Schwarz-gelbe Friedensbotschaft

Eine Jerusalemer Künstlerin verwendet die Farben des Fußballvereins Borussia Dortmund für Bilder mit völkerverbindender Botschaft.

Kunst verbindet oft, was die Politik getrennt hat. Klänge, Farben und Formen sprechen zu Menschen ganz verschiedener Herkunft und können diese dazu bringen, im gemeinsamen Erleben von Schönheit zu spüren, wie ähnlich sie einander im Grunde sind. Auch der Sport kann diese völkerverbindende Kraft entfalten, sofern er nicht zum verbissenen „Kampf gegen ...“ ausartet, sondern zum Teilen von Begeisterung über gelungene Spielzüge einlädt. Wo zu großer Ernst Menschen gegeneinander aufbringt, kann das Spiel zu mehr Heiterkeit und Leichtigkeit animieren. Gerade in der Stadt Jerusalem, die inmitten eines Dauerkrisengebiets liegt und zwischen rivalisierenden Religionen zerrissen scheint, bräuchte es mehr davon. Die Jerusalemer Künstlerin Miriam Neiger, die interessanterweise ein Fan des deutschen Vereins Borussia Dortmund ist, lässt sich mit ihrem Bilderzyklus „Power Field, Fußball und Kunst“ auf ein gewagtes Experiment ein: die Vereinigung von Fußball und Kunst mit einer Friedensbotschaft. Ein ästhetischer Protest gegen politische Schwarz-weiß-Malerei in den Farben Schwarz und Gelb. Ein Text zum #Fußball-EM-Spezial.

Eigentlich habe ich keine besondere Leidenschaft für den Fußball. Aber als Dortmunderin kommt man am BVB nicht vorbei. Wenn der BVB ein Heimspiel hat, sämtliche Parkplätze der nahen Umgebung besetzt sind und die Fans schon ab Mittag mit ihren Fahnen und bunten T-Shirts die Stadt bevölkern, dann kann man entweder ausreißen oder schaut mit begeisterten Freunden in der Schrebergarten-Kneipe um die Ecke dem Spiel zu und verfolgt die bizarren Bewegungen auf dem grünen Spielfeld.

Immerhin kommt Leben in die Innenstadt, die normalerweise abends und am Sonntag totenstill ist und an den teuren Mieten langsam zugrunde zu gehen scheint. Ich erinnere mich an den Beitrag einer Gast-Künstlerin aus China zum, wie ich glaube, Frauenfilmfestival 2006. Als sie in Dortmund am Hauptbahnhof ankam, war sie schockiert: leere Straßen, wenige Menschen, kaum Kontakte. Was sollte aus ihrem Aufenthalt werden, worüber einen Film als „artist in residence“ produzieren? Sie begann den Bahnhof zu lieben, weil hier auch andere Einsame, vor allem „Ausländer“, ihren Wochenend-Treffpunkt hatten. Sollte das ein Film-Sujet werden?

Bis an einem Tag alles anders wurde. Der Dortmunder Hauptbahnhof spuckte Tausende fröhlicher, lärmender Menschen aus: „Heimspiel beim BVB!“

Jetzt hatte sie ihr Thema gefunden: der BVB und seine Fans — eine Liebeserklärung!

Die Weltmeisterschaft von 2006 hatte bei herrlichem Sommerwetter noch andere gute Begleitumstände: Seitdem gibt es in der Stadt reichlich Außengastronomie. Jeder kleine Sonnenstrahl verändert das Stadtbild mit bunten Sonnenschirmen und möblierten Straßenseiten und Plätzen — und Menschen!

Europameisterschaft 2024

So ist es auch jetzt, 2024, zumindest beim letzten Spiel Dänemark gegen Deutschland bis zum donnernden Blitzgewitter über dem Stadion.

Am Tag davor trafen wir im Westfalenpark — wie viele andere Orte eine Stätte des modern gewordenen „Public Viewing“ — auf eine Gruppe junger englischer Fans, die vor dem Spiel auf Schalke in Gelsenkirchen noch einen Abstecher in die Bierstadt Dortmund machten und uns nach der besten Kneipe fragten, wo man so richtig saufen könne.

Am Samstag dann schwirrten Zehntausende rot-weiß gekleideter Dänen durch Dortmund und fieberten dem EM-Achtelfinalspiel entgegen. Die Supermärkte in Dortmund waren leer gekauft an Flaschengetränken und Knabberzeugs. Die Stimmung ungemein heiter — noch schien die Sonne.

