Sommerzeit

In ihrem Berliner Tagebuch sammelt die Autorin Alltagsimpressionen, die Schrecken bergen, aber immer wieder auch aufblitzende Schönheiten im Kleinen.

Das Alltagsleben ist nicht unbedingt eine stringente Erzählung; eher eine Aufeinanderfolge von Wirklichkeitsfetzen, die in unseren Geist eindringen, dort Resonanz erzeugen, wieder verklingen und Neuem weichen. Was wir an Eindrücken sammeln, wirkt oft unverbunden, der Sinn versteht sich nicht von selbst, wir können aber in unserem Bewusstsein einen solchen entdecken oder auch konstruieren. Diese kleine Geschichte ist insofern nah an unserer tatsächlichen Erfahrung beim Schlendern in einer Großstadt. Da ist eine Tasse Cappuccino im Straßencafé, auf das eine heitere Sonne scheint. Da ist eine Zeitung auf dem Tisch, das uns grauenhafte Vorgänge in Gaza ins Bewusstsein drängt. Das Schöne und das Schreckliche untrennbar ineinander verzahnt — und dazu, als Drittes, Erinnerungsfetzen und literarische Assoziationen der Wahrnehmenden. Ein erzählerisches Experiment, bei dem man vor allem die sprachliche Ausgestaltung der Details genießen kann.

Eine unscheinbare Frau liest in der U-Bahn die Biografie einer Giraffe. Ganz versunken ist sie, und es ist vorstellbar, sie verpasste ihre Haltestelle und stiege aus, wo sie noch niemals war, und es wäre ein Ort, an dem eigentlich keine Wendung der Dinge unausdenkbar ist.

Es ist, was es ist: die Liebe, das Leben, das Träumen wieder erlernen. Ein Loch im Pullover, oder der ganze Pullover ist ein einziges Loch. Um elf Uhr morgens ist der Tag im Wedding ein angefangener Sechserpack. Die Pflanzen auf dem Balkon, vor drei Sommern haben auch sie wahrscheinlich einmal geblüht. Dann dieser Spruch in riesigen Lettern auf eine Häuserwand gesprüht, „as long as you are standing, give a hand to those who have fallen“. So einfach wollen sich die Dinge nicht auf einen Nenner bringen lassen.

Im vergangenen Jahr erreichte die Gewalt gegen Kinder in bewaffneten Konflikten einen Höchststand. Das geht aus einem Bericht der Vereinten Nationen (UN) hervor, über den die Nachrichtenagentur AFP vorab berichtete. In dem Bericht kritisieren die Autoren unter anderem das Vorgehen der radikalislamischen Palästinenserorganisationen Hamas und Islamischer Dschihad sowie der israelischen Armee im Gazakrieg. „Wir haben noch nie so viele Verstöße gegen Kinder wie vergangenes Jahr nachgewiesen“, sagte ein ranghoher UN-Vertreter. Dem Bericht zufolge litten Kinder im vergangenen Jahr unter der Zunahme und Eskalation von Krisen, „die geprägt waren von einer vollständigen Missachtung von Kinderrechten, insbesondere dem natürlichen Recht auf Leben“.

Ihr unförmiger Körper ist eine Bildergalerie. Kurze Hosen trägt sie und ein Hemd mit Spaghettiträgern. Diesen Anblick einer auf ihre Weise Unverwechselbaren sollen wir gefälligst aushalten! Das mutet sie uns zu, und das muten wir ihr zu, dass auch wir sind, wie wir nun einmal sind. In gewisser Weise könnte man sagen: Wir sind quitt.

Schostakowitsch schlief sein Leben lang mit einem gepackten Koffer unter dem Bett, der das Überlebensnotwendige enthielt, um gerüstet zu sein, wenn man kommen würde, um ihn abzuholen.

Doch was war eigentlich das Überlebensnotwendige? Das würde er sich sein Leben lang gefragt haben, ohne je darauf eine abschließende Antwort zu finden, denn am Ende hatten sie sich nur einen Spaß daraus gemacht, ihn auf die Folter zu spannen, und er hatte in all den Jahren vollkommen vergessen, was sich in dem Koffer eigentlich befand.

