern könnten.
Quellen und Anmerkungen:
Falls Sie Interesse an den spirituellen Ausführungen von Heinz Grill gewonnen haben: Hier kann man die Meditationsbriefe bestellen: studientage@libero.it
Literatur: Heinz Grill, „Übungen für die Seele, Weisheitskräfte in der Natur und die Signatur einzelner Pflanzen“, Seite 63 bis 73