Schluss mit Aufrüstung!

Zusätzliche 30 Milliarden Euro sollen für Rüstung ausgegeben werden.

Jede Kampagne braucht prägnante Forderungen als Kristallisationspunkt für eine massive Wirksamkeit. Bei der seit November letzten Jahres laufenden Kampagne „Abrüsten statt Aufrüsten“ (1), die sich im Kern gegen die Umsetzung der NATO-Vorgaben nach Erhöhung der Militärausgaben richtet, könnte dieses die Bewertung dessen sein, was man mit 30 Milliarden Euro ausgeben kann. Die Friedensbewegung in anderen Ländern verfolgt bereits ähnliche Konzepte.

Der Militäretat im Bundeshaushalt 2017 betrug 37 Milliarden Euro. Auch dieses ist ein Maßstab. Weitere 30 Milliarden Euro kämen hinzu, wenn eine Aufstockung gemäß den NATO-Kriterien von 1,2 Prozent auf 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erfolgen würde. Der 2-Prozent-Wert selbst ist relativ abstrakt und schwer einzuordnen, zumal es auch mehrere Länder gibt, die einen höheren Anteil des BIP für das Militär ausgeben. Entscheidend ist jedoch: Deutschland ist nach den USA das wirtschaftlich stärkste Land in der NATO und mit dieser Aufstockung würde Deutschland auch zur stärksten Militärmacht in Europa. Doch der Wahnsinn einer Aufstockung der Militärausgaben um 30 Milliarden Euro erschließt sich erst im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Problemen, die – im Gegensatz zu den Rüstungsausgaben – auch von der Mehrheit der Bevölkerung als solche tatsächlich wahrgenommen werden. Dazu kommt, dass die astronomischen Rüstungsausgaben im politischen Diskurs immer noch weitestgehend ausgeblendet werden.

Der UN-Generalsekretär Antonio Guterres erklärte zum Neujahrstag 2018 in einer kurzen und knappen Ansprache:

„Ich warne – Alarmstufe rot für unsere Welt. Konflikte haben sich vertieft und neue Gefahren sind aufgetreten. Globale Ängste vor Atomwaffen sind am stärksten seit dem Kalten Krieg. Der Klimawandel bewegt sich schneller als wir. Ungleichheiten wachsen" (2).

Ein Kontrast dazu war die Neujahrsansprache 2018 von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Globale Konflikte und das Wort „Frieden“ kamen in ihrer Rede überhaupt nicht vor. Sie bedankte sich jedoch bei den „Soldatinnen und Soldaten, die hierzulande oder in den Auslandseinsätzen ihren Dienst für unser Land tun“, ohne aber auf Hintergründe einzugehen.

Dass die weitere Aufrüstung und die damit verbundenen globalen Probleme völlig ausgeblendet werden können, zeigt auch der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD (3). Wenn man von der Quantität der begrifflichen Nennungen auf die Qualität schließt, scheinen nach Anzahl der begrifflichen Nennung „Digitalisierung“, „Sicherheit“ und „Europa“ die großen Projekte zu sein.

Nennung von Begrifflichkeiten im Koalitionsvertrag CDU/CSU/SPD:

  • digital: 290
  • Sicherheit: 171
  • Europa: 111
  • Frieden: 43
  • Wohlstand: 22
  • Armut: 11 (Reichtum: 0)
  • Sozialstaat: 5
  • Klima: 73 (Klimawandel: 5)

Natürlich muss auch hinterfragt werden, wie konkret diese Begrifflichkeiten verwendet werden, wie am Beispiel Klimaschutz zu sehen ist. In dem 177 Seiten umfassenden Papier taucht zum Beispiel der Begriff Klima zwar häufiger auf, allerdings nur mit unverbindlichen Floskeln. Die Tatsache, dass hier Deutschland mittlerweile von der früheren Vorreiterrolle ins Hintertreffen geraten ist, wird damit übergangen, dass man die „Handlungslücke zur Erreichung des Klimaziels 2020 so schnell wie möglich“ schließlich wolle. Wie dieses geschehen soll, wird einer Kommission übertragen, was auch für andere Themen- und Problemkreise im Koalitionsvertrag gilt. Während man die in Deutschland getätigten Investitionen in erneuerbare Energien als eine Hauptkomponente für den weltweiten Klimaschutz auf 14 Milliarden Euro beziffern kann (Stand 2016), lagen die Rüstungsausgaben zuletzt bei 37 Milliarden Euro. Während aber die Rüstungsausgaben mit dem Koalitionsvertrag einen Sprung nach oben machen, wird in Bezug auf den Klimaschutz die Energiewende abgewürgt, der Kohleausstieg ebenso vertagt wie die notwendige Verkehrswende zu Lasten von motorisiertem Individualverkehr und fossilen Brennstoffen in Straßen- und Luftverkehr.