Die Existenz des jüdischen Staates ist seit 1949 Bestandteil deutscher Außenpolitik. Diese Staatsräson ist eine einseitige Schutzzusage, wonach im Ernstfall mit deutschen Streitkräften zugunsten Israels zu intervenieren wäre.

Einen Cappuccino trinken und dabei Menschen beobachten, das ist, wenn es sonntags regnet und Ausflüge sich von selbst erübrigen, ein sanfter Zeitvertreib. Man hat ein Lieblingscafé und einen Lieblingstisch, die Musik ist nicht zu laut, und die Gäste sind in ihren Lebensäußerungen erträglich. Wie von selbst gerät man irgendwie in einen Frieden der Muskeln und des Gemüts, da erscheint, wenn man gerade dabei ist, sich vor Wohlbehagen im Milchschaum aufzulösen, plötzlich der Verrückte von Dahlem, der Schattenmann, der allerschmutzigste Mensch, den man sich nur vorstellen kann. Auf dem Bürgersteig vor der Caféterrasse bleibt er stehen, um uns eine Weile lang zuzuschauen, nachsichtig, wie man etwa Kindern beim Spielen beobachtet.

Früh morgens einem Fuchs im Wald begegnet. Seiner Wildheit ins Auge geblickt. Nichts Ebenbürtiges gefunden, um es in meinen eigenen Blick zu legen.

Er schläft wie ein Kind, die Glieder über zwei Sitze verteilt, der Rucksack dient ihm als Kissen. Nichts dringt in seinen Schlaf, nicht das Ruckeln der Bahn, die Ansage der Haltestellen, die Schritte der Fahrgäste, so weit fort ist er in seinem Schlaf, und hat denn nicht jeder Mensch ein Recht darauf, wenn er müde ist einzuschlafen, wo auch immer? Ein koreanischer Film von vor vielen Jahren fällt mir ein, in dem eine junge Frau in ein fremdes Haus tritt mit nichts als dem Wunsch zu schlafen. Ein Platz wird ihr angewiesen, und als sie wieder erwacht, bedankt sie sich und zieht ihrer Wege. Ein bisschen Ehrfurcht vor dem Schlaf, das ist doch eigentlich nicht zu viel verlangt für uns müde, müde Menschen.

Der Krieg der Generäle hat den Sudan in einen Failed State verwandelt und zur weltweit größten Flüchtlingskrise geführt. Nun ist nach wochenlangen Regenfällen auch noch eine Choleraepidemie ausgebrochen.

Fatima heißt das Mädchen an der Bushaltestelle. Bald wird sie zwölf. Schulsprecherin ist sie und Klassensprecherin und Konfliktlotsin. Eigentlich wollte sie aufs Gymnasium, aber das hat leider nicht geklappt, sie weiß selbst nicht warum. Wir sprechen miteinander, als ob wir uns schon immer kennen würden. So hell und voller Vertrauen ins Leben ist Fatima, dass ich für die Dauer unseres Gesprächs selbst ganz hell und voller Vertrauen ins Leben werde.

Sehr kleiner Mensch im vollbesetzten Bus. Er versucht nun, sich immer kleiner zu machen, es will ihm aber nicht gelingen, ganz zu verschwinden. Keinem gelingt es, ganz zu verschwinden. Alle sind immer da.

Zufälliges Gegenüber in der U-Bahn: blasser junger Mann im schwarzen Mantel, mit schwarzem Koffer und schwarzer Tasche auf dem Weg zu ihr. Und woher ich das weiß, ist der magere Blumenstrauß in seinen beiden Händen, Schleierkraut und in der Mitte eine dornige Blüte, kein Papier drumherum, keine Schleife, kein Billett. Sie soll gleich sehen, was sie ihm bedeutet. Mehr weiß ich nicht von dem Unbekannten und der Unsichtbaren, als die Dauer einer Fahrt zwischen zwei Haltestellen preisgibt; vielleicht die jähe Möglichkeit eines Glücks.

Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) sieht die Sicherheit des ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja nach einem Angriff in der Nähe akut bedroht. In unmittelbarer Nähe der Sicherheitszone habe es eine Explosion gegeben, die nach Einschätzung von IAEA-Experten vor Ort von einer Drohne mit Sprengladung verursacht wurde, teilte die Organisation mit. „Wieder einmal sehen wir eine Eskalation der Gefahren für die nukleare Sicherheit am AKW Saporischschja“, warnte IAEA-Generaldirektor Rafael Grossi. Er sei „nach wie vor äußerst besorgt“ und rufe alle Seiten zur Zurückhaltung auf.

Winzige Frau, Puppenkleider verkaufend, am Wochenmarkt Ecke Nollendorfplatz, winziger Stand, winzige Frau, winzige Kleider. Wir sind so leicht zu übersehen, alle so leicht zu übersehen.

Ein Mann macht Theater, aber er macht gar kein Theater, er spielt nicht, er ist, weil ja schon alle spielen und niemand ist und das Spielen also gar keinen Sinn hätte. Heute Abend *ist *Adolfo Assor der Hilfsbuchhalter Bernardo Soares, sein Hunger nach Leben und Liebe und Menschlichkeit, unser Kindertraum und das Scheitern unseres Kindertraums. „Ich will nicht leben, und ich will nicht sterben, ich will das andere, das Dritte, das es nicht gibt.“ Damit wir aber glauben können, dass es das doch gibt, aus diesem Grund existiert das Garn Theater in der Katzbachstraße. Vier Zuschauer sind wir heute Abend, vier von dreieinhalb Millionen Bewohnern der Stadt Berlin und der Schauspieler selbst, fünf Menschen insgesamt, und ob das jetzt viele sind oder wenige, das soll jeder selbst entscheiden.

Ein Satz des französischen Dichters Joë Bousquet, der sein Leben hinter geschlossenen Fensterläden verbrachte, nachdem er im Ersten Weltkrieg fast tödlich verwundet worden war: „Meine Wunde war lange vor mir, ich wurde geboren, um sie zu verkörpern.“

Angesichts der schweren Kämpfe im Osten der Ukraine bat er die westlichen Partner um schnellen Nachschub an Waffen und Munition. „Der Krieg kennt keine Ferien“, sagte Selenskyj vor allem an die Adresse aller seiner Verbündeten. Die ukrainischen Soldaten leisteten zwar hervorragende Arbeit, so Selenskyj, „aber wir müssen die Versorgung durch unsere Partner beschleunigen.“

Wenn ein Mensch freiwillig aus dem Leben scheidet, dann schiebt er, um es sich selbst ein wenig leichter zu machen, gern der Welt die Schuld dafür in die Schuhe.

Nur Heinrich von Kleist hat es sich besonders schwer gemacht und bezichtigt in seinem Abschiedsbrief im Gegenteil sich selbst dafür, der Welt nicht das gegeben zu haben, was sie aber verdiene: die schöne Welt im November, das klare Himmelsblau, das Funkeln des süßen Weins im Glas und den hellen Klang zweier Schüsse. Wildgänse fliegen auf über dem kleinen Wannsee, und man möchte in diesem Augenblick, dass ihr Anblick mindestens ewig währen möge.

Am S-Bahnhof Schlachtensee heute Nachmittag einen schlafenden Engel gesehen, und, weil ich ihn nicht stören wollte, einen Schein in Höhe seines Kopfes gelegt. Das Falsche getan, aber was wäre schon das Richtige gewesen? Am S-Bahnhof Schlachtensee heute Nachmittag einen schlafenden Engel gesehen.

Pistorius besiegelt neue Bundeswehrstruktur: „Wir müssen fähig sein, einen Krieg zu führen.“

„Kannst du mir diesen Block kaufen, Mama, ich will malen!“
„Was willst du denn malen?“
„Das weiß man doch vorher nicht, was man malen will!“

Das sind Mutter und Tochter. Bei Woolworth, in der Bastelabteilung. Und die Stimme der Mutter ist grob von einem groben Leben, und die Stimme der Tochter ist hell und fein. Ihre Bilder würde ich gerne sehen, die andern, die in den Museen hängen, langweilen mich so.