„Willkommen in eurer Heimat!“, rief Wolfgang, ein jungälterer Herr, einigen der Dänen zu. Die Dänen bedankten sich artig, so ganz verstehen konnten sie dies wohl nicht. Ein wenig fußballhistorische Nachhilfe muss her, da verlasse ich mich auf Wolfgang:

„Der Däne Flemming Povlsen war 1992 eine begeisternde Persönlichkeit in einer schillernden Fußballzeit des BVB unter Otmar Hitzfeld. Unter ihm feierte der BVB eine internationale Renaissance und die Fangemeinde wuchs, war begeistert und begeisterte.

In diese Fanbegeisterung, die jedes Spiel begleitete, wurden gegnerische Fans einbezogen, man feierte Sieg und Niederlage gemeinsam ohne Hass und Feindschaft. Besonders das brachte dem BVB weltweit einen nachhaltigen positiven Ruf, sogar in Israel und Palästina.“

Dortmund und Jerusalem

Wie alle Städte hat Dortmund eine Partnerschaft in Israel, mit Netanya an der Küste und — nicht ganz so typisch — eine Freundschaft mit der palästinensischen Stadt Umm el Fahem, die in die 1. Liga aufgestiegen war. In der damaligen Epoche konnte der BVB einige Trainingslager in Israel ausrichten, woraus dann Fanclubs sowohl auf der israelischen als auch auf der palästinensischen Seite entstanden.

Die palästinensische Mannschaft aus Umm el Fahem im israelischen „Dreieck“ am nordwestlichen Rand der Westbank wurde 1986 zu einem Trainingsbesuch eingeladen, und ich erinnere mich noch gut daran, denn ich war damals für die neuen, noch friedfertigen „Grünen“ im Stadtrat und hatte für diese Freundschaft geworben. Netanya steht nördlich von Jaffa auf Ruinen der Dörfer, die 1948 der „Neubesiedelung“ zum Opfer fielen und deren Bewohner flüchten mussten. Von ihnen und deren Nachkommen sind heute viele in Umm el Fahem zu Hause. Eigens die Bundeswehr wurde bemüht, um nach dem Besuch Ausrüstung und Trikots nach Umm el Fahem zu übermitteln.

Die immer mehr in die internationale Aufmerksamkeit geratene Friedfertigkeit der BVB-Fans inspirierte die Jerusalemer Künstlerin Miriam Neiger. Sie setzte sich im Rahmen ihrer Kunst auch mit Fußball und besonders dem faszinierenden Ball-Verein Borussia Dortmund auseinander.

„Ich schaue fast jedes Wochenende Kabel-TV „ran“ auf SAT1. Ich habe fast keines der entscheidenden Spiele von Borussia verpasst, vor allem nicht gegen Bayern München oder Atletico Madrid“, bekennt sie in einem Interview (1).

1993 schuf sie die einzigartige „Schwarz-gelbe Grafik“. Im Zentrum des Bildes trennen das Blau des Jordan-Flusses und des Sees Genezareth Himmel und Erde, die Zukunft und die Gegenwart. Im irdischen Bereich ein Fußball-Geschehen mit Fußballspielern in Goldgelb, eingerahmt durch die Skizze einer modernen Stadt, angedeutete Gegenwart. Auf der anderen Seite ist die historische Altstadt von Jerusalem unschwer zu erkennen mit goldgelben Kuppeln, Türmen und Dächern — Bindeglied zwischen Israel und Palästina.

In einer von der damaligen Schweizer Botschafter-Gattin Shawne Fielding unterstützten Benefiz-Kunstauktion für das Berliner Behandlungszentrum für Folteropfer im Dezember 1999 erhielt diese Grafik den Topzuschlag von seinerzeit 5.000 DM und ließ Exponaten von Polke über Lindenberg und Salome keine Chance. Heute befindet sich diese Grafik wieder in einer Auktion des Auktionshauses Lempertz in Köln (2).

Noch einmal Wolfgang zur Geschichte:

„Das Entstehungsjahr dieser Grafik läutete eine neue Ära in der Geschichte nicht nur des BVB, sondern des deutschen Fußballs überhaupt ein, Fußball verstanden als Völker und Religionen vereinende Bewegung. Dafür steht Jerusalem Pate als die Heilige Stadt, in der sich alle Weltreligionen zugehörig fühlen. Der Fußball selbst ist als eine ähnliche Welthauptstadt zu denken. Man schaue sich nur diejenige Mannschaft des BVB an, die 1997 den Champions-League-Titel gewann, Paul Lambert, England, Paolo Sousa, Portugal, Stepane Chapuisat, Schweiz, Feiersinger, Österreich, Julio Cesar, Brasilien, Ibrahim Tanko, Ghana, Wladimir But, Russland.“