Welche Bedrohungen sind wahrnehmbar? Diese Frage stellt sich angesichts der „GroKo“-Gewichtung auf „Sicherheit“. Die Gefahr einer atomaren Selbstzerstörung der Menschheit ist in 2017 wieder stark in den Vordergrund gerückt. Diese Wahrnehmung – wie von Antonio Guterres formuliert – ist vor allem auf die Zuspitzung zwischen Nordkorea und den USA zurückzuführen. Eine nachhaltige Beeinflussung auf die Wahrnehmung in der deutschen Bevölkerung ist damit hingegen nicht verbunden. Die weltpolitischen Entwicklungen, die von einem anderen Ende der Welt auf Deutschland ausstrahlen, sind zu flüchtig, zum Beispiel durch die Abfolge von atomarem Säbelrasseln und Entspannungssignalen seit den Olympischen Winterspielen in Südkorea.

In der Vergangenheit galt dieses bereits durch die Wahrnehmung des Afghanistan-Krieges in Deutschland. Dass Deutschlands Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt werden muss, war und ist über lange Jahre hinweg bei Meinungsumfragen lediglich eine Minderheitsmeinung. Die mehrheitliche Ablehnung dieses Auslandseinsatzes der Bundeswehr hat möglicherweise mehr damit zu tun, dass die Bundesregierung sich aus guten Gründen darum bemüht, diesen nicht als Kriegseinsatz zu benennen – siehe die oben genannte Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin. Einer dieser Gründe ist die Abschiebung von Afghanistan-Flüchtlingen, zu deren Skandalisierung das derzeitige Kräfteverhältnis der Zivilgesellschaft gegenüber Regierung und Bundesbehörden nicht ausreicht. Die mehrheitliche Ablehnung in der Bevölkerung beruht deshalb eher auf einem Unverständnis für diesen Einsatz. Man kann wohl davon ausgehen, dass bei einer offenen Benennung als Kriegseinsatz die Ablehnung noch höher wäre, durch den damit provozierten öffentlichen Diskurs.

Unsicherheiten und Bedrohungen für die Mehrheit der deutschen Bevölkerung – die auch maßgebend den gesellschaftlichen Rechtsruck verursacht haben – sind in vielen Lebensbereichen spürbar. Einen direkten Bezug zu den Militärausgaben, die ja der äußeren Sicherheit dienen sollen, gilt es zu vermitteln. Anknüpfend an die internationale Kampagne „Global Campaign on Military Spending“ (4) kann man anschauliche Beispiele dafür aufführen, für welchen Bedarf Staatsgelder sinnvoller ausgegeben werden können anstelle für die weitere Aufrüstung. Mit anderen Worten: Der Überfinanzierung des Militärs steht eine Unterfinanzierung anderer gesellschaftlicher Bereiche gegenüber. Dieses betrifft sowohl die bundesweiten Haushaltsausgaben für Rüstung einerseits und Sozialausgaben andererseits, wie auch der Vergleich von Rüstungsprojekten mit gesellschaftlich notwendigen beziehungsweise unterfinanzierten Einzelposten.

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Beispiel Pflegenotstand: Die große Mehrheit der Bevölkerung unterstützt gemäß vorliegenden Umfragen eine starke Aufstockung der Ausgaben für bedarfsgerechte Pflege und angemessene Bezahlung in Krankenhäusern, Pflegeheimen und ambulanter Betreuung. Seriöse Berechnungen ergeben, dass dafür jährlich circa 5 Milliarden Euro zusätzlich notwendig wären. Von solchen Konsequenzen sind jedoch die mehr kosmetischen Maßnahmen im neuen Koalitionsvertrag meilenweit entfernt. Einerseits wären 5 Milliarden Euro angesichts der Gesamtausgaben für das Gesundheitswesen in Höhe von 340 Milliarden Euro (wovon ab nur 75 Milliarden Euro aus öffentlichen Haushalten kommen), sicherlich durch Ausgabenverlagerungen in diesem Bereich selbst zu leisten. Die Ineffizienz dieses kostspieligen Systems, das immer mehr von privaten Profitinteressen dominiert wird, ist offensichtlich. Ein anderer Aspekt ist freilich die moralische Verantwortung für Mitmenschen, die dadurch den Pflegenotstand persönlich zu spüren bekommen. Dem gegenüber steht die Begründung der weiteren Aufrüstung für eine „weltweite Verantwortung“, die damit von der Bundeswehr wahrgenommen werden müsse. Zu fragen wäre, welche menschliche Verantwortung damit verbunden ist.