Nach zehn Monaten Krieg sind weite Teile des abgeriegelten Küstenstreifens verwüstet. Die Lage für die Zivilbevölkerung ist katastrophal. Nach palästinensischen Angaben trat nun ein erster Fall von Kinderlähmung auf. Erkrankt sei ein ungeimpfter, zehn Monate alter Säugling in Deir al-Balah im Zentrum des Gebiets, teilte das Gesundheitsministerium in Ramallah mit.

Kind mit kahlem Schädel und ein Bein zieht es nach. Auf dem Spielplatz tobt es aber wie alle anderen. Noch weiß es nicht um sich selbst. Sommer ist, und am Himmel ist keine Wolke zu sehen, und so erschrocken bin ich plötzlich vor dem Leben.

Am Nebentisch ein leises Gespräch in einer fremden Sprache belauscht und dabei alles über das Leben erfahren, was man von ihm wissen kann.

Ein Strauß Plastikblumen, ein Knäuel rosa Acrylwolle und drei Heftchenromane, Sex und Leidenschaft versprechend. Und wer diese Dinge an der Kasse des Ein-Euro-Ladens bezahlt, ist eine Frau mit ungeschickten Bewegungen und ungeschickt gefärbtem Haar. Sie bezahlt in kleinen Münzen und verstaut ihre Schätze rasch in einem alten Stoffbeutel, bevor sie sich für immer in der Menge verliert.

Bei einem israelischen Luftangriff auf die Tabeen-Schule in Gaza-Stadt, die als Notunterkunft für Flüchtlinge genutzt wird, sind mehr als 100 Menschen getötet worden. Leichen sind bis zur Unkenntlichkeit zerfetzt.

Ein Satz von Simone Weil, der dahingehend lautet, dass jedes Menschen Zeit zugleich die beste aller möglichen Zeiten sei, und zwar aus dem einfachen Grund, weil sie die einzige ist, die wir haben. Und ein anderer von Mascha Kaleko, „wir haben keine andre Zeit als diese, die uns betrügt mit halbgefüllter Schale“. Die Philosophin und die Dichterin.

Einkauf bei Aldi in der Ladenstraße: eine Päckchen Trockenpflaumen, eine Flasche Traubensaft und eine Tüte Vogelfutter. Der Käufer, ein uralter Mann. Ich sah, seine Schuhe waren nicht geputzt. Ich sah, sie würden nicht mehr geputzt werden.

Mann im Bus. Er hat seinen Termin beim Zahnarzt verpasst, ist eine Stunde zu spät gekommen, und da haben sie ihn wieder nach Hause geschickt. Und sie haben ja recht, wie kann ihm so etwas nur immer wieder passieren! Aber es passiert halt. Man muss den Zahnarzt verstehen, aber auch ihn, denn ein anderer als derjenige, der man nun einmal ist, kann man nicht sein. Und weil er mit dieser Erkenntnis natürlich irgendwie recht hat, nicke ich ihm zu wie einem alten Bekannten.

Aldi sorgt mit einem neuen Angebot für Aufsehen: Das Samsung Galaxy A05s gibt es jetzt für weniger als 120 Euro. Wir prüfen den Preis und zeigen, ob sich das Handy-Schnäppchen lohnt. Wer kein Top-Smartphone für mehr als tausend Euro braucht, sondern einfach ein praktisches Modell für den Alltag, der kann jetzt im Aldi-Onlineshop zugreifen: Der Discounter bietet das Samsung Galaxy A05s für nur 119 Euro an. Das Starterset für Aldi-Talk mit 10 Euro Guthaben und eine Schutzhülle gibt es obendrauf.

Das Geheimnis ist nicht über den Dingen, nicht in einer anderen, unwahrscheinlichen Sphäre, sondern in ihrem Zellkern. Wenn dieses Bewusstsein verloren geht, dann ist der Mensch schon zu Lebzeiten tot, gestorben an seinen Verhärtungen. Es kommt dann die Zeit der Kriegsspiele, des Kriegsgeheuls, des Krieges.