„Powerfield“ — Schillers „Spielbegriff“ — Neigers „Thrill“

Powerfield — das hat mich immer dann, wenn ich mal zuschaute, fasziniert, und ich habe mich gefragt: „Wie kommen die verschiedenen Züge und die Querbewegungen, diese ganze Bewegung der zwei Parteien mit ihren zweiundzwanzig Spielern auf dem Spielfeld zustande? Ist alles nur Verwirrung? Zufall? Chance? Glück oder Unglück? Oder gar ein kunstvolles Spiel?“

Wie ich eher aus Zufall herausgefunden habe, wird genau das, diese Kunst der Ballbeherrschung verbunden mit einer erfolgreichen Taktik, mit Trainern und der Mannschaft vor dem Spiel beraten und dann in sogenannten Taktiktafeln festgehalten.

Für diese Taktiktafeln interessierte sich Miriam Neiger. Noch einmal aus dem Interview:

„Dieses rastlose Rennen, um ein Tor zu machen, interessante Taktiken, großartige Teamarbeit und gleichzeitig der geniale Beitrag der einzelnen Spieler — das ist, glaube ich, der Nervenkitzel, der mir die Ideen für meine Arbeiten gibt wie zum Beispiel in ‚Powerfield‘.“

In der Serie „Powerfield“ interpretiert Miriam Neiger diese Taktiktafeln zu Kunstwerken, ja Gemälden. Darin stellt sie verschiedene ins Ästhetische verzauberte Taktiktafeln dar, zugeschnitten auf bestimmte Spiele und Spieler.

Die Westfälische Rundschau schrieb dazu am 3. Juli 1996 unter dem Titel „Malerin verbindet Kunst mit Fußball“:

„Eine nicht ganz alltägliche Verbindung schafft die israelische Malerin Miriam Neiger mit ihrer Bildserie ‚Power Field, Fußball und Kunst‘ (...), der dem Fußballspiel eigene Spannungsbereich wird in den Bildern auf verschiedene Weise thematisiert. (...) In einem Werk transformiert sie das Spielfeld in ein Powerfield von gebündelter Energie, die sich in spiralförmigen Wellen farblich kontrastreich auslebt. Den Ball als Kultobjekt mystifiziert Miriam Neiger in einem weiteren Bild, indem sie ihn mit einer schwarz-gelben Aura umgibt“ (3).

Mit Beginn der Champions-League-Saison 1996/1997 hat Borussia Dortmund zu jedem KO-Spiel ein Original dieser Kunstwerk-Reihe der israelischen Künstlerin Miriam Neiger dem jeweiligen Gegner vorab als Präsent übergeben, so bei dem berühmten Sieg über Bayern München oder Ajax Amsterdam. Ein Höhepunkt dieser Aktion war die Übergabe des Werkes des „Power Field JUVE“ an den Präsidenten von Juventus Turin vor dem Spiel am 28. Mai 1987 (4).

Was für eine Geste! Mal etwas ganz anderes! Statt Hochmut und Vereinswimpel Kunst für den Fußballgegner!

Das „Powerplay“ der Schwarz-Gelben gegen Ajax Amsterdam inspirierte die Künstlerin zu einem weiteren Werk aus Öl und Acryl unter dem Titel „Phönix aus der Asche“. „Eine expressive Momentaufnahme des BVB als Mythos“ (5), so beschrieb Borussia Dortmund das Ereignis in einer Pressemitteilung, klärt mein Freund Wolfgang mich auf. Und weiter sein Bericht:

„Diese Kunstwerke erfreuten sich bei Fußballfans, Kunstliebhabern und Sammlern großer Beliebtheit und konnten als Drucke im BVB-Fan-Laden erstanden werden.“

So entstand schon damals eine Intensivierung des Verhältnisses von Fußball und Kunst beim BVB, die sich dann in anderer Form weiterentwickelt hat. „Hands of God“ zum Beispiel, eine Serie, in der zwei Berliner Designer und Fußballfans seit ihrer Kindheit ikonografische Momente des Fußballs festhalten. In einfacher Formsprache sind dort aufregende Momente des Fußballs, von Teams und einzelnen Stars festgehalten und werden als Poster, T-Shirts, Tassen, Frühstücksbrettchen et cetera angeboten — auch im BVB-Fan-Shop; Kunst und Fußball ist auch ein Geschäft geworden (6).

In „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ schreibt Friedrich Schiller:

„Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“ (7).

In der Kunst, die sich um den Fußball entwickelt hat, geht es um nichts weniger als „um die Metamorphose des Fußballspiels in die Kunst als Spiel, als Spiel auf Leinwand und Papier gebannt,“ meint Wolfgang.