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Beispiel Verkehrskollaps und ÖPNV: In der Debatte um den Diesel-Skandal und die Luftverschmutzung durch Stickoxide wurde kürzlich sogar von der Bundesregierung – wegen drohender Sanktionen aus Brüssel – der Nulltarif für den ÖPNV ins Spiel gebracht. Sofort entwickelte sich über die Medien eine lebhafte Debatte über dessen (Nicht-)Finanzierbarkeit. Tatsächlich wäre auch ohne größere Haushalts-Umschichtungen der ÖPNV-Nulltarif allein durch eine Änderung der Steuerbegünstigung des Dieselkraftstoffes bereits überwiegend finanzierbar.
Unabhängig davon kann aufgezeigt werden: Bereits mit 15 Milliarden Euro könnte der ÖPNV-Nulltarif gestemmt werden, inklusive der notwendigen Verbesserungen in der Infrastruktur. Dem entgegen steht zum Beispiel ein Milliardenprogramm zum Ausbau der militärischen Infrastruktur. So ist aktuell ein Aktionsplan zur Verbesserung der militärischen Mobilität von der EU-Kommission in Zusammenarbeit mit der NATO in Arbeit.

Der kürzlich vorgestellte Sicherheitsreport 2018 (5) liefert als Ergebnis, dass eine Bedrohung des Weltfriedens durchaus wahrgenommen wird. Allerdings wird Russland – gegen das sich die verschärfte Aufrüstung in erster Linie richtet – erheblich weniger als Ausgangsland einer militärischen Bedrohung wahrgenommen, als (in dieser Reihenfolge) Nordkorea, USA, Iran, Türkei und Syrien.

Noch interessanter ist die Häufigkeit der Einzelnennungen in Bezug auf Ausgabenfelder des Staates. Hier rangiert die Bundeswehr erst an 11. Stelle, noch hinter Maßnahmen zur Integration und Eingliederung von Ausländern.

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Wenn man den bestehenden gesellschaftlichen Bedarf – gemäß den genannten und natürlich zahlreichen anderen Beispielen – zusammenfassend bewertet, besteht ein Bedarf nach sozial-ökologischer Transformation. Diese Forderung beinhaltet im Kern eine Konversion von produzierender Industrie (für Güter des tatsächlichen Bedarfs) und regionaler Infrastrukturen (zum Beispiel Mobilität für alle). Der Doppelbegriff drückt auch aus, dass diese umweltpolitische Vision nicht nur eine globale Nord-Süd-Frage ist, sondern auch eine gesellschaftliche Spaltung in unserem eigenen Land überwunden werden muss. Während Teile unserer Gesellschaft immer mehr Ressourcen für Konsumgüter und Energie verschwenden, verarmt ein zunehmend größerer Teil der Bevölkerung und kann vorhandene Ressourcen nur extrem sparsam nutzen. Es geht deshalb um ein neues Wohlstandsmodell unter ökologischen Restriktionen (6).

Ausgaben für die Bundeswehr haben einen geringen Stellenwert in der öffentlichen Wahrnehmung. Dieses steht in einem deutlichen Kontrast zu dem propagandistischen Trommelfeuer, mit dem eine russische Bedrohung dargestellt wird, die als Hauptgrund für eine weitere Aufrüstung herhalten muss.

Demgegenüber sind Pflegenotstand sowie Verkehrskollaps und Umweltprobleme durch den Straßenverkehr aktuell in einer breiten öffentlichen Diskussion. Diese Themen sind auch beispielhaft für die politische Stagnation, die jetzt mit der Fortsetzung der „GroKo“ eingeleitet worden ist. Die Unfähigkeit beziehungsweise Unwilligkeit der politischen Klasse zu notwendigen, da bereits seit langem überfälligen, Veränderungen ist in der deutschen Bevölkerung zunehmend spürbar.

Dem entgegen steht eine „dynamische“ Entwicklung der Rüstungsausgaben, die aber im öffentlichen Diskurs noch weitgehend ausgeblendet wird. Ein Schulterschluss zivilgesellschaftlicher Bewegungen ist möglich und die Friedensbewegung kann hierzu betragen. Nur so kann verbreiterter Widerstand den notwendigen Kurswechsel erzwingen.

Wie heißt es so treffend in einem Lied von Konstantin Wecker?

Empört euch,
beschwert euch
und wehrt euch,
es ist nie zu spät!
Empört euch,
gehört euch
und liebt euch
und widersteht!


Quellen und Anmerkungen:

(1) Siehe Kampagnen-Homepage www.abruesten.jetzt
(2) https://www.unric.org/de/uno-schlagzeilen/28216-un-generalsekretaer-antonio-guterres-neujahrsbotschaft
(3) Eine Download-Quelle des Koalitionsvertrages ist zum Beispiel www.freeware.de/download/koalitionsvertrag-2018/
(4) siehe Kampagnen-Homepage www.demilitarize.org
(5) siehe www.glh-online.com
(6) siehe dazu den Rubikon-Artikel: https://www.rubikon.news/artikel/vor-welcher-bedrohung-retten-wir-die-welt