Blogger Travis Timmons schreibt 2013 in seinem Blog „Why I watch Borussia Dortmund“:

„So wird das Betrachten von BVB zu einer Würdigung der Form, der Arbeit und des Ergebnisses. Vielleicht so, wie man ein Werk von Piet Mondrian oder Georges Braque zu schätzen weiß. Mehr als bei jeder anderen Mannschaft möchte ich, wenn ich Dortmund zuschaue, all die Bewegungen, das Pressing und das Umschalten visuell entschlüsseln. Etwas Obsessives, wie diese visuelle Entschlüsselung von Ravels Bolero durch Anne Adams“ (8).

Das war einmal Borussia?

„Miriam Neiger meets Braque“ — die Achse Athen — Jerusalem — Paris

Der Louvre im Stadion — die Geschichte geht weiter. 1996 wurden die Aus- und Umbauten des Westfalenstadions mit neuen Räumlichkeiten für Fans und VIPs abgeschlossen. Die Eröffnungsfeier wurde in festlichem Rahmen durch ein weiteres Highlight „gekrönt“. Der damalige BVB-Manager Michael Meier war von der neuen Kunstbewegung des BVB begeistert und wollte „den Fans ein besonderes Geschenk“ machen. In der BVB-Pressemitteilung zu dieser Feier heißt es:

„Wir stellen die Bilder zum Spiel Dortmund gegen den Karlsruher SC am 18. November in den Stammtisch-Räumen unseres Stadions aus. Die exklusive Kunstveranstaltung ist ein Dankeschön an die Inhaber der Jahreskarten zu unserer Stammtischebene. Natürlich kostenlos.“

Die Stammtischräume wurden Zeuge einer einmaligen Ausstellung ganz besonderer Art mit kostbarsten Werken, Skulpturen, Schmuckgegenständen und dazugehörigen Maquettes, Entwurfsskizzen als Gouache von Georges Braque und einem dazu entstandenen Werk von Miriam Neiger „Hommage an Braque“ mit dem Titel: „Miriam Neiger meets Braque“, Interpretationen solcher Meisterwerke, vornehmlich in Gold und Schwarz (9).

In einer Presseinformation zur Ausstellung heißt es:

„Die Kombination schwarz-gelb scheint einen geheimen Zauber auszuüben. So ist es auch zu erklären, dass die jüdische Künstlerin Miriam Neiger in den Farben Schwarz und Gelb ein eigenständiges Œvre geschaffen hat als Hommage an den großen Franzosen Georges Braque. Während dem ehrenwerten Altmeister die griechische Mythologie als Inspiration diente, schöpft Miriam Neger aus der jüdischen Mythologie.“

In schwarz-goldener Farbgebung stehen neben den je 30 Werken, Gouaches und Schmuckskulpturen von Georges Braque 13 Bilder von Miriam Neiger. Zum Beispiel Braques „Wagen der Medea“ von 1962 steht der „Genesis 8 Noah sendet die Tauben aus“ von Neiger gegenüber. Eine Faszination in Schwarz und Gold. Ein fortdauernder Zauber der Mythen der vergangenen Zeiten.

Georges Braque beschäftigte sich in seinem Spätwerk in den 1960er-Jahren mit den sogenannten „Sculptures Precieuses“, einem historischen Handwerk von der Antike bis zum Mittelalter. Das inspirative Grundthema für Braque war die griechische Götterwelt. Aus dieser Serie, aus dem Louvre kamen 30 originale „Maquettes“, die farbigen Gouaches, die für sich schon Kunstwerke darstellen, in das Stadion wie auch die dazugehörigen Edelsteinskulpturen und Schmuckstücke — eine hochkarätige Sammlung. Darunter befand sich die berühmte Skulptur „Glaucos“, eine „Komposition aus Gold, untersetzt mit 50 kg mit Gold ummantelten Amethysten, beleuchtet von einem Smaragd von 100 Karat“ (10).

Die Skulpturen waren von dem jüdischen Steinmetz und Goldschmied Baron Heger de Loewenfeld unter Aufsicht von Georges Braque in Paris gefertigt worden. Mit edelsten Steinen, Diamanten, Rubinen, Amethysten bestückt, auf Gold und Platin — echtes REINMETALL!

Was waren das für Zeiten, wo Kunst und Fußball „echte Liebe“ eingingen!

Ein Erlebnis, nicht zu vergleichen mit der gerade zur Europameisterschaft eröffneten digitalen Mammutshow im Dortmunder Fußballmuseum.